Nicht zuletzt durch die Corona-Krise hat HR in den letzten Monaten einen weiteren Schub in Richtung Digitalisierung im Personalwesen erhalten. Aber inwiefern ist Human Resources 4.0 oder auch digital HR bereits Realität? Und vor allem: Welche Potenziale können Personaler noch heben? Diese und weitere praxisrelevante Fragen beantwortet eine ausführliche aktuelle Studie, die ich zusätzlich kritisch kommentiere.
Studie der Universität Halle-Wittenberg zur Digitalisierung im Personalwesen
Im Folgenden erhalten Sie Einblicke in die Ergebnisse der Studie von Prof. Dr. Anne-Katrin Neyer und Felix Wirges, beide am Lehrstuhl für Personalwirtschaft und Business Governance an der Universität Halle-Wittenberg sowie Matthias Kunisch, Senator h.c. des Bundeswirtschaftssenats im Bundesverband Mittelständische Wirtschaft und Geschäftsführer der forcont business technology gmbh. Dabei wurden im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie Führungskräfte im Personalwesen, in der kaufmännischen Leitung und in der Geschäftsführung befragt, wie es um den Stand der Digitalisierung im Personalwesen aussieht.
Das Personalwesen im digitalen Umbruch
Der Human Resources-Bereich befindet sich im Umbruch. Dabei ist die digitale Transformation nur eine von zahlreichen großen und kleinen Herausforderungen. Angefangen bei dem Mangel an qualifizierten Fachkräften, der heute in den meisten Branchen deutlich spürbar ist, über den Wandel von HR-Berufsbildern bis hin zu den alltäglichen administrativen Aufgaben, die einen wesentlichen Teil der Arbeitszeit beanspruchen, sind Personalverantwortliche heute an so vielen Fronten gefordert wie nie zuvor.
Angesichts demografischer Veränderungen, dynamischer Arbeitsmärkte und gestiegener Erwartungen sowohl auf Seiten der Arbeitnehmer als auch der Unternehmen kommt dem HR-Bereich eine hohe Verantwortung zu.
So versuchen Unternehmen
- eine attraktive Arbeitgebermarke zu schaffen
- die richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen
- das bestehende Personal weiterzuentwickeln und
- es unter anderem für neue Arbeitsweisen und Software-Anwendungen fit zu machen.
- Darüber hinaus müssen HR-Manager die Digitalisierung von Personalprozessen vorantreiben, um die eigene Effektivität und Effizienz zu verbessern.
Die größten Herausforderungen für HR
Thema Nummer eins ist nach wie vor der Fachkräftemangel. Auf die Frage nach den drei wichtigsten strategischen Aufgaben des HR-Bereichs nannte ein Drittel der Befragten (34%) das Gewinnen von qualifiziertem Personal. Dicht dahinter folgten mit einem weiteren Drittel (33%) die Digitalisierung und Automatisierung von Personalprozessen. Das Begleiten unternehmensinterner Veränderungen (26%), das Senken des administrativen Aufwands und das langfristige Binden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (beide 25%) sind ebenfalls drängende Aufgaben.
Operative Aufgaben als größte HR-Zeitfresser
HR versucht (zurecht) in den letzten Jahren vermehrt als strategischer Partner des Business wahrgenommen zu werden. Nach den Rückmeldungen der Befragten zu urteilen, gelingt das bislang nur mäßig. Stattdessen ist das Tagesgeschäft der deutschen Personalabteilungen erfüllt von operativen Tätigkeiten wie Arbeitsverträge oder andere Dokumente anfertigen sowie Reportings vorzunehmen. Erst dann folgt mit Abstand das Bearbeiten von Anfragen der Mitarbeiter. In Summe lässt sich feststellen, dass ein Großteil der genannten Tätigkeiten letztlich reaktiv erfolgt. Von strategischer Arbeit ist in den Antworten nur wenig zu sehen. Das klingt auch nicht nach Digitalisierung im Personalwesen.
Zu wenig Zeit für Personalentwicklung, Netzwerkpflege und Personalmarketing
Auf die explizite Frage, wofür HR aufgrund der oben genannten Tätigkeitsverteilung die Zeit fehle, zeigt sich das wahre Ausmaß der Probleme. Ganze 65% der Befragten sehen zu wenig Zeit für die Personalentwicklung, also die Qualifikation der Mitarbeiter. Das ist aus meiner Sicht erschüttern, spiegelt aber die Ergebnisse einer anderen Studie wieder, wonach Unternehmen an der schlechten Qualifikation ihrer Beschäftigten im Bereich Digitalisierung häufig „selbst schuld“ sind.
Die Netzwerk-Pflege, beispielsweise auch via Social Media (!), scheint eh nicht unbedingt ein Kernthema im Personalwesen zu sein. Aber ein Hoffnungsschimmer, dass es bei dieser Befragung mit 61% immerhin auf Platz zwei der selbst erkannten Versäumnisse liegt.
Bitter auch die fehlende Zeit für Personalmarketing und Recruiting, über ebenfalls fast die Hälfte (46%) klagt.
Ich halte also fest: Operative Arbeit top, Finden von Personal und Ausbildung desselben flop. Lassen Sie uns an dieser Stelle kurz überlegen, womit Unternehmen Geld verdienen, Stichwort Partner des Business? Genau: Mit der Leistung der Mitarbeiter (m/w/d). Warum investiert HR dann so wenig in diese namengebende „Ressource Mensch“?
Jetzt könnte man natürlich mitfühlend konstatieren „Einer muss den operativen Job ja machen“. Aber seien wir ehrlich: Braucht es dann dafür tatsächlich ein Center of Expertise namens HR? Hey, wir Personaler können doch deutlich mehr!
Ein engerer Blick auf die Digitalisierung des Personalwesens
Werfen wir also mal einen engeren Blick auf die Digitalisierung der Personalprozesse. Wie steht es um digital HR? Und noch fokussierter: An welcher Stelle werden im Unternehmen durch HR bereits systematisch Daten erhoben. Analog und digital.
Auch hier dominieren alte HR-Bekannte: Arbeitszeit beziehungsweise Abwesenheiten sowie Vergütung mit jeweils 77%. Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Rahmen der Corona-Krise sowie dem, was unter dem Begriff „New Normal“ zu verstehen ist, dürfte das spannend werden. Auch wenn die vollständige Erfassung der täglichen Arbeitszeit vom EuGH als rechtlich notwendig erachtet wurde – da gibt es ja noch Tendenzen in Richtung New Work …
Nutzung von Daten durch HR
Fast noch spannender als die Ergebnis-Aufstellung und Rangfolge der Bereiche, in denen die Personaler erhobene Daten für Entscheidungen nutzen, ist der Blick auf die deutlich (!) gesunkene Anzahl der Antworten. Ich deute diese so, dass ein nicht unerheblicher Teil der befragten HRler gar keine Daten als Basis für die Entscheidungen oder Planungen in den beschriebenen Bereichen heranzieht.
Fragt man nun nach den Gründen für die mangelnde datengetriebene Entscheidungen, so geben die Studienautoren folgende Erkenntnisse weiter: So stehen die Befragten beim Umgang mit Daten vor mehreren Hürden. Mehr als drei Viertel (78%) geben an, dass heterogene IT-Systeme und -Tools die Datenerhebung behindern. Für 40% ist es ein Hindernis, dass sich Daten aus ihren IT-Systemen nur schwer weiterverwenden lassen, 15% haben zudem keinen Zugriff auf die Daten relevanter IT-Anwendungen.
Mangelnde Konzepte, um die Daten zu strukturieren, (45%) und datenschutzrechtliche Aspekte (50%) stehen der Erhebung ebenfalls im Weg.
Besonders spannend finde ich den nächsten Punkt: Mehr als ein Viertel (26%) hat Schwierigkeiten damit, die zu beantwortende Kernfrage klar zu formulieren und die Notwendigkeit einer Datenerhebung gegenüber Vorgesetzten zu begründen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! – Für mich übrigens ein klares Argument dafür, regelmäßig HR-Blogs und Fachmagazine zu lesen. Das sei aber nur am Rande bemerkt.
Hindernisse beim Einsatz von HR-Analytics zur Digitalisierung im Personalwesen
Nach Aussagen der befragten HRler scheitert der Einsatz von datengestützten Lösungen via HR-Analytics im Unternehmen am häufigsten an passenden Tools (63%). Das stimmt ein wenig skeptisch mit Blick auf die oben genannten Herausforderungen von immerhin mehr als einem Viertel, um überhaupt klar zu formulieren, was genau benötigt wird. Neben keine Zeit (51%) oder keinen entsprechenden Kompetenzen im Bereich Statistik (41%) oder IT (30%), scheint HR-Analytics für fast ein Drittel (30%) auch eine Frage der dazu passenden Organisationskultur zu sein.
Um so wichtiger, Digitalisierung nicht länger als IT-Thema, sondern eben auch als Kultur beziehungsweise Organisationsentwicklungs-Thema zu betrachten!
Die #Digitalisierung von #HR ist weniger ein IT-Thema, als #Kulturarbeit sowie konsequente #Organisationsentwicklung. Share on XWelche IT-Systeme nutzen Personaler bereits?
Die Ergebnisse zeigen: Digitale Systeme und Anwendungen sind im HR-Bereich mittlerweile fest etabliert. Am häufigsten kommen Bewerbermanagement-Tools (72%), Lohn- und Gehaltsabrechnungssysteme (64%) und digitale Personalakten (54%) zum Einsatz. Lösungen wie eine Self-Service-Applikation für Mitarbeiter (36%), ein Talentmanagement-Tool (28%) oder ein Personalinformationssystem (20%) finden sich bislang nur bei einer Minderheit der Unternehmen.
Fazit zum Status der Digitalisierung im Personalwesen
Während die Studie noch weitere Fragen im Bereich Automatisierung von HR-Prozessen, digitaler Personalakte und HR-Cloud-Software behandelt, möchte ich an dieser Stelle schon mal mein persönliches Fazit ziehen.
Die Ansprüche der Personalmanager an sich selbst sind hoch. Zurecht. Aber um den Verantwortlichen in den Vorständen und Geschäftsleitungen HR als Partner als Augenhöhe zu empfehlen, bedarf es noch einiger Arbeit. Beispielsweise an der Professionalisierung der strategischen Arbeit, der Priorisierung eines digital HR sowie einem generell in der Breite bei allen Personalern vorhandenen digitalen Mindsets.
Die zusammenfassende Infografik der Studie können Sie in hoher Auflösung auf meinem Download-Portal kostenfrei herunterladen. Dort gibt es auch eine Verlinkung zum Bezug der Originalstudie beim Anbieter.
Wer noch weitere Inspiration braucht und das Thema kritisch diskutiert wissen will, kann dies mittels der Folge #3 meines Podcasts Klartext HR tun. Dort unterhalte ich mich mit den Machern der Studie.