Fachbereiche und deren Hiring Manager sehen Personaler und insbesondere Recruiter häufig als reine Dienstleister. Die Recruitingabteilung ist demnach Auftragnehmer im Prozess der Personalgewinnung. Aber welche Mitwirkungspflichten hat der Fachbereich eigentlich im Recruitingprozess? Dieser Blogbeitrag zeigt, was der Fachbereich zu einem erfolgreichen Talent-Recruiting beitragen muss, um nicht sogar als Risikofaktor seine eigenen Ziele zu torpedieren.
Kritische Einblicke in die Praxis.
Wenn die strategische Personalplanung im Fachbereich fehlt
Das Risiko für den Recruitingerfolg steigt schon ganz früh im Prozess. Denn in den meisten Fällen fehlt es bereits an einer (halbwegs tauglichen) strategischen Personalplanung. Gemeint ist damit die Zielrichtung mit der das Personalmarketing unterwegs ist. Häufig werden Adhoc-Beschaffungsaufträge an die Recruiter übergeben, ohne dass vorab bei der gesuchten Zielgruppe jemals Employer Branding Maßnahmen angekommen sind.
Ein schönes Beispiel aus der Praxis: Auch wenn UX-Designer (User Experience Designer) im Rahmen der Entwicklung von Softwareprodukten im IT-Bereich arbeiten, handelt es sich mitnichten um IT-Experten. Folglich hilft Ihnen die Präsenz auf reinen IT-Spezialplattformen nur bedingt weiter. Besser wäre es, die UXer als Designer zu identifizieren und beispielsweise Maßnahmen an der Design-Hochschule zu initiieren.
Je frühzeitiger ein Fachbereich einen Bedarf in einer konkreten Zielgruppe erkannt hat, umso besser für den Erfolg der Personalgewinnung.
TIPP: Gehen Sie mit den betreuten Fachbereichen regelmäßig in einen Austausch, um strategische Bedarfe zu erheben.
Unkonkrete Anforderungsanalysen – Hauptsache teamfähig und flexibel
Das nächste Risiko entsteht im Rahmen der konkreten Besetzung. Nicht erst seit der HR Digital Studie 2019 dürfte bekannt sein, dass unterschiedliche Zielgruppen ebenso unterschiedlich anzusprechen sind. Denn nachgewiesenermaßen lesen Jobsuchende Ihre Stellenanzeige nicht von A-Z durch, sondern fokussieren auf für sie wesentliche Kernaussagen.
Insofern lauern bei der konkreten Zuordnung von gesuchten Profilen nicht zu unterschätzende Gefahren für den Erfolg der Personalgewinnung. Die Zuordnung zu einem marktgängigen Berufsprofil oder einer Zielgruppe ist dabei elementar. Denn je allgemeiner Sie mit Stellenausschreibungen unterwegs sind, um so mehr unpassende Bewerbungen werden sie erhalten. In meinem Beitrag „Wie Sie den Erfolg Ihrer Stellenanzeigen deutlich steigern“ habe ich dazu ausführlich Hinweise gegeben. Und dabei auch den provokanten Tipp gegeben „unpassende Bewerber abschrecken“ sowie die nachfolgende Grafik ausführlich erklärt.
Tipp: Gehen Sie als Recruiter mit dem suchenden Fachbereich im Rahmen der Anforderungsanalyse in einen engen Austausch und konkretisieren Sie die Anforderungen mit Blick auf eine schlagkräftige Stellenanzeige.
Marktgängige Begriffe statt interner Stellenkürzel
Auch wenn Ihnen Ihr Fachbereich mit Bezug zur internen Stellenbeschreibung einen textlichen Vorschlag für die externe Stellenanzeige unterbreitet, prüfen Sie diesen genau. Insbesondere sogenannte Containerbegriffe wie „Referent“ oder „Organisator“ sowie jegliche Stellenbezeichnungen auf Basis von internen Abkürzungen sollten Sie umgehend hinterfragen und anpassen.
Suchalgorithmen, egal ob auf Stellenbörsen oder auf Google for Jobs können Ihrer Stellenanzeige nur Sichtbarkeit verschaffen, wenn der Stellentitel eindeutig kategorisiert werden kann.
TIPP: Googeln Sie die von Ihnen verwendeten Begriffe und Jobbezeichnungen vorab und verproben Sie diese auf den Stellenbörsen Ihrer Wahl im Vorfeld.
Der Fachbereich hat die eierlegende Wollmilchsau im Visier
Hiring Manager im Fachbereich fokussieren noch immer oft auf die sogenannte eierlegende Wollmilchsau. Gesucht wird dabei der „best match“, also diejenige Person, die alle in der Anforderungsanalyse genannten Eigenschaften par excellence aufweist.
Abgesehen davon, dass es solche Job-Helden mit gleichermaßen perfekter Passung zum Unternehmen, zum Job und zur entsprechenden Gruppe nur extrem selten geben dürfte. Häufig werden dabei auch sehr schwierig miteinander vereinbare Kompetenzen und Skills gesucht.
Wieder ein Praxisbeispiel:
In zahlreichen Branchen werden Mitarbeiter (m/w/d) als Berater im Rahmen des Service (qualifizierte Callcenter-Hotline) eingesetzt. Dabei benötigen diese oftmals sehr spezielle Kenntnisse, beispielsweise besondere technische Skills. Als Fachbereich ist der Wunsch nach einem IT-Experten an der Hotline schnell formuliert.
In der Praxis zeigt sich jedoch, dass eben jene IT-Experten gerne unmittelbar in ihrer Domäne arbeiten, beispielsweise als Softwareentwickler und weniger gerne ihr Wissen lediglich indirekt anzuwenden, indem telefonisch Kunden beraten werden.
TIPP: Das bedeutet für die konkrete Suche eine klare Ausrichtung: Entweder wird eine besonders Hotline-erprobte Technik-affine Person gesucht, beispielsweise ein Kaufmann für Dialogmarketing, dem entsprechende IT-Kenntnisse beigebracht werden. Oder aber ein Software-Entwickler, der entwickeln darf, aber eben auch Support-Anfragen zusätzlich beantwortet. Beides in einer Person ist eher selten zu finden, so dass sich der Stellenbesetzungs-Prozess lange hinziehen kann.
Mitarbeiterempfehlungen und Social Media werden unterschätzt
Die nächste Gefahr lauert darin, dass sich der Fachbereich mit der Auftragserteilung an das Recruiting nicht mehr für den Erfolg der Personalgewinnung zuständig wähnt. Oder seinen Einsatz erst wieder bei der Sichtung von vorausgewählten Profilen gekommen sieht.
In diesen Fällen bliebe ein enorm effektiver Ansatz der Personalgewinnung komplett ungenutzt. Denn für gewöhnlich arbeiten bereits Menschen mit vergleichbaren Profilen in diesem Fachbereich. Insofern dürften die Kolleginnen und Kollegen zur gesuchten Zielgruppe einen ganz natürlichen Zugang haben, beispielsweise via Social Media. Insbesondere bei sehr Community-affinen Job-Profilen finden sich ebenso leicht lokale oder regionale Meetups, bei denen durch bestehende Mitarbeiter für Stellen geworben werden kann.
Die Mitarbeiterempfehlung ist noch immer eine der wirksamsten Methoden im Recruiting. Ausführliche Tipps dazu habe ich im Beitrag zur Einführung von Mitarbeiterempfehlungsprogrammen im letzten Jahr veröffentlicht.
TIPP: Bitten Sie Ihre Fachbereiche darum, Stellenausschreibungen an deren Mitarbeiter im Fachbereich weiterzugeben. Bestenfalls besteht zusätzlich die Möglichkeit, Anzeigen via Social Media an die gesuchten Zielgruppen viral auszuspielen. Dabei müssen die Mitarbeiter noch lange keine sogenannten Corporate Influencer sein, um erfolgreich zu unterstützen.
Wenn die Antwortzeit zu lange wird und Bewerber abspringen
Eines der in der Praxis am häufigsten zu beobachtenden Phänomene im Recruiting ist die überlange Antwortzeit der Fachbereiche auf präsentierte Profile. Moderne Bewerbermanagement-Systeme (ATS) bieten hierfür sogar eine Anzeigemöglichkeit und markieren solche Verzögerungen mit „Zeitüberschreitung Fachbereich“. Immer dann, wenn die hinterlegte Anzahl an Tagen für die Rückmeldung überschritten wird. Im Regelfall ist das eine Kalenderwoche.
Meiner Ansicht nach ist das Verhalten der Fachbereiche in dieser Hinsicht nicht nachvollziehbar. Einerseits wirkt die Besetzung von offenen Stellen meist extrem dringlich. Andererseits scheint die Wichtigkeit der eingehenden Bewerbungen doch nur untergeordnet zu sein im Vergleich zum Tagesgeschäft. Das gilt insbesondere dann, wenn keine freien Terminslots geliefert werden, an denen ein Vorstellungsgespräch stattfinden kann.
TIPP: Zahlreiche Unternehmen haben mit Blick auf die Candidate Experience begonnen, ihre Fachbereiche strenger an die Hand zu nehmen. Erfolgen Rückmeldungen nicht innerhalb des vereinbarten Zeitraums, werden die Bewerbungen entweder an andere Fachbereiche, die vergleichbare Profile suchen, zur Sichtung weitergegeben. Oder aber es erfolgt einfach eine Einladung durch das Recruiting, alternativ eine komplette Absage. Das mag radikal klingen, aber meist bessert sich die Situation daraufhin umgehend.
Nur das Bewerbungsgespräch auf Augenhöhe gewinnt
Schon die Personaler haben manchmal noch mit der alten „Türsteher-Mentalität“ im Sinne eines „Bewerber, Du kommst hier net rein!“ zu kämpfen. Der Gatekeeper von einst ist jedoch längst zum streng beäugten Partner auf Augenhöhe mutiert. Augenhöhe zumindest insofern, als dass Bewerberinnen und Bewerber heute vermehrt öffentlich Feedback geben und Erlebnisse im Rahmen von Bewerbungsgesprächen auf Arbeitgeberbewertungsportalen wie kununu oder Glassdoor teilen.
Was manche Hiring Manager in den Fachbereichen noch immer hinter verschlossenen Türen wähnen, steht in Wahrheit längst im Internet. Und hat oft einen nachvollziehbar persönlichen Bezug zum Verhalten des Einzelnen. Bei teilweise tausenden Followern von Unternehmensprofilen auf den Arbeitgeberbewertungsportalen erhalten diese Abonnenten sogar jede Bewertung per E-Mail direkt ins Postfach geliefert.
Aussagen wie „Selten so herablassend behandelt gefühlt“ oder „Die Fachbereichsmanager haben sich überhaupt nicht wirklich für mich und meine Kenntnisse interessiert, sondern nur öde Standardfragen gestellt.“, erreichen damit schnell eine große Anzahl von Personen.
Der Schaden für die Arbeitgebermarke des Unternehmens lässt sich dabei auch nicht wirklich durch eine wohlwollende oder gar um Entschuldigung bittende Stellungnahme durch den Arbeitgeber ausgleichen.
Insbesondere längjährig gediente „alte Hasen“ im Management unterliegen der Gefahr, noch immer nach den Maßstäben der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts zu rekrutieren. Von wenig validen Personalauswahlverfahren ganz zu schweigen.
TIPP: Überlegen Sie daher, in wie weit Sie mit intensiven Briefings oder gar Workshops das Mindset der Fachbereiche Schritt für Schritt in Richtung Recruiting auf Augenhöhe ausrichten können.
Wenn nach erfolgreichen Gesprächen ein interner Kandidat auftaucht
Ein für die verantwortlichen Recruiter höchst unangenehmer Zustand ist das „überraschende“ Auftauchen eines internen Bewerbers auf die ausgeschriebene Stelle, nachdem bereits erfolgreiche Vorstellungsgespräche mit Externen gelaufen sind. Unangenehm deswegen, weil ein Betriebsrat vermutlich von seinem Widerspruchsrecht bei Einstellungen Gebrauch machen würde, wenn er Beschäftigte durch die Einstellung eines externen Bewerbers benachteiligt sieht.
TIPP: Dieser Fall lässt sich nicht immer vermeiden. Allerdings können im Rahmen von klaren Absprachen Regeln aufgestellt werden, bis zu welchem Zeitpunkt interne Bewerbungen noch möglich sind. Oder aber Fachbereiche werden verpflichtet, interne Gespräche vorzuziehen oder zumindest frühzeitig anzuberaumen. Dann kann Bewerbern auch offen kommuniziert werden, dass es noch Unsicherheiten gibt aufgrund weiterer interner Bewerbungen. Als hilfreich haben sich auch zeitlich abgestufte Prozessschritte für interne und externe Ausschreibungen erwiesen.
Wenn der Fachbereich Bewerber einstellen will, die Personaler nicht einstellen würden
In den meisten Unternehmen obliegt die finale Einstellungsentscheidung den Führungskräften im Fachbereich. Dabei dürften sich im Normalfall die im Prozess beteiligten Recruiter eng mit den Hiring Managern abstimmen. Zumal in der Regel beide an den Vorstellungsgesprächen teilnehmen.
Ab und an gehen die Ansichten über die Passung von Bewerbern jedoch extrem auseinander. Während der Fachbereich Bewerber gerne einstellen würde, sprechen sich die Vertreter der Personaler dagegen aus. Dies kommt deswegen immer wieder vor, weil die Herangehensweisen von Hiring Managern und Recruitern unterschiedliche sind.
Für die Führungskraft im Fachbereich geht es bei der Einstellung häufig darum, eine Person einzustellen, die an den Zielvorgaben des Fachbereichs möglichst schnell aktiv mitarbeitet. Personaler hingegen nehmen im besten Fall eher eine langfristige Perspektive ein. Diese umfasst zusätzlich die Frage, wie sich diese Person zukünftig auch an anderer Stelle im Unternehmen entwickeln könnte.
TIPP: Vertreten Sie als Recruiter selbstbewusst die langfristige Perspektive gegenüber den Fachbereichen. Treffen Sie schon im Vorfeld allgemeine Vereinbarungen, wie Sie in Fällen vorgehen wollen, wenn die Meinungen um 180 Grad auseinander gehen.
Vertragsunterschriften zu verzögern kann zum Abspringen von Bewerbern führen
Es mag wie eine Binsenweisheit klingen. Allerdings kommt auch dieser Fall viel zu häufig vor. In Unternehmen, bei denen Angebote nicht digital von Fachbereichs-Führungskräften unterschrieben werden, treten oft Prozessverzögerungen auf. (Interne) Postlaufzeiten, verlegte Angebote, nicht rechtzeitig unterschriebene Verträge. Die Liste der Risiken ist lang.
TIPP: Versuchen Sie, die notwendigen Unterschriften bereits innerhalb des Personalbereichs zu sammeln oder stellen Sie zumindest auf digitale Unterschriften um. Damit entlasten Sie gleichzeitig Ihre Hiring Manager im Fachbereich.
Fazit zum Thema Risikofaktor Fachbereich im Recruiting
Die aufgezeigten potentiellen Schwachstellen im Recruitingprozess sind natürlich nicht umfassend. In Summe geben sie jedoch einen vertieften Einblick, an welchen Stellen professionelles Recruiting mit Optimierungen ansetzen kann.
Mein aktueller Beitrag mag bei langjährig treuen Lesern sogar Erinnerungen an einen meiner ersten Blogbeiträge überhaupt aus Jahr 2013 wecken. Den provokanten Titel würde ich übrigens noch immer verwenden: „Der Recruiting-Prozess: Drei Blinde spielen russisches Roulette.“
In den meisten Fällen dürfte die Zusammenarbeit zwischen Recruiting und Fachbereichen größtenteils gut funktionieren. Und auch umgekehrt lässt sich mit Leichtigkeit ein Beitrag über die Optimierungen seitens Recruiting erstellen. Allerdings hatte ich darüber schon häufiger geschrieben, zum Beispiel hier.
Aber wie heißt es so schön „There is always room for improvement“.
Welche Erfahrungen haben Sie denn in der Praxis mit den Fachbereichen gemacht?