Diversity-gerechte Formulierungen

Empfehlungen für Diversity-gerechte Formulierungen im Personalmarketing

Anlässlich des Deutschen Diversity Days 2017 gebe ich eine Reihe von Empfehlungen für diskriminierungsfreie Formulierungen und diversitygerechte im Personalmarketing und Recruiting sowie in Stellenanzeigen. Darüber hinaus definiere ich den Begriff und zeige den aktuellen Umsetzungsstand in Unternehmen auf.

Definition von Diversity mit Blickrichtung Arbeitswelt

Eine Definition:

„Diversität bzw. Diversity (engl.) bedeutet Vielfalt, Vielfältigkeit.

Im Kontext von Unternehmen versteht man darunter die Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeit der Belegschaft aufgrund individueller Persönlichkeitsmerkmale sowie Lebensstile oder -entwürfe. Diversity umfasst sowohl sichtbare als auch unsichtbare Merkmale, die individuellen Sichtweisen, Perspektiven, Einstellungen und damit das Handeln von Menschen bedingen.“

Wo steht das Thema heute?

Seit einigen Jahren ist Diversity-Management (zumindest formal) in den deutschen Unternehmen angekommen. Die Verankerung im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, kurz AGG, ist seit 2006 sichtbares Zeichen der gewollten Veränderung.

Allerdings treiben die Diversity-Bemühungen der Unternehmen (Diskussion um Frauenquoten) teilweise seltsame Stilblüten. So hatte beispielsweise Roland Berger in einer Studie herausgefunden, dass 95% der in Großkonzernen befragten Personaler Frauen als einzige Zielgruppe ihrer Diversity-Aktivitäten benennen. Das Thema Diversity wird insoweit inhaltlich extrem verkürzt und eingeschränkt.

Ein echter Diversity-Fail war aus meiner Sicht die Ankündigung der Lufthansa, ihre Führungsmannschaft verjüngen zu wollen. Ältere Manager sollen das Unternehmen (vorübergehend?!) verlassen, um jüngeren den Einstieg im Konzern zu ermöglichen. Auch wenn ich den Grundgedanken inhaltlich nachvollziehen kann, ist die mediale Wirkung meiner Meinung nach eine vierfach negative:

  1. Lufthansa will bei Gehältern sparen (junge Führungskräfte sind billiger)
  2. die Arbeitgeberattraktivität für jüngere wird medial grob geschmälert („überalterter Laden“)
  3. die Rahmenbedingungen für ältere Führungskräfte verschlechtern sich („Man will uns loswerden!“)
  4. AGG-Klagen abgelehnter älterer Bewerber auf Führungsstellen wird massiv in die Hände gespielt.
Nur ein Drittel der Unternehmen hat ein Diversitymanagement
Aus Studie Charta der Vielfalt und EY: http://www.ey.com/Publication/vwLUAssets/EY-diversity-studie-2016/$FILE/EY-diversity-studie-2016.pdf

Nur ein Drittel der Unternehmen betreibt Diversity-Management

Eine Studie der Charta der Vielfalt in Zusammenarbeit mit EY (vormals Ernst&Young) von 2016 bescheinigt den deutschen Unternehmen de facto keine guten Ergebnisse. Denn nur ein gutes Drittel haben entsprechende Maßnahmen umgesetzt.

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Gendern im Sprachgebrauch

Im Sprachgebrauch gibt es eine Reihe von Formulierungen, die alle ganz selbstverständlich stets entweder in der weiblichen, meist aber in der männlichen Version verwenden. Wie es klingen würde, wenn hier umgegendert würde, sehen Sie in folgender Bildergalerie.

Was Personalmarketing für die Diversity tun kann

Im Personalmarketing werden die Botschaften der Arbeitgebermarke medial umgesetzt. Sowohl Karrierewebsites, Kampagnen, Social Media Postings als auch Blogbeiträge über Veranstaltungen können bei der Zielgruppe von diversityneutralen Formulierungen profitieren.

Was Recruiting für die Diversity tun kann

Gerade das Recruiting, bei dem es um das Gewinnen der passenden Talente für die Unternehmen geht, eignet sich für Maßnahmen. Und damit meine ich gerade nicht die Möglichkeiten, um beispielsweise bei Targeting von Stellenanzeigen via Social Media bewusst nur Frauen (oder Männer) auf eine Stelle hinzuweisen und damit faktisch das jeweils andere Geschlecht zu benachteiligen.

Stellenanzeigen diversitygerecht formulieren

In Stellenanzeigen lassen sich durch eine angepasste Sprache gezielt Diskriminierungen vermeiden beziehungsweise umgekehrt alle Zielgruppen gleichermaßen ansprechen. Nachfolgend finden Sie eine individuelle Zusammenstellung von Begriffsalternativen zu den ansonsten klassischerweise beziehungsweise häufig verwendeten Wörtern und Formulierungen.

Die eine oder andere Umformulierung mag ein wenig sperrig klingen. Auch sollten Sie Anpassungen gegebenenfalls mit Ihren Suchmaschinen-Spezialisten besprechen (SEO-Erfolg knüpft oft an bestimmte Keywords an!).

Wichtiger Hinweis:

Es handelt sich um unverbindliche Vorschläge. Keinesfalls sind die folgenden Tabellen als rechtsichere Formulierungen zu verstehen.

Wie kann ich Begriffe gendergerecht ersetzen?

Folgende alternativen Formulierungen können Sie verwenden, um gendergerecht zu kommunizieren:

AbsolventenpraktikumPraktikum nach Studienabschluss
AbteilungsleiterAbteilungsleitung
AdministratorAdministration
AkademikerStudierte
AltenpflegerPflegefachkraft
AnfängerUnerfahrene
AngehörigerFamilienmitglied
AnsprechpartnerKontakt, Ansprechperson
ArbeitgeberUnternehmen, Betrieb
ArbeitnehmerBeschäftigte, Belegschaft
AssistentAssistenz
AuszubildenderPerson in Ausbildung
Bearbeiterzuständige Person
Beauftragterbeauftragte Person
benutzerfreundlichbedienungsfreundlich, benutzungsfreundlich
Beraterberatende Person
Beratertätigkeitberatende Tätigkeit, Beratung
BerichterstatterBericht erstattende Person
BerufsanfängerBerufsunerfahrene
BeschäftigterMitglied der Belegschaft
BetriebsratMitglied des Betriebsrates
BetriebsräteMitglieder des Betriebsrates
Bewerbersich bewerbende Personen
BewerberzahlenBewerbungszahlen
ChefLeitungsperson, Leitung
ChefsVorgesetzte, Leitung
der ein oder anderedie eine oder der andere
DoktorandenPromovierende
Dozentlehrende Person, vortragende Person
DozentenDozierende
Ein-Mann-BetriebEin-Personen-Betrieb
EinsteigerkursEinstiegskurs, Grundlagenkurs
Empfängerempfangen von, für
EntwicklerEntwickelnde
ErstsemesterStudierende im ersten Semester
ExpertenFachkräfte, Fachleute
ExpertengruppeFachgruppe
ExpertenwissenExpertise
FachmannFachkraft
fachmännischfachkundig
GastBesuch
GeschäftsführerGeschäftsführung, Geschäftsleitung
GeschäftsmännerGeschäftsleute
GesprächspartnerGesprächsbeteiligte
HelferHilfskraft, Assistenz, Helfende
InvestorenInvestierende
InteressentenInteressierte
Interviewerinterviewende Person
jederalle
Jugendlicherjunger Mensch, Teenager
KandidatenKandidierende
keinerniemand
KlientenKlientel
KollegenKollegschaft
KommilitonenMitstudierende
Kooperationspartnerin Kooperation mit
KundeKundschaft
KundenberatungBeratung der Kundschaft
kundenfreundlichnutzungsfreundlich
kundenorientiertpublikumsorientiert
KundenwerbungAkquise
KundenwünscheWünsche der Kundschaft
LeiterLeitung
manSie, wir, ich, viele
MannschaftTeam
MitarbeiterBelegschaft, Beschäftigte, Personal, Teammitglieder
Mitarbeiter in TeilzeitTeilzeitkraft
MitarbeitergesprächBeurteilungsgespräch, Bewertungsgespräch
MitarbeiterstellenArbeitsplätze
Mitschülerandere Kinder aus der Klasse bzw. Schule
ModeratorModeration
MutterspracheHeimatsprache, Erstsprache
NachfolgerNachfolge
NutzerPersonen, die etwas nutzen
OrganisatorenOrganisationsteam
PartnerGegenüber
PraktikantPraktikum absolvierende Person, Person im Praktikum
ProfiPerson mit Fachkenntnis
ProfisFachleute
ProjektleiterProjektleitung
Rat eines FachmannsFachkundiger Rat
RedakteurRedaktion
ReferentenVortragende
SachbearbeiterVerwaltungskraft
SchülerSchulkind
SchülerSchulkinder, Jugendliche
seinerzeitdamals
SekretärinBürokraft
SpezialistenFachleute
StellvertreterStellvertretung
StipendiatenStudierende mit Stipendium
StudentMitglied der Studierenden
StudentenStudierende
TeamleiterTeamleitung
TeilnehmerlisteTeilnahmeliste
TeilnehmerzahlGruppengröße
UnternehmerGeschäftsleute
UnterstützerSupport
UserNutzende
Veranstalterveranstaltet durch
Verantwortlicherverantwortliche Person
VerfasserAutorenschaft
VertragspartnerVertragsparteien
VorgesetzterFührungskraft
VorstandVorstandsmitglied
WettbewerberKonkurrenz

Diversity-Bereich Herkunft und Glaubenszugehörigkeit

Auch im Bereich der Herkunft sowie der Glaubenszughörigkeit gibt es diskriminierungsfreie Formulierungen. Hier einige ausgewählte Beispiele:

AusländerPerson aus dem Ausland,

Personen mit anderer Staatsangehörigkeit

MuslimMensch muslimischen Glaubens
JudeMensch jüdischen Glaubens
BuddhistMensch buddhistischen Glaubens

Diversity-Bereich Behinderung

Da Sie in den seltensten Fällen bei Ihrer Personalmarketing-Kommunikation explizit in diese Richtung formulieren werden, halte ich diesen Bereich relativ knapp.

BehinderteMenschen mit Behinderung
Behindertengerechtbarrierefrei

Ich hoffe, dass Sie einige Anregungen erhalten konnten und freue mich über den Austausch zum Thema.

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Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer (Personalmagazin 05/22) betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

Besuchen Sie auch den großen HR-Studien und Infografiken Download Bereich, den HR-Veranstaltungskalender, den HR-Stellenmarkt und das große HR-Dienstleister Anbieterverzeichnis.

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DANKE!

10 Antworten

  1. Lieber Stefan,
    ich habe zwei Anliegen zu dem Thema. Erstens rein technisch, der Link zum Factbook am Ende des Beitrages funktioniert nicht. Zweitens möchte ich das Thema auf die praktische Anwendungsebene herunterholen. Stellenangebote gendergerecht zu formulieren ist das eine, aber wie gehe ich in der weiteren Korrespondenz mit der Person um, die sich weder der weiblichen noch der männlichen Seite zugehörig fühlt. Im Schriftverkehr gehört in Deutschland nun mal die Anrede Frau/Herr dazu. Wie können wir Interessenten auf Ihre Bewerbung antworten? Die Anrede mit dem Vornamen ist in Deutschland nun mal nicht üblich. Auch hier in den Kommentaren redet ihr euch mit Lieber, oder Herr an. Anscheinend nur von der Erfahrung her abgeleitet männlicher Vorname ist gleich Anrede Herr. Ist das gendergerecht? Gibt es hierzu Empfehlungen, oder geht es in der Diskussion im Wesentlichen nur um den Außenauftritt von Unternehmen? Viele Grüße Alicandra

    1. Liebe Alicandra,
      das erste „Problem“ der nicht mehr funktionierenden Verlinkung habe ich bereits behoben. Vielen Dank für den wichtigen Hinweis. Jetzt ist das Diversity Factbook wieder erreichbar.

      Zum zweiten Punkt: Ich glaube, dass das Thema außerhalb der Stellenanzeigen deutlich weniger Brisanz hat. Dabei gehe ich davon aus, dass ein Bewerber (m/w/d) nicht in seine Bewerbung reinschreibt, dass er intersexuell ist. Wenn er das doch tun würde, könnte ich mir vorstellen, gibt er/sie/? sicherlich Hinweise, wie die korrekte Ansprache sein soll. Und wenn das Thema später irgendwann einmal zur Sprache kommt (auch hier glaube ich, dass dies eher eine Ausnahme ist), dann hilft es, die Person einfach zu fragen, wie sie angesprochen werden möchte. Kommunikation schlägt Vorurteil. Wir müssen nicht alles vordefinieren. Lasst uns allen Menschen gleichermaßen offen begegnen und die für sie besten Lösungen gemeinsam finden und vereinbaren.

      Viele Grüße
      Stefan

  2. Ach Mensch, sind wir über dieses Stadium der geschlechtsneutralen sprachlichen Verbiegung nicht bald mal hinweg?! Ich fühle mich als Frau selbstbewusst genug, um mich auch in Gruppenbezeichnungen wie Manager, Entwickler oder Student wiederzufinden. Diese Sprachanpassung war in den 70er Jahren sicher hochrelevant, weil da für die Emanzipation noch richtig gekämpft werden musste. Aber heute ist Gleichstellung doch ein alter Hut. Wer daran noch zweifelt, ist eindeutig von gestern. Ich plädiere für ein selbstbewusstes und selbstverständliches Frauenbild das nicht durch sprachliche Regelungen validiert und betont werden muss.

    1. Liebe Anne, so gerne ich da persönlich bei Ihnen bin, so hochaktuell ist das Thema leider in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Und tatsächlich gibt es in Befragungen immer (noch?) viele Frauen und andere Diversity-Zielgruppen, die sehr wohl Handlungsbedarfe sieht. Diversitymanagement und Frauenförderung sind Topthemen in Unternehmen.

  3. Deutscher „Diversity Day“ – wunderbar! Diversität ist mein Herzensanliegen. Warum? Meine Coaching-Zielgruppe hat eine Reihe ganz besonderer Begabungen. Es sind Menschen mit natürlichem Informationsvorsprung, mit starken sozialen Kompetenzen und mit der Fähigkeit, in Komplexität und Unsicherheit den Überblick zu bewahren. Sie spüren wie feine Seismographen frühzeitig, wo Probleme zu entstehen drohen, oder wo es unerkannte Chancen gibt. Also genau die Leute, die unsere Wirtschaft jetzt braucht.

    Doch sie haben in unserer auf Mainstream gebürsteten Arbeitswelt kaum eine Chance, ihren Platz zu finden. Sie fühlen sich von der oft kämpferisch-extrovertierten Sprache der Stellenangebote nicht angesprochen. Sie mögen es nicht, sich im Vorstellungsgespräch zu verkleiden und zu verstellen. Sie arbeiten oft für zwei, aber reden nicht darüber. Es sind keine Selbstdarsteller, keine Blender, keine Schaumschläger. Man nimmt sie nicht wahr, übersieht sie bei Beförderungen, schleppt sie lediglich als Ballast mit. Dabei könnten sie Motor sein.

    Deshalb bin ich sehr für Diversität. Es reicht bei weitem nicht, sie auf Geschlecht, Herkunft oder Behinderung zu reduzieren. Sie muss auch – wie es die Definition fordert – auf die weniger auffälligen oder unsichtbaren Persönlichkeitsmerkmale schauen. Wie etwa Sonderbegabungen. Eine Riesenherausforderung für das Recruiting, für die Führung und für die ganze Organisation, denn hier braucht es überall mutiges Umdenken.

    Ich hoffte, hier mehr darüber lesen zu können. Doch ich bin enttäuscht. Es geht auch in diesem Beitrag zu gefühlten 95 Prozent nur um Gender. Und da auch nur um politisch genderkorrekten Sprachgebrauch. Doch der ist in meinen Augen eine, wie man so sagt, „Alibiveranstaltung“, die ja noch nicht mal wirklich funktioniert – ist es „DER Beschäftigte“ oder „DIE Beschäftigte“? Es ist letzten Endes ein Aktionismus, der vor lauter Gender die Diversität aus den Augen verliert.

    Freilich, Recruiting muss das Gleichschal … äh … Gleichstellungsgesetz erfüllen, doch das Gesetz geht an der psychologisch-soziologischen Realität vorbei: Menschen SIND unterschiedlich. Das macht ja gerade die Stärke einer Gesellschaft aus. Und eben auch einer Belegschaft – gerade in Zeiten, da Unternehmensresilienz immer wichtiger wird. Ein juristischer Grundsatz lautet: „Gleiches wird gleich behandelt, Unterschiedliches je nach seiner Art.“ Also muss es doch erlaubt sein, Unterschiedliches unterschiedlich zu behandeln – oder? Es wäre schließlich ungerecht, Unterschiedliches gleich zu behandeln.

    Damit unser Denken nicht immer nur ums Geschlecht kreist: Wie ist das beispielsweise mit Persönlichkeitseigenschaften wie Extroversion und Introversion? Wir haben ja eine extrovertierte Monokultur in den Unternehmen, die für so mancherlei teure Schieflage sorgt, weil introvertierte Sichtweisen und Grundwerte in der Gesamtsicht einfach fehlen. Doch wer das ändern will, müsste in seinen Jobangeboten gezielt Introvertierte ansprechen – und damit Extrovertierte „diskriminieren“. Darf man das überhaupt? Muss man gegen das Gesetz verstoßen, wenn man das Unternehmen resilient machen will? Müssen wir uns nun auch dafür eine extra Sprachregelung ausdenken?

    Warum fühlen sich Menschen eigentlich „diskriminiert“, wenn sie sich von einer Formulierung nicht getroffen fühlen? Ich vermute hier eher psychische als politische Ursachen, und eine verschwurbelte genderkonforme Sprache wäre lediglich der Versuch, die Symptome zu kurieren. Viele Menschen haben schlicht Probleme, sie selbst zu sein und sich so anzunehmen, wie sie sind. Sie fühlen sich unzulänglich. Daran wiederum ist auch die Arbeitswelt schuld, die in industriellen Zeiten versucht hat, den Menschen wie eine Maschine zu standardisieren. Auf diesen Zug ist das Bildungswesen aufgesprungen. Es stattet die Menschen mit standardisierten Abschlüssen aus, die für die nötige Vergleichbarkeit sorgen, die das Recruiting braucht, um Menschen zu bewerten: Gut. Genügend. Ungenügend.

    Nun, da wir versuchen, psychische Probleme politisch zu lösen, steckt der Karren tief im Morast. Unternehmen sind immer weniger bewegungsfähig. Weit und breit nicht die Spur von gesundem Menschenverstand. Wie kommen wir da wieder raus? Ich weiß es nicht. Hier muss sich ganz, ganz viel verändern, vor allem und zuerst in unseren Köpfen. Kosmetische Korrekturen reichen nicht, das geht eher in Richtung von Josef Schumpeters „schöpferischer Zerstörung“ – und das obendrein in einem sensiblen Balanceakt mit der erforderlichen Gesetzestreue. Es soll ja keine Revolution werden, sondern – passend zum Reformationsjahr – eine Reformation, eine „Rückformung“ des aus der Form Geratenen.

    Wir müssen so ziemlich alles, was wir für „normal“ halten, in Frage stellen und mit neuen Augen betrachten. Vielleicht geschieht das zuerst in der Arbeitswelt, denn hier geht es mehr als in anderen Bereichen um Sein oder Nichtsein. Sie steht ja eh vor der großen Herausforderung, menschlicher zu werden. Hier könnten meine Coaching-Kunden wertvolle Impulse setzen und Wettbewerbsvorteile generieren. Aber bisher sind sie nicht gefragt. Die Zeit ist noch nicht reif für sie. Unternehmen wollen sich noch nicht verändern. Der Veränderungsdruck muss noch größer werden, bevor man die Hochsensiblen ranläßt.

    1. Lieber Reimar,
      ich merke deutlich, dass Ihnen das Thema Diversity am Herzen liegt. Daher zuerst einmal ganz aufrichtigen Dank für die Mühe beim Kommentieren.
      Dieser Beitrag kratzt in der Tat an der Oberfläche – er ist weder ganzheitliche Abhandlung noch wissenschaftliche Betrachtung. Er ist ein (einzelner) Impuls, um Aufmerksamkeit auf ein wichtiges Thema zu lenken. Diese Aufmerksamkeit fehlt leider häufig im Alltag oder weicht allzuleicht dem Normdenken.

      Was das Thema „hochsensibel“ angeht, erlebe ich derzeit eine starke Verwässerung. Jeder zweite in meinem Facebook-Feed hat sich selbst als hochsensibel deklariert. Eltern, die mit der Erziehung ihrer Kinder nicht vollkommen im Reinen sind, deklarieren diese kurzerhand ebenfalls als hochsensibel. Das lenkt vom eigenen Erziehungsverhalten ab. Hochsensibel ist im Mainstream angekommen. Und das ist gefährlich. Denn ich war lange Jahre mit einer wirklich hochsensiblen Person zusammen und weiß in der Tat was das bedeutet. Nur lässt sich darüber heute kaum mehr sprechen oder gar schreiben, ohne in Verdacht zu geraten, hier mit Mainstream-Buzzwords zu hantieren.

      Auch verstehen die meisten Menschen dieses Phänomen schon gar nicht. Daher ist es in meinen Augen besser, mit den gängigen Diversity-Themen, die ja auch das AGG nennt, anzufangen. Wer das Thema Gender nicht versteht, dem braucht man mit noch mehr Begrifflichkeiten erst gar nicht zu kommen.

      Beim Thema Begrifflichkeiten: Ich selbst bin kein Fan großer politischer Korrektheit. Mir ist es lieber, jemand sagt mir deutlich was ich nicht kann, als dass er von besonderen Potenzialen oder ähnlich schwafelt. Allerdings rede ich immer wieder mit Diversity-Beauftragten in Unternehmen. Und diese zitieren oft Studien, wonach beispielsweise Frauen auf Begriffe in Stellenanzeigen anders reagieren als Männer. Oder sich gar abgeschreckt fühlen von allzu männlichen Formulierungen, Auch wenn ich das persönlich oft anders erlebe, lasse ich diese Fakten erst einmal gelten. Und in diesem Sinne habe ich einige Hinweise als Impuls gegeben. Nicht weil ich diese teilweise verschwurbelten Begriffe für der Weisheit letzten Schluss halte, wahrlich nicht. Nein, weil sie dem einen oder der anderen hilfreich sein können.

      Was die schrecklich Bewerbungsshow angeht, sind wir uns ansonsten komplett einig. Von mir aus könnte jeder mit einem Freizeit-Selfie zur Bewerbung antreten und in Wohlfühlklamotten zum Gespräch erscheinen. Siehe dazu mein Beitrag „Konformität oder Authentizität – Selfie als Bewerbungsfoto“ auf diesem Blog.

      In diesem Sinne: Lassen Sie uns die Menschen so annehmen wie sie sind – es gibt keine anderen,

      Viele Grüße,
      Stefan Scheller

      1. Sehr geehrter Herr Scheller,

        danke für Ihre Antwort, insbesondere für Ihre Beobachtungen zum Thema Hochsensibilität. Ich begrüße es einerseits, daß die bisher völlig übersehene Wahrnehmungsgabe in der Öffentlichkeit bekannter wird, andererseits ist es schade, daß das so defizitorientiert geschieht, und zum dritten geht das wirklich nach hinten los, wenn das dann auch noch zum Hype wird. Ihre Ausführungen helfen mir, die Entwicklung klarer zu sehen und gezielter zu handeln.

        Was die Formulierungen in Stellenangeboten betrifft, kann ich das aus eigener Praxis bestätigen. Allerdings ging es da bisher nie um Gender, sondern vielmehr um Formulierungen in den Aufgabenbeschreibungen, die beispielsweise kämpferisch und herausfordernd wirken, und damit Bewerber abschrecken, die eher kooperativ und unterstützend drauf sind. Während ich mich noch frage, ob solch eine Sprache Teil der „Bewerbungsshow“ ist, oder ob da wirklich ein Kämpfer gesucht wird, blättern meine Klienten schon weiter…

        Viele Grüße
        Reimar L.

        1. Das mit dem Abschrecken passiert leider nicht nur Ihren Klienten.
          „19,1 Prozent der Jugendlichen bewerben sich nur, wenn sie alle Bedingungen erfüllen. 29,7 Prozent nur dann, wenn sie vier von fünf Anforderungen erfüllen.“, so eine Azubi-Studie kürzlich.

  4. Die Aufstellung der Formulierungen hat mir sehr geholfen, meinen eigenen sprachgebrauch zu überdenken. Vielen Dank diesen Beitrag.

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