Recruiter Businesspartner und Fachbereich - wer hat Ahnung von was?

Der Recruitingprozess – Drei Blinde spielen russisches Roulette

Wir HR-Blogger haben ein Fable für Zukunftsthemen. Immer auf der Suche nach „the next big thing“ lassen wir uns über Innovationen im Personalmarketing aus, die neusten Recruitingtrends, wie Social Recruiting oder das allseits geliebte Thema Mobile Recruiting. Aus der Praxis heraus muss ich allerdings feststellen, dass die tatsächliche Relevanz all dieser Themen stark hinter einem grundlegenden Thema zurücktritt: Der Frage nach der zentralen Rolle von HR im Recruitingprozess.

Denn die ist oft alles andere als klar definiert. Warum? Das zeige ich nachfolgend gerne auf.

Wer hat eigentlich Ahnung von was?

Spätestens seit dem Versuch seitens HR, den Anforderungen eines sogenannten „Business Partners“ gerecht zu werden, gibt es häufig eine Zweiteilung in die Führungskräfte beratenden Einheiten (= Business Partner) und die operativ in der Mitarbeiterbeschaffung tätigen Personaler (= Recruiter). Der Prozess sieht vor, dass der Business Partner seiner Rolle als „Partner“ entsprechend zusammen mit den Fachabteilungen die Bedarfe erkennt, analysiert (qualitativ und quantitativ) und den Recruitern dann den Auftrag erteilt, diese Bedarfe zu decken.

Soweit die Theorie. – Allerdings sieht die Praxis im Recruiting-Prozess oft komplett anders aus.

Recruiting – eine Frage der Qualifikation

Dabei ist der Prozessablauf beim Beschaffen gering qualifizierter Mitarbeiter weniger anfällig. Wird für die Außenanlagen eine Gärtner benötigt, oder eine Küchenhilfe für die Unternehmensküche, dann ist die Anforderung verhältnismäßig einfach. Insofern erhält der Recruiter wahrscheinlich eine sehr passende Anforderungsbeschreibung, die sich ganz gut mit dem gesuchten Berufsbild deckt.

Geht es aber beispielsweise um einen erfahrenen Change Manager (eine wunderbar nebulöse Tätigkeitsbeschreibung), der die Einführung neuer Softwaretechnologien und Methoden vorantreiben soll, dann wage ich zu behaupten, läuft der Prozess alles andere als einfach.

Der Business Partner – weit weg vom eigenen Anspruch

Das Problem beginnt schon damit, dass der sogenannte Business Partner leider so gar nicht partnerschaftlich oft von der neuerlichen Bedarfsanforderung der Fachbereiche schlichtweg überrascht wird. In bereichsinternen Entscheidungsprozessen hatte man sich schon zuvor ohne Mitwirkung des Personalers zur Einstellung eines hochqualifizierten Menschen entschlossen. Jetzt liegt es am Business Partner, dem Recruiter eine so konkrete Anforderung ins Auftragsbuch zu diktieren, dass dieser seiner Aufgabe nachkommen kann.

Weil aber der Business Partner in erster Linie doch ein Personaler ist und kein IT-Experte, haben wir schon den ersten Blinden in diesem Spiel identifiziert. Der Business Partner ist von der Anforderung nicht nur zeitlich überrascht, sondern oft auch inhaltlich überfordert. Um seiner Rolle im Recruitingprozess dennoch gerecht zu werden, übergibt er somit dem Recruiter zumindest die groben Anforderungen für diesen ominösen Change Manager, um im Beispiel zu bleiben.

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Der Recruiter – Verhungern am Ende der Nahrungskette

Der Recruiter seinerseits versucht, mit den zur Verfügung gestellten Informationen eine entsprechende Ausschreibung auf den Weg zu bringen und bespielt die standardmäßig genutzten Recruitingkanäle (Karrierewebsite, Stellenbörsen, gerne auch zusätzlich Social Media).

Meist findet sich auch aufgrund der generellen Attraktivität des Arbeitgebers eine Reihe von Bewerbern. Der Recruiter sichtet deren Bewerbungen und präsentiert den Fachbereichen die aus seiner Sicht passenden Bewerber.

Sie ahnen es schon, wo hier das Problem liegt? Richtig. Der Recruiter arbeitet mit den Informationen, die er vom Business Partner (dem ersten Blinden in diesem Spiel) erhalten hat und gibt sein Bestes. Da das Ganze etwas vom aus Kinderzeiten bekannten „Stille Post“-Spiel hat, qualifiziert sich der Recruiter nun für die Rolle des zweiten Blinden im Spiel.

Blinder Recruiter
Der Recruiter benötigt Informationen vom Business Partner.

Die Fachbereiche als bessere Recruiter?

Nachdem sich zwei HR-Bereiche bereits im Recruitingprozess ins Aus geschossen haben, bleibt die Hoffnung, dass wenigstens der Fachbereich das sprichwörtliche Kind wieder aus dem Brunnen rettet. Immerhin besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die vom Recruiter ohne Detailwissen ausgewählten Kandidaten dem Fachbereich nicht 100%-ig taugen.

Spätestens jetzt dämmert es auch dem Fachbereich, dass hier zwei Blinde am Werk waren. Nobel im Ansinnen werden Business Partner und Recruiter nun gleichermaßen durch den Fachbereich belehrt darüber, wo beziehungsweise über welche Kanäle man doch wesentlich erfolgreicher hätte rekrutieren können.

Wer bitte braucht Social Media Recruiting?

Immerhin gebe es doch noch Printanzeigen, die ja gar nicht geschaltet wurden. Alleine auf Online-Kanäle zu setzen, gehe ja gar nicht. Diese neumodischen Kanäle würden eh überschätzt. Immerhin rekrutiere man als Fachbereich schon seit über 25 Jahren und suche ein bis zwei Bewerber pro Jahr persönlich aus.

Die Tragik des bisher geschilderten Ablaufs wird dann umso dramatischer ersichtlich, als dass die qualitativen Anforderungen, mit denen Business Partner und Recruiter abgespeist wurden, oftmals ebenfalls den Stand von vor 25 Jahren hatten. Zwischenzeitlich haben sich auf dem Markt neue Ausbildungsberufe bzw. Studiengänge etabliert, die die für diese Anforderungen nötigen Qualifikationen liefern. Auch bestehen heute über Spezialplattformen oder via Active Sourcing im Internet oft passgenaue Recruiting-Möglichkeiten für eine entsprechende Zielgruppe. Von der zunehmend in Frage stehenden Bedeutung von bei Fachbereichen hoch im Kurs stehenden Abschlussnoten ganz zu schweigen.

Der Fachbereich greift in den Recruitingprozess ein

Nachdem der Fachbereich jedoch so selten rekrutiert und verständlicherweise das Ohr nicht so nahe am Recruiting-Markt hat, wie zum Beispiel ein Recruiter, kennt er oft weder die spezialisierte Qualifikation noch die entsprechenden Plattformen. Herzlichen Glückwunsch! Hier ist der dritte Blinde im Spiel.

Das klingt überzogen und unrealistisch? Mitnichten! Wobei es natürlich große Unterschiede je nach Branche geben kann. Da beneidet der eine oder andere Recruiter oft zum Beispiel Beratungsgesellschaften, die jährlich hunderte verhältnismäßig gleichförmig qualifizierte Nachwuchskräfte einstellen. Zum Horror wird das beschriebene Szenario in Branchen, in denen die Anforderungen bzw. Tätigkeiten höchst atomisiert sind und eine unzählbar hohe Anzahl von unterschiedlichen Stellenbeschreibungen und Anforderungskatalogen von Nöten ist.

Wer ist denn nun der Recruiting-Experte?

Oft drängt sich aufgrund der oben gezeigten Abläufe den Fachbereichen tatsächlich der Eindruck auf, dass man den Recruitingprozess doch auch selbst übernehmen könnte. Personal könne im Grunde eigentlich jeder, genau wie Marketing. Und für Recruiting bedürfe es allenfalls zusätzlicher Zeit – eine spezielle Qualifikation für das Durchsehen und Bewerten von Bewerberunterlagen brauche es nicht.

Mittlerweile bin ich der Überzeugung, dass die Fachbereiche das meist nicht können. Der Markt im Bereich Personalmarketing und Recruiting ist zwischenzeitlich so unübersichtlich, dass es hierzu Experten braucht. Ob die Recruiter überall in Summe diese Experten auch tatsächlich sind, lasse ich hier bewusst offen.

Auch der Einsatz von externen Personalberatern, liebevoll als Kopfjäger, oder besser als englische Headhunter bekannt, ändert daran nichts. Denn auch diese externen Dienstleister benötigen das, was der Businesspartner bzw. Recruiter intern benötigen: Ein ausführliches Briefing zur Stelle bzw. den Anforderungen an die Bewerber hierfür.

Russisches Roulette beim Recruitingprozess. Ein Problem.
Recruiter und Business Partner spiele russisches Roulette.

Was ist nun zu tun im Recruitingprozess?

Das prozessuale Zusammenspiel der drei Beteiligten Fachbereich, Business Partner und Recruiter mit jeweils Expertenwissen ist grundsätzlich gar nicht schlecht. Allerdings müssen alle Beteiligten ihre eigene Rolle professionell einnehmen. Was so leicht daher geschrieben ist, stellt sich in der Praxis immer wieder schwierig dar.

Das beginnt mit der stärkeren und frühzeitigeren Einbeziehung der Personaler in die Entscheidung hinsichtlich des zukünftigen Personalbedarfs. Das geht weiter bei der gemeinsamen Herausarbeitung von ausführlichen Anforderungsprofilen, bei der sich insbesondere der Personaler mit seinem Knowhow einbringen muss.

Akzeptieren der eigenen Schwächen innerhalb der Organisation

Und ganz wichtig: Alle Beteiligten müssen einander mit ihren fachlichen Stärken und Schwächen akzeptieren. Dafür arbeiten sie schließlich als Team im Bereich Recruiting zusammen. Ansonsten werden sie weiter drei Blinde sein, die russisches Roulette spielen. Und auf dem Spiel steht weit mehr als der eigene Ruf der Beteiligten untereinander. Da in die Prozesse auch Bewerber involviert sind, kostet unprofessionelles Handeln neben Zeit und Geld zusätzlich auch Arbeitgeberimage.

Es gilt noch sehr viel zu erreichen in deutschen Personalabteilungen. Denn gerade was das Thema Akzeptanz im Gesamtunternehmen angeht, hat HR in Summe starke Defizite.

Insofern stellt dieser Beitrag den Auftakt einer Serie zur Stellung von HR in deutschen Unternehmen dar. Und darüber gibt es wahrlich genug zu schreiben …

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Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer (Personalmagazin 05/22) betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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