Über Candidate Experience wurde bereits viel geschrieben. Von wirklich positiven Beispielen, bis hin zu wahren Albtraumszenarien. Was sich jedoch eine Tech-Firma aus dem unterfränkischen Dettelbach hat einfallen lassen, um die von ihnen gesuchten Ingenieure schon beim Bewerbungsgespräch zu begeistern, hat mich dann doch überrascht. Insbesondere weil das ungewöhnliche Vorgehen auch unternehmensintern mehr als positive Auswirkungen zeigt. Persoblogger im Interview mit dem Geschäftsführer Norbert Schenke über die neue Art der Bewerbungsgespräche.
Ein Impuls für bessere Bewerbungsprozesse…
Die Herausforderung im Recruiting von Ingenieuren
Herr Schenke, würden Sie sich und das von Ihnen geführte Unternehmen bitte kurz vorstellen und aufzeigen, wo für Sie die große Herausforderung im Recruiting liegt?
Gerne. Mein Name ist Norbert Schenke. Ich bin Geschäftsführer von Permanotec, einem Zulieferer von Steuerungstechnik für die Automobilindustrie mit Sitz in Dettelbach bei Würzburg. Derzeit arbeiten bei uns rund 400 Mitarbeiter, darunter knapp 25% Ingenieure, Tendenz steigend. Um die zunehmende Vernetzung der Automobile in unseren Hightech-Produkten abbilden und unseren Kunden weiterhin die gewohnt hohe Qualität liefern zu können, benötigen wir jährlich rund 80 neue Mitarbeiter, davon knapp 50 Ingenieure.
Anpassung der Recruiting-Organisation
Das klingt nach einer großen Herausforderung. Wie haben Sie sich als Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt aufgestellt?
Aufgrund unserer relativen Unbekanntheit und des harten Konkurrenzkampfs mit den Zulieferbetrieben im Großraum München/Ingolstadt, haben wir uns bereits 2014 komplett vom klassischen Recruiting via Stellenanzeigen verabschiedet. Im hart umkämpften Markt der Ingenieure hilft nur die Direktansprache möglicher Bewerber. Deswegen haben wir ein eigenes Recruitingteam aufgebaut, das sich nur um die aktive Ansprache kümmert.
Active Sourcing Kompetenz als Basis des Recruitingerfolgs
Was macht Permanotec aus Ihrer Sicht erfolgreicher in der Ansprache von Kandidaten?
Wichtig ist es zu verstehen, dass auf diesem Marktsegment ein echter Fachkräftemangel herrscht. Und alle Unternehmen suchen ihre zukünftigen Mitarbeiter auf dem gleichen Arbeitsmarkt. Die Gesamtmenge aller möglichen Kandidaten ist somit für jedes Unternehmen gleich. Um dennoch aus der Masse herauszuragen, bieten die bestens ausgebildeten Recruiting-Spezialisten einen besonderen Service an: Die Abwicklung des Bewerbungsprozesses beim Bewerber vor Ort.
Bewerbungsgespräch vor Ort beim Bewerber führen
Wie darf ich das konkret verstehen, Bewerbungsprozesse vor Ort beim Bewerber zu führen?
Ich mache mal ein Beispiel: Hat unser Active Sourcing Team ein interessantes Kandidatenprofil entdeckt, erfolgt der Erstkontakt in der Regel elektronisch via E-Mail. Darin weisen wir noch nicht auf konkrete Stellen hin und überfallen den Kandidaten nicht mit der Aufforderung sich zu bewerben. Vielmehr bieten wir ihm ein Gespräch bei ihm vor Ort an. Und das im wörtlichen Sinne.
Der Recruiter reist also mit einem Vertreter aus dem Fachbereich zum Bewerber und trifft sich mit diesem an einem Ort seiner Wahl. Sehr häufig ist das tatsächlich die Wohnung des Kandidaten.
Vorteile Bewerbungsgespräche beim Bewerber vor Ort
Welche Vorteile hat ein solches Vorgehen aus Ihrer Sicht?
Zum einen hat der Kandidat keinen Aufwand mit der Anreise nach Dettelbach, wenngleich wir durch die Nähe zu Würzburg eine sehr gute Autobahnanbindung haben. Außerdem kann der Kandidat das Gespräch in die Abendstunden nach Feierabend legen, muss ich insofern nicht bei seinem bisherigen Arbeitgeber freinehmen. Auch sorgt diese Vorgehensweise für eine hohe Vertraulichkeit.
Darüber hinaus lernen wir den Kandidaten quasi „in seiner natürlichen Umgebung“ kennen, was es uns ermöglicht, neben den fachlichen Kenntnissen, die wir ihm erst einmal positiv unterstellen, ihn als Person kennenlernen zu können. Auch haben wir die Erfahrung gemacht, dass diese Gespräche unverkrampfter ablaufen, als wenn wir mit mehreren Personen in unserem Firmensitz einem Bewerber in Überzahl gegenübersitzen.
Mehraufwand versus Steigerung des Recruitingerfolgs
Ist dieses Vorgehen nicht sehr kostspielig, vor allem, weil Sie im Vorgespräch erwähnt hatten, dass Sie auch ins Ausland fliegen?
Da wir als international tätiges Unternehmen Englisch als Firmensprache haben, eröffnet uns das natürlich leichter die ausländischen Märkte. Insofern suchen wir weltweit nach den passenden Ingenieuren.
Was den von Ihnen angesprochenen Mehraufwand beim Recruiting angeht: Wenn man kalkuliert, was die Beauftragung eines Headhunters in allen genannten Fällen kosten würde, rentieren sich die Auslandsflüge und Aufenthalte immer noch. Darüber hinaus hatten wir ja früher bereits die Anreisekosten der Bewerber zu uns erstattet.
(Zeitversetzte) Videointerviews zu unpersönlich
Wir hatten eine Zeit lang mit Videokonferenzen über Skype gearbeitet, was jedoch bei Zeitverschiebungen immer zu sehr aufwändigen Planungen geführt hat und qualitativ nie überzeugen konnte. Im Anschluss haben wir einige Monate mit sogenannten zeitversetzen Videointerviews mittels Viasto gearbeitet. Ein persönliches Gespräch von Person zu Person kann das allerdings erstrecht nicht ersetzen.
Darüber hinaus ist das Führen von Bewerbungsgesprächen vor Ort beim Bewerber unser besonderer Service gegenüber den potenziellen Bewerbern.
Beteiligung am Bewerbungsgespräch als Incentive
Ich könnte mir vorstellen, dass das Führen eines Gesprächs an einem ausgefallenen Ort für die beteiligten Mitarbeiter von Permanotec durchaus attraktiv sein kann.
Sie sagen es. Zwischenzeitlich wird es sogar als eine Art Incentive gesehen zum Beispiel mit den Kollegen nach Barcelona oder Singapur zu fliegen, um dort ein Bewerbungsgespräch zu führen. Oft verbinden wir dies mit einem Kurzaufenthalt, zum Beispiel im Rahmen des Besuches einer Fachkonferenz.
Ich muss allerdings noch hinzufügen, dass die Entscheidung über die Einstellung nicht nur vom Management getroffen wird. Auch die Mitarbeiter, die am Gespräch beteiligt sind, haben ein gleichrangiges Stimmrecht. Das finde ich nur fair, denn sie müssen ja später auch mit den neuen Kolleginnen und Kollegen unmittelbar zusammenarbeiten.
Mitarbeiter als aktive Markenbotschafter einsetzen
Wirken sich solche gleichzeitig bewerberfreundlichen wie mitarbeiterfreundlichen Recruitingprozesse auch auf die Unternehmenskultur aus?
Wir haben das tatsächlich mal gemessen. Die Mitarbeiterzufriedenheit bei den internen Befragungen ist seither deutlich gestiegen, insbesondere was die Punkte „Meine Meinung wird gehört“ und „Ich kann bei wichtigen Entscheidungen mitbestimmen“ angeht.
Auch insgesamt ist der gefühlte Zusammenhalt zwischen den Kollegen höher, wenn sie mit den Neuen bereits von Anfang an sehr persönlich in Kontakt getreten sind. Denn oft endet so ein Bewerbungsgespräch mit einem gemeinsamen Bier in der Hotelbar.
Impuls zur Optimierung der Recruitingprozesse
Vielen Dank, Herr Schenke, für die spannenden Einblicke und Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihren Recruiting-Aktivitäten!