unconscious implicit bias - Wahrnehmungsfehler im Recruiting vermeiden

Unconscious / Implicit Bias: Wahrnehmungsfehler im Recruiting vermeiden

Die Begriffe Unconscious oder Implicit Bias tauchen in HR-Literatur rund um Recruiting mit hoher Regelmäßigkeit auf. Insbesondere bei den aktuellen Diskussionen rund um Diversity und Inklusion spielt das Wissen um diese eine große Rolle. Grund genug, einen praxisbezogenen Artikel dazu zu schreiben.

Was bedeutet Unconscious / Implicit Bias?

Bias meint kognitive Verzerrungseffekte mit Einfluss auf die Wahrnehmung und das Verhalten. Zugrunde liegen dabei Vorannahmen, persönliche Haltungen oder auch Stereotype. Von Implicit Bias spricht man dabei, wenn die Wahrnehmung auf einem Kategorie-Denken beruht. Ist dies der betreffenden Person nicht bewusst, so spricht man von Unconscious Bias.

Besonders wichtig dabei ist die Erkenntnis, dass wir Menschen unsere Umwelt nie vollkommen objektiv wahrnehmen, sondern nur ein subjektives Bild davon konstruieren auf Basis unserer Haltungen und Erfahrungen. Mit diesem Tenor habe ich bereits im Jahr 2014 zur Anfangszeit meiner Blogger-Karriere den Artikel „Warum im Employer Branding nie die Wahrheit gezeigt wird“ verfasst.

In der Recruiting-Praxis besonders greifbar werden die Effekte rund um Unconscious und Implicit Bias im Bereich Gender oder auch ethnischer Herkunft. Spontane Assoziationen zu Menschen mit einer von der eigenen abweichenden Hautfarbe oder gegenüber Geschlechtern allgemein, fördern eine Vielzahl von diskriminierenden Verhaltenstendenzen.

Welche Auswirkungen haben diese Effekte im Recruiting?

Vor allem der Recruiting-Prozess ist besonders anfällig für solche Wahrnehmungsverzerrungen. Immerhin versuchen Personalerinnen und Personaler zusammen mit den Fachbereichen im Rahmen der Personalauswahl die Menschen hinter den Bewerbungsunterlagen einzuschätzen. Dabei streben Sie oft ihrerseits eine Kategorisierung an, zum Beispiel in A-, B- oder C-Profile. Bereits auf ein gewisses Schubladen-Denken gepolt, ist die Gefahr von Implicit Biases hier sehr hoch.

So wurde in einer Metastudie von 28 Einzelstudien mit zusammen annähernd 56.000 Teilnehmenden schon 2017 festgestellt, dass in Recruiting-Verfahren die Chancen auf eine Einstellung bei ansonsten gleichen Profilen, zum Beispiel stark abhängig ist von der ethnischen Herkunft der Sich-Bewerbenden. Über den (in Deutschland negativen) Einfluss eines Kopftuchs beim Bewerbungsfoto, habe ich bereits im Artikel zu Alltagsrassismus ausführlicher geschrieben.

Ähnliches gilt für Geschlechter, Behinderungen oder auch das Aussehen der sich bewerbenden Personen.

Wie Implicit oder Unconscious Bias vermeiden?

Die große Frage ist, wie Sie Implicit beziehungsweise Unconscious Bias bei der Personalauswal vermeiden können.

Lassen sich Biases „verlernen“?

In der neueren HR-Literatur taucht im wieder der Begriff „unlearn“. Wenn alte Verknüpfungen gelöst werden, kann neues Denken entstehen. Aber gilt das auch für Implicit beziehungsweise Unconscious Biases?

Versuche, bei denen dieses Kategoriedenken aufgebrochen werden sollte durch fiktive Szenarien, zeigten keinen dauerhaften Erfolg. Kurzfristig war es zwar möglich, Assoziationen „neu zu programmieren“. Langfristig konnten in Masse aber keine tiefgreifenden Veränderungen erzielt werden. Dies zeigt deutlich, dass Implicit Biases sehr tief in uns Menschen verwurzelt sind und bis zu unserer eigenen Erziehung und Erfahrungen im Kindesalter zurückreichen.

Es beginnt mit Selbstreflexion

Wenn sich also Implicit Biases nicht oder nur sehr schwer verlernen lassen, werden an der Personalauswahl beteiligte Personen nicht umhinkommen, erst einmal ein Bewusstsein für diese Effekte zu erzeugen. Dabei helfen kostenfreie Testverfahren wie die des Project Implicit ®.

Derzeit sind 14 einzelne Testverfahren (unter anderem nach Herkunft, Hautfarbe, Alter, Geschlecht, Gewicht, Religion und Sexualität) hinterlegt. Nach deren Abschluss bekommen Sie aufgezeigt, wie stark sie entsprechenden Kategorisierungen unterliegen.

Wie so oft beginnen Verhaltensänderungen folglich mit einer grundlegenden Selbstreflexion.

Rahmenbedingungen für diskriminierungsfreies Recruiting

Letztlich müssen aber auch Organisationen selbst Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Effekte aufgrund von Implicit bzw. Unconscious Bias im Recruiting-Prozess minimiert werden.

Eine besondere Rolle spielt dabei die DIN 33430 zur Anforderung berufsbezogener Auswahldiagnostik. Denn je stärker Prozesse professionell standardisiert sind, umso geringer sind subjektive Wahrnehmungsverzerrungen Einzelner. Tendenziell hilft es dabei möglichst strukturierte Interview-Verfahren einzusetzen. Zum Nutzen von hochstrukturierten Interviews habe ich bereits 2018 geschrieben.

Systematisierung des Recruitings – das klingt leichter als es sich in der Praxis oft darstellt. Denn selbst wenn das Wissen darum vorhanden ist, sind HR-Bereiche -allen voran Recruiting- häufig operativ mehr als ausgelastet und laufen durchgängig unter Hochlast. Anforderungsbezogene, hochgradig strukturierte Prozesse benötigen aber Zeit und Kapazität.

Als Folge davon werden im Arbeitsalltag entweder Entscheidungen zu lange verzögert (in Kürze dazu die Podcast-Folge Klartext HR #31 zur Entscheidungsschwäche bei Führungskräften) oder auf Basis unzureichender Informationen getroffen. Kommen dazu noch die Auswirkungen von Implicit oder Unconscious Bias, trifft mein provokativer Ausspruch „Personaler, verlost Eure Jobs!“, den ich 2017 als Titel für einen Beitrag verwendet habe, durchaus zu.

Einsatz von Algorithmen und künstlicher Intelligenz

Eine weitere in diesem Zusammenhang oft vorgeschlagene Lösung ist der Einsatz von Algorithmen und künstlicher Intelligenz. Um Entscheidungen im Recruiting zu verobjektivieren, ist digitale Technik jedoch nur geeignet, wenn sie nicht lediglich die Biases der Menschen repliziert. Dies hängt stark mit der jeweiligen Programmierung und dem Trainieren auf Basis von Echtdaten zusammen.

Zur potentiell gar Diskriminierung verstärkenden Wirkung von künstlicher Intelligenz finden sich ebenfalls bereits zahlreiche Beispiele auf meiner Seite.

Auch der Einsatz von anonymen Bewerbungsverfahren verlagert diskriminierende Effekte wie Implicit Bias nur einen Prozessschritt nach hinten – bis zum persönlichen Kennenlernen. Es hilft also wenig: Sie müssen sich mit diesen Themen intensiv in Ihrem Recruiting-Alltag befassen.

Fazit zu Implicit und Unconscious Bias im Recruiting

Menschen arbeiten schon immer mit Kategorien und entsprechendem Schubladen-Denken. Was früher zu Zeiten einer schnellen Freund-Feind-Erkennung noch recht hilfreich war, ist in einer zunehmend globalisierten und diversen VUCA-Welt eher hinderlich.

In jedem Fall hilft es, Einstellungsentscheidungen auf eine Mehrzahl von Personen zu verteilen, die ihrerseits nach Diversitätskriterien zusammengestellt wurde. Zusammen mit einem strukturierten, auf die Vermeidung von Biases jeder Art ausgerichteten Prozess, können bewusstmachende Schulungs- und Trainingsangebote ihren Teil dazu beitragen, dass Sie Ihre Recruiting-Aktivitäten professionell und nicht-diskriminierend durchführen.

Mehr zum Thema eignungsdiagnostische Verfahren sowie ein Leitfaden zur Auswahl professioneller Tools findet sich bereits auf meiner Seite. – Möglicherweise hilft auch eine Mitgliedschaft im Verein recruitingrebels e.V., über den ich hier berichtet habe.

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Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer (Personalmagazin 05/22) betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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