Eigentlich müsste ich die Frage sofort präzisieren, denn wie dies im Unternehmen gehandhabt wird, ist höchst unterschiedlich. Auch ist dies eine Frage der Größe des Unternehmens. In diesem Beitrag möchte ich beleuchten, wie das optimale Zusammenspiel zwischen Personalabteilung und Fachabteilung nach dem Bewerbungsgespräch aussehen sollte und warum.
Der erste Blick auf die Bewerbungsunterlagen
Klassischerweise sind es Recruiter, die den ersten Blick auf eingegangene Bewerbungsunterlagen werfen. Sie bewerten die Bewerbung anhand der vorliegenden Dokumente wie Lebenslauf (CV), Anschreiben und Zeugnisse und vergleichen das für sie daraus ersichtliche Bewerberprofil mit dem Anforderungsprofil aus dem Fachbereich. Inwieweit das Anforderungsprofil dort tatsächlich trennscharfe Kriterien aufweist, darf natürlich dabei zurecht hinterfragt werden.
Auch ob die aus den rein vergangenheitsorientierten Unterlagen entstehenden Profile wirklich haltbare Zukunftsprognosen über die weitere Entwicklung des Bewerbers ermöglichen. Sie kennen die daran bestehenden Zweifel längst. Dennoch führt in größeren Unternehmen zuerst einmal kein Weg am Recruiter vorbei.
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A-, B- und C-Ratings für Bewerbungen
Die Recruiter stufen die Bewerbungen in Kategorien ein, meist auf Basis eines typischen ABC-Ratings. Dabei sind die A-Kandidaten diejenigen, die sofort an den Fachbereich präsentiert werden. Bewerbungen von B-Kandidaten werden noch zurückgehalten. Erst wenn keine weiteren A-Bewerbungen eingehen oder die A-Kandidaten im Folgeprozesse aussortiert wurden, rücken die B-Kandidaten nach. Bewerbungen von C-Kandidaten werden für eine zeitnahe Absage markiert. Auf ihre Unterlagen erfolgt im Regelfall kein erneuter Rückgriff.
Die Situation im Bewerbungsgespräch
Gehen wir mal davon aus, dass es nach möglichen Vorab-Telefoninterviews durch die Recruiter zu einer Vor-Ort-Einladung zu einem Bewerbungsgespräch kommt. Selbstverständlich wären heute alle digitalen Mischformen wie Skype-Interviews, Google Hangouts oder auch zeitversetzte Videointerviews ebenso möglich.
In 80% aller Fälle nehmen an Bewerbungsgesprächen Vertreter des Personalbereichs und des Fachbereichs gleichermaßen teil. Dabei ist es wichtig, deren Rollenverteilung genau festzulegen.
Wer übernimmt welchen Part im Bewerbungsgespräch?
In der Theorie ist das Zusammenspiel zwischen den beiden Unternehmensvertretern klar umrissen. Während die Personaler insbesondere die Passung zum Unternehmen (cultural fit oder person-organisation-fit) im Blick haben sollten, wird der Fachbereich die fachliche Passung (person-job-fit) und die Integrationsfähigkeit in die konkrete Gruppe, zum Beispiel das Team oder die Abteilung (person-group-fit) überprüfen.
Soweit die Theorie. Aber wie sieht die Realität aus?
Bewerber begegnen oft schlecht ausgebildeten Personalern
Ist die Passung zum Unternehmen auf Basis des cultural fit überhaupt ausdefiniert, verbalisiert, visualisiert und systematisch in den Recruitingprozess integriert? Sind die Personaler entsprechend rhetorisch, psychologisch oder systemisch ausgebildet? Stehen Ihnen die notwendigen Tools zur Verfügung? Werden Interviewergebnisse systematisch und standardisiert für eine objektive Vergleichbarkeit sowie für den weiteren Auswahlprozess dokumentiert?
Bewerber treffen ebenso oft auf nicht ausgebildete Fachbereiche
Auch auf Fachbereichsseite bewegen sich theoretischer Anspruch und Realität häufig auf unterschiedlicher Flughöhe. Wie werden bei Ihnen Fachbereiche auf das Führen von Bewerbungsgesprächen vorbereitet? Kennen die Fachbereiche die Arbeitgebermarkenwerte, können sie das Unternehmen ganzheitlich präsentieren beziehungsweise bei Fragen des Bewerbers Themen in einen ganzheitlichen Unternehmenszusammenhang setzen? Verstehen es die Fachbereichsvertreter ihre sehr spezielle Welt der unternehmenseigenen Abkürzungen und internen Bezeichnungen hinter sich zu lassen, um verständlich mit dem Bewerber fachlich zu diskutieren?
Fachbereiche benötigen möglicherweise nicht die gleiche Gesprächsausbildung wie Personaler, allerdings wäre dies sicher kein Schaden für eine positive Candidate Experience.
Management und Mitarbeiter sind gleichermaßen wichtig
Um die Provokation auf die Spitze zu treiben: Haben die am Bewerbungsgespräch beteiligten Fachbereiche tatsächlich die notwendigen fachlichen Detailkenntnisse, um bei Bewerberfragen kompetent zu reagieren? Gerade das mittlere oder höhere Management kann aufgrund seiner Funktion und Aufgaben etwas mehr Distanz zum tatsächlichen Tagesgeschäft der Mitarbeiter aufweisen als dem Bewerbungsgespräch gut tut. Umgekehrt kann es Mitarbeitern des Fachbereichs schwer fallen, die strategische Ausrichtung des Bereichs darzustellen und hierzu Fragen zu beantworten.
OK, dies alles lässt sich lösen, zum Beispiel durch stufenweise Einbindung von Mitarbeitern und Management. Es bleibt aber noch immer die zu anfangs gestellt Frage unbeantwortet, wer denn nun nach Abschluss des Bewerbungsgesprächs entscheidet?
Wer entscheidet über die Einstellung oder Absage des Bewerbers?
Am Ende jeder Runde im Bewerbungsprozess muss eine Entscheidung über das Weiterkommen oder Ausscheiden des Bewerbers getroffen werden. Sind sich alle Beteiligten einig, so ist das der Idealfall. Aber was passiert denn, wenn Personalbereich und Fachbereich unterschiedlicher Ansicht sind?
Insbesondere: Wer trifft und verantwortet die finale Entscheidung?
Wenn Personalabteilung und Fachbereich unterschiedlicher Meinung sind
Kann dem Fachbereich eine Einstellung aufgezwungen werden?
Nehmen wir einen Beispielsfall an, bei dem die Personaler den Kandidaten aus ihrer Sicht für geeignet halten und gerne einstellen würden. Würde sich in diesem Fall der Personalbereich durchsetzen und eine Einstellung gegen den Willen des Fachbereichs vornehmen, so wäre das keine wirklich gute Idee. Denn welche Möglichkeiten hätte ein Bewerber in der neuen Umgebung, wenn er dort nicht willkommen ist.
Zugegeben, dieser Fall erscheint eher realitätsfremd. Dennoch musste er für eine ganzheitliche Betrachtung angesprochen werden.
Kann der Fachbereich eine Einstellung vom Personalbereich erzwingen?
Viel wahrscheinlicher ist der umgekehrte Fall, in dem der Fachbereich eine Einstellung befürwortet, der Personalbereich aber starke Bedenken hat. Dessen Bedenken beziehen sich vermutlich weniger auf die fachliche Eignung als auf die Passung des Bewerbers zum Unternehmen beziehungsweise gründen auf möglichen Bedenken in Bezug auf die Person des Bewerbers.
Sollte der Bewerber in diesem Fall trotzdem eingestellt werden?
Was für eine finale Entscheidung des Fachbereichs spricht
Personalabteilungen sehen sich oft als reiner Dienstleister für ihre internen Kunden. Stellenbesetzungsaufträge werden entgegengenommen und prozessual abgearbeitet. Dabei stehen die Wünsche und die Zufriedenheit des internen Kunden Fachbereichs an oberster Stelle. Insofern läge es nahe, dem Kunden das zu geben, was er möchte. Somit könnte der Fachbereich gegen den Willen der Personalabteilung faktisch eine Einstellung erzwingen.
Was für die finale Entscheidung der Personalabteilung spricht
Auch wenn ich vermute, dass in den meisten Unternehmen tatsächlich der Fachbereich das letzte Wort spricht, halte ich persönlich das nicht für richtig! Ich erkläre Ihnen gerne warum:
Der Fachbereich sieht die Stellenbesetzung meist als drängendes Problem an, insbesondere wenn es um eine spontan notwendige gewordene (Nach)Besetzung geht. Der Fachbereichsverantwortliche möchte möglichst schnell eine geeignete Person einstellen, um die Arbeit mit voller Kraft wieder aufnehmen zu können. Auch lässt er sich dabei von dem Druck aus den eigenen Reihe leiten (Mehrbelastung der anderen Kolleginnen und Kollegen) und hat oft eine Reihe direkter Eigeninteressen.
HR muss den unternehmerischen Weitblick im Spiel halten
Ob der eingestellte Kandidat unter veränderten Umständen zukünftig auch an anderer Stelle im Unternehmen eingesetzt werden könnte, ist für den Fachbereichsverantwortlichen von nachrangigem Interesse. Diesen unternehmerischen Weitblick allerdings muss die Personalabteilung aufbringen, wenn sie in diesem Prozess überhaupt langfristig eine Daseinsberechtigung haben will. Kandidaten, die ein Unternehmen aufgrund von kurzsichtigen Entscheidungen von Fachbereichsvertretern jahrelang mangels anderweitiger Einsetzbarkeit „durchschleppen“ muss, gibt es zuhauf.
Auch werden die Fachbereiche sowieso HR am Ende damit beauftragen, für eine entsprechende Versetzung und Umqualifizierung oder Freisetzung (Kündigung) zu sorgen. Warum sollte HR also nicht von vorn herein in diesem Fall die oberste Entscheidungshoheit haben?
Fazit
Sind sich die am Einstellungsprozess Beteiligten uneinig, so sollte HR die finale Entscheidung über die Einstellung oder Nicht-Einstellung verantworten. Im erstgenannten Fall müsste HR einen geeigneten Kandidaten, den ein Fachbereich ablehnt, an anderer Stelle ins Unternehmen holen. Umgekehrt dürfte sich HR nicht zum Werkzeug kurzfristiger Fachbereichsinteressen machen lassen, sondern müsste das langfristige unternehmerische Gesamtinteresse im Blick behalten.
Sie merken bereits den Konjunktiv im letzten Absatz, oder? Denn in wie weit einerseits HR diese Kompetenz unternehmensintern überhaupt zugestanden wird und andererseits der Personalbereich auf diesem sehr hohen Niveau Einstellungsmanagement betreibt, darf natürlich gerne hier diskutiert werden…