Spätestens seit dem ersten Corona-Lockdown im April vergangenen Jahres und dem millionenfachen Gang ins Homeoffice besteht kein Zweifel mehr: Die Pandemie hat die Unternehmens- und Arbeitswelt nachhaltig in ein neues, digitales Zeitalter katapultiert. An vielen Stellen sind die neuen Herausforderungen von Unternehmen verständlicherweise ad hoc und somit provisorisch angegangen worden. Jetzt braucht es neue Unternehmenskulturen für die hybriden Arbeitskulturen, findet Rebecca Clarke, Head of People bei Recruitee.
Hybride Arbeitsmodelle sind auf dem Vormarsch
Dass hybride Modelle auch nach der Corona-Pandemie Teil der Wirtschaft sein werden, ist unumstritten. Führungskräfte merken jetzt jedoch immer stärker, dass die für hybride Arbeitsmodelle zu entwickelnden Prozesse keinesfalls trivial sind, sondern im Grunde die gesamten, oftmals noch analoge Unternehmenskulturen novelliert werden müssen. Denn ein Großteil der Beschäftigten in Deutschland wünscht sich auch nach Ende der Pandemie ein hybrides Arbeitsmodell, das zwei bis drei Tage Homeoffice zulässt. Meiner Ansicht nach ist in dieser Herausforderung für Unternehmen, ihre über Jahre gewachsene und gepflegte Unternehmenskultur zu retten, vor allem eine riesige Chance zu finden, die Kultur insgesamt zum Besseren zu verändern.
Arbeit von Anfang an hybrid denken
Nur die wenigsten Firmen werden sich eine rein bürozentrierte Unternehmenskultur überhaupt noch leisten können. Bei allen Überlegungen zur Umstrukturierung der eigenen Unternehmenskultur sollten Unternehmen daher von vornherein einen Grundsatz beherzigen: Hybride Arbeitsmodelle sind Prämisse und Ausgangspunkt für eine erfolgreiche digitale Unternehmenskultur.
Es gilt also nicht, die hybride Zukunft der Arbeit in die analoge Kultur zu integrieren, sondern vielmehr Prozesse zu entwickeln, wie die alten Strukturen in das neue Paradigma „hybride Arbeit” integriert werden können. Hybride Arbeitsmodelle müssen an jeder Stelle einer neuen Unternehmenskultur spürbar sein.
Bei der Entwicklung einer digitalen Unternehmenskultur werden vor allem die Erfahrungswerte der eigenen Mitarbeitenden, die in den vergangenen Monaten ausschließlich von zu Hause oder hybrid gearbeitet haben, von entscheidender Bedeutung sein. Was hat gut funktioniert und was weniger?
Unternehmen sollten insbesondere ihre Angestellten mit einbeziehen und deren Vorschläge bei der Ausformulierung einer neuen Kultur mit berücksichtigen.
Kulturfaktoren und Wertvorstellungen digital stärken
Durch das Homeoffice und Remote Work sind die spontanen Begegnungen im Büro, Gespräche auf dem Flur und der private Austausch mit Kolleginnen und Kollegen an der Kaffeemaschine weggefallen. Die über die Monate verloren gegangenen Faktoren Vertrauen, Wertschätzung, Zugehörigkeit und Sinnstiftung müssen nun wieder hergestellt werden und hybride Möglichkeiten des kulturellen Austausches der Angestellten untereinander entwickelt werden.
Am sinnvollsten sind dafür zentrale Unternehmensveranstaltungen, bei denen alle Angestellte zusammenkommen, ihre Kolleginnen und Kollegen treffen und die Erfolge des vergangenen Jahres feiern. Gleichzeitig darf dabei auch die Interaktion im Tagesgeschäft nicht vernachlässigt werden.
Virtuelle Zufallstreffen – zum Beispiel beim Onboarding
Vielleicht kann auch ein geplanter digitaler Kaffeeklatsch mit dem zufällige Treffen auf dem Büroflur mithalten und den nötigen Raum für den persönlichen Austausch der Beschäftigten untereinander schaffen?
Natürlich kann die Unternehmenskultur nicht über die Summe der Beziehungen der Mitarbeitenden untereinander definiert werden. Daher ist es wichtig, sich auch grundsätzlich mit der Belegschaft über kulturelle Faktoren und Wertvorstellungen auszutauschen. Diese können zum einen im Rahmen der internen Onboarding-Prozesse aufgegriffen und neuen Angestellten vermittelt, zum anderen aber auch der bestehenden Belegschaft in Workshops kommuniziert werden.
Inklusion am Arbeitsplatz fördern, Diskriminierungen verhindern
Dazu gehört auch auf exkludierendes Verhalten aufmerksam zu machen. Bereits vor der Pandemie steuerten viele Unternehmen trotz aller Warnungen unbeirrt in Richtung einer weniger menschlichen und zunehmend toxisch werdenden Umgebung zu. Durch die Arbeit aus dem Homeoffice heraus findet diskriminierendes Verhalten nun im Verborgenen statt. Führungskräfte müssen darauf geschult sein, dieses auch digital zu erkennen, um Gleichberechtigung in der Unternehmenskultur durchzusetzen.
Angestellte sollten auch Portale und sichere Kommunikationswege zur Verfügung gestellt bekommen, über die sie anonym und vertraulich über diskriminierende Vorkommnisse an ihre Vorgesetzten berichten zu können.
Das Wohlbefinden der Angestellten stärken
Das mentale Wohlbefinden der Angestellten hat während der Pandemie im Homeoffice besonders gelitten. Mehr als ein Fünftel der Beschäftigten steht sogar kurz vor einem Burnout. Die Wahrung der mentalen und physischen Gesundheit ihrer Mitarbeitenden am hybriden Arbeitsplatz muss daher von Führungskräften weiter unterstützt und besser umgesetzt werden.
Das kann einerseits durch eine optimale Ausstattung des Arbeitsplatzes geschehen. Andererseits können in der Unternehmenskultur festgelegte Programme die Gesundheit der Beschäftigten zusätzlich fördern.
Wie wäre es zum Beispiel mit digitalen Yoga-Sessions? Viele Unternehmen haben ihre Angestellten während der Pandemie Lockdowns aber auch durch zusätzliche Betreuungsangebote für Kinder, Kinderkrankheitstage und deutlich flexibler gewordene Arbeitszeiten entlastet. Das alles sind Modelle, die auch nach der Pandemie elementar bleiben und den Arbeitsalltag insgesamt erleichtern.
Hybride Arbeit hat auch eine zeitliche Komponente
Wir alle wissen, dass die Schwierigkeiten von virtueller Arbeit zu Problemen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben führen können. Gerade flexiblere Arbeitszeiten und der Fokus auf ergebnisorientiertes Arbeiten können Angestellte in ihrer Arbeit sehr entlasten und die Produktivität erhöhen. Denn so arbeiten Angestellte zu den Zeiten, zu denen sie ihre Aufgaben am besten erfüllen können. Aber auch hier braucht es Regeln.
Ob es darum geht, bestimmte Zeiten für konzentriertes Arbeiten festzulegen oder dafür zu sorgen, dass Besprechungen und Zusammenarbeit nur vor der Mittagspause stattfindet – eine hybride Arbeitskultur muss Wege finden, um Teams dabei zu helfen, Kontrolle über ihren Tag zu behalten.
In einer hybriden Arbeitsumgebung, in der schnelle Abstimmungen über Schreibtische hinweg wegfallen, können Teambesprechungen leicht außer Kontrolle geraten und den Arbeitstag in Beschlag nehmen. Gelöst werden kann dieses Problem etwa durch besprechungsfreie Tage und Zeiten, die für konzentriertes Arbeiten geblockt ist.
Fazit – die großartigen Chancen hybrider Arbeitsmodelle
Zweifelsohne: Unternehmen müssen Antworten auf die neue hybride Arbeitswirklichkeit finden. Der Vorteil ist, dass die Unternehmen mit den fehlenden Elementen in ihrer Kultur konfrontiert werden und nun ein besseres Arbeitsumfeld schaffen können. Respekt und Innovation werden zu immer wichtigeren Kulturkomponenten, unabhängig vom Arbeitsplatz. Sinnvoll ist es, hierfür schnellstmöglich Übergangsprozesse anzustoßen und die eigene Unternehmenskultur in das digital-hybride Arbeitszeitalter zu überführen.
Denn die Kultur muss in unterschiedlichsten Bereichen und Kontexten nachgebessert und angepasst werden. Wichtig ist dabei, dass dabei sowohl Teams, die remote arbeiten, als auch die Teams in den Büros gleichermaßen gehört werden.
Trotz aller Schwierigkeiten, die mit einem Übergang zu einer digitalen Unternehmenskultur verbunden sind, werden langfristig die Chancen dieser überwiegen. Ein hybrider Arbeitsplatz eröffnet die Türen für die Anwerbung globaler Talente, die aufgrund des weiter ansteigenden Fachkräftemangels unerlässlich werden. Das bedeutet, dass die großartige Möglichkeit besteht, ein vielfältiges Team aufzubauen und die eigene Unternehmenskultur zu bereichern.