das dritte Geschlecht

Stellenanzeigen und das „dritte Geschlecht“ (männlich/weiblich/inter bzw. divers)?

Schon im November 2017 hat das Bundesverfassungsgericht eine auch für Personaler bedeutende Entscheidung getroffen und das dritte Geschlecht neben Mann und Frau anerkannt. Welche Auswirkungen das auf die Kommunikation im Recruiting sowie insbesondere auf die Formulierung von Stellenanzeigen haben kann, zeige ich in diesem Beitrag auf.

Die Anerkennung der Intersexualität

Ab und zu hilft es, seine Filterblase zu verlassen und dazuzulernen. Wussten Sie beispielsweise, dass es in Deutschland zwischen 80.000 und 120.000 sogenannte intersexuelle Menschen gibt und dass deren rechtliche Anerkennung durch das Bundesverfassungsgericht Auswirkungen auf Sie als Personaler im Recruiting hat? Der deutsche Gesetzgeber muss zwar eine konkrete Regelung erst noch verabschieden, hat jedoch laut Urteil nur bis zum Ende dieses Jahres Zeit dafür.

Zuvor die wichtige Begriffsklärung:

Das dritte Geschlecht: Intersexuell

Definition von Intersexualität laut Wikipedia:

„Mit Intersexualität bezeichnet die Medizin Menschen, die genetisch (aufgrund der Geschlechtschromosomen) oder auch anatomisch (aufgrund der Geschlechtsorgane) und hormonell (aufgrund des Mengenverhältnisses der Geschlechtshormone) nicht eindeutig dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden können.“

Wichtig: Im Gegensatz dazu besteht bei der Transsexualität eine biologische Eindeutigkeit. Die Betroffenen fühlen sich jedoch anders als es ihre Biologie nahelegt.

Gleichberechtigung von männlich / weiblich / inter nach AGG

Sie ahnen mittlerweile sicher bereits anhand der Überschrift, worauf die folgende Betrachtung hinausläuft, oder? Genau: Das AGG sieht vor, dass niemand aufgrund seines Geschlechts benachteiligt werden darf. Genau an dem Punkt, an dem der Genderwahnsinn mit dem nachgestellten „(m/w)“ seinen Lauf nahm, setzt jetzt das „dritte Geschlecht“ der Diskussion die Krone auf.

Geschlechtsneutrale Stellenbezeichnungen

Was erst einmal völlig plausibel anmutet und relativ leicht umsetzbar scheint, ist in der Praxis bereits heute oft eine Herausforderung. Geschlechtsspezifische Bezeichnungen wie „Krankenschwester“ werden heute mit dem männlichen Pendant „Krankenpfleger“ noch einigermaßen vernünftig in Stellenanzeigen untergebracht. Auch den „Kaufmann“ und die „Kauffrau“ im Duo sieht man immer häufiger. Wohingegen die Formulierung „Kaufmann (m/w)“ zwischenzeitlich etwas konstruiert aussieht.

Sucht heute eigentlich noch jemand eine „Vorzimmerdame“? Wobei die heute eher als „Assistentin der Geschäftsleitung“ firmiert. Allerdings wird es schon schwieriger, wenn es um einen Vorstand geht – und dieser auch noch weiblich ist. Müsste es dann nicht korrekt „Assistentin / Assistent der Vorständin“ heißen? Oder „Assistent (m/w) des Vorstands (m/w)“ bei mehreren Vorständen unterschiedlichen Geschlechts? Der Kopf beginnt schon jetzt zu rauchen.

Und nun kommt also die dritte Geschlechtsbezeichnung dazu.

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Anfang war unklar, ob „inter“, „divers“ oder „anders“

Wobei es ohne gesetzliche Regelung noch unklar war, wie denn die korrekt zu verwendende Abkürzung am Ende lauten Solle. Im Angebot waren „inter“ wegen der Intersexualität. Oder auch „divers“, was die Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht als gleichrangigen Begriff verwendet hatten. Der Deutsche Ethikrat hatte in diesem Zusammenhang den Begriff „anders“ vorgeschlagen. Durchgesetzt hat sich am Ende der Begriff „inter“.

Neue Konstellationen bei der Stellenbezeichnung

Je nachdem welcher Begriff sich am Ende durchsetzt, werden spannende Konstellationen entstehen. Nehmen wir beispielsweise die auf einer Stellenbörse gefundene Ausschreibung mit dem Titel

„Kaufmännisch-technischer Angestellter (m/w) Einkauf“

Möglich wären folglich die gegenderten Varianten

  • Kaufmännisch/kauffraulich/kaufinter-technische(r) Angestellte(r) (m/w/d)
  • Angestellte(r) (m/w/d) mit betriebswirtschaftlichem nicht-universitärem Hintergrund
  • Arbeitender Mensch egal welchen Geschlechts mit BWLer Kenntnissen aus abgeschlossener Ausbildung

Aber mal im Ernst: Spätestens jetzt merken Sie, dass die neue Regelung Sprengstoff in sich hat. Mit einem

„Softwareentwickler (m/w/d)“ oder Softwareentwickler (m/w/i)

dürfte es mit Blick auf den Titel der Stellenanzeigen vielleicht dann doch getan sein. Aber das „dritte Geschlecht“ bringt noch zahlreiche weitere Folgen mit sich.

Die Ansprache im Recruiting

Dort wo Sie in weiteren Texten von „freundlichen Kolleginnen und Kollegen im Team“ gesprochen haben, klafft nun eine weitere Gender-Lücke. Vor allem weil „Kolleginnen, Kollegen und Intersexuelle“ dann doch sehr seltsam klingen würde. Denn bei den bisherigen Kolleginnen und Kollegen war uns Personalern ja heute schon egal, welche Orientierung diese haben. Auch eine Kollegin kann auf andere Kolleginnen stehen und männliche Kollegen auf ebensolche. Warum also sollte man bei intersexuellen Menschen plötzlich … hm, Moment Denkfehler…! Das Geschlecht der Inter-Menschen ist zu unterscheiden von deren Orientierung. Die Bezeichnung „inter“ sagt ja noch nichts über die Orientierung aus. Da dürfte nochmal jede Variante möglich sein…

Oh Gott, mir dreht sich schon alles …

Und bitte wie mache ich auf den Bildern der Stellenanzeigen eigentlich Menschen mit dem dritten Geschlecht kenntlich? Oder anders gefragt: Möchten diese Menschen überhaupt kenntlich werden, wenn selbst der deutsche Ethikrat sie als „anders“ bezeichnet. Wobei mir da gleich wieder der alte Kalauer einfällt

 „Wir sind alle anders! – Ich nicht!“

Kurz nachgedacht, gelacht und weiter im Text …

Herr, Frau und andere

Haben Sie sich darüber hinaus überlegt, wie Sie Menschen mit dem „dritten Geschlecht“ ansprechen? Sie können zur Begrüßung schließlich weder „Guten Tag Herr XY“ noch „Guten Morgen Frau YZ“ sagen. Ist „inter“ oder „divers“ hier überhaupt hilfreich?

Wahrscheinlich hilft nur der konsequente Wechsel auf die Variante Vorname-Nachname im Sinne von „Guten Tag Anna Mustermann“. Wobei das immer gerne genommene „Mustermann“ im Rahmen der Genderdebatte irgendwie auch an Glanz verloren hat. Muss es jetzt „Mustermann“, „Musterfrau“ und „Musterdivers“ oder „Musterinter“ oder gar „Musteranders“ heißen? Und muss ich immer alle Varianten aufzählen, damit sich in einem Beispiel niemand diskriminiert fühlt?

Die ungewollte Diskriminierung ist vorprogrammiert

Und was passiert in der Praxis, wenn der Mensch (oder die Menschin?!) mit dem dritten Geschlecht einen eher männlichen oder weiblichen Vornamen hat? Dann wird er (also der Mensch, nicht die männliche Wortvariante) fälschlicherweise mit einem nicht-passenden „Herr“ oder „Frau“ angesprochen. Ist ihm/ihr/divers dann daran gelegen, gleich mit dem Thema Biologie und anderes Geschlecht um die Ecke zu kommen, noch vor einem echten Kennenlernen? Na ich weiß nicht.

Und treiben wir das Ganze noch weiter auf die Spitze: Ist nicht schon die Bezeichnung „drittes Geschlecht“ diskriminierend an sich? Denn dann müsste es auch ein „erstes Geschlecht“ und ein „zweites Geschlecht“ geben. Gott (oder die Göttin oder …) bewahre uns vor den Diskussion wer hier den Platz 1 oder den Platz 2 belegt!

Die Herausforderungen im Unternehmensalltag

Wenn Sie es im Recruiting dann tatsächlich geschafft haben, ohne Diskriminierung Menschen mit allerlei (wer weiß, ob es bei dreien bleibt) biologischer Herkunft ins Unternehmen zu bringen, stehen Sie bereits vor den nächsten Herausforderungen: Welche Toilette sollen Menschen mit der Bezeichnung „inter“ oder „divers“ verwenden? Folgt hier nicht bereits die nächste Diskriminierung? Denn plötzlich müssen sich diese Menschen wieder für ein Geschlecht entscheiden.

Und ich kenne diese Diskriminierung als moderner Vater einer zauberhaften kleinen Tochter sehr gut. Nämlich dann, wenn in einem Ladengeschäft nur in der Damentoilette eine Wickelmöglichkeit angeboten wird.

Oder es entstehen der Einfachheit halber All-Gender-Toiletten.

Führt das dritte Geschlecht zum all-gender-restroom?

Herausforderungen wohin man blickt

Das Thema Gender und Gleichberechtigung beziehungsweise Nicht-Diskriminierung dürfte auch gesamtgesellschaftlich mit der anstehenden Regelung des deutschen Gesetzgebers zum Umgang mit Menschen mit dem „dritten Geschlecht“ (so langsam nerven mich diese vielen Anführungszeichen!) an Fahrt gewinnen.

Denn was ist beispielsweise mit Sportwettkämpfen und Weltmeister-Titeln? Wer übernimmt die Durchsuchung am Flughafen, wenn kein Mensch mit entsprechendem Geschlecht zur Verfügung steht? Müssen Personaler in Flughafengesellschaften zukünftig einen Einstellungsvorrang für Inter/Divers/Andere-Bewerber im Bereich Sicherheitspersonal ausrufen? Wäre das ein sachgerechter Diskriminierungsgrund für die anderen Geschlechter? – Müsste ein Mensch mit einer Einschränkung (nachgewiesen mit einem Behindertenausweis) diesen Erwägungen untergeordnet werden? Fragen über Fragen.

Und wenn Sie das Thema nun eigenständig weiterdenken, werden sie noch zahlreiche ähnlich kniffelige Herausforderungen entdecken.

Fazit zum Thema Gender in Stellenanzeigen

Dass dieser Beitrag in Teilen etwas überspitzt dargestellt wurde, muss ich hoffentlich an dieser Stelle nicht erwähnen. Auch möchte ich betonen, dass ich niemanden aufgrund seiner Biologie beleidigen möchte (gilt für alle drei bisher bekannten Geschlechter)! Nur wenn ich ehrlich bin, will ich mich als Personaler endlich wieder freier fühlen und mich den wirklich wichtigen Aufgaben widmen: Den Gesprächen mit Menschen. Und zwar in unkomplizierter Art und Weise. Ohne lauernde Fettnäpfchen. Und ohne dass sich gleich irgendwer diskriminiert fühlt.

Was tun?

Ganz ehrlich: Wenn es das Problem lösen würde, wäre ich sofort dabei, die Unternehmenssprache auf Englisch umzustellen. Dort gibt es nämlich diese Genderdiskussionen anhand von Begriffen nicht. Berufsbezeichnungen sind dort geschlechtsneutral geblieben. So wie es übrigens laut Wikipedia auch in Deutschland rein sprachwissenschaftlich noch ist: Denn dort steht „(…) sprachwissenschaftlich gesehen sind Berufsbezeichnungen eine Untergruppe der Personenbezeichnungen, d. h. der Nomen Agentis, die einen der Haupttypen der Substantive darstellen.“.

Mit dem Schwenk ins Englische hätte sich by the way auch das „Siezen“ oder „Duzen“-Thema gleich mit erledigt. Da dieser Ausweg auch mehr schlecht als recht umsetzbar scheint, werden Sie sich vermutlich mit einer immer verschraubteren Sprache auseinander setzen müssen.

Oder Sie setzen bewusst ein Zeichen gegen den Genderwahnsinn und formulieren eine Fußnote zu Ihrem Stellentitel „Die Stellenbezeichnung meint nicht die männliche Variante, sondern steht für die geschlechtsneutrale Bezeichnung des Berufs laut wikipedia. Willkommen sind Menschen egal welchen Geschlechts, welcher Herkunft, sexuellen Orientierung und Religion“ und sparen sich alles andere.

Für alle anderen, verweise ich gerne auf meinen Beitrag zum Diversity-gerechte Formulierungen im Personalmarketing sowie auf das am 09.04. neu aufgelegte Factbook Diversity des Charta-der-Vielfalt e.V.

Wobei mein ernstgemeinter Rat in eine ganz andere Richtung geht: Erstmal abwarten, was der Gesetzgeber vorschreibt. Und Menschen stets als Menschen sehen und so behandeln – unabhängig von ihren Eigenheiten. Offen und tolerant. Meine Meinung.

* * * * *

UPDATE vom 27.08.2018:

Ich habe noch einmal eine Zusammenfassung des aktuellen Standes (Gesetzesvorlage der Bundesregierung) als Blogbeitrag verfasst.


UPDATE: 03.12.:

Nachdem mittlerweile der Bundesrat das neue Gesetz ohne Anpassungen durchgewunken hat, hier mein aktueller Beitrag zur Frage der Auswirkungen des neuen Gesetzes zum dritten Geschlecht auf Arbeitgeber und Personalabteilungen in der Praxis.

Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer (Personalmagazin 05/22) betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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