Recruiting auf Augenhöhe, auch Peer-Recruiting genannt, wird noch stark unterschätzt. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand. Denn die Grundsätze „Menschen gewinnen Menschen“ und „Emotion vor Information“ gelten vor allem im Personalmarketing.
Meine Botschaften aus zahlreichen Vorträgen, jetzt auch zugespitzt in Artikel-Form.
Wer ist für Recruiting im Unternehmen zuständig?
Beginnen möchte ich mit einer Frage: Wer ist in Ihrem Unternehmen für Recruiting, also für die Personalgewinnung zuständig?
Lautet Ihre Antwort: HR? Sind es gar spezialisierte Recruiter:innen? Sprechen wir über Führungskräfte oder das Top-Management? Oder gar „alle Mitarbeitenden als Markenbotschafter“?
Ja, manchmal tut es gut, vermeintlich einfache Fragen zu stellen, um sich klarzumachen, wie Verantwortung tatsächlich im Unternehmen oder innerhalb von HR verteilt ist.
Eine ähnliche Frage hatte ich übrigens schon 2017 im Artikel „Wer entscheidet über eine Einstellung – HR oder der Fachbereich?“ gestellt.
Kampagnen erzeugen Aufmerksamkeit, aber Menschen gewinnen Menschen
Getreu der von mir in meinem Fachbuch „Praxisleitfaden erfolgreiche Personalgewinnung für KMU“ vorgestellten Formel
ERFOLG = ATTRAKTIVITÄT x SICHTBARKEIT
sorgen Personalmarketing-Kampagnen natürlich für ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Gerade in Zeiten, die den brutalen Gesetzen der Aufmerksamkeits-Ökonomie unterliegen, ist das eine immense Herausforderung, um nicht der berühmte „Attraktive Arbeitgeber für die Hosentasche“ zu sein.
Und dass sich die Regeln der Aufmerksamkeit-Gewinnung geändert haben, sieht man eindrucksvoll zum Beispiel daran, wie die im Personalmarketing für Schüler:innen bedeutsame Social Media App TikTok funktioniert.
Mein Blogger- und Arbeitskollege Christian Buggisch hat in einem Artikel letzte Woche Zahlen veröffentlicht zur Nutzung der Kurzvideo-Plattform TikTok: Dabei beträgt die tägliche Nutzungszeit von TikTok rund 94 Minuten. Wenn in Summe dabei angeblich durchschnittlich 1.038 Videos betrachtet werden, so beläuft sich die Zeit, die für das Konsumieren eines TikToks aufgewendet wird, auf gerade mal 5,26 Sekunden.
Unabhängig davon, ob die Zahlen auf die Komma-Stelle korrekt sind, kann ich das aus eigenen Erfahrungen bestätigen. Aufmerksamkeit ist heute ein extrem rares Gut, um das auch im Personalmarketing heftig gerungen wird.
Von der Wahrnehmung hin zur Überzeugung
Getreu des AIDA-Funnels im klassischen Marketing, den ich in einem Artikel 2018 zum VAIDA-Funnel im Personalmarketing weiterentwickelt hatte (unter Einbezug von „V“ wie Visibility), ist eine Kampagne allein aber noch nicht geeignet, um Menschen im Recruiting für ein Unternehmen zu gewinnen. Personalmarketing sorgt allerdings dafür, im sogenannten „relevant set“ zu sein, also als potenzieller Arbeitgeber generell in Frage zu kommen.
Wer aber gewinnt nun die Menschen für die Organisation?
Mit Blick auf den Titel dieses Artikels „Menschen gewinnen Menschen“ wenig überraschend, sind es am Ende die Menschen, die ausschlaggebend sind. Und sehr häufig sind es nicht die Menschen im HR oder gar im Personalmarketing bzw. Recruiting. Sondern die Mitarbeitenden, die den Gesuchten „auf fachlicher Augenhöhe“ begegnen.
Niemand will mit HR sprechen. Außer HR.
Der Ausspruch „Niemand will mit HR sprechen. Außer HR.“, den ich mittlerweile in zahlreichen Vorträgen und Keynotes verwendet habe, erzeugt meist erst einmal oberflächliche Lacher. Mit meinen weiteren Ausführungen wird in der Regel jedoch allen schnell klar, was ich damit meine.
Im Recruiting werden Menschen von Menschen gewonnen, die im Unternehmen bereits vergleichbare Positionen und Jobs einnehmen. Will heißen: Softwareentwickler:innen begeistern Softwareentwickler:innen, Azubis gewinnen Azubis und so weiter.
Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Unternehmen gerade im Bereich Azubi-Gewinnung besonders erfolgreich auf den Einsatz eigener Azubis in der Kommunikation setzen, beispielsweise als Aktions-Team in Schulen. Oder eben in der Social Media Kommunikation via Instagram und TikTok.
Und seien wir mal ehrlich: Bei der Azubigewinnung will doch niemand einen angegrauten Mann wie mich sehen. Außer dann, wenn es um die Ansprache der Eltern geht. Aber das bestätigt meine These zum Peer-Recruiting: Denn dann erfolgt die Ansprache ebenfalls „auf Augenhöhe“ – von Eltern zu Eltern sozusagen.
Ist HR damit komplett unwichtig im Recruiting-Prozess?
Nein, definitiv nicht. Die Expertise von HR-Menschen im Recruiting ist essenziell. Auch sind oft viele Fragen der Jobsuchenden zu klären, die Rahmenbedingungen wie Vergütung, Arbeitszeiten, die Möglichkeit mobil arbeiten zu können, und vieles mehr betreffen.
Aber dem tatsächlichen (emotionalen) Gewinnen der Menschen liegt immer häufiger Peer-Recruiting zugrunde.
Recruiting auf Augenhöhe: Vorteile Peer-Recruiting Ansatz
Die Vorteile des Peer-Recruiting-Ansatzes liegen in der deutlich höheren Glaubwürdigkeit der Gesprächspartner. Wenn eine hochrangige Führungskraft Aussagen über das Unternehmen, die Arbeit in der Abteilung oder dem Team treffen, sind diese sicherlich wertvoll. Aber Hand auf´s Herz: Wenn potentielle Azubis die Möglichkeit haben, mit ihresgleichen mal -in Jugendsprache- über das Arbeiten im Unternehmen zu sprechen, übertrifft das die Glaubwürdigkeit und damit den positiven Recruiting-Effekt bei Weitem.
Viele hochrangige Führungskräfte halten sich zwischenzeitlich im Recruiting stark zurück, um auch hier sogenanntes „Micromanagement“ zu vermeiden. Stattdessen werden Fachexpert:innen aus den Teams via Peer-Recruiting einbezogen.
Von Markenbotschaftern und Corporate Influencern
Das Ganze lässt sich auch organisatorisch systematisieren. Unternehmen sprechen neben dem Begriff „Markenbotschafter“ immer häufiger auch von „Corporate Influencern“. Die Schlagkraft von Mitarbeitenden (und Führungskräften), die als persönliche Botschafter:innen für das Unternehmen im Personalmarketing und Recruiting aktiv werden, wird trotzdem häufig noch unterschätzt.
Auch bringen Corporate Influencer Programme eine Reihe von Herausforderungen mit sich, die jedoch lösbar sind.
Auf Markenbotschafter:innen im Rahmen von Peer-Recruiting zu verzichten, ist hingegen fahrlässig.
Von Sympathie- und Abstrahl-Effekten im Recruiting
Manchmal mag ich es selbst gar nicht glauben. Aber es gibt einen sehr hilfreichen Sympathie- und Abstrahl-Effekt im Recruiting. Denn wenn via Peer-Recruiting auf fachlicher Augenhöhe kommuniziert wird, repräsentiert das Gegenüber der Bewerbenden das gesamte Unternehmen. Das Erleben der via Employer Branding abstrakt aufgebauten Arbeitgebermarke wird massiv beeinflusst vom Erleben kompetenter und sympathischer Ansprechpersonen beim Peer-Recruiting.
Was potentielle Kandidat:innen von diesen Peers, die schon im Unternehmen arbeiten, wahrnehmen, was sie über diese denken und vor allem fühlen, strahlt maximal auf die Wahrnehmung des Arbeitgebers ab.
Das ist ein wenig verrückt, weil natürlich diese eine Begegnung -außer in ganz kleinen Unternehmen- in den allerwenigsten Fällen so etwas wie „repräsentativ“ ist. Und dennoch wird beim Peer-Recruiting das Gegenüber auf Seiten des Arbeitgebers zur Personalisierung des Unternehmens. Den Effekt habe ich oft genug in der Praxis erlebt und ich glaube fest daran.
Davon zu unterscheiden ist der umgekehrte Effekt bei den Peers, der im Recruiting dafür sorgen kann, dass diese aufgrund reiner Sympathie zu einer nicht optimalen Einstellungsentscheidung verleitet werden. Um Biases soll es hier heute nicht gehen. Wir haben das Thema aber in einem exklusiv für den PERSOBLOGGER CLUB erstellten 12-seitigen Whitepaper auf den Punkt formuliert.
Peer-Recruiting in der Praxis einsetzen
Wie also sollten Unternehmen Peer-Recruiting in der Praxis einsetzen?
Nur ein paar Beispiele von vielen:
- Nutzung von Fachbereichen auf Messen, Events und Veranstaltungen statt HR bzw. gemeinsam mit HR
- Zielgruppen-adäquate Kommunikation online bzw. offline (Stichwort z.B. Azubi-Teams in Schulen)
- Recruiting-Prozess-Stufe: Gemeinsamer Kaffee von Bewerbenden zusammen mit dem potentiellen neuen Team
- Personalisierte Stellungnahmen auf kununu (Gesicht zeigen)
- Speaker-Einsätze von Fachexpert:innen auf Konferenzen
Immer dort, wo eine Organisation durch einzelne Menschen repräsentiert werden kann, liegen die Stärken im Peer-Recruiting. Denn -ich wiederhole das gerne nochmals- Menschen gewinnen Menschen!
Social Media: Bitte keine Stellenanzeigen posten!
Wenn wir über Online-Aktivitäten von Markenbotschaftern oder Corporate Influencern sprechen, betone ich immer wieder, dass das sogenannte Personal Branding wichtig ist. Natürlich können allgemeine Marketing- oder Personalmarketing-Inhalte einfach gepostet oder verwendet werden. Ebenso Stellenanzeigen.
Aber mal ehrlich: Niemand möchte (noch mehr) Stellenanzeigen im eigenen Social Media Feed lesen! Diese verzweifelte Suche der meisten Unternehmen ist aus meiner Sicht immer weniger erfolgreich. Natürlich hilft das vereinzelte (!) Einstreuen von Job-Postings der Sichtbarkeit entsprechender Positionen.
Allerdings wird bei häufiger oder gar ausschließlicher Verwendung eher unpersönlicher Inhalte einer der wesentlichen Grundsätze erfolgreicher Social Media Kommunikation verletzt: Die Frage nach dem Nutzen für die Zielgruppe.
Denn Reichweite auf Social Media aufzubauen (Stichwort: Aufmerksamkeits-Ökonomie), funktioniert nur dann, wenn die Inhalte für die erreichten Menschen tatsächlich hilfreich sind. Und bestenfalls auch persönliche beziehungsweise emotionale Komponenten aufweisen.
Und egal ob wir immer noch daran glauben, dass wir bei der Jobsuche rein rationale Entscheidungen treffen: Bei der Mehrzahl unserer Entscheidungen agieren wir erst einmal emotional. Das gilt für die Wahrnehmung auf Social Media um so mehr.
Emotion vor Information!
Auf den Punkt bringen könnte man meine Meinung noch mit dem Slogan „Emotion vor Information!“. Denn genau darum geht es auch im Peer-Recruiting: Ein emotionales Signal zu setzen im Sinne von „Ich verstehe Dich“ („Ich bin Dein Peer und weiß, wovon Du redest“). Alles Weitere kann dann folgen.
Nutzen Sie im Rahmen Ihrer Personalmarketing- und Recruiting-Aktivitäten also ruhig viele emotional aktivierende Inhalte und hoffen Sie nicht darauf, dass Ihnen aufgrund einer abstrakten Personalmarketing-Kampagne die Bewerbenden schon „die Bude einrennen“. Nutzen Sie deren Effekt stattdessen bewusst für sich und eine persönliche Kommunikation der Mitarbeitenden.
Denn – sie ahnen es bereits – Ihre Menschen gewinnen Menschen.