Als echter Personalmarketing-Freak verschlinge ich Tag für Tag Informationen aus dem Netz zum Thema Recruiting. Immer häufiger stoße ich dabei auf höchst fragwürdige Interviews, Tipps und sonstige Aussagen von sogenannten Experten. Nennen wir Sie Businessberater, Unternehmensberater, Personalberater oder einen sonstigen selbstverliehenen schwurbeligen Begriff wie Verkaufserfolg-Verschaffer oder einfach nur Problemlöser.
Heute möchte ich Ihnen ein paar Tipps an die Hand geben, wie Sie in dieser Hinsicht die Spreu vom Weizen trennen können.
Von selbsternannten (Nicht)Experten
Eine provokative Überschrift, das gebe ich zu. Allerdings häufen sich meine gefühlten Übelkeitsanfälle, wenn ich höre oder lese, was zum Thema Personal alles gesagt, behauptet, vermutet, prognostiziert oder sonstwie in die Welt gespuckt wird. Insofern erhalten Sie heute ein paar sehr subjektive, aber vielleicht dennoch hilfreiche Hinweise, wie Sie selbsternannte Experten auf Basis ihrer Aussagen und Denkweise erkennen können. Ach ja: Selbstredend gilt das auch für die weibliche Variante der Expertinnen.
Der Fachkräftemangel wird undifferenziert als gegeben betrachtet
Es beginnt damit, dass der Begriff Fachkräftemangel von diesen Personen als gegeben postuliert wird und als gelungene Begründung für allerlei notwenige Handlungen oder Maßnahmen herhalten muss. Nochmal: Es gibt keinen flächendeckenden Fachkräftemangel!
Das Klagen von Unternehmen, keine passenden Bewerber für offene Stellen zu finden, kann viele Ursachen haben, zum Beispiel eine oder mehrere der folgenden:
- Ungenügendes Employer Branding/Personalmarketing
- Standortnachteile
- Schlechtes Image
- Regionale Verteilung von Fachkräften
- Unklare Recruitingstrategien
- Zu schlechte Bezahlung
- Konstrukt eines Fachkräftemangels zum Zweck der politische Einflussnahme
- Und vieles mehr
Auch gibt es nicht in allen Branchen oder bezogen auf alle Tätigkeiten einen gleichermaßen diagnostizierbaren Fachkräftemangel. Manchmal handelt es sich auch um einen Qualifikationsmangel am Markt. Manchmal liegt es an der regionalen Verteilung von Fachkräften oder einfach an einer ungleichen Verteilung von Bewerbungen zwischen Unternehmen, die in den Medien als Top-Arbeitgeber zurecht oder zu Unrecht gehypt werden und unbekannteren Unternehmen im Mittelstand.
Wer pauschal einen Fachkräftemangel ins Feld führt und nicht differenziert, gibt bereits einen Hinweis für (s)eine Disqualifizierung.
Wer pauschal einen #Fachkräftemangel ins Feld führt und nicht differenziert, gibt bereits einen #Hinweis auf seine #Unkenntnis des #Marktes Share on X„Post & Pray ist tot“
Oft lese ich, dass „Post and Pray tot sei“. Ach, tatsächlich? Ein schönes Vertriebsargument für Active Sourcing Dienstleistungen, wahrlich. Aber leider nicht ganz korrekt. Online-Stellenbörsen, und deren gab es in 2017 laut Jobbörsen-Kompass über 1.000 alleine in Deutschland, haben gerade Hochkonjunktur. Selbst Facebook und Google steigen ins Geschäft ein. Facebook erzeugt mit einem eigenen Format Jobanzeigen auf Facebook Sichtbarkeit für Anzeigen. Und Google möchte den jetzt überraschend doch erst in Südamerika gestarteten umfassenden Service Google for Jobs auch bald in Deutschland einführen.
Darüber hinaus experimentieren Stellenbörsen wie Jobware, Stellenanzeigen.de, StepStone oder JobStairs mit innovativen Formaten, wie der interaktiven Stellenanzeige, der Integration von Sprachassistenten sowie der Nutzung von Persönlichkeitsapps im Recruiting-Prozess. Insofern ist „Post & Pray“ keinesfalls tot! Stellenanzeigen wird es in einer Version 2.0 oder ähnlich noch eine ganze Weile geben. Auch deswegen, weil diese gleichzeitig eine Maßnahme im Rahmen des Employer Brandings darstellen, da sie positive Sichtbarkeit erzeugen. Zumindest so lange sie nicht zum Ladenhüter verkommen.
Was sich allerdings tatsächlich verändert hat, ist die Art und Weise, wie im Rahmen des Recruiting-Prozesses kommuniziert wird. Und dass Stellenanzeigen alleine heute nicht mehr zwangsläufig eine erfolgreiche Recruitingstrategie darstellen.
Post and pray ist nicht tot. Es reicht nur häufig nicht mehr als einzige #Maßnahme im #Recruiting Share on X„Es herrscht ein Arbeitnehmermarkt“
Nochmal so eine pauschale Aussage ist: „Es herrscht ein Arbeitnehmermarkt“, oft ergänzt um Sätze wie „Heute müssen sich die Unternehmen bei den Jobsuchenden bewerben.“. Klingt gut. Ist aber leider in dieser Verallgemeinerung nicht korrekt!
In den allermeisten Fällen besteht zwischen den Personalern im Unternehmen und den Jobsuchenden noch immer ein Kräfte-Gefälle. Unabhängig von wertschätzenden Gesprächen auf Augenhöhe, sitzt häufig das Unternehmen am längeren Hebel. Insbesondere dort, wo es eine Vielzahl von gut ausgebildeten Bewerbern auf einen Job gibt oder im Bereich der gewerblichen beziehungsweise ungelernten Arbeitskräfte. Daher rollen bei Weitem nicht alle Unternehmen für jeden Bewerber gleich den roten Teppich aus.
Anders ist das natürlich bezogen auf heiß begehrte Fachkräfte, beispielsweise in der Pflege, der IT oder im bei den Ingenieuren. Aber: Auch hier gibt es -wie in allen Sparten- die gesamte Bandbreite an geeigneten und weniger geeigneten Bewerbern. Die Berufsbezeichnung Java Entwickler öffnet nicht zwangsläufig alle Türen automatisch. Nur weil jemand vorgibt etwas zu können, heißt das nämlich noch lange nicht, dass er (oder sie) es auch besonders gut kann.
Insofern lohnt es sich, wenn Sie bei Experten genau hinhören, was sie mit der pauschalen Aussage zum Arbeitnehmermarkt meinen. Denn häufig erschöpft sich das leider in angelesenem oder theoretisch erworbenem Wissen.
Personalberater ohne eigene Praxiserfahrung im HR
Ein weiteres Indiz für die Selbsternennung von Experten ist das Sprechen und Dozieren über HR und Recruiting, ohne je Recruiting in einer Personalabteilung in der Praxis kennengelernt zu haben. Es ist ein wenig wie bei klassischen Unternehmensberatern, die in den seltensten Fällen aus Unternehmen kommen, die sie beraten, sondern typischerweise hinterher von der Beratung dorthin wechseln. Es handelt sich somit immer um einen Blick von außen.
Aber bis zu welcher Tiefe kann man praxisrelevante Thesen in den Raum werfen, wenn man den Job selbst nie gemacht hat? Recruiting als Do-it-yourself-Prophet? Personalbeschaffungs-Autodidakt? Personaler vom Hörensagen?
„HR muss Dies, HR muss Das! “
Gerne hört man eben jene Berater über die Personalerzunft sagen „HR muss Dies, HR muss Das!“. Und nicht zu vergessen der wichtige Zusatz „… sonst wird HR untergehen!“. *gähn* Mittlerweile kann ich meine Augen schon kaum mehr offen halten, wenn wieder mal ein solcher Beitrag eines branchenfremden Beraters über meinen Bildschirm flackert. HR muss gar nichts!
Außer seine Aufgaben erfüllen. Und die werden einerseits durch die Erwartungen der internen Kunden sowie den externen Markt bestimmt. Und natürlich ist dazu Veränderung notwendig. Aber das gilt doch letztlich für alle Berufsgruppen zunehmend, oder? Wozu dann diese martialische Sprache? Ja, verstehe schon: Mit Angst verkauft man Leistungen. Aber handelt sich auch Widerstände ein.
Also: Lieber konkret werden als auf der Meta-Ebene über HR oder gar Die Zukunft von HR zu schwadronieren!
Die HR Trends 2018 und überhaupt
Beim Stichwort Zukunft: Selbstverständlich besitzen die besagten Experten die ultimative Glaskugel, mit der sie mindestens ein Jahr nach vorne blicken können. Wie sonst können sie behaupten „Das sind die HR-Trends der Zukunft“? Oft werden diese Trends im Rahmen von Studien ja nur aus Hinweisen in der Gegenwart in Richtung Zukunft verlängert, verallgemeinert und als eine Art „neue Tatsache“ verkauft.
Aber seien wir ehrlich. Was ist denn der Nutzwert dieser Trends, wenn im Unternehmen gerade ganz anderen Themen anstehen? Im Gegenteil halte ich es fast für gefährlich, wenn Personaler sich solche Trends zu eigen machen im Sinne von „Virtual Reality ist Trend – lass uns auch mal was mit VR machen“. Gleiches gilt natürlich für Themen wie die Videobewerbung per App, wildes Jobmatching im Wild West Style oder alle anderen medial von allerlei Beratern befeuerten Themen.
Nur weil es jemand als Trend bezeichnet oder sich eine Marktdynamik entwickelt, heißt das noch lange nicht, dass es Ihnen im Unternehmen bei der Bewältigung Ihrer Recruiting-Herausforderungen hilft. Denn sehr häufig leidet gerade das Recruiting unter offenen „Hausaufgaben“ oder sogenannten Basics, wie einer schlechten Personalauswahl. Da helfen Ihnen Highend-Blendgranaten am Ende auch wenig.
Insofern HR-Trends interessiert nickend zur Kenntnis nehmen, darüber nachdenken, kritisch beleuchten und erst dann mit Maßnahmen starten. Egal, ob Ihnen ein Experte mit der flammenden Sichel des Sensenmanns im Hintergrund Furcht einflößen möchte.
Fazit
So, jetzt hat er sich mal wieder ausgelassen, der Herr Persoblogger. Und selbstverständlich muss ich am Ende hinzufügen, dass sich meine Ausführungen ausschließlich auf die vielen Berater außerhalb der HR-(Dienstleister)Welt beziehen. Und selbstverständlich, dass nicht jeder, auf den auch nur einer dieser Punkte zutrifft, sich gleich angesprochen fühlen sollte. Nein. Denn sonst müsste ich mich gleich ganz vorne in die Reihe stellen. – Ach, ich denke, Sie wissen, worauf ich hinaus will, oder?