Beschwerde bei der EU-Kommission wegen Google for Jobs

Google for Jobs: Stellenbörsen beschweren sich über die Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung bei EU-Kommissarin

Der lange erwartete Markteintritt von Google for Jobs in Deutschland im Mai dieses Jahres teilte die Meinungen. Ein Teil bejubelte das für Unternehmen vermeintlich kostenfreie Angebot für mehr Sichtbarkeit der eigenen Stellenanzeigen uneingeschränkt. Ein anderer Teil erkannte, dass das Vorgehen Googles dem gesamten Markt vor allem mittel- und langfristig auch deutlich schaden könnte.

Nun haben mehrere Dutzend Stellenbörsen eine gemeinsame Petition an die EU-Kommissarin verfasst, in dem sie ein Einschreiten der Wettbewerbshüter gegen Google for Jobs fordern. Mein Kommentar zu diesem brandheißen Thema.

Google for Jobs will Stellenanzeigen sichtbarer machen

Es war allen klar, dass der Suchmaschinen-Gigant mit seinem Service Google for Jobs den Markt massiv beeinflussen würde. Nach meinem ersten Praxistest von Google for Jobs lagen die Chancen für die Jobsuchenden, vor allem aber für ein lukratives neues Geschäftsmodell von Google, klar auf dem Tisch.

Allerdings offenbarte bereits ein genauerer zweiter Blick, dass das Anliegen von Google, Stellenanzeigen von Unternehmen sichtbarer und für die Nutzer seiner Suche komfortabler durchsuchbar zu machen, nicht so einfach aufgehen würde. Mein Beitrag „8 Gründe, warum Google for Jobs gnadenlos überschätzt wird“ ist in dieser Hinsicht aktueller denn je.

EU-Wettbewerbs-Beschwerde der Stellenbörsen

Nun also wollen zahlreiche Stellenbörsen, darunter StepStone, Jobware, Kimeta, Adzuna, Joblift und Experteer die EU Wettbewerbshüter zum Einschreiten gegen Google for Jobs bewegen. In einem offenen Brief haben sie sich via Online-Petition an die neue EU-Kommissarin Margrethe Vestager gewandt.

Argumentation gegen Google for Jobs: Ausnutzen der marktbeherrschenden Stellung

Google dominiert mit seinem neuen Suchservice für Stellenanzeigen bereits kurz nach dem Start den Markt hinsichtlich der Sichtbarkeit in einer Größenordnung von über 90%. Zusammen mit der Tatsache, dass bereits 70% aller Jobsuchen bei Google starten, ist das Argument einer marktbeherrschenden Stellung nicht von vorn herein abwegig.

Google for Jobs ist Jobaggregator und damit unmittelbarer Mitbewerber

Durch seine Aggregation von Stellenanzeigen agiert Googles neuer Service analog anderer Job-Aggregatoren wie beispielsweise Indeed. Allerdings ist der Zugang zu Google for Jobs durch die prominente Integration in die Ergebnisliste der Google-Suche ein ungleich leichterer. Insbesondere bei der mobilen Suche, bei der die Google for Jobs Ergebnisse den gesamten Screen füllen, sind nahezu unübersehbar. Die Klickwahrscheinlichkeit somit entsprechend hoch.

Google for Jobs zieht Traffic von Stellenbörsen ab

Damit entzieht Google for Jobs den Stellenbörsen durchaus nennenswerten Traffic. Profitierten diese Plattformen in der Vergangenheit davon, dass Jobsuchende dort ihre komplette Suche durchführten und somit Zeit auf der jeweiligen Stellenbörse verbrachten, ändert Google for Jobs die Regeln. Nunmehr erhalten die Stellenbörsen nur noch die Klicks bereits bewerbungswilliger Kandidaten. Die komplette Suche wird auf Google for Jobs vorverlagert.

Auch Nutzer werden durch Google for Jobs um wertvolle Ergebnisse gebracht

Was dabei ebenfalls nicht übersehen werden darf: Google for Jobs hat bei Weitem nicht alle veröffentlichten Stellenanzeigen im Zugriff. Durch die genannte Vorverlagerung des Suchvorgangs wird jedoch genau dieser Eindruck erweckt. Denn niemand (ok, so gut wie niemand) nutzt nach dem Googlen noch alternative Suchmaschinen, um vermeintlich weitere Ergebnisse zu finden.

Was wir nicht in Google finden, ist in unserer digitalisierten Welt erstmal nicht existent. Selbst wenn es irgendwo im Internet, zum Beispiel als Jobanzeige auf Stellenbörsen steht.

Was wir nicht in #Google finden, ist in unserer digitalisierten Welt erstmal nicht existent. Selbst wenn es irgendwo im Internet, zum Beispiel als #Jobanzeige auf #Stellenbörsen steht. Share on X

Ist die aktuelle Ausprägung von Google for Jobs also wettbewerbswidrig?

Die große Frage, deren sich die EU-Wettbewerbshüter nun annehmen sollen: Nutzt der Suchmaschinenriese seine marktdominierende Stellung wettbewerbswidrig aus?

Diese juristische Frage kann und will ich hier nicht klären. Aber ich kann ein paar Argumente sowie meine persönliche Meinung dazu liefern.

Hilft Nutzerfreundlichkeit gegen Wettbewerbswidrigkeit?

Aktuell werden von den Befürwortern und Google for Jobs-Promotoren der HR-Szene vor allem Argumente vorgebracht, die die Nutzerfreundlichkeit des Google Services in den Vordergrund stellen. Dabei zweifele ich diese deutlich an! Abgesehen von dem bereits in meinem kritischen Google-for-Jobs-Beitrag bemängelten Arbeitgebermarken-schädlichen Datenmüll, ist Google for Jobs keineswegs nutzerfreundlicher als so manche bekannte Stellenbörse.

Kostenfreie Stellenanzeigen als gute Tat gegenüber Unternehmen?

Auch wird damit argumentiert, dass der „kostenfreie“ Service von Google for Jobs eine gute Sache für Unternehmen sei. Immerhin hätten sie nunmehr die Möglichkeit, ihre Stellenanzeigen ohne die Nutzung kostenpflichtigen („teurer“) Stellenbörsen einem vermeintlich breiten Publikum zugänglich zu machen.

Diese Argumentation verkennt aber, dass die Kosten für die Nutzung einer der großen Stellenbörsen auch einen hochwertigen Gegenwert haben. Neben der sauberen Abbildung der Stellenanzeigen (Stichwort: kein Datenmüll) sorgen gut vernetzte Marktteilnehmer für eine größtmögliche Verteilung der Anzeigen im Netz. Dazu gibt es bei vielen Stellenbörsen einen Hotline-, Beratungs- und Schulungsservice.

Es gab schon bisher keinen generellen Stellenanzeigen-Sichtbarkeitsmangel

Spätestens seit dem Aufkommen der von mir häufig kritisierten Crawling-Mechanismen, bei denen Stellenbörsen ihr Angebot durch das Abgreifen von Stellenanzeigen im Netz eigenmächtig anreichern, ist Sichtbarkeit eher das geringere Problem. Ist eine Stellenanzeige einmal im großen Pool der XINGs, Indeeds, Glassdoors und Co angekommen, wird sie quasi im „Stille-Post-Modus“ immer weitergereicht. Naja, zumindest die Text. Irgendwie.

Aus meiner Sicht gibt es also keinen generellen Sichtbarkeitsmangel von Stellenanzeigen im Internet.

Es gibt keinen generellen #Sichtbarkeitsmangel von #Stellenanzeigen im #Internet! Dafür einen massiven #Qualitätsmangel. Share on X

Fachkräftemangel und Vollbeschäftigung

Generell könnten Jobsuchende sogar davon ausgehen, dass generell nahezu jedes Unternehmen aktuell Personal sucht. Das gilt insbesondere für sogenannte Engpass-Zielgruppen wie Softwareentwickler.

Aufgrund der Vollbeschäftigung ist die Vielzahl der Arbeitskräfte aber gar nicht auf dem aktiven Arbeitsmarkt zu finden, den Stellenanzeigen adressieren. Die Zauberworte heißen passiver Arbeitsmarkt oder latent Suchende. Der Zugang erfolgt über Active Sourcing bzw. sonstige Maßnahmen außerhalb klassischer Post-and-Pray-Methoden.

Als dritte Herausforderung stellt sich schlechtes oder nicht erfolgtes Employer Branding dar. Denn was hilft eine Stellenanzeige bei Google for Jobs, wenn die Arbeitsuchenden sich dann mangels Markenbekanntheit oder Beliebtheit trotzdem nicht bewerben?

Erhöhen strukturierte Daten via Google for Jobs die Stellenanzeigen-Qualität?

Stattdessen haben wir eher einen massiven Qualitätsmangel bei Stellenanzeigen. Hier hätte Google for Jobs in der Tat einen Mehrwert liefern können. Denn durch die technischen Vorgaben via schema.org reden wir auf einmal über sogenannte strukturierte Daten. Stellenanzeigen könnten damit theoretisch an Qualität gewinnen. Allerdings ist mir kein Unternehmen bekannt, das wegen Google for Jobs systematisch auch die Inhalte seiner Stellenanzeigen optimiert hätte.

Same shit. Different platform.

HTML5 Code für Google for Jobs

Unternehmen scheuen den Aufwand zur Umstellung auf strukturierte Daten

Beim Thema strukturierte Daten. Auch wenn in zahlreichen Medien zu vernehmen ist, dass die Umstellung der Stellenanzeigen-Daten auf schema.org für einen durchschnittlich begabten Webentwickler „kein Problem“ darstellt, ist die Aussage in dieser Absolutheit falsch. Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, weswegen große Unternehmen bisher nicht scharenweise auf den Google-for-Jobs-Zug aufgesprungen sind.

Dies hat auch mit der Datenstruktur von im Einsatz befindlichen Bewerbermanagement-Systemen zu tun. So oder so bedarf es eines Aufwandes. Selbst wenn es „nur“ um die Auswahl und Beauftragung eines (externen) Dienstleisters zur Anpassung geht. Auch stellen sich die Unternehmen möglicherweise die Frage, warum man einen finanziellen Anpassungsaufwand in Kauf nehmen muss, um ein angeblich „kostenfreies“ Angebot zu nutzen…

Ebenfalls spannend ist die Frage: Wenn Unternehmen für die Anpassung ihrer Systeme an Google for Jobs jetzt Budget in die Hand nehmen sollen, warum haben sie das vor Google for Jobs nicht ebenfalls bereits in die Erhöhung der Sichtbarkeit ihrer Stellenanzeigen investiert?

Den Stellenanzeigen gehört die Zukunft – nicht

Egal wie die politischen und juristischen Entscheidungen am Ende ausfallen und welche (vermutlich geringfügigen) Auswirkungen diese auf Google for Jobs haben werden, steht eines fest. Stellenanzeigen haben keine langfristige Zukunft mehr. Nein, ich behaupte keineswegs, dass Stellenanzeigen tot sind. Dafür lässt sich damit noch viel Geld verdienen.

Aber die Auswahl von Personal auf Basis von abstrakten, schlecht formulierten Texten, Hochglanz Employer Branding Bildern sowie daraufhin eingehenden standardisierten, KI-optimierten Unterlagen wie Lebenslauf und Anschreiben, liefert bereits heute keine optimalen Ergebnisse.

Recruiting muss sich deutlich menschennäher aufstellen!
Dazu in Kürze auf diesem Blog mehr…

Emotionalität bestimmt die Debatte zu Google for Jobs

Dass die Stellenbörsen gegen den übermächtigen Mitbewerber Google vorgehen, ist nachvollziehbar. Das Ansinnen Googles, den Recruiting-Markt zukünftig mit durchgängigen Lösungen von Stellenanzeigen über Bewerbermanagementsystem und mehr für sich zu nutzen, ist nicht per se verwerflich. Wie so oft kommt es auf die Feinheiten des Einzelfalls an.

Auch ist die Argumentation von Google-for-Jobs Fans im Netz keineswegs stringent. So werfen sie großen Stellenbörsen beispielsweise aus mehreren Gründen Scheinheiligkeit bei ihrem Kampf gegen den Internet-Giganten vor. Das ist ein sehr wertendes Argument und zeugt von Emotionalität. Mit der gleichen Tonalität könnte man auch behaupten, dass es scheinheilig ist, das eine vermeintlich kostenfreie Angebot eines großen datengetriebenen US-Unternehmens in den Himmel zu heben, ein anderes (Facebook Jobs) aber als „Teufelswerk“ zu titulieren und gegen die „Datenkrake“ zu wettern.

Nur weil Nutzer einen kurzfristigen Vorteil sehen und Google for Jobs für die HR-Medien-Welt zur Zeit einen lohnenswerten (weil Leser bringenden) SEO-Begriff darstellt, sollte nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Auch dürfte die Argumentation „lieber ein Monopol von Google als ein von StepStone dominierter Markt“ offensichtliche Schwächen haben.

So oder so wird es extrem spannend, die kommenden Entwicklungen zu beobachten. Besser Sie sind dabei und abonnieren diesen Blog.

******* UPDATE vom 02.06.2020 ******

Lesen Sie auch meine kritische Bestandsaufnahme zu Google for Jobs nach 12 Monaten in Deutschland!

Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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