Bewerber Duzen oder Siezen?

Bewerber im Recruiting Duzen oder Siezen? Eine kritische Analyse aus der Praxis

Derzeit kursiert das Thema wieder einmal in allen Medien: Sollten Personaler Jobsuchende und Bewerber im Rahmen des Recruitings Duzen oder besser Siezen? Das Thema weist in der Praxis eine Reihe von erheblichen Implikationen auf. Meine kritische Analyse dazu.

New Work – alles wird locker

Mit der inflationären Verwendung des Begriffs „New Work“ durch Personalverantwortliche gehen zahlreiche Änderungen in der Kommunikation von Unternehmen einher. Plötzlich wird Wert darauf gelegt, dass man die Jahrzehnte lang pflichtschuldig getragene Krawatte selbstverständlich abgelegt hat. Das sauber gefaltete Einstecktuch im Maßanzug findet man heute gar nur noch beim Personalberater im Executive-Bereich wieder.  Mit dem Wiedererstarken der Turnschuh-Kultur nach der Dotcom-Blase in den 2.000er-Jahren im Rahmen des aktuellen StartUp-Hypes, bemühen sich gerade traditionelle Unternehmen und Konzerne um eine neue Lockerheit.

Diese neue Lockerheit soll vielerorts dadurch unterstrichen werden, dass die formale Business-Ansprache vom „Sie“ auf das recht persönliche „Du“ wechselt. Dabei ist Duzen in vielen kleinen Unternehmen und Familienbetrieben sowie im Handwerk schon immer Alltag. Auch im Mittelstand und in Großkonzernen herrschte oft bereits eine rege Duz-Kultur. Je enger Teams in ihren Büros zusammen zusammenarbeiten und einen Großteil ihres Tages verbringen, umso ausgeprägter. Soweit so gut.

In den Fokus der Medienöffentlichkeit ist das Thema nun vor allem dadurch geraten, dass immer mehr Konzerne ihrer Kultur dieses „Du“ quasi top down verordnet haben.

Eine neue Unternehmenskultur soll Hergeduzt werden

In der schon 2017 angelaufenen Arbeitgeberkampagne hat beispielsweise die Deutsche Bahn das Duzen in der Bewerberansprache, naja, sagen wir mal „verprobt“. Auf der Startseite der erst über zahlreiche Klicks zugänglichen DB-Karriereseite werden Besucher mit einem „Willkommen, Du passt zu uns“ begrüßt.

Screenshot Startseite DB-Karriere zum Thema Duzen und Siezen

Ach, wie schön! Die Bahn weiß bereits vor der Kontaktaufnahme, dass die Besucher der Seite als Mitarbeiter passen würden. Da braucht es dann ja kein weiteres Personalauswahlverfahren mehr. Clever. Oder auch nur ziemlich daneben.

Jedenfalls wird die Bewerberansprache via „Du“ auf den Stellenanzeigen erstmal konsequent weitergeführt.

Duzen im Bewerbermanagementsystem der DB

Auch bei Professionals ist von „Was Dich erwartet“ und „Deine Aufgaben“  die Rede.
Allerdings bei der unmittelbar darunter folgenden Datenschutzerklärung, wird der gleiche Bewerber auf einmal Gesiezt.

DB-Bewerbung Datenschutzbelehrung

Bei juristischen Texten haben sich die Verantwortlichen dann anscheinend doch keine Konsequenz zugetraut.

Social Media versus Karriereseite

Ebenso uneinheitlich gehen Unternehmen vor, wenn man einen genaueren Blick auf deren unterschiedliche Kommunikationskanäle wirft. Da werden auf Facebook-Seiten munter Posts im „Du“-Format abgesetzt und in Kommentare ebenso persönlich mit Vornamen geduzt. Auf den Karriereseiten hingegen finden sich die gleichen Interessenten dann allerdings einer typischen „Sie“-Ansprache gegenüber.

Nun gut, im Marketing gilt ja die Regel, dass kanalspezifische Ansprachen möglich und sinnvoll sind. Auch ich selbst habe im Beitrag zum Social Media Recruiting eine typische Social Media Kommunikation dargestellt, die via E-Mail wahrscheinlich nicht in gleicher Art und Weise abgelaufen wäre. Schon alleine aufgrund der zahlreichen Verwendung von Emoticons. Trotzdem stellt sich die berechtigte Frage: „Zählt für die Entscheidung über Duzen oder Siezen am Ende der Kommunikationskanal mehr als der Mensch?“.

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Zählt der Kommunikationskanal oder der Mensch?

Die Frage ist tiefgründiger als Sie glauben. Denn die Antwort darauf wird viel zu häufig aus Sicht der kommunizierenden Unternehmen gegeben. Personaler halten eine unterschiedliche Ansprache zum Beispiel via Facebook und im weiteren Recruiting-Prozess oftmals für legitim. Finde den Fehler! Oder genauer gesagt: Finden Sie den Fehler!

Relevant sind nicht die Gedanken des Absenders (kommunizierendes Unternehmen), sondern die des Empfängers der Botschaft (Jobinteressent).

Und dieser Empfänger ist in der Regel ein Mensch mit unteilbarer Persönlichkeit. Insbesondere ein Wechsel in der Ansprache führt dabei unweigerlich zu Irritationen. Nicht nur, weil dadurch eine Verunsicherung entstehen kann, wie denn der weitere Prozess abläuft. Über Duzen oder Siezen?

Die Verunsicherung bei der Ansprache ist groß

Die Entwicklungen zum Thema Duzen oder Siezen sind mittlerweile durchaus kurios. Da werden beispielsweise laut einer Erhebung der Agentur Wortwahl bei Lufthansa oder Volkswagen Berufserfahrene geduzt, Schüler hingegen gesiezt. Zusätzlich zum „Sie“-„Du“-Wechsel auf unterschiedlichen Kanälen kommen weitere Uneinheitlichkeiten hinzu, die technischer Natur sind. In vielen Bewerbermanagement-Systemen werden einzelne Seitenüberschriften, Hinweise oder Fehlermeldungen standardmäßig in der formalen „Sie“-Form dargestellt. Das heißt, dass der Wunsch nach einheitlicher Bewerberansprache durch das Unternehmen spätestens an dieser Stelle stark eingebremst wird. Oder gar völlig gegen den Poller läuft.

Diese Verunsicherung gibt Raum für allerlei Ratgeber im Internet, wie denn Bewerber mit diesem Chaos in der Ansprache am besten umgehen sollten. Die Liste der Tipps ist lang und ebenso uneinheitlich. Bis hin zum Ratschlag, dass Bewerber sich unternehmensseitig ruhig Duzen lassen sollen, sich selbst aber an die formalen Kriterien einer Ansprache mittels „Sehr geehrte Damen und Herren“ halten müssen. Klingt total nach Augenhöhe

Wie kompliziert die Sache auf einmal geworden ist. Stand nicht am Anfang der Überlegungen der Wunsch, alles einfacher und unkomplizierter zu machen? Oben habe ich den Begriff der „Lockerheit“ verwendet. Wo ist diese Lockerheit denn in der Praxis auf einmal hin?

Eine künstlich beschworene Duzkultur wird scheitern

Fakt ist: Diese Lockerheit war oftmals nie wirklich da! Der Versuch der Etablierung einer Duzkultur im Auftrag von Kommunikations- und Markenverantwortlichen ist aufgrund einer nicht konsequent zu Ende gedachten Umsetzung meist von vorn herein zum Scheitern verurteilt.

Der Versuch der Etablierung einer #Duzkultur im Auftrag von Kommunikations- und #Markenverantwortlichen ist aufgrund einer nicht konsequent zu Ende gedachten Umsetzung meist von vorn herein zum Scheitern verurteilt. Klick um zu Tweeten

Ganzheitlichkeit in der Ansprache

Das eigentliche Erfolgskonzept kann nur in einer ganzheitlichen Betrachtung des Gegenübers liegen. Und entweder ergibt sich einen natürliches „Du“ oder es bleibt beim „Sie“. Mit allen Konsequenzen. Diese Konsequenzen sind übrigens extrem weitreichend. Eine Entscheidung für ein ganzheitliches „Du“ erfordert aus meiner Sicht unter anderem eine Anpassung

  • aller Kommunikationsmedien im Personalmarketing
  • der persönlichen Ansprache auf Messen und Veranstaltungen
  • aller Prozessschritte im Bewerbungsprozess. Beginnend mit der Stellenausschreibung, über das Absenden der Unterlagen im Bewerbermanagementsystem bis hin zur weiteren Kommunikation zwischen Bewerber und Unternehmen
  • aller juristischen Texte
  • der Ansprache in Bewerbungsgesprächen, Auswahlverfahren und bei Tests

Vom Siezen zum Duzen in zwei Klicks

Konsequenter Weise müssten Sie eigentlich auch überlegen, ob die Ansprache Ihrer Kunden nicht ebenfalls angepasst werden müsste. Warum? Naja, der Zugang zur Karriereseite eines Unternehmens erfolgt in der Regel über einen Menüpunkt „Karriere“ oder „Jobs“ auf der allgemeinen Unternehmensseite. Dort werden die Besucher bei den allermeisten Unternehmen jedoch mit dem klassischen „Sie“ angesprochen.

Um beim obigen Beispiel mit der Deutschen Bahn zu bleiben: Erfolgt ein Einstieg nicht direkt auf der Karriereseite, sondern über die Startseite der Unternehmenspage, erfolgt ein Wechsel in der Ansprache innerhalb weniger Klicks. Vom Ticket-kaufenden Kunden in der „Sie“-Ansprache hin zum „Du passt zu uns“ als Jobsuchender. Da stellt sich die Frage, ob ein anstehendes Bewerbungsverfahren in der Tat so viel privater und intimer ist als der schnöde Kauf eines Bahntickets, so dass der Wechsel auf das „Du“ noch natürlich wäre.

Wie gesagt, wir reden in beiden Fällen über die gleiche Person. Und den Gedanken nochmal auf die Spitze getrieben: Was ist, wenn nach der Bewerbung eine Kundenanfrage beziehungsweise Reklamation an der Hotline erfolgt? Na klar, dann wird der Bewerber wieder zurückgestuft auf das „Sie“.

Merken Sie was?

Gelebte Unternehmenskultur als Ausgangspunkt

Unternehmen, die intern eine reine Duzkultur besitzen und nach außen eher cool und nahbar mit ihrer gesamten Marke auftreten, sind aus der Problematik fein raus. Dort kann durchgängig das „Du“ praktiziert werden. Auch amerikanischen Unternehmen in Deutschland fällt dieses Thema deutlich leichter. Was für viele deutsche Personaler in nicht-internationalen Firmen noch etwas ungewöhnlich erscheint, ist für diese Unternehmen normal. Eine formale Ansprache erfolgt dennoch mit dem Vornamen. Außerhalb des englischen „you“ ist ein „Stefan, können Sie sich vorstellen, dass…“ zumindest ein gelungener Weg, um einerseits formal zu bleiben, andererseits aber einen persönlichen Touch beizumischen.

Machen Sie gerne den Selbsttest:

  1. Wie ergeht es Ihnen, wenn Sie in einer Starbucks-Filiale ein Getränk bestellen und hinterher das gesamte Lokal ihren Vornamen auf dem Becher lesen kann? Kein Problem damit? OK, nächste Stufe.
  2. Stellen Sie sich vor, zum Bewerbungsgespräch begrüßt Sie der junge Bewerber mit „Hallo <IhrVorname>, schön Dich kennenzulernen.“.
  3. Oder versetzen Sie sich in ein Absage-Telefonat mit diesem Bewerber, in dem Sie ihm vermitteln müssen, dass es mit der Zusammenarbeit nun doch nichts wird und Sie ihm noch viel Erfolg für den weiteren Berufsweg wünschen.
  4. Was, wenn der Bewerber Sie hinterher via XING kontaktiert und sich mit Ihnen (natürlich auf Basis des „Du“) vernetzen möchte?

Ich vermute, Ihre Wahrnehmung wird deutlich von der tatsächlich in Ihrem Unternehmen gelebten Kultur geprägt sein. Und sollte es auch sein. Denn alles andere wäre aufgesetzt und nicht mehr authentisch.

Recruiting-Erfolg versus Authentizität

Natürlich steckt hinter den aktuellen Verschiebungen der Ansprache in Richtung „Du“ auch eiskaltes Kalkül der Unternehmen und ihrer Marketing-Agenturen. Wer zur demografischen Verjüngung insbesondere junge Zielgruppen ansprechen will, der muss deren Sprache sprechen. So oder ähnlich lautet der dahinter steckende Gedanke. Das erscheint dem Grund nach erstmal korrekt.

Steckt hinter dem um sich greifenden „Du“ in etwa nur ein cleverer Versuch, um das im AGG verbotene Benachteiligen von Bewerbern aufgrund ihres Alters zu umgehen? Nun, so weit würde ich nicht gehen, weil in den beschriebenen Arbeitgeber-Kampagnen auch bewusst Professionals geduzt werden.

Umgekehrt kann eine Ansprache jüngerer Bewerber allerdings durchaus auch in der „Sie“-Form sehr persönlich und passend sein. Es drängt sich eh die Frage bei mir auf, wie viel „Kumpelhaftigkeit“ eine Zielgruppe den Unternehmen überhaupt abnimmt.

Laut einer Befragung von Jobs.de wirkt das „Du“ auf mehr als ein Drittel der Jobsuchenden sogar negativ. Sie empfinden sich dadurch wenig wertgeschätzt.

Spätestens jetzt sollten Kommunikationsverantwortliche hellhörig werden: Ein unnatürliches, nicht gelebtes „Du“ in der Bewerberansprache zu verwenden und damit sogar Geringschätzung zum Ausdruck zu bringen…? Da läuft doch etwas schief!

Ist „Du“ wirklich das neue „Sie“?

Natürlich kann eine neue Ansprache mit „Du“ verordnet und die Kommunikation zum Bewerber hin daraufhin umgestellt werden. Aber wenn Herr Dr. Ich-lasse-mich-keinesfalls-von-so-einem-jungen-Hüpfer-duzen intern weiterhin auf der formalen Ansprache besteht, funktioniert es trotzdem nicht. Enttäuschte Bewerbererwartungen können zudem sehr schnell die ausgefeilteste Employer Branding Strategie konterkarieren.

Wie den Bewerber ansprechen: Duzen oder Siezen?

Meine Stammleser werden die Antwort bereits erwarten, aufmerksame Leser der Absätze oben sicher auch. Bleiben Sie authentisch! Wenn es mit der durchgängigen Du-Ansprache noch nichts wird, dann bleiben Sie eben beim „Sie“. Auch wenn die nachfolgende Infografik Ihnen das Gefühl geben mag, Ihre Aussenwirkung zu verändern: Bleiben Sie authentisch! Denn eine falsche Erwartungshaltung zu befeuern, fällt Ihnen spätestens nach dem Onboarding der neuen Mitarbeiter auf die Füße.

Einfluss Stellenanzeige Duzen oder Siezen

Und seien wir ehrlich: Es kann umgekehrt sogar sehr gut ankommen, wenn die Bewerberkommunikation über Personalmarketingaktionen und Stellenanzeigen via „Sie“ läuft und im persönlichen Kontakt schnell klar wird, dass im konkreten Unternehmensbereich das „Du“ selbstverständlich ist. Dann sind Bewerber tendenziell eher positiv überrascht. Umgekehrt ist es wesentlich schwieriger bis unmöglich.

 

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Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer (Personalmagazin 05/22) betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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