Auswirkungen der gesetzlichen Anerkennung des dritten Geschlechts auf Arbeitgeber

Auswirkungen des dritten Geschlechts „divers“ auf Arbeitgeber und Personalabteilungen in der Praxis

Seit Mitte Dezember ist in Deutschland ein Gesetz in Kraft, das offiziell ein drittes Geschlecht neben Mann und Frau bestätigt. Nach dem Gesetzentwurf, der bereits am 19.10.2018 ohne Änderungen den Gesetzgebungsprozess im Bundesrat durchlaufen hat, wird dieses mit der Bezeichnung „divers“ betitelt. Welche Auswirkungen hat diese Anerkennung des dritten Geschlechts auf Arbeitgeber sowie Personalabteilungen im Besonderen? Mein Beitrag zeigt einige Herausforderungen für die Praxis auf.

Notwendigkeit einer dritten Geschlechts-Option

Die Gesetzesänderung war notwendig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung 1 BvR 2019/16 vom 10. Oktober 2017 festgestellt hatte, dass intersexuelle Menschen diskriminiert werden, wenn ihnen kein Recht auf eine eigene positive Geschlechts-Option beim Eintrag im Geburtenregister zugestanden wird. Bislang mussten Sie entweder für männlich, weiblich oder keine Angabe votieren. Zum Begriff der Intersexualität beziehungsweise dem dritten Geschlecht allgemein sowie dessen Verbreitung in Deutschland, habe ich bereits in meinen FAQ zum dritten Geschlecht ausführlich berichtet.

Warum das dritte Geschlecht „divers“ heißt

Die subjektive Geschlechtsidentität ist laut Erläuterungen zum Gesetz individuell, so dass es „keine universell für alle Betroffenen geltende Bezeichnung einer weiteren Geschlechtsoption gibt. Da der Gesetzgeber nicht gehalten ist, jedes beliebige Identitätsmerkmal personenstandsrechtlich einzutragen, gibt die offene Formulierung „divers“ potentiell vielen Betroffenen die Möglichkeit der Identifikation.“.

Darüber hinaus verweist der Begriff auf den Themenkreis Diversität, englisch: Diversity.

Im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses wurde die passendste Bezeichnung für das dritte Geschlecht heftig diskutiert. Dabei standen neben „divers“, „inter“, „anders“, „geschlechtsneutral“ auch „weitere“ bzw. „X“ zur Debatte.

Übrigens: Nach den Vorgaben der internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) muss das Geschlecht in Reisepässen entweder mit „weiblich“, „männlich“ oder mit „X“ angegeben werden. Hier gilt also eine andere Bezeichnung.

Kritik am Gesetzentwurf der Bundesregierung

Zusätzliche Kritik geäußert wurde mit Blick auf die Beschränkung der Gesetzesänderung auf intersexuelle Menschen. Bei diesen liegt definitorisch eine Variante der Geschlechtsentwicklung biologisch dauerhaft vor. Dennoch gibt es unterschiedliche Ausprägungen von Intersexualität.

Nicht umfasst von der gesetzlichen Anerkennung werden sogenannte Transsexuelle. Hierbei handelt es sich um Menschen, die zwar biologisch einem Geschlecht eindeutig zugeordnet werden können, sich aber „im falschen Körper fühlen“.

Die Forderung auch transsexuelle Menschen dem dritten Geschlecht im Sinne des neuen Gesetzes zuzuordnen, scheiterte im Bundesrat. Stattdessen kündigte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey von der SPD an, dass ein eigenes Verfahren zur Reform des Transsexuellengesetzes begonnen werden soll.

Nachweis der Zugehörigkeit zum dritten Geschlecht

Ebenfalls stark kritisiert wurde die gesetzlich vorgeschriebene ärztliche Untersuchung, zum Nachweis der Zugehörigkeit zum dritten Geschlecht. Dieses Verfahren sei bereits eine weitere Diskriminierung, da sie einen sehr intimen Einblick in die körperliche Konstitution der Personen erfordere. Zudem erwecke die notwendige ärztliche Bescheinigung den Eindruck, es handele sich um eine Krankheit.

Auswirkungen auf die Arbeitgeber-Praxis

Die gesetzlichen Änderungen ziehen in der Praxis eine Reihe von unmittelbaren Folgen für Arbeitgeber nach sich. Darüber hinaus sind Personalabteilungen aufgefordert, weitere mögliche Folgen zu bedenken. Eine Auswahl davon stelle ich Ihnen hier vor:

Stellenanzeigen und das dritte Geschlecht

Mein erster Beitrag zur diskriminierungsfreien Formulierung von Stellenanzeigen mit Blick auf das dritte Geschlecht, zeigt in etwas überspitzter Form, welche sprachlichen Herausforderungen auf die Ersteller der Jobausschreibungen zukommen könnten.

Zumindest ist nunmehr die Bezeichnung klar, so dass Sie die Titel einer Stellenanzeige anpassen können. Spätestens seit der Einführung der Beweislastumkehr des §22 AGG (allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) ergänzten viele Arbeitgeber den Stellentitel um ein nachgestelltes (m/w) oder auch (w/m). Damit sollte signalisiert werden, dass sowohl Bewerbungen von Männern als auch von Frauen willkommen sind und diese gleichbehandelt werden.

Erweitern Sie spätestens zum 01.01.2019 das übliche (m/w) auf (m/w/d).

Eine abweichende Bezeichnung (m/w/x) oder (m/w/i) erscheint mit Blick auf die Festlegung des neuen Gesetzes wenig ratsam. Wenngleich damit vermutlich ebenfalls dem Diskriminierungsverbot des AGG Genüge getan sein sollte. Allerdings gilt es auch an potentielle Bewerber zu denken. Diese würden durch zusätzliche Erweiterungen nur zusätzlich verwirrt oder verunsichert.

Spätestens ab 01.01.2019 sollte das übliche (m/w) in (m/w/d) überführt werden, um das dritte Geschlecht nicht zu diskriminieren. Share on X

Was ist mit dem Zusatz (m/w/i/t) in Stellenanzeigen?

Zwar ist der Zusatz (m/w/i/t) für männlich/weiblich/intersexuell/transsexuell vermeintlich noch weniger diskriminierend, weil auch transsexuelle Menschen angesprochen werden. Jedoch ist diese Version zusätzlich erklärungsbedürftig. Auch wirft sie Fragen auf, warum nicht gleich auch die geschlechtliche Orientierung im Sinne von L/B/G/T/Q mit aufgenommen wird.

Nicht, dass diese Gedanken das Formulieren von Diversity-gerechten Stellenanzeigen und Personalmarketing-Aktionen einfacher machen würden…

Generelle Ansprache des dritten Geschlechts

Neben der Frage, wie Stellenanzeigen diskriminierungsfrei formuliert werden können, ist auch offen, wie eine generelle Ansprache der Menschen mit dem dritten Geschlecht erfolgen soll. Der Gesetzgeber geht von keinen Anpassungsbedarfen aus (siehe unten), überlässt die konkrete Ausgestaltung jedoch der Praxis.

Unternehmen können daher ihren eigenen Weg finden. Ich persönlich bin nicht der Meinung, dass sich an allgemeinen Anreden wie „Sehr geehrte Damen und Herren“ kurzfristig etwas ändern wird. Das hat mit meiner Vermutung zu tun, dass Vertreter des dritten Geschlechts sich wahrscheinlich in den seltensten Fällen im betrieblichen Umfeld outen und auf eine gesonderte Ansprache pochen.

ABER: Wie so oft, ist insbesondere das Gespräch mit den Betroffenen zielführend. Fragen Sie nach, wie eine Anrede erfolgen soll. In einer Vielzahl von Fällen gibt es emotional tatsächlich eine Tendenz einer Geschlechtszugehörigkeit.

In wie weit das Weglassen der Begriffe „Damen“ und „Herren“ und der Switch auf die Ansprache mit dem Vornamen und Sie (oder natürlich Du) praktikabel ist, wird sich zeigen.

Gesetzgeber sieht das generische Maskulin als ausreichend an

In der Erläuterung zum neuen Gesetz findet sich folgende Aussage mit Blick auf die generelle Anpassung der Ansprache:

„Weitergehende sprachliche Anpassungen sind nicht erforderlich. Der weit überwiegende Teil der Rechtsvorschriften knüpft nicht an das Geschlecht an. In der Gesetzessprache findet dies regelmäßig seinen Niederschlag durch die Verwendung des generischen Maskulinums. Da das generische Maskulinum gerade nicht auf das somatische Geschlecht abstellt, ist eine sprachliche Anpassung von Rechtsvorschriften, die diese Form der Geschlechtsangabe verwenden, in Folge der neu geschaffenen Angabe „divers“ im Personenstandsrecht nicht erforderlich.“ (Hervorhebung durch den Autor dieses Beitrags)

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass das die Verwendung des generischen Maskulins nicht per se diskriminierend wirkt. Share on X

Und selbst bei bisheriger Verwendung von männlichen und weiblichen Begriffen bei der Ansprache, sieht der Gesetzgeber keinen sprachlichen Anpassungsbedarf:

„Auch in Rechtsvorschriften, in denen im Zuge der Herstellung der sogenannten geschlechtergerechten Sprache statt des generischen Maskulinums jeweils beide Geschlechter genannt werden, ist davon auszugehen, dass diese Variante nicht exklusiv wirken soll. Auch hier ist eine sprachliche Anpassung nicht erforderlich, da ohne weiteres ersichtlich ist, dass auch Menschen ohne Zuordnung zu einem der beiden Geschlechter gemeint sind.“

Bewerbungsverfahren: Onlinebewerbung mit unzureichender Geschlechtsauswahl

Ein aufgrund der neuen Rechtslage durchaus bedenkenswerter Punkt ist die häufig nötige Geschlechtsangabe in Bewerbermanagement-Systemen im Rahmen von Online-Bewerbungen. Hier herrscht zwar kein unmittelbar gesetzlich geregelter Anpassungsbedarf, allerdings könnten sich Menschen des dritten Geschlechts bei unzureichenden Geschlechts-Auswahloptionen in (HR-)IT-Systemen diskriminiert fühlen. Ich gehe davon aus, dass die Anbieter von Softwarelösungen sich nach und nach darauf einstellen.

Toiletten und Sanitäreinrichtungen

Eine häufige Frage im Zusammenhang mit dem dritten Geschlecht ist: Müssen Arbeitgeber im Unternehmen nunmehr weitere Sanitärräume oder Umkleideräume zur Verfügung stellen? Das wäre die dann die vierte Toilette neben Männertoilette, Frauentoilette, Toilette für körperlich beeinträchtigte Menschen.

Hierzu gibt es keinen gesetzgeberischen Handlungsauftrag. Ich persönlich glaube, dass Arbeitgeber allenfalls auf Uni-Sex-Toiletten umstellen werden, dort wo dies möglich ist. In den allermeisten Fällen ergibt sich vermutlich gar kein Handlungsbedarf. Aber auch hier hilft das Gespräch mit Betroffenen.

Auswirkungen des dritten Geschlechts auf die Betriebsratswahl

Tatsächlich rechtliche Auswirkungen ergeben sich im Zusammenhang mit einer Betriebsratswahl. Denn nach § 15 BetrVG soll das Minderheitsgeschlecht im Betriebsratsgremium mindestens so stark vertreten sein wie in der Belegschaft. Bislang war das Minderheitsgeschlecht stets entweder Mann oder Frau. Mit der rechtlichen Aufwertung des dritten Geschlechts durch das neue Gesetz, dürfte in den meisten Fällen dieses das neue Minderheitsgeschlecht sein. Sofern es intersexuelle Menschen im Unternehmen gibt.

Das Thema ist deswegen ein wenig kniffelig, weil damit das bisherige Minderheitsgeschlecht gesetzliche Vorteile verlieren würden, da es rein faktisch zukünftig nicht mehr das am geringsten im Unternehmen vertretenen Geschlecht darstellt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich im Unternehmen Menschen mit dem dritten Geschlecht befinden, die für die Betriebsratswahl kandidieren und sich in diesem Rahmen mit ihrem Geschlecht outen, ist tendenziell jedoch gering. Ob Wahlvorstände zukünftig eruieren müssen, ob wahlberechtigte Mitarbeiter des Betriebes dem dritten Geschlecht angehören, um gesetzeskonform zu handeln, wird die Juristen in den Unternehmen frühestens in Vorbereitung der Betriebsratswahl 2022 beschäftigen.

Letztlich ist hier der Gesetzgeber gefordert, praktikable nicht-diskriminierende Lösungen zu finden.

Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat – „Drittgeschlechtsquote“?

Deutlich spannender finde ich persönlich die Frage, ob es nach der Frauenquote nunmehr auch eine Drittgeschlechtsquote geben wird, was die Besetzung von Vorständen und Aufsichtsräten angeht? Dies kann zu durchaus emotionalen Diskussionen führen. Unternehmen dürften kurzfristig davon jedoch nicht betroffen sein. Ob es dazu einen gesellschaftlichen Diskurs geben wird und ob dieser tatsächlich im Sinne der Menschen mit dem dritten Geschlecht wäre, bleibt abzuwarten.

Änderung von Personaldaten: Anpassung Vornamen

Das neue Gesetz sieht vor, dass eine behördliche Anerkennung der Zugehörigkeit zum dritten Geschlecht durch Eintragung ins Personenstandsregister, ein Recht auf Anpassung des eigenen Vornamens begründet. Diese Regelung trägt dafür Sorge, dass Menschen mit den dritten Geschlecht den häufig eine Geschlechtszugehörigkeit indizierende Teil des Namens, der neuen Situation anpassen können.

Für Personalabteilungen bedeutet das, dafür Sorge zu tragen, dass eine solche bislang sehr ungewöhnliche Namensanpassung zu keinen Inkonsistenzen führt. Dabei denke ich an Meldungen an die Sozialversicherung ebenso wie bei der Berechnung von Ansprüchen auf betriebliche Leistungen. Bei einer zusätzlichen Heirat fallen zwei (Vorname/Nachname) der häufig drei (zusätzlich Geburtsdatum) wesentlichen Erkennungsmerkmale von Personen weg.

IT-Systeme sollten darauf vorbereitet sein und keinen Work-Around, zum Beispiel mit Hilfe eines zusätzlichen Datensatzes mit Auswirkungen auf Statistiken und vieles mehr benötigen.

Geschlechtsspezifische Kleiderordnungen

Deutlich relevanter ist der Bedarf einer Schärfung von betrieblichen Vorschriften. Zum Beispiel mit Blick auf geschlechtsspezifische Kleiderordnungen. Möglicherweise ist das ja sogar eine Chance, bestehende Regelungen insgesamt kritisch auf den Prüfstand zu stellen.

Arbeitsrechtliche Vorschriften

Spannende Auswirkungen dürfte die rechtliche Anerkennung des dritten Geschlechts auf Berufsbilder wie Flughafensicherheitspersonal haben. Dort werden Durchsuchungen stets nur gleichgeschlechtlich vorgenommen. Sollte sich ein Mensch mit dem dritten Geschlecht innerhalb der Belegschaft zu erkennen geben, stellt sich die Frage, wen er zukünftig überhaupt noch durchsuchen darf. Sicher kein häufiger Fall, aber einer der in der Praxis durchaus auftreten kann.

Vermutlich gibt es eine Reihe vergleichbarer Situationen in anderen Berufsbildern, die es zu identifizieren gilt.

Fazit zu Auswirkungen der Anerkennung des dritten Geschlechts auf Arbeitgeber

Die Welle der medialen Berichterstattung zum dritten Geschlecht wird vermutlich kurzfristig hoch sein. Das Thema bietet nämlich einen weiteren wunderbaren Einstiegspunkt in aktuelle Diskussionen rund um Diversity. Unsere Gesellschaft und damit auch Unternehmen in ihrer Rolle als Arbeitgeber werden gefordert, ein Arbeiten frei von Diskriminierungen jeder Art zu ermöglichen. Juristen müssen in die Prüfung von Arbeitsvorschriften und betrieblichen Regelungen einsteigen. Immer dann, wenn sie zur Begründung eines Rechts oder einer Verpflichtung an die Zugehörigkeit zu einem speziellen Geschlecht anknüpfen.

Ganz wichtig: Dabei darf der gesunde Menschenverstand (zum Glück ein völlig ungegendertes Wort!) nicht zu kurz kommen! Überreaktionen, deutliche Verkomplizierungen sowie weitere Aufspaltungen in Untergruppen statt Gemeinschaftsgefühl und ähnliche Effekte, sollten tunlichst vermieden werden.

Stefan Scheller

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