Titelbild: Zukunftsbild nach der Corona-Krise

Die Potentiale aus der Krise nachhaltig nutzen – ein Zukunftsbild

Seien wir ehrlich: Die Corona-Krise hat sich sehr schnell zum medialen Festival aufgeschwungen. Kaum ein Artikel, Podcast oder TV-Beitrag ohne Informationen, Hinweise und Tipps zum Umgang mit der neuen Situation. Egal ob aus medizinischer, wirtschaftlicher oder auch gesellschaftlicher Perspektive betrachtet. Schauen wir doch schon mal auf die Zeit danach. Und stellen uns die Frage, welche Potentiale nachhaltig gehoben werden können. Was bleibt nach der Corona-Krise mit Blick auf unsere Arbeitswelt? – Ein Zukunftsbild.

Von Sinn und Unsinn von Zukunftsbildern

Der Begriff Zukunftsbild hat in den letzten Monaten eine wahre Renaissance erlebt. Wir hatten unseren Arbeitsalltag, geordnete Verhältnisse und das Gefühl, dass schon irgendwie immer alles vorangehen würde. Klar, die teilweise fast marktschreierischen Einwürfe der Digitalisierungs-Front wollten uns schon damals ein Bild von der Zukunft vermitteln. Eines, in dem künstliche Intelligenz schon bald unser (Arbeits)Leben disruptiv verändern würde.

Aber seien wir ehrlich: Wer hatte schon ein greifbares, ja vielleicht sogar visualisiertes echtes Zukunftsbild?

Nunmehr möchte ich gleich sagen, dass mein Verständnis eines Zukunftsbilds ganz sicher keine Prognose darstellt und schon gar keinen Plan. Denn wie sagte bereits Friedrich Dürrenmatt so schön: „Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall treffen.“.

Vielmehr verstehe ich den Begriff Zukunftsbild als das, was er ist: Ein (mögliches) Bild einer Zukunft. Mit einer eher sehr individuellen und subjektiven Perspektive.

Der Einbruch des Arbeitsmarktes

Weltweit explodieren die Arbeitslosenzahlen. In Deutschland scheint die Situation nach den Daten der Bundesagentur für Arbeit noch einigermaßen überschaubar.

Grafik: Arbeitslosigkeit in Deutschland Jan-Apr 2020 - Zukunftsbild
Quelle: Bundesagentur für Arbeit – eigene Darstellung

Aktuelle Informationen rund um den Arbeitsmarkt und weitere wichtige Themen finden Sie übrigens täglich in meinem Corona-Krise Newsticker für Personaler.

Man mag zu arbeitsmarktpolitischen Mitteln stehen wie man möchte. Die generelle Möglichkeit zur Nutzung der Kurzarbeit konnte vielen Beschäftigten bislang den Arbeitsplatz sichern. Insbesondere in Bereichen, die von einem Beschäftigungsverbot oder einer sonstigen den Geschäftsbetrieb beeinträchtigenden Maßnahme betroffen waren. Oder dort, wo es zu einem krisenbedingten Umsatzeinbruch kam.

Während die einen durch die Krise ihren Job bereits verloren haben oder noch immer in Kurzarbeit um selbigen bangen, hat die Krise einen Begriff befeuert. Dieser hat sich zum harten Unterscheidungskriterium für Branchen und Berufsgruppen aufgeschwungen: Systemrelevanz.

Systemrelevanz – die Frage nach dem Bezugssystem

Schon Ende März habe ich meine Gedanken zu diesem Thema ausführlich im „Beitrag Systemrelevanz – Warum wir den Begriff ganzheitlicher betrachten müssen“ dargestellt. Und damit gleichzeitig Kritik daran geübt, wie sehr Politik und Medien mit dessen eingeschränkter Verwendung aktuell eine gesellschaftliche Spaltung riskieren.

Ich selbst wurde ebenfalls im Rahmen eines Podcast-Interviews mit dem HR-Anbieter OHRBEIT dazu gefragt, wie ich denn mit meiner eigenen „Nicht-Systemrelevanz“ als Personalmarketing-Mensch umgehe.

Mit Blick auf ein zu entwerfendes Zukunftsbild führt das zwangsläufig zur Frage: Welches Gesamtsystem im Arbeitskontext wünschen wir uns für die Zukunft? Ja, ich sage bewusst „wünschen“. Denn ein Wunsch ist deutlich stärker als jeder Plan. Ein Wunsch kann das IKIGAI in uns definieren oder Purpose stiften, wie man neudeutsch so schön sagt.

Also, welches Zukunftsbild wollen Sie?

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Gerechtigkeit – bei Arbeitsbedingungen und Entlohnung

Relativ weit vorne steht vermutlich die Frage, wie wir es als Gesellschaft erreichen, tatsächlich so etwas wie eine Gerechtigkeit in der Arbeitswelt zu verankern. Eine Gerechtigkeit, die trotz aller Subjektivität, die dem Begriff „gerecht“ per se innewohnt, systematisch gefördert wird.

Sehen wir uns ein paar Verdienste der in der Krise als „systemrelevant“ bezeichneten Berufsgruppen an:

Tabelle: Verdienst systemrelevante Berufe
Quelle: Gehalt.de

Auf der anderen Seite stehen Managergehälter, die sich teilweise auf ein hundertfaches Einkommen davon summieren. Und in beiden Fällen wird in der Begründung der „Wertigkeit“ einer Tätigkeit von der zu tragenden Verantwortung gesprochen. Bei der erstgenannten Gruppe knüpft die Verantwortung oftmals direkt an Menschenleben an – es geht sprichwörtlich um Leben oder Tod. Bei der zweitgenannten Gruppe reden wir in der Begründung für hohe Manager-Boni ebenfalls über den hohen Grad an Verantwortung, den diese Berufsgruppe zu tragen habe.

Und trotzdem sind die Einkommens- und damit auch die Lebensverhältnisse extrem unterschiedlich.

Warum wir den Begriff Systemrelevanz ganzheitlicher betrachten müssen

Von Kapitalismuskritik und New Work

Wer jetzt in klassischen politischen Mustern von rechts, Mitte und links denkt, fürchtet vermutlich nach dem vorherigen Absatz, dass ich nun eine Debatte um Sozial-Neid führen werde. Mitnichten. Und trotzdem müssen wir die marktwirtschaftlichen Verhältnisse sowie den Kapitalismus als solchen deutlich kritischer betrachten. Zumindest wenn wir die Potentiale aus der Krise nutzen wollen, für eine bessere – als Ganzes zukunftsfähige Gesellschaft. Und uns entwickeln wollen in Richtung New Work.

Erstaunlicherweise lässt sich der Begriff „New Work“ vor allem bei großen Unternehmen und Konzernen vernehmen. Sie preisen die Errungenschaften der „neuen Arbeit“. Allerdings meinen sie viel zu oft nur ein Bruchstück dessen, was New Work im ursprünglichen Sinn bedeutet.

Um es ganz deutlich zu sagen: Zwangsweise durch die Corona-Krise bedingt im Homeoffice arbeiten zu müssen, hat NICHTS mit New Work zu tun!

Zwangsweise durch die #CoronaKrise bedingt im #Homeoffice arbeiten zu müssen, hat NICHTS mit #NewWork zu tun! Klick um zu Tweeten

In meinem Evergreen-Beitrag „Warum die Definition des New Work Konzepts ein Update braucht“ habe ich sehr eindringlich beschrieben, worum es dabei eigentlich geht. Und die Kritik am Kapitalismus in seiner aktuell global gelebten Form, ist der New-Work-Denke immanent.

Flexibles Arbeiten – unabhängig vom Begriff Homeoffice

Wir reden beim Thema „flexible Arbeit“ natürlich auch über die Möglichkeiten einer mobilen Arbeit oder eines Homeoffice. Aber eben nur als ein kleiner Teilaspekt der tiefgreifenden Philosophie einer selbstbestimmteren Art des Arbeitens was Arbeitszeit und Arbeitsort angeht. Und noch genauer betrachtet, muss die Frage beantwortet werden, ob die Arbeitszeit in irgendeiner Art und Weise (außerhalb der Schutzzwecke der Arbeitszeitgesetze) zukünftig überhaupt noch wesentliche Bedeutung haben wird.

Ist gar eine Mischung aus abhängiger Beschäftigung und neuer Selbstständigkeit das neue „optimal“? Wobei die politischen Rahmenbedingungen für Selbstständige, Startups und Freiberufler aktuell nicht wirklich Mut machen, diesen Schritt zu gehen. Stichwort: Prekäre Beschäftigungssituation. Mit einem sehr biegsamen Verständnis davon, was noch Schutz und was schon Bevormundung oder gar das geschäftliche Aus bedeutet.

Mir geht es aber auch hier nicht um parteipolitische Aspekte und Vorhaben. Viel spannender ist doch, welche Optionen die Krise liefert, um Arbeiten neu zu denken und generell zu flexibilisieren. Und ob Arbeit tatsächlich überhaupt noch im klassischen Sinne geleistet werden muss, um eine Vergütung zu erhalten. Oder ob es eine Art New Pay braucht.

Digitalisierung des Arbeitslebens: Nicht am Menschen vorbei!

Unzweifelhaft hat die Corona-Krise vor allem digitalen Lösungen wie Videochats, kollaborativen Kommunikationsplattformen und Cloud-Software zu einem wahren Boom verholfen. Im Recruiting beispielsweise wurde vielerorts sehr schnell auf virtuelle Bewerbungsgespräche umgestellt.

Insofern trifft der folgende im Internet kursierende Witz genau ins Schwarze:

Wer hat die Digitalisierung in Ihrem Unternehmen am stärksten vorangebracht? CEO, CDO (natürlich beide m/w/d) oder COVID19?

Aber erfolgt nach der Normalisierung – oder sagen wir besser: Dem Start in die neue Normalität – bald die Rolle rückwärts? Oder können und wollen wir einen Teil der digitalen Prozesse unbedingt beibehalten. Und wenn ja, welche?

Wichtig dabei: Die Digitalisierung muss die Menschen ins Zentrum stellen, nicht die Prozesse. Gleichzeitig aber sollten wir uns davor hüten, die Technik zu sehr zu humanisieren.

Von GreenHRM und Nachhaltigkeit

Um bei dem kleinen und naheliegenden Beispiel virtueller Bewerbungsprozesse zu bleiben. Mit Blick auf die Umwelt könnte das Vermeiden von längeren An- und Abreisen durchaus einen positiven Einfluss auf die Umwelt nehmen. GreenHRM kann digital möglicherweise neu gedacht werden. Allerdings dürfen wir hier auch nicht den klassischen Fehler begehen und digital generell als besser und umweltschonender betrachten. Aber virtuell und digital sollte nach dem Ende der Krise zumindest eine stets sofort zu prüfende Option sein.

Bleiben wir noch kurz beim Gedanken der Nachhaltigkeit. Die Krise hat deutliche Hinweise darauf gegeben, welche Unternehmen nachhaltig wirtschaften und welche eher mit Blick auf den Shareholder-Value kurzfristigen Gewinnen hinterherjagen. Wie wäre es, wenn das Geschäftsmodell nachhaltigen Wirtschaftens, in allen seinen Dimensionen, neuer Standard würde und Abweichungen davon die Ausnahme?

Diversität und Frauen

Auch wenn die Zusammenhänge nicht sofort auf der Hand liegen, so hat sich in den letzten Monaten gezeigt, dass es Frauen in Top-Führungspositionen noch immer nicht leicht haben. Der Softwareriese SAP beispielsweise hatte sich unlängst von seiner Doppelspitze verabschiedet und Jennifer Morgen nach nur sechs Monaten als Co-CEO entlassen. Die durchaus erstaunliche Begründung, es benötige gerade in der Krise „klare Führung“ bzw. „eindeutige Führungsverantwortung“ lässt aufhorchen. Denn ansonsten hat wohl kein anderes „männliches Vorstandsmitglied“ das Gremium verlassen müssen.

In einem Beitrag des Handelsblatts vom 1. Mai 2020 wird sehr spitz resümiert, dass es anscheinend „zurück in die Männerwelt“ gehe und Homeoffice für Frauen in der Regel mehr „home“ als „office“ bedeute. Bundesfrauenministerin Franziska Giffey zeigt sich alarmiert: „Frauen schaffen es trotz all ihrer Talente, exzellenter Ausbildung und ihrem ganzen Einsatz immer noch zu selten in die Führungsetagen“, sagte Giffey dem Handelsblatt. „Die Corona-Krise verstärkt diese Situation leider.“

Laut einer Analyse der Wirtschaftskanzlei Allen & Overy hat rund die Hälfte der Dax- und MDax-Unternehmen noch immer keine Frau im Vorstand, acht Prozent haben nicht einmal auf der ersten Führungsebene weibliche Chefs. Nur acht Prozent können einen Anteil von 30 Prozent oder mehr Frauen im Vorstand vorweisen.

Ein relevantes Zukunftsbild muss sich folglich auch dieser Thematik mit hoher Priorität annehmen. Wobei ich Frauen hier nur stellvertretend als eine Gruppe innerhalb des weiten Feldes der Diversität (Unterschiedlichkeit) in der Arbeitswelt betrachte. Auch hier ist ganzheitliches Denken gefordert, um Ungerechtigkeiten nicht nur zu verschieben.

Fazit zum Zukunftsbild

Möglicherweise sind Sie jetzt ein wenig enttäuscht, weil ich Ihnen kein eindeutiges Zukunftsbild aufgezeigt habe, das Sie für sich annehmen können. Weil ich nicht gesagt habe, wie die Dinge laufen werden oder laufen sollen. Dies war jedoch meine volle Absicht. Denn wenn wir eines nicht brauchen, sind es vorgefertigte Konzepte, die wir unserer Gesellschaft und Wirtschaft als Ganzes überstülpen. Wir brauchen deutlich mehr (ganzheitlich) mitdenkende Menschen. Solche, die Anpacken, sich Gedanken machen. Und mitgestalten.

Denn zu tun gibt es wahrlich genug.

Dieser Beitrag ist Teil der Ideen-Kampagne TalentHacks sowie der Blogparade von Tim Verhoeven #recruitinglearnings2021 auf seinem Blog recruitingnerd.de.


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Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer (Personalmagazin 05/22) betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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