Agilität ist in aller Munde. Mit zunehmender Veränderungsgeschwindigkeit in der Arbeitswelt müssen auch Denkweisen und Arbeitsmethoden angepasst werden. Dabei gibt es noch immer zahlreiche Missverständnisse, die dazu führen können, dass Unternehmen in der sog. „Agilisierungsfalle“ landen, sagt Joachim Rotzinger, Ingentis.
Agile Menschen machen noch kein agiles Unternehmen
Unternehmen investieren immens in die Agilisierung ihrer Belegschaften. Aber sie versäumen es, den nötigen Rahmen zu schaffen, in dem Menschen überhaupt agil arbeiten können. Was es dazu braucht und welche Rolle dabei Analytics-Methoden spielen, erläutert dieser Beitrag.
In den letzten Jahren hat sich Agilität zu einem regelrechten Zauberwort in der Unternehmenswelt entwickelt. Agile Methoden, wie Scrum und Kanban, haben sich vielerorts etabliert. Personalabteilungen investieren intensiv in Seminare, Workshops und Tools, um ihre Mitarbeitenden im agilen Denken und Handeln zu schulen.
Doch häufig wird dabei ein entscheidender Aspekt übersehen: Agile Menschen machen noch kein agiles Unternehmen. Im Gegenteil. Agile Menschen reiben sich an starren Strukturen auf. Es braucht daher flexiblere organisatorische Rahmenbedingungen, um den vollen Nutzen agiler Arbeitsweisen zu entfalten.
Organisationsdesign gewinnt an Bedeutung
Das aber hat Folgen. Starre Organisationsdesigns aus dem Industrie- und Bürokratiezeitalter passen nicht mehr ins agile Zeitalter. Denn agile Menschen arbeiten in Netzwerken, agieren zunehmend in wechselnden Rollen und gehören meist nur noch formal einer Linienorganisation an.
Daraus folgt zweierlei. Zum einen müssen solche überlappenden Strukturen geschaffen und aufeinander abgestimmt werden. Zum anderen müssen diese Strukturen immer noch überblickbar und steuerbar bleiben. Der Bundesverband der Personalmanager:innen fasst diese Herausforderung in seinen Jahresthesen 2024 in die Worte: „It’s the orga, stupid!“
Doch die Herausforderung lässt sich meistern. Dann nämlich, wenn man bei der Gestaltung, Abbildung und Steuerung des organisationalen Rahmens auf Analytics-Methoden und zeitgemäße Visualisierungsinstrumente setzt.
Spannungen zwischen agilen und starren Strukturen meistern
In der Praxis erleben wir als Anbieter von Software für Org Analytics, Org Design und Organigramme folgende Spannungsfelder:
- Hierarchien und Berichtswege: Hier treffen zwei Modelle aufeinander. Auf der einen Seite die klare Über- und Unterordnung von Positionen der Linienorganisation mit ihren durchgehenden Berichtslinien. Auf der anderen Seite immer häufiger „dotted lines“ einer Matrix- oder Projektorganisation. Manchmal sogar geht es schon um die Knotenpunkte in verzweigten Netzwerken. Und das Ganze ändert sich schnell und ständig.
- Stellenprofile vs. Skillprofile: Stellenprofile stammen aus der Welt der Linienorganisationen und sind für arbeitsrechtliche Fragen nach wie vor von großer Bedeutung. Sie legen fest, welche Kompetenzen und Qualifikationen für eine Stelle benötigt werden. Demgegenüber rekrutieren sich Projekte oder Netzwerke entlang der Skillprofile von Mitarbeitenden. Diese Mitarbeitenden übernehmen dann häufig Rollen, die eine Stelle gar nicht vorsieht. Beides muss nachgehalten und abgebildet werden. Beides muss entsprechend dargestellt werden, wenn man Einblick erhalten will, wie ein Unternehmen aufgestellt ist. Das eine beeinflusst zunehmend das andere.
- Zentrale vs. dezentrale Steuerung und Entscheidung: Auch hier konkurrieren zunehmend zwei Welten. Auf der einen Seite die Selbstorganisation in Teams, in die disziplinarische Vorgesetzte immer seltener eingreifen. Zum anderen Vorgaben und Entscheidungen, die von disziplinarischen Vorgesetzten eingesteuert werden. Das kann oft aus Gründen des Alignments und der Governance auch gar nicht anders sein.
- Ressourcenmanagement und Infrastruktur: Traditionelle, langfristig geplante Ressourcenallokation steht im Widerspruch zur Agilität, ist aber häufig die Regel. Agile Teams müssen jedoch in der Lage sein, schnell auf benötigte Ressourcen zuzugreifen, ohne auf bürokratische Hürden zu stoßen. Eine dynamische Ressourcenplanung einzuführen, die sich an den aktuellen Bedürfnissen und Prioritäten orientiert, ist hierfür unabdingbar.
Wie also können Unternehmen mit diesen Spannungen umgehen? Meine Antwort darauf lautet: Indem sie sie erstens besser verstehen und zweitens besser managen.
Was Org Analytics zur Agilisierung beitragen kann
Unternehmen verfügen über eine Fülle von Daten, die sie nutzen können, um die Verhältnisse zu analysieren und gezielte Verbesserungen vorzunehmen. Diese Analysen nehmen zum einen häufig den Menschen und seinen Beitrag zum Unternehmenserfolg unter die Lupe. Wir sprechen dann von People Analytics. Zum anderen können aber auch strukturelle Aspekte einer Organisation untersucht werden. Dann sprechen wir von „Organizational Analytics“ oder kurz „Org Analytics“.
Hier sind einige Fragestellungen, auf die Analytics-Methoden aus beiden Disziplinen Antworten geben können:
- Berichtswege und Verantwortlichkeiten: Wer seine HR-Stammdaten gut pflegt, um die nötigen Informationen anreichert, anschaulich visualisiert und effektiv auswertet, muss sich vor dem Nebeneinander von Strukturen in Organisationen nicht fürchten. Selbst in multinationalen und komplexen Organisationen kann man hier auf Knopfdruck und in real-time in der Linienorganisation genauso wie in der Projekt- oder Netzwerkorganisation auf dem Laufenden bleiben und die Zusammenhänge sichtbar machen.
- Mitarbeiterbefragungen und Feedback-Daten: Um die Herausforderungen in der betrieblichen Arbeitswelt zu verstehen, können Unternehmen Mitarbeiterumfragen und Feedback-Tools nutzen. Diese Daten helfen dabei, Engpässe und Frustrationen in den aktuellen Strukturen zu identifizieren. Oft geben Mitarbeitende wertvolle Einblicke, welche Prozesse sie ausbremsen und welche Entscheidungen beschleunigt werden sollten.
- Ressourcenanalyse und Kapazitätsplanung: Daten zur Ressourcennutzung geben Aufschluss darüber, ob die Allokation von Arbeitskräften und Budgets agil und flexibel genug ist. Unternehmen können diese Daten nutzen, um dynamische Allokationsmodelle zu entwickeln, die es Teams ermöglichen, auf sich verändernde Anforderungen zu reagieren, ohne auf Genehmigungen zu warten.
- Szenario-Analysen zur Optimierung der Organisationsstruktur: Mit modernen Tools für Analytics und Org Design können Unternehmen Szenario-Simulationen durchführen, um verschiedene Organisationsmodelle zu testen. Diese Simulationen helfen dabei, herauszufinden, welche Struktur am besten zu den spezifischen Anforderungen passt und wo Optimierungspotenziale bestehen. Außerdem zeigen sie, was sich an Parametern wie Führungsspanne, Alters- und Skillmix sowie Berichtslinien ändert, wenn man Einheiten zusammenlegt oder auseinanderdividiert.
Fazit: Agile Menschen brauchen flexible Strukturen – und HR kann diese gestalten
Daher gilt: Agile Menschen allein reichen nicht aus, um eine Organisation zukunftsfähig zu machen. Unternehmen müssen ihre Strukturen flexibilisieren, ihre Prozesse dynamisieren und mehr Entscheidungskompetenz an ihre Teams delegieren. Im Grunde geht es um eine doppelte Transformation: nämlich eine Transformation des Systems (Aufbau ambidextrer Strukturen, in denen eine Linienorganisation neben einer Matrix-/Projekt-/Netzwerkorganisation existiert) und eine Transformation im System (Vermittlung agiler Skills und eines agilen Mindsets sowie Einführung agiler Tools und neuer Spiel- und Verhaltensregeln im agilen Kontext).
Nur so kann die wahre Kraft agiler Methoden freigesetzt werden. Mithilfe von Analytics-Verfahren lassen sich diese Parallelstrukturen besser gestalten und effektiver managen. Auch gelingt es so verlässlicher starre Strukturen gezielt aufzubrechen und, wo nötig und sinnvoll, durch flexible, anpassungsfähige Systeme zu ersetzen.
Und wer allein kann das tun? Richtig: Die Personalfunktion im Unternehmen! Sie hat die nötigen Daten, versteht die Zusammenhänge und entdeckt zunehmend die Organisation als ergänzendes Betätigungsfeld neben der Arbeit mit und für die Menschen im Unternehmen. Nicht von ungefähr benennen sich immer mehr Personalabteilungen in „Personal und Organisation“ oder „People and Organization“ um.
Wer sich für den Analytics-Job mit den entsprechenden Tools auskennt, kann darüber hinaus recht komplexe Themen in kurzer Zeit durchdringen. Außerdem ist es möglich, in Dashboards und Grafiken die Erkenntnisse so aufzubereiten, dass auch Top- und Linienmanager damit gut arbeiten können. Die Chance sollten Personalprofis dringend nützen.
Dann – und nur dann wird es auch gelingen, Agilität auf allen Ebenen der Organisation zu verankern und dennoch den Anforderungen an gewachsene Linienstrukturen gerecht zu werden. Nur Unternehmen, die diesen Spagat meistern, werden auch die Potenziale heben, die in der Agilisierung ihrer Mitarbeitenden und ihrer Prozesse schlummern.
Sie werden mit einer leistungsfähigeren, innovativeren und zukunftsfähigeren Organisation belohnt.