Mitarbeiterloyalität und emotionale Verbundenheit? Im Web wird man ständig zur Untreue verführt. Vor allem die hoch qualifizierten Leistungsträger werden heftig umworben. Und wenn ihnen etwas nicht passt, nehmen sie schleunigst Reißaus. Meist sind die Unternehmen selbst daran schuld. Und daran lässt sich was ändern. Dieser Gastbeitrag von Anne M. Schüller zeigt, an welchen Stellschrauben wir drehen können.
Illoyale und loyale Mitarbeitende
Missgestimmte, unmotivierte, illoyale Mitarbeitende sind die größten Umsatzvernichter eines Unternehmens. Sie hemmen dessen Innovationsfähigkeit, das organische Wachstum und die betrieblichen Zukunftschancen. Solche Mitarbeitende sind nicht nur öfter absent, sondern vor allem auch destruktiv. Die daraus resultierenden Produktivitäts- und Ertragseinbußen sind enorm. Zu den Fluktuationskosten addieren sich ein erhöhter Recruitingaufwand und eine rückläufige Arbeitgeber-Attraktivität.
Loyale Mitarbeitende hingegen sind leistungsbereit, engagiert und ambitioniert. Sie machen sich Gedanken um das Wohl und Wehe der Firma. Sie identifizieren sich mit ihr und machen deren unternehmerische Interessen zu ihren eigenen. Zudem sind sie als Weiterempfehler aktiv. Exzellente Mitarbeitende so lange wie möglich im Unternehmen zu halten, ist folglich von oberster Priorität. Deshalb müssen wir uns um die wahren Gründe für Mitarbeiterfluktuation kümmern.
Und die sind äußerst facettenreich.
Ist schlechtes Führungsverhalten an allem schuld?
In einschlägigen Studien werden meist die Führungskräfte dafür verantwortlich gemacht, dass sie durch schlechtes Verhalten die Leute verjagen. Doch solche Vorwürfe greifen vielfach zu kurz. Wir müssen bis zur Quelle, um die wahren Abgangsursachen zu finden. Denn nicht die Menschen per se sind „verkehrt“. Vielmehr unterliegen sie organisationalen Strukturen, Prozessen, Karrierewegen und Belohnungssystemen. Da muss vorrangig angesetzt werden, dann ändert sich auch das Führungsverhalten.
So wie Spielregeln definieren, wie ein Spiel funktioniert, so definieren die internen Verfahren, wie Führung im Unternehmen „gespielt“ werden soll. Nehmen wir ein klassisches Organigramm. Da thront der Chef einsam weit oben, darunter, in Kästchen eingesperrt (!), seine brave Gefolgsmannschaft. Nur allein schon solch ein alphahierarchischer Rahmen determiniert die internen Zwänge und Konventionen.
„Ich werde dafür bezahlt und kann Boni ergattern, wenn ich meine fixen Vorgaben erreiche“, erklärt mir Abteilungsleiter Klaus. „Das setze ich rigoros um. Ob ich damit anderen schade, ist mir letztlich egal.“ Ich schaute, glaube ich, ziemlich entsetzt. „Persönlich würde ich es ja anders machen,“ raunt er mir zu. „Kann ich mir aber nicht erlauben, habe zwei Kinder auf der Uni und gerade ein Häuschen gebaut. Schön dumm wäre ich, mich gegen die Vorgehensweisen der Firma zu stellen.“
Suchen Sie überhaupt nach Menschen mit Loyalitätspotenzial?
Loyalität fängt mit der Auswahl der richtigen Leute an. Denn Fachexpertise ist nicht alles. Wer Leute wählt, die nicht zur Unternehmenskultur oder schlecht ins Team passen, oder wer Menschen mit niedrigem Loyalitätspotenzial rekrutiert, braucht sich nicht zu wundern, dass bei ihm ein ständiges Kommen und Gehen herrscht.
Analysieren Sie deshalb im Vorfeld zunächst einmal ganz genau, welches Ihre wertvollsten loyalen Mitarbeitenden sind, auf welchen Wegen diese zu Ihnen kamen, was sie auszeichnet und wie sie sich verhalten:
- Welche Muster sind zu erkennen?
- Und welche davon lassen sich reproduzieren?
So können Profile und Prozesse erstellt werden, mit deren Hilfe man systematisch auf die Suche nach neuen loyalen, leistungsbereiten und engagierten Mitarbeitenden gehen kann. Man lernt dabei auch, systematisch solche Menschen zu meiden, bei denen alle Loyalisierungsbemühungen zwecklos sind. Mithilfe passgenauer Parameter lässt sich schließlich ein Frühwarnsystem installieren, das frühzeitig vor Wechselwilligkeit warnt.
Den Onboarding-Prozess gezielt unter die Lupe nehmen
Oft sind gerade die hochengagierten Talente bereits nach den ersten Arbeitstagen derart frustriert von dem, was sie gleich anfangs erleben, dass sie das Unternehmen am liebsten sofort wieder verlassen. Und vielfach tun sie das auch. Solche Frühfluktuation liegt vor allem an einem schlechten Start. Verkorkste Einarbeitungsprozesse, eine suboptimale Willkommenskultur und antiquierte Betriebsroutinen sorgen sehr häufig dafür, dass ambitionierte Neulinge schnell wieder das Weite suchen.
Da ist zum Beispiel Lars. „Für meine Ideen interessiert sich niemand bei uns, ich bin ein viel zu kleiner Fisch“, erklärt er mir desillusioniert. Der junge Mann war mir schon in der Diskussionsrunde nach meinem Vortrag aufgefallen. Beim anschließenden Umtrunk sprach ich ihn nochmal an. Er war erst kürzlich eingestellt worden und wollte ein paar neue Dinge einbringen. Seine Vorschläge hatten es in sich. „Ich weiß“, sagt Lars enttäuscht, „doch ich finde einfach kein offenes Ohr.“ Er war bereits auf dem Absprung.
Oder nehmen wir Anja. Sie war gleich nach der Uni in die Firma gekommen. Schon in den ersten Tagen brauchte sie eine neue Computermaus. Aufwendig musste sie zunächst ein Formular für den Bestellvorgang suchen. Zudem benötigte sie die Unterschrift des Vorgesetzten, weil dort alle Anschaffungen schriftlich einzureichen und zu genehmigen waren. Statt am Computer zu sitzen und zu warten, bis die Maus endlich eintraf, hat sie gekündigt. Für solchen Bürokratiefirlefanz war sie sich, bestens ausgebildet, zu schade
Wer macht bei Ihnen Karriere – und vor allem, wie?
Meist wird Karriere noch immer gleichsetzt mit hierarchischem Aufstieg. Dabei gibt es viele Merkwürdigkeiten. Man dient sich hoch, ist irgendwann „dran“ und darf nicht übergangen werden. Fähig oder unfähig zu höheren Weihen? Kaum relevant. Ist die einzige Möglichkeit, mehr Geld zu verdienen, an eine Führungskarriere gekoppelt, dann ist es nur logisch, dass diese erstrebt wird – selbst dann, wenn man Menschen eigentlich gar nicht führen kann oder will.
Wer einen akademischen Titel hat, ist in vielen Unternehmen fast automatisch für Führungsaufgaben prädestiniert, obwohl man an der Uni so gut wie nichts über Führungsexzellenz lernt. Anderswo darf man sich einer Beförderung ins Führen auch dann kaum widersetzen, wenn einem dies gar nicht liegt. Man wird zum Führen „verdonnert“. Oder, ein Klassiker: Top-Resultate in fachlichen Dingen werden mit einer Führungsaufgabe belohnt. Leider ist ein solider Fachmann nicht zwangsläufig auch eine Führungspersönlichkeit.
Schließlich stellt sich die Frage, welcher Typ Mensch in die oberen Etagen befördert wird. Das sind gar nicht so selten angehende Narzissten und Psychopathen. Ihr Charisma und ihre Durchsetzungskraft scheinen sie geradezu für Leadership zu qualifizieren. Leider ist alphahierarchisches Dominanzgebaren oft mit einem Mangel an Empathie verbunden. Führungsseminare können das nur übertünchen.
Wenn die Zeiten rauer werden, fallen sie in „hartes“ Führen zurück, weil das ihrem Naturell entspricht.
Ungewollter Mitarbeiterfluktuation auf der Spur
In vielen Führungsetagen geht es zu wie im Taubenschlag. Längst ist der ständige Wechsel Normalität. Kein Wunder, dass bei den damit verbundenen permanenten Veränderungen auch die Mitarbeiterloyalität auf der Strecke bleibt. Denn Loyalität entsteht zwischen Menschen. Sie braucht Zeit, um wachsen zu können.
Wer zudem statt Wohlwollen, Geltung, Anerkennung und Respekt im Umgang vor allem Dauerdruck, Desinteresse und Missvergnügen erlebt, der kündigt innerlich oder real. Die Gefahr ist übrigens dort am größten, wo es aufgrund von Remote Work kaum persönliche Nähe und infolge ständiger Wechsel keine emotionale Verbundenheit gibt.
Um einerseits den vielerlei möglichen Ursachen für ungewollte Mitarbeitermigration auf die Spur zu kommen und andererseits die Mitarbeiterloyalität zu verbessern, sollten wir aufhören, zu spekulieren. Viel hilfreicher ist es, ausgewählten Mitarbeitenden die beiden folgenden Fragen zu stellen, am besten schriftlich und anonym:
- Was können wir konkret tun, um die Loyalität unserer Mitarbeitenden zu stärken?
- Was müssen wir meiden, damit ungewollte Fluktuation erst gar nicht entsteht?
Solche Fragen lassen sich sogar in gut gemachte Exit-Interviews integrieren, um endlich die wahren statt der nur vorgegaukelten Austrittsgründe zu finden.
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