Das Formulieren von Stellenanzeigen ist ein Job für HR-Profis. Denn neben der generellen Austauschbarkeit vieler Jobausschreibungen sowie oft inhaltsleeren Formulierungen, lauert die Gefahr eines Genderbias. Damit kann es zu Verzerrungen bei der Bewerbungsabsicht einzelner Geschlechter kommen. Ein Tool will den Personalabteilungen in der Praxis helfen, um Diskriminierungen zu vermeiden.
Was ist Genderbias (auch Gender Bias)?
Genderbias ist ein geschlechtsbezogener kognitive Verzerrungseffekt der Wirklichkeit durch Formulierungen, gedankliche Annahmen (wie Stereotype) oder statistische Fehler. Dieser führt zu einer falschen Darstellung geschlechtsspezifischer Verhältnisse – oder kann bei Stellenanzeigen mit Gender Bias dazu führend, dass sich ein Geschlecht hierauf bevorzugt bewirbt.
Vielfalt und Chancengleichheit der Geschlechter
Das Thema Chancengleichheit der Geschlechter treibt die Gesellschaft und die großen Medien ja schon eine ganze Weile um. Unter dem Begriff Diversity ist spätestens mit der Charta der Vielfalt auch in Deutschland ein Bewusstsein entstanden, dass Diskriminierung nicht immer offen erfolgt, sondern viele Dimensionen haben kann –das Geschlecht, englisch „gender“, ist dabei nur eines von zahlreichen Beispielen.
Vor allem die heftigen Diskussionen rund um die Anerkennung des 3. Geschlechts „divers“ neben Mann und Frau haben gezeigt, dass hier etwas in Bewegung gerät. Vormals nicht oder wenig hinterfragte Rollenbilder und Stereotype werden immer stärker auf den Prüfstand gestellt.
In gleichem Maße gewinnt eine Bewegung an Fahrt, die sich für mehr Chancengleichheit für Frauen in der Arbeitswelt starkmacht. Allen voran sind dies zahlreiche Frauen-Karrierenetzwerke.
Stellenanzeigen gelten als „notwendiges Übel“
Klassische Stellenanzeigen sind per se kein „Wunderwerk der Kunst“, sondern werden häufig sowohl seitens der Personalabteilungen als auch durch die meisten Jobsuchenden als lästiges Übel empfunden. Der Grund: zu abstrakte Formulierungen zu potenziellen Aufgaben und Verantwortungen sowie der Wunsch nach der umfassenden „eierlegenden Wollmilchsau“ sorgen in der Praxis oft
- für völlig überzogenen Anforderungen
- austauschbare und nichtssagende Floskeln
- Ansprüche von Arbeitgebern, die in keinem wissenschaftlich sinnvollen Zusammenhang mit der später ausgeführten Tätigkeit stehen oder
- zu Wünschen von Nachweisen, die keinerlei Prognose für das tatsächlich vorhandene Potential einer Person auf der Stelle erlauben.
Das Thema Bewerbungsanschreiben möchte ich hier bewusst mal außen vorlassen.
In Summe ist es zunehmend schwierig, zuerst die Algorithmen einer Jobplattform – oder auch den Google-Algorithmus – dazu zu bringen, die eigene Stellenanzeige in den Ergebnissen vorrangig anzuzeigen. Und im Anschluss auch noch die menschlichen Leserinnen und Leser inhaltlich von der eigenen Passung zu überzeugen.
Genderneutrale Stellenanzeigen versus Gender Bias
Dazu kommt die Herausforderung, Stellenanzeigen genderneutral beziehungsweise ohne Gender Bias zu formulieren. Nicht nur, weil laut Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verboten und mit einem Schadensersatzanspruch der Diskriminierten bewehrt ist. Sondern auch, weil die Vermutung besteht, dass Menschen eines Geschlechts sich durch die Verwendung eher männlich oder weiblich geprägten Wörter, von einer Bewerbung abgehalten fühlen könnten.
Auswirkung von Formulierungen auf die Bewerbungsabsicht
In diesem Zusammenhang wird häufig in der Argumentation auf Studien Bezug genommen, die festgestellt haben wollen, dass sich Frauen messbar von einer Bewerbung abhalten lassen, wenn die Stellenanzeige mit vorwiegend männlich assoziierten Begriffen gespickt ist.
Das beginnt mit Stellentiteln wie „Recruiter m/w/d“, die über das generische Maskulinum (wenn man das bei eingedeutschten englischsprachigen Begriffen überhaupt so nennen kann) hinaus, die AGG-bedingte Ergänzung „m/w/d“ tragen. Greifbarer wird das vermutlich aber eher bei Berufen wie „Krankenschwester“ oder „Pfleger“ – die geschlechtsneutral zum Beispiel „Pflegefachkräfte“ heißen könnten. Vermutlich würde aber niemand danach begrifflich suchen.
Aber auch der Text einer Stellenanzeige kann einen Genderbias in sich tragen. Denn tatsächlich gibt es Begriffe, die die Mehrzahl der Menschen eher als männlich oder als weiblich einordnen würden. Dazu habe ich in einem Artikel zum Weltfrauentag bereits ausführlicher berichtet.
Genderbias in Stellenanzeigen – meist unsichtbar
In den meisten Fällen ist den Menschen, die Stellenanzeigen formulieren aber gar nicht bewusst, dass die Verwendung ihrer Wörter eine genderspezifische Auswirkung auf die Ansprache der im Recruiting gesuchten Zielgruppen haben kann. Genderbias schleicht sich quasi in die Formulierungen.
Wie lässt sich dieser nun im Sinne einer geschlechtsneutralen – oder besser: geschlechtlich ausgewogenen Formulierung sichtbar machen? StepStone hat dafür jetzt ein Tool zur Verfügung gestellt, den sogenannten Genderbias Decoder.
Der Genderbias Decoder von StepStone
Um den Genderbias in Stellenanzeigen zu thematisieren, veröffentlichte die Jobplattform unter anderem eine Übersicht mit tendenziell eher männlich beziehungsweise tendenziell eher weiblich geprägten Wörter.
Um diese und andere Formulierungen in bereits ausformulierten Stellenausschreibungen sichtbar zu machen, kann ein Text in den Genderbias Decoder einkopiert werden. Das Tool zeigt dann Formulierungen an, die auf einen Gender Bias hinweisen könnten und zählt diese. In einer Kurzbewertung kann die Gesamtbewertung dann abgelesen werden.
Natürlich habe ich das mal mit einigen Anzeigen getestet, siehe Beispiel.
Fazit zum Genderbias Decoder Tool
Mit dem Genderbias Decoder bietet StepStone ein Tool für die Praxis an, um Ihre Stellenanzeigen zu analysieren. Sicherlich sind die dort erkannten Wörter lediglich ein Einstieg in diskriminierungsfreie Formulierungen. Der Decoder ist dabei keine Prüfsoftware für korrektes Gendern! Und die Empfehlungen sind meiner Meinung nach noch nicht unbedingt selbsterklärend. In meinem Test-Beispiel oben (einem von mehreren) schlägt das Tool zum Beispiel vor, ausgerechnet den einzigen männlich geprägten Begriff auszutauschen und damit letztlich eine tendenziell komplett weiblich vorgeprägte Anzeige zu erstellen. – Die Antwort liefert(e) mir StepStone direkt: Anscheinend haben die Studien gezeigt, dass zwar Frauen sich von einer zu männlichen Wortwahl von einer Bewerbung abschrecken lassen – umgekehrt die Männer aber nicht.
So oder so erhalten Sie durch die Analyse jedenfalls wertvolle Hinweise, die Sie und Ihre HR-Kolleginnen und Kollegen zumindest sensibilisieren können. Inwieweit Sie daraufhin systematisch Ihre Stellenanzeigen durchkämmen und entsprechende Anpassungen vornehmen, bleibt Ihnen überlassen. Auch ob Sie generell den Studien Glauben schenken, dass Menschen sich nach Geschlechtern von einer Bewerbung tatsächlich abhalten lassen, ist letztlich egal.
Der Genderbias Decoder ist in jedem Fall ein guter Anlass, das Thema Gender Bias im Recruiting in Ihrem Unternehmen noch einmal intensiver zu beleuchten.
Ich bin jedenfalls gespannt, wie sich das Tool nach meinem ersten Praxistest hier weiterentwickelt.
Ein alternativer Gender-Decoder befindet sich auf den Seiten der TU München, inkl. weiterer Studien zum Thema.