Im Rahmen einer Initiative des Beirats der HR-Messe Zukunft Personal erarbeiteten fünf Thinktanks Thesen zu verschiedenen Zukunftsaspekten der Personalarbeit. So auch zur Zukunft des Recruitings. Gerne stelle ich unsere Gedanken in diesem Beitrag überblicksartig aus meinem persönlichen Blickwinkel dar. Und liefere damit einen weiteren Impuls zur Diskussion.
Thinktanks zur Zukunft Personal Europe virtual
Seit über vier Jahren darf ich die Arbeit des Messebeirats der Zukunft Personal in meiner Rolle als Persoblogger aktiv unterstützen. Das Gremium hat die Aufgabe, die an den Messen beteiligten Stakeholder beratend bei strategischen Themen hinzuzuziehen. In diesem Rahmen vertrete ich die Gruppe der HR-Influencer und HR-Blogger zusammen mit Jan Kirchner. Da in diesem Jahr die Vor-Ort-Veranstaltungen der Zukunft Personal aufgrund der Corona-Krise ausfallen mussten, entstand die Idee einer virtuellen Messe.
Als Auftakt der fünf Tage vom 12.-16.10.2020 werden immer morgens die Ausarbeitungen der Thinktanks zu den jeweiligen Themen präsentiert. Im Thinktank zu Recruiting & Attraction (so der Name des offiziellen Themenfelds der Zukunft Personal) durfte ich zusammenarbeiten mit Madeleine Kern, Jens Bender, Jan Kirchner und David Vitrano.
Die fünf erarbeiteten Thesen, die ich im Folgenden lediglich anreißen kann, dienen als Diskussionsimpuls. Sie erheben weder einen Anspruch auf Vollständigkeit noch sind sie in der Tiefe ausgearbeitet oder über die Reihenfolge priorisiert. Meine Aufbereitung der Thesen ist zudem stark subjektiv geprägt und muss nicht in jedem Detail den Gedanken unseres Thinktanks entsprechen.
Um so mehr liefern sie Gesprächsanlässe, wie die Zukunft des Recruitings aussehen könnte.
Die 5 Thesen zur Zukunft des Recruitings
- Aktives Recruiting statt passive Suche
- People Analytics als Basis für Optimierungen
- Sinnvolles Zusammenspiel von Kompetenz und Persönlichkeit
- Humanzentrierte Digitalisierung
- Growth-Mindset statt Gatekeeper
These 1: Aktives Recruiting statt passive Suche
Der Kern dieser ersten These entstand aus den bekannten Gedanken rund um das Thema „post & pray“. Auch wenn Jobausschreibungen via klassischer Stellenanzeige entgegen immer wieder verkündeter Erfolgslosigkeit noch nicht „tot“ ist. Eine passive Ausschreibung und das Warten auf eingehende Bewerbungen, sind allein kaum mehr ein Heilsbringer. Selbst in Zeiten von Google for Jobs.
Schon die Tatsache, dass Stellenanzeigen Jobbörsen – Das lukrative Geschäft mit dem Recruiting und was Sie dazu wissen müssen nur einen Bruchteil des Marktes adressieren, nämlich den der aktiv Suchenden, treibt Personaler in die Aktivität. Einerseits reden wir dabei natürlich vom Active Sourcing. Hier hat übrigens XING zur Zukunft Personal Europe virtual 2020 ein für den Mittelstand interessantes Angebot auf den Markt gebracht.
Andererseits werden Zielgruppen heute vermehrt über Social Media auffindbar, weil sie immer mehr „Datenspuren“ hinterlassen. Gleichzeitig müssen sie immer spezifischer, ja individueller, gefunden und adressiert werden. Dabei nimmt der soziale Aspekt im Recruiting überdurchschnittlich viel Raum ein. Beispielsweise wenn es um den Aufbau und die Pflege von Beziehungen geht, Stichwort Talent-Relationship-Management.
These 2: People Analytics als Basis für Optimierungen
Selbst wenn Viele noch immer der Ansicht sind, die eigene Erfahrung, Intuition und das Bauchgefühl seien die besten Wegweiser: die Zukunft gehört den datengestützten Entscheidungen.
Die #Zukunft im #Recruiting gehört den datengestützten Entscheidungen bei der #Personalauswahl. Share on XSchon heute wissen Google, Amazon, Payback, Spotify, Netflix und Co oftmals mehr über uns als unsere Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz. Längst sind wir es gewohnt, Profile anzulegen, beispielsweise auf LinkedIn oder XING, und mehr oder minder gut zu pflegen. Es geht dabei einerseits um die eigene Sichtbarkeit mit Blick auf ein Gefunden-Werden durch andere. Andererseits darum, relevantere Informationen in unseren Feeds zu erhalten.
Konsequente Datenerhebung ist im Rahmen der Zukunft des Recruitings an zahlreichen Stellen der sogenannten Candidate Journey relevant. Es beginnt bei der unternehmensinternen Erhebung mit Blick auf Jobprofile, Jobanforderungen, Kompetenzen, ein strategisches Skillmanagement, Personalplanung und vieles mehr. Und mündet direkt in den Employer Branding- beziehungsweise Personalmarketing-Prozess als Startpunkt im Recruiting.
Programmatic Advertising im Recruiting, also das datengestützte Anzeigen und Bewerben von Arbeitgeberinhalten zum Zwecke der Personalgewinnung, ist ein Dienstleistungsfeld der Zukunft. Datengestützte Auswahlprozesse im Nachgang sorgen für Qualität vor Quantität. Selbstverständlich nur, wenn die dafür verwendeten Technologien für eine valide Prognosefähigkeit sorgen, nicht diskriminieren und fair sind.
Neben dem Datenschutz sind dabei auch zunehmend ethische Aspekte zu berücksichtigen. In Summe kann damit ein Big Data-, oder wie Prof. Gärtner in seinem Buch Smart HRM geschrieben hat, „smarter“ Ansatz, das Recruiting in eine neue Ära heben.
These 3: Sinnvolles Zusammenspiel von Kompetenz und Persönlichkeit
Schon heute wird in einigen Bereichen des Recruitings getestet und gemessen. Leider sind die dafür verwendeten Methoden und Tools oft wenig wissenschaftlich oder starke „Black Box Technologien“. Die Passung zum konkret ausgeschriebenen Job versuchen eine Vielzahl von Softwarelösungen heute schon zu matchen. Teilweise allerdings mit fragwürdigen Ergebnissen. Auch die Passung zum Unternehmen, der sogenannte „Cultural Fit“ rückt immer wieder in den Fokus.
Ein reines „Hire for attitude – train for skills” halten wir in unserem Thinktank allerdings für nicht zielführend. Vielmehr müssten eine Vielzahl weiterer Aspekte in die Frage einer Passung einbezogen werden, zum Beispiel der Group-Fit.
Um tatsächlich ein zielführendes Gesamt-Setting für ein Recruiting der Zukunft zu definieren, braucht es jedoch deutlich mehr Klarheit, Visualisierungen und feste Definitionen, was unter den jeweiligen Begriffen der Passung im spezifischen Unternehmenskontext zu verstehen ist.
Ein allgemeines, nicht unterscheidungsfähiges Marketing-Bla-Bla, das leider noch immer zu oft im Employer Branding anzutreffen ist, hilft hier nicht.
4. These: Humanzentrierte Digitalisierung
Zugegeben, eine Zeitlang hat es Spaß gemacht, Beiträge aus der Kategorie „Mensch gegen Maschine“ oder auch „KI vs. Mensch“ zu lesen. Auch ist es weiterhin hilfreich, sich Gedanken darüber zu machen, welche Jobprofile und Aufgaben zukünftig vermutlich effektiver und effizienter durch einen Bot übernommen werden könnten.
Trotzdem muss das Spiel mit der Angst der Menschen in diesem Zusammenhang aufhören!
Das Spiel mit der Angst der Menschen vor dem Einsatz von #KI im #HR muss aufhören. Share on XWir müssen uns als Personaler darauf besinnen, dass das „H“ in unserer Bezeichnung „HR“ weiterhin für Human steht. Nutzen wir also die Möglichkeiten der neuen digitalen Welt, um uns von den administrativen, langweiligen und in vielerlei Hinsicht auch wirtschaftlich sinnfreien Tätigkeiten mittelfristig zu befreien. Um mehr Zeit für die Menschen zu erhalten, die wir für unsere Unternehmen im Recruiting gewinnen wollen.
Digitale Recruiting-Lösungen via SaaS, also Software as a Service, aus der Cloud, können diese Errungenschaften auch kleineren Unternehmen oder Branchen zugänglich machen, die bislang wenig an der digitalen Transformation unseres Berufsfeldes teilhaben konnten.
Und um es nochmals auf den Punkt zu formulieren: Die Technologie darf nicht unser Feind sein. Lassen Sie uns -bildlich gesprochen- die neuen Möglichkeiten kritisch-wertschätzend „umarmen“. Wir haben es selbst in der Hand, die Digitalisierung weiter humanzentriert zu gestalten.
5. These: Growth-Mindset statt Gatekeeper
Dies führt uns auch gleich zur fünften These unseres Thinktanks. Sie hat mit dem im Recruiting zugrundeliegenden Mindset zu tun. Aufgrund jahrzehntelanger Erfahrungen in einem deutlich überwiegenden Arbeitgebermarkt hat sich bei vielen Personalern die sogenannte „Gatekeeper“-Mentalität etabliert. In sprichwörtlicher Türsteher-Mentalität („Du kommst hier nicht rein!“) gefangen, wird ein Übergang in das Recruiting der Zukunft nicht möglich sein.
Längst hat der Begriff der Augenhöhe Einzug in die Welt der Personalgewinnung gehalten. Unternehmen benennen gar ihre Personalabteilungen um oder definieren zumindest den Begriff HR neu. Beispielsweise als „Human Relations“. Diese Grundhaltung wäre auch der richtige Ansatzpunkt für eine Arbeitswelt, die bestimmt sein wird, durch ständigen Wandel und damit verbunden einem lebenslangen Lernen.
Zukünftig darf auch der Personalbereich beim Recruiting kein rein ausführender Dienstleister mehr sein. Stattdessen sollten sich Personaler und Fachbereiche als Partner im Recruiting sehen, die gemeinsam – jeder auf seine Weise – für das Unternehmen die passenden Talente (m/w/d) gewinnen. Inspirationen, wie dies gelingen kann, finden Sie zahlreiche hier auf meinem Portal.
Wir Personaler sind also mehr denn je gefordert, unsere Haltung anzupassen. Und zwar auf ein gemeinsames Wachsen, ein neues Miteinander, ja eine Entfaltung von Potentialen – ein wahrhaftiges Growth-Mindset. Dazu gehört aber auch, dass wir im Recruiting nicht länger die „eierlegende Wollmilchsau mit unglaublicher Berufserfahrung“ suchen. Stattdessen begegnen wir Menschen (nicht Profilen!), die mit uns gemeinsam in Richtung Zukunft wachsen.
Mein Fazit zu den 5 Thesen für das Recruiting der Zukunft
Die beschriebenen Aspekte mögen für manche Evangelisten der HR-Szene kein allzu weiter Wurf sein oder auch zu wenig revolutionär. Allerdings glaube ich, dass wir die all unsere Zukunftsbilder und entsprechende Debatten tatsächlich bewusst ein wenig „downgraden“ müssen. Schon alleine um anschlussfähig zu sein an unsere aktuelle Situation.
Die Menschen sehnen sich in einer Zeit des angeblichen „New Normal“ deutlich stärker nach Sicherheit. Zwar können unsere Thesen keine verlässlichen Aussagen über die tatsächliche Zukunft im Recruiting bieten, aber sie liefern unzählige Anlässe zur Diskussion.