Emotionale künstliche Intelligenz: Wenn Maschinen "menscheln"

Wenn Maschinen „menscheln“ – Hürden und Potenziale emotionaler künstlicher Intelligenz

Emotionale künstliche Intelligenz klingt fast wie ein Widerspruch in sich. Zumal mit Blick auf die Arbeit im Personalmanagement. Gastautor Daniel Mühlbauer als HR Tech- und KI-Optimist beschreibt im, was emotionale künstliche Intelligenz ist, was sie heute bereits kann und wie sie zukünftig in der Welt der Personaler eingesetzt werden könnte.

Personalmanagement: soziale Wesen in Interaktion

Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen. Ein Eckpfeiler unserer sozialen Fähigkeiten ist dabei die Begabung, die Emotionen unserer Mitmenschen zu deuten. Wenn Menschen in Unternehmen zusammenarbeiten und gemeinsam Probleme lösen, dann ist die Fähigkeit zur Emotionsdeutung eine entscheidende soziale Komponente.

Personalmanagement bedeutet zu einem erheblichen Anteil den Kontext effektiver und effizienter Zusammenarbeit in Unternehmen über Personalmaßnahmen, -tools und -instrumente zu gestalten.

Eine unserer zukünftigen Kernrollen als HR ist der Experience Champion. Wir sind die Experten und Expertinnen für das menschliche Element der Arbeit in Unternehmen. Dabei gestalten wir eine exzellente Employee Experience und haben dabei insbesondere die (zwischen-)menschlichen Töne auf der sozialen Klaviatur moderner Unternehmen im Blick. Das Menschliche trifft also quasi unseren Markenkern als People Management.

Experience Champion Infografik - Artikel emotionale künstliche Intelligenz
Quelle: Daniel Mühlbauer

Kann KI das Menschliche ersetzen?

Daher stellt sich die Frage, ob und inwieweit KI basierte Tools Fähigkeiten entfalten, die uns in diesem Markenkern ergänzen oder sogar ersetzen können. Kürzlich habe ich 73 Personen aus meinem Netzwerk befragt, ob das Menschliche im Personalmanagement durch künstliche Intelligenz (KI) ersetzt werden kann.

Befragung auf LinkedIn zu emotionaler künstlicher Intelligenz
Quelle: Daniel Mühlbauer

Der Großteil der befragten Personen (82%) waren sich sicher, dass das Menschliche nicht ersetzt werden kann. Ungefähr ein Fünftel waren der gegenteiligen Meinung. Dieses Meinungsbild reflektiert die weit verbreitete Meinung, dass uns intelligente Automatisierung vorwiegend von Routineaufgaben befreien wird. Personaler und Personalerinnen werden also mehr Zeit haben, sich auf ihren Markenkern – das Menschliche – zu konzentrieren.

Wie steht es also um die emotionalen Fähigkeiten künstlicher Intelligenz?

Was ist emotionale künstliche Intelligenz (KI)?

Emotionale künstliche Intelligenz ist ein Sammelbegriff für die Erforschung, Entwicklung und Vermarktung KI basierter Systeme mit der Fähigkeit menschliche Emotionen zu erkennen, zu analysieren, zu verstehen, einzuordnen, vorherzusagen und basierend drauf entsprechend zu reagieren. (McStay 2018)

Führende Forschungseinrichtungen und Technologieunternehmen setzen immense Ressourcen ein, um emotionale KI voranzubringen. Die Affective Computing Group des Massachusetts Institute of Technology beschreibt ihr Ziel als „entwickelt und evaluiert neue Wege, emotionale KI und andere affektive Technologien zusammenzubringen, um das Leben der Menschen zu verbessern.“ (MIT Affective Computing Group).

Dieses Forschungsfeld befasst sich laut Wikipedia unter anderem mit folgenden Technologien:

  • Emotionale Sprache
  • Erkennung von Gesichtsausdrücken
  • Körperliche Gestik
  • Physiologische Überwachung
  • Visuelle Ästhetik

Was kann emotionale künstliche Intelligenz leisten?

Mit Hilfe dieser Technologien kann emotionale KI mit einer Vielzahl unterschiedlicher Datenformen (Text-, Bild-, Video- und Audiomaterial) in Echtzeit gefüttert werden und auf Basis speziell trainierter Algorithmen die darin enthaltenen menschlichen Emotionslagen auswerten und verarbeiten.

Konkrete Anwendungsgebiete für emotionale KI sind aktuell vor allem virtuelle Assistenzsysteme. Im HR haben Elemente solcher Technologien in einer Vielzahl verschiedenen Softwarelösungen, wie zum Beispiel Video-Recruiting und Matching-Tools sowie Persönlichkeitsanalysen, erste Anwendungen gefunden. Diese Anwendungsbeispiele sind insbesondere in Deutschland vor dem Hintergrund des Datenschutzes und Arbeitsrechts zurecht nicht unumstritten.

Was sind die aktuellen Grenzen emotionaler KI?

Zum aktuellen Zeitpunkt ist das Forschungsgebiet der affektiven Datenverarbeitung und emotionalen KI sicher eine der vielversprechendsten Stoßrichtungen der Entwicklung intelligenter Technologien. Emotionen sind ein zentraler Baustein menschlicher Interkation und Intelligenz. Deren zuverlässige maschinelle Verarbeitung und Prognose ist einer der Schlüssel zur Erschaffung einer künstlichen Intelligenz mit übermenschlichen Fähigkeiten – einer so genannten generellen Super-Intelligenz.

Trotz oder gerade wegen der enormen Fortschritte dieses Forschungsgebiets, haben viele Personal-Experten (m/w/d) ein initiales Störgefühl bei der Aussicht auf die Verwendung von emotionaler KI im HR-Bereich. Diese Störgefühle sind durchaus berechtigt. Eine Gruppe von Forschern und Forscherinnen aus dem Umfeld des AI Now Instituts der New York University hat sich 2019 in einem 100-seitigen Report deutlich für eine Beschränkung der flächendeckenden Verwendung affektiver Technologien ausgesprochen. Ursache für diese klare Positionierung ist die noch sehr geringe Zuverlässigkeit solcher Systeme und die daraus resultierenden Gefahren der unbemerkten technologischen Diskriminierung von Menschen.

Ist Angst vor AI gerechtfertigt?
Quelle: Daniel Mühlbauer

Unserer Zukunft mit emotional intelligenten HR-Maschinen

Die rasante technologische Entwicklung folgt zumeist einer exponentiellen Kurve. Die heutige Einschätzung noch unzureichender Validität emotionaler künstlicher Intelligenz wird also sehr wahrscheinlich eine geringe Halbwertzeit haben.

Bereits heute sind intelligente Systeme in der Lage eine Vielzahl von Problemen und Aufgaben auf mindestens menschlichem Niveau zu lösen. Dazu zählen auch zunehmend Bereiche, die emotionalen Elementen menschlicher Interaktion innewohnen.

Intelligenter Textgenerator GPT-3 von OpenAI

Nehmen wir zum Beispiel den intelligenten Textgenerator „GPT-3“ von OpenAI. Diese Maschine ist in der Lage mit nur sehr wenigen Schlagworten als externem Input komplexe Texte zu schreiben. Unter den Ergebnissen finden sich Neuinterpretationen berühmter Gedichte, täuschend echte Blog-Beiträge (Spoiler: Diesen Beitrag habe ich selbst geschrieben), Fachpublikationen, motivierende Zitate oder Social Media Posts.

Sprache ist eine der wesentlichen Medien zur Weitergabe von Emotionen zwischen Menschen. Wenn es also gelingt, diese Text- und Sprachfähigkeiten heutiger KI-Systeme gezielt mit emotionsgeladener Intonation zu kombinieren, dann wäre dies ein entscheidender Schritt zur erfolgreichen Anwendung emotionaler KI.

Mein persönliches Fazit zu emotionaler künstlicher Intelligenz

Ich persönlich halte den experimentellen Einsatz von intelligenter Texterzeugung zur Erstellung von unternehmenspezifischem Content bereits heute für möglich. Die aktuellen HR-Strategien umfassen zwar häufig bereits eine Absichtserklärung zur vermehrten Nutzung intelligenter Technologien. Eine konkrete Positionierung zur Nutzung emotionaler KI und bewusst experimentellen Anwendungsfällen fehlt allerdings häufig. Was wir aber benötigen ist gerade eine bewusste Einarbeitung dieses maßgeblichen Trendthemas in unsere HR-Strategien.

Emotionale künstliche Intelligenz und deren kompetente Nutzung im HR wird eine wichtige Etappe unserer Reise in die Zukunft der Arbeit sein. Emotional intelligente HR-Assistenzen werden uns in der Zukunft der Arbeit zur Verfügung stehen.

Die entscheidende Frage ist, ob wir bis dahin genug über sie gelernt haben, um kompetent mit ihnen zusammen zu arbeiten und zu wissen, welche rechtlichen und moralischen Grenzen wir dabei einhalten müssen.

Daniel Mühlbauer

Gastautor: Dr. Daniel Mühlbauer

 

Dr. Daniel Mühlbauer ist HR Projektmanager für für ein Münchener Industrieunternehmen. Dort begleitet er eine Vielzahl von HR Innovationen und Prozessoptimierungen vom Kickoff bis zum Golive. Zuvor hat er nach abgeschlossener Promotion am Institut für Personalwirtschaft der LMU München ein Münchner Startup für People Analytics mitgegründet.

Seine Leidenschaft gilt der Kombination aus Datenanalysen, künstlicher Intelligenz und digitalen Tools zur Wegbereitung in die Zukunft der Arbeit und des Personalmanagements.

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