Ist die gesetzliche Frauenquote ein schönes Werkzeug, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen? Nein. Ist sie das allein selig machende Allheilmittel? Nein. Ist sie notwendig? Leider ja. Nach 110 Jahren Weltfrauentag wissen wir: Gesellschaftlicher Wandel passiert – aber zum Teil quälend langsam. Und nach all den vertanen Jahren der leeren Selbstverpflichtungen und Lippenbekenntnisse haben wir hier im vergangenen Jahr einen Meilenstein erreicht.
Julia Bangerth, COO und CHRO der DATEV eG, ist der Überzeugung: Für echte Gleichberechtigung auf allen Ebenen braucht es (leider auch) feste gesetzliche Vorgaben.
Weltfrauentag am 08. März – nur ein Serientermin mit Blumen-Ritual?
Also auch dieses Jahr wieder: Weltfrauentag, 8. März. Jedes Jahr aufs Neue ein guter Anlass, um sich einmal mehr Gedanken zum Thema Gleichstellung zu machen. Wo stehen wir? Als Gesellschaft? Bei uns in den Unternehmen? Aber vielleicht auch persönlich, im Freundeskreis, in den Partnerschaften? Ein guter Zeitpunkt also für eine Bestandsaufnahme und eine Standortbestimmung. Und dafür, Position zu beziehen. Zu einem Thema, dass mir wirklich am Herzen liegt.
Gerade regelmäßig wiederkehrende Ereignisse, im Outlook-Wording würde man von einem „Serientermin“ sprechen, bergen die Gefahr in sich, dass man sich des eigentlichen Sinns und Zwecks des Anlasses irgendwann gar nicht mehr wirklich bewusst wird. Der Weltfrauentag ist kein Ereignis im Sinne eines sinnentleerten, folkloristischen Rituals mit roten Nelken am Revers.
Der Weltfrauentag hat einen klaren Fokus und Auftrag
Dieser Tag hat vielmehr einen klaren Auftrag:
Einer weiblichen Perspektive auf die großen und kleinen Themen der Welt Gehör zu verschaffen.
Dabei treten wir für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen aller Frauen ein und zeigen uns mit allen Frauen auf dieser Welt solidarisch. Es geht dabei nicht um eine Sonderlocke für das weibliche Geschlecht, nicht um eine Vorzugsbehandlung. Sondern – der Name verrät es bereits – um Gleichbehandlung und Gleichstellung. Um die Begegnung auf Augenhöhe, um gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, um Teilhabe auf allen Ebenen in sämtlichen relevanten Lebensbereichen wie beispielsweise Politik, Wirtschaft, Sport oder Kultur.
Um nicht mehr. Aber schon gar nicht um weniger.
Keine Kriegserklärung an das männliche Geschlecht
Was der Weltfrauentag aus meiner Sicht auch nicht ist und keinesfalls sein sollte: Eine Kriegserklärung an das männliche Geschlecht. Darum geht es nicht. Es gibt den gut abgehangenen Satz „hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau“. Mit dieser Aussage wird auch ein tradiertes Rollenbild transportiert, dass vielleicht dem Zeitgeist früherer Jahrzehnte entsprochen hat, mittlerweile aber eher einem abgehalfterten Anachronismus gleichkommt. Das Bild eines Erfolgsmenschen – natürlich ein Mann – dem seine Frau den Rücken freihält.
Natürlich mag dieses Bild auch heute in der Realität seine Entsprechung finden. Aber, und das freut mich: Auch die Umkehrung ist mittlerweile völlig richtig und normal und in unserer gesellschaftlichen Normalität angekommen. Starke Frauen, die höchst erfolgreich ihre Karriere vorantreiben und von ihren Partnern (oder Partnerinnen) dabei unterstützt werden.
Also: „Hinter jeder erfolgreichen Frau steht ein starker Mann“.
Oder noch besser:
Frauen & Männer GEMEINSAM erfolgreich!
Es geht nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein Miteinander.
Nicht gegeneinander, sondern miteinander: Frau UND Mann
Wir erleben es doch immer wieder im Alltag: Man kann sich in unendlichen Grabenkämpfen verzetteln und sich gegenseitig das Leben schwermachen. Sich mit Vorwürfen überziehen, was wie und warum gerade völlig falsch und aus dem Ruder läuft. Und sich damit letztlich kein Stück vom Fleck bewegen. Sondern einen Status quo zementieren, an dessen Erhalt natürlich auch der ein oder andere ein Interesse hat.
Oder man akzeptiert eine Prämisse, an die ich fest glaube: Es geht nur gemeinsam. Nicht Frauen gegen Männer, sondern gemeinsam. Es gibt unzählige gelungene Beispiele von Männern, die ihre Partnerin, ihre Ehefrau, ihre Freundin unterstützen, damit diese – genau wie sie selbst – ihre Träume, Wünsche und Hoffnungen verwirklichen können. All diesen Männern, die #heforshe schon längst leben und für die es einfach völlig normal ist, ihren Frauen beizustehen und sie zu unterstützen, gilt mein aufrichtiger und herzlicher Dank.
Für eine gerechtere Welt für alle Geschlechter!
Und genau darum geht es am Weltfrauentag: Sich gegenseitig zu unterstützen, sich gegenseitig zu befähigen und einander Halt zu geben. Für eine gerechtere Welt für alle Geschlechter, in der ein „Miteinander“ im Mittelpunkt steht und kein „Gegeneinander“.
Und trotzdem braucht es die Frauenquote
Um ein Reizthema kommt man schwer herum, an diesem 8. März: dem Thema Frauenquote. Manche halten sie für das einzig tatsächlich wirkungsvolle Werkzeug auf dem Weg zu einer echten Gleichberechtigung, andere verteufeln sie, als wäre sie die Pest.
Auch für mich ist das Thema ambivalent. Denn eigentlich sollte vieles von dem, was am Weltfrauentag angesprochen werden muss, längst kein Thema mehr. Es sollte längst in vollendete gesellschaftliche Normalität überführt sein. Die Realität sieht leider anders aus.
Der Frauenanteil in den Vorständen deutscher Unternehmen liegt über die 100 größten Unternehmen Deutschlands hinweg laut statista.com für das Jahr 2020 bei 13,7%. Für die Top 200 größten Unternehmen Deutschlands übrigens bei erbärmlichen 11,5%.
Und der Allbright Bericht vom Oktober 2020 rechnet hoch, dass wir beim aktuellen Tempo ohne Frauenquote erst in genau 100 Jahren einen Frauenanteil von 40% in den Vorständen der Börsenunternehmen erreichen werden.
Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, haben wir erst in 100 Jahren einen #Frauenanteil von 40% im #Vorstand deutscher Börsenunternehmen. #AllBrightStifung #Weltfrauentag2021 #Frauenquote Share on XWenn Selbstverpflichtung und Absichtserklärungen scheitern, wird die Frauenquote notwendig
Es gab immer wieder Anläufe, um diesen Prozess zu beschleunigen. Es gab Absichtserklärungen und Selbstverpflichtungen. Doch wenn man sich die nüchternen Zahlen ansieht, muss man leider feststellen: Es waren weitgehend Lippenbekenntnisse. Deshalb, auch wenn ich es nur mit großen Bauchschmerzen äußern kann:
Um eine Frauenquote kommen wir nicht herum.
Denn die bisherigen, zahlreichen und freiwilligen Chancen, das Thema ohne ordnende Hand der Politik anzugehen, blieben leider in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nach wie vor weitgehend ungenutzt.
Und die rote Nelke? Von der kraftvollen Blume geht natürliche Power aus. Am 8. März 1911 gingen erstmals Frauen auf die Straße, um für ihr Wahlrecht zu kämpfen. Diese Demonstration wird heute als erster Internationaler Weltfrauentag angesehen. Die Nelke, als Wahrzeichen eng mit dem Sozialismus verknüpft, passte damals ideologisch gut zu den Forderungen der Frauen und hat sich bis heute als Symbol für den 8. März gehalten.
In den vergangenen 110 Jahren haben wir einiges erreicht. Trotzdem bleibt viel zu tun, damit die Tage vom 09. – 07. März nicht für immer unausgesprochene „Weltmännertage“ bleiben.
Und der 08. März vom Weltfrauentag einfach wieder zum 08. März werden kann.