HR-Startup FYLTURA im Interview: Persönlichkeitstests und Codingtests für Softwareentwickler

HR-Startup FYLTURA: Testverfahren für Softwareentwickler

Das HR-Startup FYLTURA bietet Persönlichkeitstests sowie Leistungstests für Softwareentwickler. In der Kombination aus Persönlichkeit und Coding-Skills wollen die Gründer auf wissenschaftlicher Basis die Personalauswahl der Unternehmen verbessern. Mitgründerin Anne Cathrin Becker im Interview mit mir.

Was bietet das HR-Startup FLYTURA

 Hallo Anne-Cathrin, magst Du Euch und FYLTURA bitte kurz selbst vorstellen?

Sehr gern, Stefan. Mein Geschäftsführer-Kollege Christoph und ich sind beruflich als auch privat seit einigen Jahren ein Spitzenteam *lacht*

In unseren vorhergehenden Jobs als CTO und Personalverantwortliche in IT-Unternehmen haben wir gemeinsam Hunderte von Bewerbern (m/w/d) gesucht, gefunden und eingestellt. Eine ziemlich herausfordernde Aufgabe insbesondere im Hinblick auf den Fachkräftemangel. Erschwerend hinzu kam ein langwieriger, kostspieliger und ressourcenbindender Recruitingprozess. Das mussten wir einfach ändern!

Mich persönlich hat es immer ziemlich gewurmt, dass ich grundsätzlich erstmal auf die Aussagen der Bewerber vertrauen musste und einen guten von einem schlechten Softwareentwickler nicht eigenständig unterscheiden konnte. Somit war die Idee zu FYLTURA geboren, mittels Testverfahren eine datenbasierte Personalauswahl zu ermöglichen.

Mehr Wissenschaftlichkeit in der Personalauswahl

Den Ansatz mehr Wissenschaftlichkeit in die Personalauswahl zu bringen, finde ich sehr gut. Wie geht Eurer Ansicht nach das Thema „6-stündiger Programmiertest“, vielleicht sogar kombiniert mit einem Persönlichkeitstest, mit der Erwartung der Bewerber zusammen? Viele davon im Tech-Umfeld gehören ja eher zur sogenannten „Engpasszielgruppe“, Stichwort: Fachkräftemangel.

Joel Spolsky, der Gründer der bei Entwicklerinnen und Entwickler bekannten Plattform Stack Overflow hat zum Thema folgendes gesagt: „Would you hire a magician without asking them to show you some magic tricks? Of course not! Would you hire a caterer for your wedding without tasting their food? I doubt it. Do whatever you want during interviews, but make the candidate write some code.“

Da hat der gute Joel Spolsy wohl recht!

Absolut treffend formuliert und nachvollziehbar, nicht wahr? Na klar, die Coding-Tests sind umfangreich. Aber dadurch hat der Test eine sehr hohe Aussagekraft über Fähigkeiten sowie die künftige Arbeitsqualität und Gewissenhaftigkeit einer Kandidatin.

Die 30-Minuten-Tests anderer Anbieter halten wir hingegen für wenig aussagekräftig. Zudem können die Lösungen meist gegoogelt werden. Im Prinzip ist es doch für ein Unternehmen weitaus kostspieliger, allein auf das Bauchgefühl Einzelner zu vertrauen und ungeeignete Bewerber einzustellen. Und seien wir mal ehrlich: Wer möchte eine Person im Team haben, die sich weigert, ihre Coding Skills unter Beweis zu stellen?

Softwareentwickler wollen ihr Können unter Beweis stellen

Unsere Statistik zeigt, dass bisher von knapp 90% der Kandidatinnen der Programmiertests auch brav absolviert wurde.

Werden beide Testverfahren kombiniert, können neben arbeitsrelevanten Kenntnissen und Fertigkeiten von Kandidaten auch deren persönliche Interessen und Verhaltensweisen, die höchstwahrscheinlich auch im Arbeitsalltag gezeigt werden, erfasst werden. Selbst wenn sich ein Unternehmen schlussendlich gegen einen Bewerber entscheidet, hinterlässt dieses Unternehmen einen sehr guten und professionellen Eindruck in Verbindung mit der Arbeitgebermarke.

Für ein effektives Recruiting spricht absolut viel dafür, beherzter zu sein und aussagekräftige Instrumente in der Personalauswahl einzusetzen. Gute Bewerberinnen scheuen unserer Erfahrung nach anspruchsvolle Auswahlverfahren nicht.

Wer die Besten sucht und einen schnellen und effektiven Auswahlprozess für das Mittel der Wahl hält, der kommt an uns nicht vorbei. *lacht*

Persönlichkeit und Job-Passung

Lässt sich von der Persönlichkeit wirklich so einfach auf einen konkreten Job-Fit schließen? Wie geht Ihr hier konkret vor?

Kurz gesagt: Ja. Beispielsweise besitzt die Gewissenhaftigkeit eines Menschen eine sehr hohe Vorhersagekraft über seine künftige Leistungsfähigkeit. Wir benutzen bei FYLTURA das Fünf-Faktoren-Modell. Dessen zufolge existieren fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit und jeder Mensch lässt sich auf folgenden Skalen einordnen:

  • Offenheit für Erfahrungen (Aufgeschlossenheit)
  • Gewissenhaftigkeit (Perfektionismus)
  • Extraversion (Geselligkeit)
  • Verträglichkeit (Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, Empathie)
  • Neurotizismus (emotionale Labilität und Verletzlichkeit)

Das Fünf-Faktoren-Modell

Nicht alle Eigenschaften sind zwingend entscheidend oder relevant für beruflichen Erfolg. So sollte beispielsweise eine Krankenschwester besser bei den Facetten Offenheit und Verträglichkeit abschneiden, als ein Statiker, der beruflich weniger mit Menschen oder Veränderungen zu tun hat.

In zahlreichen Studien hat sich gezeigt, dass Persönlichkeitseigenschaften Verhaltensweisen beeinflussen und über die Zeit relativ stabil bleiben. Aus dem Grund ist es mithilfe des Fünf-Faktoren-Modells möglich, Einschätzungen bezüglich der zukünftigen Leistung einer Kandidatin und damit auch der Eignung für eine bestimmte Tätigkeit zu treffen.

Der entscheidende Vorteil von Persönlichkeitstests ist, dass sie neben einem objektiven Eindruck auch eine effiziente Personalauswahl ermöglichen. Werden Persönlichkeitstest zusätzlich zu anderen Verfahren eingesetzt, können sie das Bewerberbild abrunden und die Auswahl von nicht geeigneten KandidatInnen verhindern. Die Personaler entscheiden schlussendlich, wer gut ins Unternehmen passt und wer nicht. Wir liefern lediglich die Daten und erleichtern damit die Auswahlentscheidung.

Teampassung und Diversity sind vereinbar

Eine Team-Passung beruht in der Regel auf Ähnlichkeit. Mit Blick auf Diversity wäre eine zu hohe Ähnlichkeit allerdings ebenfalls schädlich. Wie löst Ihr dieses Thema in Eurer Applikation?

Wir gehen beim Team-Fit mit FYLTURA eher den Weg, eine mögliche Nicht-Passung zu erkennen. Diese Information stellen wir bereit und ermöglichen somit überhaupt erst eine objektive, datenbasierte Entscheidung. Um im Unternehmen ein derartiges Ergebnis zu erhalten, müsste theoretisch das ganze Team in ein Jobinterview mit einbezogen werden. Das dauert natürlich viel länger und führt definitiv dazu, dass man „unter sich” bleibt.

Team-Fit entsteht auf der anderen Seite auch erst dadurch, dass es ein Team gibt. In der Regel existiert dort eine Bandbreite an Persönlichkeiten, die auch andere Persönlichkeiten zulässt. Wie divers man sein Unternehmen gestalten möchte, hängt nicht von uns ab. Wir weisen lediglich darauf hin, bei welchen Konstellationen es zu Spannungen kommen kann.

Prozessuale Anbindung von FYLTURA an ATS

Die Prozesse in großen Unternehmen laufen oft über digitale Systeme, wie zum Beispiel Bewerbermanagement-Systeme (ATS). Wie vermeidet Ihr die Pflege von Bewerbern in zwei unterschiedlichen Systemen?

Integrationen in bekannte ATS wollen wir bis Jahresende umgesetzt haben. Im Übrigen bieten wir selbst eine FYLTRURA API an, so dass interessierte Kunden uns gern direkt anbinden können.

Aktuell sind wir noch eine kleine Insel. Allerdings benötigen wir von den Bewerbern lediglich die Angabe des Vornamens für die persönliche Ansprache als Option. Unsere Ergebnisse können einfach als PDF-Datei verarbeitet werden. Somit ist der Mehraufwand für Unternehmen und Bewerber wirklich sehr gering, der Nutzen aber hoch. Wir sind außerdem sparsam im Umgang mit persönlichen Daten.

Diskriminierungen beim Matching vermeiden

Anforderungen an Jobs unterliegen häufig einem Bias. Wenn Ihr mit Euren Tests nun gegen diese Anforderungsprofile matcht, wie vermeidet Ihr (weitere) Verzerrungen oder gar Diskriminierungen?

Bei den Persönlichkeitstests gibt es immer ein zugrundeliegendes Anforderungsprofil, welches vom Recruiter ausgewählt werden muss. Dieses ist so gestaltet, dass ausschließlich relevante Aspekte der Persönlichkeit berücksichtigt und angezeigt werden. Beispielsweise wird bei uns nie angegeben, wie altruistisch eine Person ist, weil es schlichtweg irrelevant für einen Job ist.

Die vorgegebenen Profile sorgen auch dafür, dass sich die Personaler eben nicht die „Wunschpersönlichkeit” zusammenbaut, sondern eine objektive Auswertung stattfindet. Die Alternative zum Test ist das persönliche Gespräch. Dieses ist jedoch immer mit einer Voreingenommenheit belastet. Es empfiehlt sich, Testverfahren vor einem persönlichen Vorstellungsgespräch durchzuführen. Ungeeignete Bewerber lassen sich so schon früh im Prozess erkennen. Ebenso können Elemente aus den Tests im Gespräch nochmal aufgegriffen werden.

Beim Programmiertest sehen wir nur den geschriebenen Code. Das Testverfahren erfolgt völlig anonym. Das bedeutet, wir kennen die Kandidatinnen nicht und erhalten keinerlei Informationen. Dadurch ermöglichen wir eine objektive, aber menschliche Bewertung der erbrachten Leistungen. Das Menschliche ist uns sehr wichtig, da auch beim Programmieren vielfach abgewogen werden muss. Aufgrund unzähliger Lösungsansätze kann ein Algorithmus komplexe Zusammenhänge oftmals nicht nachvollziehen.

Pay as you go – das Preissystem von FYLTURA

Euer Preissystem sieht recht fair aus: „Pay as you go“ nennt Ihr es. Was bedeutet das für Euch und was haben Eure Kunden davon? 

Wir erbringen als FYLTURA stets die beste Leistung und möchten unsere Kunden von uns überzeugen. Für unsere Kunden ist dieses vertragsungebundene Modell die  fairste Zahlungsmethode überhaupt. Denn es wird nur die Leistung bezahlt, die auch in Anspruch genommen wurde. Wird ein Kandidat zu einem Test eingeladen, schreibt aber keinen Code, dann rechnen wir auch nichts ab. Ich wünsche mir mehr solcher Zahlungsmodelle.

Ausbaustufen für das FYLTURA-System

 Welche weiteren Ausbaustufen seht Ihr für Eure Anwendung in der Zukunft?

Den Persönlichkeitstest für die Kandidatinnen bieten wir bislang auf Deutsch und Englisch an. Zeitnah soll der Persönlichkeitstest um weitere 20 Sprachen erweitert werden. Wir arbeiten zudem kontinuierlich daran, die Auswahl an Job-Profilen zu vergrößern. Ebenso fügen wir weitere Programmiertests hinzu. Aktuell geht es in Richtung Data Science und Machine Learning. Unser FYLTURA Ziel ist es, unseren Kunden bis Jahresende eine Team-Fit-Analyse anbieten zu können.

Mehr Mut zu Testverfahren im Recruiting!

Gibt es noch eine Botschaft, die Ihr meinen Leserinnen und Lesern gerne zukommen lassen möchtest?

Testen stärkt die Kompetenz der Personalabteilung im Recruiting, entlastet die Fachabteilungen und beschleunigt den gesamten Bewerbungsprozess. Als nur Mut, liebe Recruiterinnen und Recruiter!

Vielen Dank für das spannende Gespräch und viel Erfolg für FYLTURA!

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Über die Interviewte

Anne Cathrin Becker: Co-Founder von FYLTURA

 

Anne-Cathrin Becker greift als Human Resources Manager im Konzernumfeld als auch in mehreren Startups auf Erfahrung im Personalmanagement mit den Schwerpunkten Personalbeschaffung und -entwicklung zurück.

2017 hat sie die Personaldienstleistungsagentur „get a MINT” mitgegründet. get a MINT gibt Unternehmen interimsmäßig Starthilfe für den Auf- und Ausbau der eigenen Personalstrukturen.

Seit 2020 ist sie Geschäftsführerin bei Expert Sieve, dem Unternehmen hinter FYLTURA.

>> Zur Website von FYLTURA

 

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Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer (Personalmagazin 05/22) betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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