Nicht nur die konjunkturellen Werte, auch die durch die Corona-Krise ausgelöste Dynamik auf dem Arbeitsmarkt beheizt die Diskussionen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob mit der Pandemie-Phase der häufig proklamierte Fachkräftemangel zu Ende geht. Und noch weiter: Schwingt das Pendel gar gar zurück vom Arbeitnehmermarkt zum Arbeitgebermarkt?
Eine Analyse.
Arbeitslosigkeit in Deutschland steigt weiter an
Selbst wenn wir uns mittlerweile fast schon an diese Nachricht gewöhnt haben: Die Arbeitslosigkeit steigt weiter an. Trotz des anhaltend positiven Einflusses von Kurzarbeit und dem damit ausbleibenden sofortigen Anstiegs der Erwerbslosenzahlen, lohnt sich ein genauerer Blick hinter die Entwicklungen.
Im Vergleich zum Vorjahresmonat stieg die Arbeitslosenquote um nahezu 26% an. Bei den Arbeitslosen im IT-Bereich liegt der Anstieg sogar bei rund 33%. Und dabei handelt es sich keineswegs um gering qualifizierte Kräfte. Denn die Bundesagentur für Arbeit untergliedert die Arbeitslosen in vier Kategorien:
- Helfer
- Fachkraft
- Spezialist
- Experte
Und gerade bei den IT-Experten ist der Anstieg besonders deutlich.
Eine Erklärung dafür könnte sein, dass bislang auf Jobsuche befindliche IT-Experten den Gang zur regionalen Arbeitsagentur vermieden haben mit Blick auf die aussichtsreiche wirtschaftliche Gesamtsituation. In der Krise und Zeiten der Unsicherheit könnte folglich die Absicherung eines Einkommens an erster Stelle stehen. Kurzfristige Erklärungsversuche erscheinen jedoch eher wie ein Stochern im Nebel. Warten wir also die weiteren Entwicklungen mal ab.
Arbeitsplatzangebote gehen unterschiedlich stark zurück
Auch auf Anbieterseite, also bei den Mitarbeiter-suchenden Unternehmen gibt es eine große Varianz. So sind beispielsweise nach einer Auswertung des Jobportals Indeed Stellenausschreibungen für den IT-Support oder für Tätigkeiten im Bereich IT-Infrastruktur weniger rückläufig als beispielsweise Stellenanzeigen für Softwareentwickler.
Unternehmen passen Recruiting-Strategien an – Arbeitgebermarkt im Anzug?
Das dürfte auch damit zu tun haben, dass die Unternehmen ihre Recruiting-Strategie in der Corona-Krise überdacht und angepasst haben. Dort wo die Antwort auf fehlende Kapazitäten im Unternehmen vor der Pandemie noch eine Beschaffung vom Markt, sprich Recruiting, war, kommen nunmehr ganzheitlichere Konzepte zur Anwendung. In den Fokus geraten innerbetriebliche Flexibilisierungen, Weiterqualifizierungen oder die eigene Ausbildung von Fachpersonal.
Teilweise hat die Krise jedoch massive Auswirkungen auf das Kerngeschäft der Unternehmen, so dass eine generelle Verschiebung im Produkt- oder Leistungsportfolio eine Auswirkung auf das Einstellungsverhalten hat. Gerade im Bereich Softwareentwicklung besteht ein mögliches Lösungsszenario in der Kooperation mit anderen Anbietern, dem Zukauf von Standardsoftware oder auch dem klassischen Outsourcing von Software-Entwicklungskapazitäten. In der Folge hätten die Unternehmen dann weniger Bedarf an entsprechenden eigenen Mitarbeitern.
Digitalisierung und IT sind eng verflochten
Auch wenn es mir stets wichtig ist zu betonen, dass die digitale Transformation kein reines Technologie-Thema ist: die fortschreitende Digitalisierung ist dennoch eng mit dem Thema IT verflochten. Daher gehe ich nicht davon aus, dass es hier in den kommenden Jahren zu grundlegenden massiven Einbrüchen auf dem IT-Arbeitsmarkt kommt. Es verschieben sich vielleicht nur die konkreten Bedarfe.
In einer Analyse verglich das Jobportal Indeed die Suchanfragen auf der eigenen Seite in einem Dreiwochenzeitraum im Juni 2020 mit den Anfragen vor der Corona-Krise im Februar 2020 sowie demselben Zeitraum vor einem Jahr, also im Juni 2019.
Von Fachkräften gesuchte IT-Jobs – Analyse von Indeed
In einigen IT-Bereichen suchen Experten deutlich stärker nach Jobs. Zugenommen haben Suchanfragen im Bereich Data Analytics, beispielsweise die Suche nach Stellen mit der Job- und Tätigkeitsbeschreibungen wie „Data Scientist“, „Data Analyst“ oder „Python“.
Gepusht hat die Krise auch das Interesse an Jobs im Bereich E-Commerce, der aktuell starke Wachstumsraten verzeichnen kann. Machine Learning hat im Vergleich zum Vorjahr allerdings etwas an Bedeutung bei den Jobsuchenden verloren, während der Corona-Krise ist der Anteil an allen Suchanfragen wiederum gestiegen. Dafür geht die Suche nach einer Stelle im Bereich Systemadministration zurück.
Ebenfalls unterschiedlich ist die Entwicklung der Suchanfragen zu Stellen in der Softwareentwicklung. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind entsprechende Suchen deutlich angestiegen, nochmals verstärkt seit Beginn der Corona-Krise. Indeeds bekannte Marktforscherin Annina Hering vermutet deshalb: „Hier scheinen vermehrt IT-Fachkräfte den Arbeitsmarkt zu sondieren“.
Erkennbar sei auch, dass die Suchen nach den Programmiersprachen C# und Java zunehmen, die Suchanfragen für PHP-Entwicklung hingegen abnehmen. Welche Rückschlüsse daraus zu ziehen seien, müsse jedoch längerfristig beobachtet werden, so Hering in einem aktuellen Interview in der Computerwoche.
Hiring Freeze – Einstellungsstopp im Recruiting
Zweifelsohne hat die Corona-Krise viele Unternehmen erst einmal in eine Art „Schockzustand“ versetzt. Die Unwägbarkeiten der zukünftigen wirtschaftlichen und damit auch unternehmerischen Entwicklungen verleiteten viele Geschäftsleitungen zu einem spürbaren Zurückfahren der Recruiting-Aktivitäten.
Teilweise gibt es einen absoluten Stillstand, den Fabian Kienbaum, CEO der Personal- und Organisationsberatung Kienbaum Consultants als sogenannten „Hiring Freeze“ bezeichnet. Spürbar sei für ihn zudem die extrem hohe Dynamik der Ereignisse vor allem im Kerngeschäftsfeld der Beratungsgesellschaft, bei der Vermittlung von Führungskräften ins mittlere Management.
Bringt die Corona-Krise das Ende des Fachkräftemangels?
Damit scheint die Frage durchaus legitim, ob mit dem Rückgang des Angebots einerseits sowie einer Besinnung von Unternehmen auf interne Kapazitäten sowie Kooperationen andererseits, der Fachkräftemangel im IT-Bereich zu Ende geht.
Wir erinnern uns: Der Bitkom hat noch im November 2019 einen sich ausweitenden Fachkräftemangel in der IT-Branche verkündet:
Es gab nie einen Fachkräftemangel im klassischen Sinne
Und wieder ein paar klarstellende Worte vorweg: Es hat nie einen flächendeckenden Fachkräftemangel gegeben. Was sich für die Unternehmen ausgewirkt hat, ist vor allem ein Verteilungsproblem zwischen den Unternehmen. Wer heute den Erwartungen der gesuchten Zielgruppen im Bereich, Benefits, Aufgaben, Unternehmenskultur, Purpose und weiteren, im Rahmen seines Employer Brandings entgegenkam, brauchte schon vor der Krise keinen Fachkräftemangel als Grund für die Nichtbesetzung von Stellen ins Feld führen.
Ein Mangel an Bewerbungen ist häufig selbst verschuldet
Selbst im Bereich der medizinischen Fachkräfte oder Pflegekräfte, in der Krise unter dem Label „systemrelevante Berufe“ in den Fokus der medialen Berichterstattung gerückt, lässt sich kein genereller Fachkräftemangel feststellen. Oder anders ausgedrückt: Der Mangel an Interesse zur Arbeit in der Pflege geht oftmals einher mit entsprechend schlechten Arbeitsbedingungen (Schichtdienst, überlange Arbeitszeiten, unterdurchschnittliche Verdienstmöglichkeiten bei gleichzeitig körperlich und geistig forderndem Arbeitsalltag).
Zudem werden von den suchenden Unternehmen häufig einfach nicht alle notwendigen Voraussetzungen für eine Attraktivität des Berufsbildes oder des eigenen Unternehmens geschaffen. Und strategisch wichtiges Employer Branding komplett verschlafen. Können dann entsprechende Fachkräfte nur unter größeren regulatorischen Widrigkeiten im Ausland beschafft werden, komplettiert sich das Bild.
Kann also etwas zu Ende gehen, was es so bislang gar nicht objektiv gab?
Dreht sich der Arbeitnehmermarkt zum Arbeitgebermarkt?
Um eine ähnliche Fragestellung geht es bei der Gegenüberstellung der Begriffe Arbeitnehmermarkt und Arbeitgebermarkt. Einfach ausgedrückt, ist damit gemeint, wer die Oberhand auf dem Arbeitsmarkt hat. Also ob sich die Unternehmen die Bewerber aus einer Vielzahl aussuchen können (Arbeitgebermarkt) oder die Bewerber sich umgekehrt einen Job aus einer Vielzahl von Angeboten an sie (Arbeitnehmermarkt).
Im Zusammenhang mit dem Begriff „Fachkräftemangel“ wurde konsequenterweise in den Medien häufig ein damit einher gehender Arbeitnehmermarkt konstatiert. Vor allem Managementberatungen arbeiteten sehr gerne mit dieser sehr pauschalen –und damit per se nicht wirklich passenden- Begriffswelt.
Denn wenn man kritisch hinter die Kulissen schaut, so hat es in den letzten Jahren schon keinen generellen Arbeitnehmermarkt gegeben. Woher kämen sonst die unzähligen Berichte von Jobsuchenden, die verzweifeln an der Personalerwelt, weil sie zum wiederholten Male nicht einmal eine Eingangsbestätigung für Ihre Bewerbung oder -noch schlimmer- keinerlei Antwort auf selbige von Unternehmen erhalten haben?
Mit Blick auf solche „Verzweiflungsschreie“ wie im Screenshot meines persönlichen WhatsApp heute, denke ich mir nicht: „Oh, Anzeichen für einen Arbeitgebermarkt!„. Nein, ich klage deutlich an: „Hier produzieren Arbeitgeber bewusst oder unbewusst ihren eigenen angeblichen Fachkräftemangel!“. Würden diese Unternehmen ihre Kunden, Lieferanten und sonstigen Partner genauso behandeln wie Bewerberinnen und Bewerber, wäre unsere Wirtschaft binnen Wochen am Ende …
Der Begriff „Arbeitnehmermarkt“ war aus meiner Sicht stets getrieben seitens der Anbieter von HR-Dienstleistungen, die den Unternehmen damit klarmachen wollten, dass sie sich deutlich stärker als früher auf die höheren Ansprüche der, vor allem jungen, Zielgruppen einstellen müssen.
Stirbt das New Work Konzept in der Corona-Krise?
Befeuert wurde das Thema durch zahlreiche Studien, die eben jene gestiegenen Ansprüche der Generationen Y und Z aufs Tapet hoben. Nicht zu vergessen hat auch die HR-Speaker-Welt davon profitiert. Indem sie mit dem Zeigefinger auf Missstände in den Unternehmen hinweisen konnte. Aber ein genereller Arbeitnehmermarkt? Aus meiner Sicht gab es ihn nie.
Bleiben wir gerne noch etwas bei der spannenden Frage, ob mit der Corona-Krise gleichermaßen auch die mit der New Work Bewegung häufig begrifflich verknüpfte hohe Anspruchshaltung der jungen Arbeitnehmer-Generationen zum Scheitern verurteilt ist.
Im Podcast „Die Stunde null“ von Capital.de prognostiziert Fabian Kienbaum, dass den Berufseinsteigern schon bald ein anderer Wind entgegenwehen werde. Das forsche und Ansprüche-stellende-Verhalten dieser Zielgruppen werde eher wieder einem Kampf um freie Stellen weichen. Die Annehmlichkeiten und Verlockungen der New Work Bewegung gerieten damit etwas in den Hintergrund.
New Work bedeutet nicht Wohlfühloase
Aus meiner Sicht alarmiert diese Denkweise. Denn bei New Work handelt es sich nicht um ein Wohlfühlkonzept konsumverliebter junger Menschen, die statt Arbeit lieber einen entspannten Wechsel zwischen betrieblichem Bällebad und Kickertisch bevorzugen und geködert werden müssen mit einer immer höheren Auswahl an individualisierten Müslis und Obstkörben!
Zugegeben, in Startup Metropolen wie Berlin mag das tatsächlich eine gängige Interpretation gewesen sein. Mit all den Auswirkungen, ich nenne sie gerne sogar „Perversionen“, die diese Haltung mit sich gebracht hat. Mein Beitrag dazu ist längst ein Evergreen-Artikel.
New Work gewinnt abseits dieser oberflächlichen Betrachtung gerade jetzt an Bedeutung. Und damit meine ich nicht, dass Menschen Corona-bedingt im sogenannten „Homeoffice“ arbeiten mussten, das oftmals eher eine auf Dauer unbequeme Holzbank am zu kleinen Küchentisch war.
Tatsächlich ist New Work die Ausrichtung der Arbeit auf die Zukunft. Die dahinter liegenden Konzepte sind natürlich häufig recht aufwendig zu implementieren und verlangen eine hohe Veränderungsbereitschaft, manchmal auch Kosteneinsatz (IT-Infrastruktur, Büroausstattung usw.). Aber New Work ist weit mehr als das.
Diese Fragestellung würde ich daher gerne direkt mit dem New Work Experten Markus Väth im Rahmen einer neuen Folge meines Podcast Klartext HR diskutieren. Markus hat zusammen mit Anja Gstöttner und Arthur Soballa die New Work Charta konzipiert und gezeigt, dass New Work durchaus messbar ist.
Die Veröffentlichung der Podcast-Folge 6 ist für Anfang August geplant.
Mein Fazit zum Thema Fachkräftemangel und Arbeitgebermarkt
Sie werden es nach dem aufmerksamen Lesen meines Beitrags vermutlich schon ahnen. Welches Fazit ziehe ich aus der Diskussion rund um die Fragen „Ende des Fachkräftemangels?“ und „Rückkehr zum Arbeitgebermarkt?“ nun?
So spannend die Diskussionen zu Prognosen rund um den Arbeitgebermarkt auch sein mögen, sie sind in erster Linie Spekulation. Egal welche Statistik oder Entwicklung in der Vergangenheit erklärbar gemacht wurde. Eine sinnvolle Einstufung ist vor allem im Rückblick möglich gewesen. Inwieweit die Krise wirklich (!) eine radikale Zäsur des Arbeitsmarkts und der Konzepte für die Zukunft bewirkt, wird sich zeigen.
Wer gleich wieder mit pauschalen Begriffen wie Fachkräftemangel, Arbeitgebermarkt oder Arbeitnehmermarkt um sich wirft, macht es sich zu einfach. Und wie ich in einer extrem spannenden Session auf dem DATEV DigiCamp letzte Woche von Systemtheorie-Papst Gerhard Wohland gelernt habe, ist ein Gefühl noch lange kein Argument.
„Ein Gefühl ist KEIN Argument“. Klingt lapidar, aber ist schon eine wichtige Erkenntnis, mit der @GerhardWohland in seine Session auf dem #DATEVDigiCamp #DATEVlernt einsteigt…
— Persoblogger (@Persoblogger) July 16, 2020
Insofern bleiben Sie wie immer kritisch und lassen Sie sich nicht unterkriegen!