Social Media hat in den letzten Jahren seinen Siegeszug weiter fortgesetzt. Doch seit einiger Zeit scheinen sich die Rahmenbedingungen komplett zu ändern. Meine Beobachtungen versuche ich in dieser kritischen Analyse zusammenführen. Und zu erläutern, warum das „Social“ in Social Media verloren geht und der Trend in Richtung Creator Media geht.
Social Media – als das „Mitmach-Internet“ durchstartete
Tatsächlich gab es mal eine Zeit, in der Internet vor allem Schaufenster-Qualitäten hatte. Einige wenige Anbieter hatten -aus heutiger Sicht höchst rudimentäre- Webseiten. Menschen konsumierten dort vor allem Informationen und Wissen.
Erste Rückkanäle wurden über sogenannte Gästebuch-Einträge (ja, das gab es wirklich, liebe Generation Z!) eröffnet. Leserinnen und Leser konnten damit aus der anonymen Masse emporsteigen und Sichtbarkeit generieren. Damals nur mit einem Namen und einer E-Mail-Adresse.
Mit dem Siegeszug der DSL-Verbindungen wurden die bis dato vorherrschenden Modems eingemottet. Ich habe allerdings bis heute die schrille Kakophonie meines 56K-Gerätes bei der Einwahl im Ohr. Statt Datenvolumen wurde zu dieser Zeit noch nach Zeit abgerechnet. Als die Bandbreite dafür möglich war, entstanden relativ schnell multimediale Portale – und eben Social Media Plattformen.
Vom Traum einer „Demokratisierung“ der Meinungsäußerung
Hatte in den Jahrhunderten zuvor stets nur eine geringe Anzahl von Menschen das Geld beziehungsweise die Macht, um neben Informationen auch eigene Meinungen an eine größere Allgemeinheit zu senden, änderte Social Media die Rahmenbedingungen. Aufgrund der hohen disruptiven Kraft der Veränderung, träumten viele Marktteilnehmer von einer regelrechten „Demokratisierung“ der Meinungsäußerung. Dann wenn jeder Mensch mit Internetzugang alles selbst veröffentlichen und verbreiten könne, sei die Macht der Wenigen gebrochen.
Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen eine Fehleinschätzung. Oder doch nur die neuerliche Veränderung von Geschäftsmodellen? Denn Social Media wird zwar vordergründig immer noch gerne als Vehikel zur Stärkung der Weltgemeinschaft verkauft. Jedoch schon der zweite Blick offenbart, dass stets Monetarisierungs-Ideen früher oder später dominierten.
Das ist per se nicht verwerflich, zumal die meisten Social Media Portale ihre Leistungen kostenlos anpreisen. Wobei wir längst wissen: Wenn eine digitale Leistung kostenfrei zu sein scheint, „bezahlen“ User letztlich mit ihren Daten. Und die steigen kontinuierlich im Wert. Vor allem wenn sie zu Profilen verdichtet und personalisiert werden.
Social Media im Unternehmens-Kontext
Auch oder gerade Unternehmen haben schnell neue Märkte für ihr Marketing oder ihren Vertrieb von Leistungen via Social Media gefunden. Und vor allem in den letzten Jahren kamen im Rahmen der digitalen Transformation vieler Unternehmen weitere Einsatzgebiete dazu: Employer Branding via Corporate Influencer beispielsweise oder auch Social Recruiting und Social Selling.
Ja, selbst Führung wurde immer häufiger in den Kontext von Social Media gestellt. Dazu gibt es zahlreiche Tipps und Tricks, wie Führungskräfte ihre eigene Marke aufbauen – wozu viele übrigens auch Recruitern und Recruiterinnen geraten haben.
Also alles wunderbar social? – Zweifel sind angebracht.
Social meint nicht gleichermaßen sozial
Schon 2013 in den Anfängen von PERSOBLOGGER.DE haderte ich mit der Bezeichnung „social“ – allerdings im Zusammenhang mit Social Recruiting. Und fragte: „Wie sozial ist Social Recruiting wirklich?“. Zugegeben: der Begriff „social“ lässt sich sowieso nicht 1:1 mit dem deutschen Wort „sozial“ übersetzen. Und schon gar nicht mit einer positiven impliziten Wertung, wie sie beispielsweise im Begriff „soziale Marktwirtschaft“ steckt.
Stattdessen spielt der Wortbestandteil „social“ vor allem auf den Aspekt der zwischenmenschlichen Beziehungen an. Das, was den Wechsel einer one-to-many Kommunikation (auch 1:n genannt) hin zu einer many-to-many (n:n) Kommunikation meint.
Und genau diese charakterisierende Eigenschaft von Social Media scheint nun in Auflösung zu geraten. Mit der Folge einer (neuerlichen) Creator Media Welt.
Was bedeutet Creator Media?
Mit dem Begriffspaar „Creator Media“ nehme ich den Begriff des Social aus Social Media und ersetze ihn durch Creator. Denn genau das passiert gerade im großen Stil – mit sich deutlich abzeichnenden massiven Umwälzungen.
Was aber meint das Wort Creator in diesem Sinne?
Dazu hilft vermutlich eine Definition des Begriffs Creator. Unter einem Content Creator versteht man generell eine Person, die einen medialen Inhalt für eine Zielgruppe erstellt. Grob übersetzt könnte man sich auch als „Medienschaffende“ übersetzen. Wobei mir der Begriff reichlich formalisiert und irgendwie spießig vorkommt. Aber egal.
Im weiteren Sinne wären dann jedoch erst einmal alle, die eigene Inhalte wie Bilder, Texte, Kompositionen, Videos und so weiter in gewisser Regelmäßigkeit auf Social Media veröffentlichen Content Creator.
Allerdings wird der Begriff Creator im engeren Sinne immer häufiger für eine kleine Anzahl von besonders erfolgreichen Menschen verwendet, die auch englisch als Influencer bezeichnet werden. Damit rückt der Kreations-Gedanke stärker ab von seiner allgemeingültigen Definition, als auf den ersten Blick ersichtlich ist.
XING startete schon früh seine „Insider“
Die Plattform XING als Teil der New Work SE ist ein schönes Beispiel, wie Social Media sich im Zeitverlauf verändert hat. Als tatsächliches Kontaktnetzwerk gestartet, bauten die Hamburger stetig neue Geschäftsmodelle rund um die Themen Recruiting, Employer Branding und New Work auf. Der Aspekt der gegenseitigen Vernetzung und Social Media Interaktion hat zusätzlich gelitten mit der Einführung sogenannter XING Insider. Diese Autorengruppe (m/w/d) konnte als eine frühe Form von Influencern kuratierten Inhalt mit höherer Reichweite liefern. Bis heute erscheinen auch die Branchen-News-Services (seit kurzem habe ich hier auch einen eigenen XING-News-Kanal) irgendwie „verlagsmäßig“ und erinnern an das Konzept One-to-many.
Auch LinkedIn ist im Creator Media Modus angekommen
Werfen wir mal einen Blick rüber zu LinkedIn. Als Pendant zu den ebenfalls gehypten „XING Spitzenwritern“ gibt es auf LinkedIn die sogenannten „LinkedIn Voices“. Damit werden besonders aktive Content Creator namentlich geehrt und hervorgehoben. Was zu einem weiteren starken Wachstum an Bekanntheit und damit an wiederum deutlich mehr Followern führt.
Soweit so gut.
Der LinkedIn Creator Mode
Ein nächster Schritt hin zu Creator Media war die Einführung des LinkedIn Creator Mode. Dieses neue Feature wurde ohne großen Medienrummel eingeführt. Trotzdem habe ich mein eigenes LinkedIn-Profil recht schnell nach der Einführung im Frühjahr 2021 auf eben jeden Modus umgestellt.
Was kann der LinkedIn Creator Mode?
Die Umstellung des eigenen Profils auf den LinkedIn Creator Mode ist schnell erledigt. Nach dem entsprechenden Klick in den Einstellungen wird nunmehr als präferierte Kontakt-Option nicht mehr das „Vernetzen“ angeboten. Vielmehr wird Vernetzungswilligen ein „Folgen“ angepriesen. Der Unterschied ist erheblich: Während ein „Vernetzen“ bedeutet, dass die Postings beider im gegenseitigen Feed erscheinen, sorgt Followership lediglich dafür, dass die eigenen Inhalte beim Follower eingeblendet werden. Informationen über die Followerin finden sich im eigenen Newsfeed hingegen nicht.
Ziel der Einführung des Creater Mode kann es dabei nur gewesen sein, die Reichweite eben jener Content KreatorInnen zu erhöhen. Denn das Folgen ist ein reines Info-Abonnement und bedarf keiner Zustimmung und Gegenseitigkeit.
Nach meiner längeren Vorrede weiter oben merken aber sicher schon, wohin diese Entwicklung führen wird, oder?
Alle Plattformen positionieren sich weiter gen Creator Media
Schauen wir mal weiter auf Plattformen wie Instagram, Twitter, TikTok, aber auch YouTube und Co, verdichtet sich mein Eindruck deutlich. Zahlreiche spannende Features sind dort erst aber einer gewissen Followerzahl möglich. Viel hilft also viel. Auch wenn Influencer in Talk oft beschwichtigend von „Content is king“ (oder queen) reden und sich auf einen Qualitätsaspekt zurückziehen, ist längst klar, dass jedes „Mehr“ im Bereich Social Media, Verzeihung „Creator Media“, besser ist.
Twitter bietet den blauen Haken, TikTok promotet eigene Content Creator stärker und auf YouTube mit einem neuen Channel erfolgreich zu werden, ist alles andere als leicht.
Darauf habe ich vor ein paar Tagen TikTok-Influencer Tobias Jost, alias Karriere-Guru in einem unserer New-Austausch-Termine angesprochen. Auch er und andere Content Creator spüren die zunehmende Macht der ganz großen Influencer und funktional deutlich privilegierten „neuen Elite“. – dazu in Kürze mehr.
Warum Plattformen den Creator Media Trend begrüßen
Stellen wir uns weiter die Frage, warum sich dieser Trend zurück zur Begünstigung von einigen wenigen starken Meinungsmachern beschleunigt, fällt auf, dass die Plattformen letztlich davon profitieren.
Die heutige Social Media Welt, in der jeder Waldemar-Otto und jede Lia-Constanze ihre eigene Meinung, egal ob qualifiziert oder unqualifiziert, in die Welt hinaus posten können, ist aus Sicht der Kommunikation sehr fragmentiert. Es fehlt oftmals an Orientierung. Stattdessen erleben wir immer härtere und emotionalere Konfrontationen beispielsweise auf Twitter, die immer häufiger juristisch bedenklich sind. Auch YouTube kämpft mit einer Flut an Lösch-Anforderungen unrechtmäßiger oder gar verbotener Inhalte.
Aus Sicht der Plattformen ist folglich die Zusammenarbeit mit besonders erfolgreichen Kommunikatoren mit einer gewissen Credibility der jeweiligen Community nur von Vorteil. Zumal sich bei hohen Reichweiten von YouTubern auch leichter Werbung einbauen und verkaufen lässt, im Vergleich zu einer Vielzahl nur mäßig häufig aufgerufenen Videos einer Vielzahl von Usern.
Eine Masse an klick- und kaufwilligen Followern aller Geschlechter bei vergleichsweise wenigen von der Plattform unterstützen Content-Anbietern ist eine mögliche Folge. Und vermutlich gar das Ziel.
Mein Fazit zum Trend hin zu Creator Media
Was bedeutet das nun? Im Grunde ist es erst einmal meine sehr subjektive Sicht auf das, was passiert. Es ist eine Deutung. Allerdings kann diese helfen, ein Verständnis zu erlangen, wohin wir uns bei Social Media bewegen und warum.
Oder aber, Sie challengen meine Ansicht und ergänzen Sie. Aber bitte ohne gleich daraus in eine Art „Verschwörungstheorie“-Wahn zu verfallen oder vom „Ende der Demokratie oder der Meinungsfreiheit“ zu sprechen!