Mit der Recruiting-App Omnium zum Vorstellungsgespräch in nur vier Minuten? Dabei sowohl auf das Anschreiben, den Lebenslauf als auch die Zeugnisse komplett verzichten? „So schnell und direkt war Recruiting noch nie!“ lautet die fett gedruckte Aussage im Marketing-Text der App. Wie viele Startups möchte auch die Omnium GmbH das Recruiting revolutionieren und dabei ohne alle bisher erforderlichen Bewerbungsunterlagen auskommen. Na wenn das nicht nach einem Persoblogger-Praxistest schreit?
Hier mein Beitrag zur Recruiting-App Omnium sowie eine kritische allgemeine Betrachtung der durchaus spannenden Idee hinter der App.
Neue App – neue Idee
Im Zusammenhang mit Mobile-Recruiting, Recruiting-Apps und der sogenannten One-Click-Bewerbung, gibt es bereits zahlreiche Ansätze diverser Anbieter. Eine App, die den Jobsuchenden verspricht, in 3 Schritten zum Traumjob zu gelangen und eine anonyme Vereinbarung eines Bewerbungsgesprächs in nur vier Minuten möglich macht, gibt es noch nicht. Oder zumindest kannte ich sie bislang noch nicht. In jedem Fall wollte ich die Software unbedingt testen.
App bislang nur für iOS verfügbar
Ein Test der seit 22.10. vorerst ausschließlich im App-Store verfügbaren Software ist nur mit einem iPhone möglich. Daran sollte es nicht scheitern. Der Marketingleiter, der mich angeschrieben und um Feedback zu seiner App geben hat, betont, dass aufgrund der kurzen Verfügbarkeit erst wenige Unternehmen dabei sind und ebenso wenig Stellen verfügbar sind.
Das werde ich bei meinem Test gerne berücksichtigen, wenngleich ich hier schon deutliche Schwächen des Geschäftsmodells erkennen kann. Ausführlich habe ich darüber in meinem Blogbeitrag „Warum mobile Jobapps scheitern und deren Verwendung die Candidate Experience beeinflusst“ schon Mitte 2015 geschrieben. Meine dort vertretene Meinung ist mithin aktueller denn je.
Die Jobsuche beginnt
Unmittelbar nach dem Download der Omnium-App kann ich ohne Registrierung bereits loslegen. Das gefällt mir. Beim Berufswunsch wird es dann schon schwieriger. „Was ist Dein Traumjob?“ prangt auf der ersten Seite. Da stellt sich bereits die Frage, ob der gesuchte Job tatsächlich immer der Traumjob ist? Unabhängig davon, suche ich natürlich für den Test „Irgendwas mit Personal“. In Echtzeit werden mir beim Tippen bereits Vorschläge angezeigt.
Was mir sofort auffällt: Jobsuchende müssen sehr genau wissen, was sie suchen. So ist das ebenfalls vorhandene Berufsbild „Recruiter“ möglicherweise nicht jedermann sofort ein Begriff. Mittelständische Unternehmen arbeiten häufig mit einer sehr generellen Ausbildung der Personalreferenten. Wenn in den Ergebnissen somit rein Keyword-basierte Jobs auftauchen und nicht auch semantische Zusammenhänge erkannt werden, zeigt sich hier bereits Optimierungsbedarf.
Bei den anderen vier benötigten Eingaben gebe ich ein, was mir gerade so einfällt.
Die Matches – Vom Traumjob zum Zufall
Erwartungsgemäß konnten keine zu meinen Eingaben passenden Ergebnisse gefunden werden. Das mag an der zwangsnotwendigen Auswahl eines Postleitzahlen-Gebiets liegen sowie der ungewöhnlich niedrigen Default-Einstellung von 3 km im Umkreis. Allerdings brachte auch die Erweiterung auf 100 km kein passendes Ergebnis.
Stattdessen wird mir angeboten, zufällige Jobs anzuzeigen. Zufall scheint mir an dieser Stelle ein wenig unangebracht zu sein. Immerhin reden wir hier über den gesuchten Traumjob, von dem ich laut neuer Überschrift trotzdem nur noch zwei Schritte entfernt sei. Natürlich versuche ich mein Glück und tippe mutig auf den Random-Button. Mit folgendem Ergebnis:
Immerhin finde ich hier „Irgendwas mit Personal“ im Angebot. Bei der nächsten zufälligen Runde, die ich gleich anschließe, wird es jedoch ein wenig wilder. Jetzt könnte ich mit der gleichen Qualifikation eine CNC-Fräse bedienen oder Service-Techniker werden. Alternativ einen Werkstudenten-Job annehmen. Dieser Zufallsmechanismus scheint tatsächlich sehr viel Zufall zu beinhalten. Nicht nur, dass ich trotz eingegebenem Hochschulabschluss einen Werkstudenten-Job angeboten bekomme. Auch sind die möglichen Jobs auf einmal sogar sehr weit weg, zum Beispiel in Bonn.
Ein selbstlernender Algorithmus für das Matching – nur ohne Datenbasis
Laut Pressetext basiert das Matching auf einem selbstlernenden Algorithmus und wird fortlaufend optimiert. Das Hauptproblem dieses Matchings sehe ich darin, dass eigentlich so gut wie keine vernünftigen Daten für ein Matching vorhanden sind. Allenfalls die grundsätzliche Passung der Gehaltshöhe sowie die höchste Basis-Qualifikation kann gematcht werden.
Aber wie lange ist das Studium her? Gibt es ein Zweitstudium? Habe ich berufliche Erfahrungen gemacht und wenn ja welche und wie lange? Klassische Inhalte eines Lebenslaufs fehlen hier bewusst, mit dem Ziel einer Beschleunigung des Recruiting-Prozesses. In der Beschreibung der App durch den Anbieter wird sogar hinsichtlich dieser Datensparsamkeit, die ich eher Datenarmut nenne würde, kokettiert: „DSGVO loves Omnium. Höchster Datenschutz ist, wenn keine Daten vorhanden sind.“.
Hm, Moment mal. Komplette Daten-Reduktion als Basis für ein Matching? Und dann Rettung durch den Zufall? Irgendwas passt da doch nicht?! Ich fühle mich akut an das in meinem Beitrag „Absurdes Matching von Bewerbern nach Cultural Fit (…)“ beschriebene Szenario erinnert.
Die Auswahl der passenden Stellenanzeige
Nunmehr suche ich mir einfach mal eine der Stellenanzeigen aus und klicke auf „Termin vereinbaren“.
Das ist jetzt ein wenig ärgerlich, wenn das Unternehmen hier keinen Termin angibt. Denn so lande ich in einer gefühlten Endlosschleife. Das Candidate Experience-Teufelchen auf meiner linken Schulter lacht hämisch. Folglich muss der nächste zufällige „Traumjob“ dran glauben. Ich. Will. Testen!
Diesmal klicke ich vorsichtshalber erstmal auf die Detail-Ansicht.
Die Beschreibung der Stelle kommt äußerst knapp daher. Informationen zum neuen Arbeitgeber als Unternehmen finde ich so gut wie nicht. OK, mit knappen und informationsarmen Stellenanzeigen kenne ich mich seit dem letzten Test der Arbeitgeberbewertungsplattform Glassdoor aus. Wobei fairerweise zu erwähnen ist, dass auch die Jobanzeigen in Facebook oder im kommenden Google for Jobs deutlich knapper ausfallen, als die vormals als optimal angedachten Stellenanzeigen auf den Karriereseiten. Statt Kreativität die maximale Verknappung – der vermutlich sogar das „i“ im Titel der Stellenanzeige zum Opfer gefallen ist.
Macht zumindest mit Blick auf eine mobile Abwicklung des Prozesses per Smartphone-App irgendwie schon Sinn. Also die generelle Informationsverdichtung, nicht das Weglassen von Buchstaben.
Die anonyme Terminvereinbarung
Jetzt stehe ich laut Omnium-App also tatsächlich schon einen Schritt vor meinem Wunschjob. Dann gilt es jetzt nur noch einen Vorstellungstermin zu vereinbaren.
Bei dieser Stellenausschreibung wird mir tatsächlich ein Termin in wenigen Tagen vorgeschlagen. Bedeutet das, es gibt nur (noch) diesen einen oder das Unternehmen will nur den Bewerber (m/w/d) kennenlernen, der es schafft als erstes zu klicken? Zu gerne würde ich mir gleich zwei parallele Vorstellungsgespräche mit zwei Identitäten besorgen.
Stattdessen entscheide ich mich dafür, lieber fünf Vorstellungsgespräche in fünf unterschiedlichen Unternehmen zu vereinbaren. Immerhin ist das laut App absolut anonym möglich. Und wenn ich vom potentiellen Arbeitgeber sogar noch bezahlte Anfahrten an spannende Orte dafür erhalte … wobei, hatte ich nicht eben auf „Bonn“ geklickt. Arg. Was will ich denn da??
Auf was für Gedanken man bei so einem Test auf einmal kommt. Erstaunlich. Das mache ich selbstverständlich aus Fairness-Gründen NICHT. Was halten Sie denn bitte von mir?!
Registrierung mit quasi anonymen Daten – oder auch nicht
Unabhängig davon werde ich eh erst einmal gebeten, mich zu registrieren. Dies soll ebenfalls mit Minimaldaten möglich sein. Stimmt. Die Eingabe einer anonymen (Wegwerf-)Adresse genügt. Die zu bestätigenden AGB lese ich mir sogar mal durch – was soll man auch sonst am Wochenende machen, wenn die Familie Mittagsschlaf hält.
Das bittere Ende kommt jedoch im Anschluss:
Autsch. Die Registrierung klappt nicht. Warum, das erfahre ich nicht. Jedenfalls scheitere ich mehrfach und breche den Test dann ab. Meine vier Minuten habe ich eh bereits deutlich überschritten – auch ohne AGB-Lesen.
Die Idee einer Kurzbewerbung allgemein betrachtet
Im Kern klingt die Idee einer Bewerbung ohne Unterlagen faszinierend. Bewerber wollen es in der Tat möglichst einfach haben. Andererseits wollen Bewerber auch die Möglichkeit erhalten, sich umfassend darzustellen und nicht nur mit Minimaldaten.
Daher ist das sofortige Durchreichen eines Termins für ein persönliches Kennenlernen grundsätzlich nur konsequent und richtig. Trotzdem muss man an die aktuelle Praxis der Personaler in den Unternehmen anknüpfen und kann nur selten Prozesse an ihnen vorbei definieren – Design Thinking hin oder her. Und in dieser Praxis wollen Recruiter in erster Linie möglichst viele Informationen, bestenfalls sogar hochstrukturiert, um eine (Vor)Entscheidung selbst zu treffen. Oder auch, um sich dabei von einem Algorithmus in der Vorauswahl unterstützen zu lassen. Ob dazu die bestehenden Methoden oder die eingereichten Unterlagen immer die optimale Basis für gute Prognose-Ergebnisse sind, sei mal dahingestellt.
Anonymes Vorstellungsgesprächs-Angebot an Jedermann
Auch die Möglichkeit, sich als Bewerber einen vordefinierten Termin für ein persönliches Kennenlernen ohne langes hin- und her zu schnappen, klingt erst einmal revolutionär gut. Allerdings ist dieses Blind Date für die Unternehmen ein ordentliches finanzielles Risiko. Mal abgesehen davon, dass sie nicht beliebig viele Gespräche an einem einzigen vorgeschlagenen Termin führen könnten: Bewerben sich mehr als 25 Personen, dürfte das persönliche Kennenlernen höchst zeitaufwendig werden. Und ohne Vorauswahl auch wenig effizient. Warum sollten sich die Unternehmen darauf einlassen? Im Grunde könnten sie ein solches Blind Date ja generell selbst anbieten in ihren Stellenanzeigen. Eine Art „Bewerbersprechtag“ oder Tag der offenen Tür mit der Möglichkeit Gespräche zu führen. Oder gleich ankündigen, dass egal wer kommt, es ein Gespräch gibt, so wie bei der Aktion „Bei Anruf Ausbildung“.
Wenn Bewerbung ganz ohne Unterlagen, dann bitte konsequent
Gut vorstellen könnte ich mir, dass die Unternehmen nach der „Vereinbarung eines Termins“ dann doch erstmal Unterlagen nachfordern. Immerhin wollen sie sich ja auch auf den Bewerber vorbereiten. Dies würde allerdings das 3-Schritte in 4-Minuten-System wieder komplett aus den Angeln heben. Mit deutlich negativen Auswirkungen auf die Candidate Experience. Jetzt sticht mir das Teufelchen sogar seinen Dreizack in die Schulter. Aua!
Fazit zur Bewerbung ohne Unterlagen und zur Omnium-App
Im Kern bewegen sich die Macher der Omnium-App in die richtige Richtung: den Bewerbungsprozess zu beschleunigen. Problematisch finde ich jedoch ein Matchen auf Basis einer faktisch nicht vorhandenen Datenlage. Im Grunde geht es beim Matching doch um eine ausreichend gute Datenqualität. Insofern finde ich Ansätze basierend auf Persönlichkeitstests oder skillbasierte Verfahren, die vor dem Matchen erst einmal Daten erheben, deutlich vielversprechender für beide Seiten.
Eine Terminvereinbarung in die Hände der Bewerber zu legen, ist irgendwie ein interessanter Gedanke. Wobei die Vorgabe letztlich ja doch vom Unternehmen stammt. Was passiert eigentlich, wenn der Bewerber nur zu einem anderen Zeitpunkt kann? In der App ist mir keine Möglichkeit aufgefallen, um mit dem Unternehmen diesbezüglich Kontakt aufzunehmen. Vermutlich würde ich in diesem Fall von der Bewerbung mangels positiver Candidate Experience ganz absehen.
Die Herausforderung, sowohl zahlende Kunden für die Schaltung von Stellenanzeigen in der App, als auch App-Nutzer bei der Jobsuche zu gewinnen, ist das klassische Henne-Ei-Problem. Trotzdem fand ich die Omnium-Lösung irgendwie recht „fluffig“ in der Bedienung. Und ich hatte sogar Spaß beim Testen. Also wer weiß, vielleicht finden die App-Entwickler noch den richtigen Dreh unter Einbezug ihrer Personaler-Zielgruppe. Toi toi toi!
Die Idee an sich ist fast zu schön, um nicht irgendwie wahr zu werden…