Der Erwerbstätigenmangel im deutschen Arbeitsmarkt kommt nach der Corona Krise mit großer Gewalt zurück. Nun ist es dringend notwendig – sowohl von Seiten der Politik als auch direkt in jedem einzelnen Unternehmen – die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um einen Schaden durch Personal- und Kompetenzmangel entgegenzuwirken. Warum dabei eine stärkere Beteiligung der Frauen eine Rolle spielen sollte, verrät Carlos Frischmuth in seinem Artikel.
Frauenerwerbsquote weiter erhöhen
Natürlich gibt es für die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht die eine Lösung, sondern ein Paket von idealerweise aufeinander abgestimmten Maßnahmen. Ein ganz zentraler Ansatz besteht darin, Frauen noch besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Dadurch wäre zwar nicht alles gelöst, jedoch ein wichtiger Baustein gesetzt, um den zunehmenden Fachkräftemangel anzupacken.
Auf den ersten Blick sehen die Zahlen dazu alles andere als schlecht aus:
Immerhin fast 75 % der Frauen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren waren im letzten Jahr in Deutschland in irgendeiner Form erwerbstätig.
Die Frauenerwerbsquote steigt seit Jahren kontinuierlich an, selbst im Corona-Jahr 2020. Vor den Männern müssen sich Frauen damit also wirklich nicht mehr verstecken. Sogar im europaweiten Vergleich steht die deutsche Erwerbsquote von Frauen ganz passabel da.
Sie bildet quasi die “Verfolgergruppe” der bislang führenden skandinavischen Länder und der Schweiz. Länder wie Island, Dänemark und Schweden setzen hier bereits seit vielen Jahren den Maßstab.
Viele erwerbstätige Frauen arbeiten in Teilzeit
Gibt es trotzdem einen Haken an diesen auf den ersten Blick erfreulichen Zahlen? Nun, viele erwerbstätige Frauen arbeiten nicht voll, sondern in Teilzeit. Vor allem, wenn sie – was nicht überraschend ist – Mütter sind.
Dies verdeutlicht ein weiterer kleiner Blick in die Statistik von 2019: Über 60% der Frauen mit minderjährigen Kindern arbeiten in Teilzeit. Bei Männern in der gleichen familiären Lage sind es gerade einmal 6%.
Diese Zahlen aus dem Jahr 2019 sprechen Bände. Von einer adäquaten Verteilung der familiären Lasten sind wir demnach meilenweit entfernt, obwohl sich in den letzten Jahren etwas bewegt hat. In Sachen Gleichberechtigung herrscht nach wie vor dringend Handlungsbedarf.
Den Fachkräftemangel würde eine gerechtere Verteilung der Teilzeitarbeit auf Männer und Frauen jedoch kaum lösen, sondern nur geschlechtlich verlagern.
Mangelnde Betreuungsoptionen für die Kinder in Deutschland
Natürlich gibt wie so oft bei solchen Arbeitsmarkteffekten „gute Gründe“, weshalb sich Frauen nach der Geburt ihrer Kinder bis auf Weiteres aus dem Berufsleben verabschieden. Einen dieser Gründe belegen auch hier statistische Zahlen: Das Angebot an Betreuungsoptionen für Kinder ist in Deutschland ganz eindeutig unzureichend und in einigen Regionen regelrecht mangelhaft.
Eine persönliche Frage: Wie oft haben Sie in Ihrem Umfeld schon junge Eltern verzweifelt klagen hören, dass man keinen KITA-Platz bekommt oder selbst private Tagesmütter chronisch überbucht sind?
Zwar verkündete das statistische Bundesamt im März 2020 stolz, dass die Tagesbetreuungsquote für unter dreijährige Kinder auf 35% gestiegen sei. Das heißt aber im Umkehrschluss: viele Familien finden kein adäquates, zuverlässiges Angebot. Und damit bleiben die Frauen dann doch zu Hause, bevor sie sich in fragilen Betreuungskonzepten komplett aufreiben.
Und das trotz des mittlerweile bestehenden bundesweiten Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Politische Ankündigungen oder Zielsetzungen und ge- bzw. erlebte Wirklichkeit liegen einmal wieder meilenweit auseinander.
Kinderbetreuung im Schulkind-Alter nicht besser
Die gute Nachricht für die meisten Regionen in Deutschland: Für die Drei- bis Sechsjährigen sieht es mittlerweile sehr gut aus. Weit über 90% haben ihren Platz.
Doch sobald die Kinder in die Schule kommen, wird die Betreuungsfrage sofort wieder zum Thema. Hier sind Betreuungsplätze nach der offiziellen Unterrichtszeit am Nachmittag knapp bemessen. Ein Relikt deutscher Schulpolitik aus dem letzten Jahrhundert?!
Einen Rechtsanspruch für Grundschulkinder soll es erst ab 2026 geben. Wechseln die Kinder dann aufs Gymnasium, setzen viele Lehrerinnen und Lehrer voraus, dass Eltern ihre Kinder intensiv unterstützen. Das ist ein absolutes No-Go für eine führende Wirtschaftsnation wie Deutschland und in diesem Punkt ein politisches Fehlversagen auf ganzer Linie!
Karriere von Frauen und Employability
Das alles bedeutet: Viele Frauen sind nicht nur über die ersten Lebensjahre ihrer Kinder gebunden, sondern wesentlich länger. Beruflich heißt das für die Frauen, über längere Zeitstrecken in Teilzeit zu arbeiten. Sonst ist die Karriere in der bisherigen Laufbahn stark verzögert gegenüber den männlichen Mitstreitern, dauerhaft beschädigt oder – noch schlimmer – eventuell gar zu Ende.
Zumal viele Unternehmen noch in klassischen Kategorien denken und auf biografisch später anlaufende Karrieren keine guten Antworten parat haben. Das Thema spielt bei dem wichtigen Arbeitsmarktfaktor älterer Beschäftigter (Stichwort: Employability) ebenfalls eine Rolle. Diesen Aspekt gilt es neben dem ergänzenden Faktor der qualifizierten Zuwanderung und Auslandsrekrutierung von Fachkräften separat zu berücksichtigen.
Kinder immer noch häufig Karrierekiller für Frauen
Die traurige Bilanz: Kinder sind nach dem aktuellen Stand nach wie vor für viele Frauen ein Karrierekiller. Wer verdenkt es ihnen, dass sie dann nicht wieder komplett aufstocken, wenn ihre Kinder aus dem Gröbsten raus sind. Den „alten” Karriereträumen mit doppelter Geschwindigkeit hinterher rennen zu müssen, wirkt nicht gerade motivierend.
Nachvollziehbar! Für den Fachkräftemangel in unserer Volkswirtschaft ist dies jedoch fatal.
Was lehrt uns dies?
Zum einen, dass der Staat weiterhin dringend gefordert ist, die Kinderbetreuung zu verbessern, nicht nur für die Kindergarten, sondern auch für die Schulzeiten. Gekoppelt mit einer längst überfälligen standesgemäßen Bezahlung der pädagogischen Berufe.
Fakt ist: Erzieherinnen und Erzieher sind für die ihnen übertragene Verantwortung „kleine Menschen groß zu machen” einfach deutlich unterbezahlt. Darüber hinaus sollte die Gesetzgebung dringend die Rahmenbedingungen flexibilisieren: Kann es sein, dass der Switch von Teil- in Vollzeit immer noch ein bürokratischer Kraftakt ist? Und können wir die Regelungen zur Elternzeit nicht für alle Beteiligten geschmeidiger und mit einem engeren Bezug zum echten Leben halten?
Unternehmen müssen Wege aus dem Fachkräftemangel finden
Für Unternehmen ist es ein Leichtes, sich hinter gesetzlichen Regelungen zu verschanzen und im Nichtstun einzurichten. Ja, zugegeben, das deutsche Arbeitsrecht ist hochkomplex, da brauchen mittelständische Betriebe mittlerweile eine Kohorte an Rechtsberatern. Dennoch sind Unternehmen gefragt, Frauen mit Kindern berufliche Wege offenzuhalten.
Natürlich gehören flexible Arbeitszeiten und -modelle dazu, genauso wie sensible Führungskräfte LINK, die ein Gespür für die Belange berufstätiger Mütter haben. Führungskräfte müssen dabei begleitet werden. Hier gilt es in mehr Trainings- und Coaching-Angebote zu investieren!
HR muss sich am Menschen ausrichten, nicht an Gesetzen
Aber vor allem braucht es moderne HR-Bereiche, die sich nicht nach Paragrafen, sondern nach MENSCHEN ausrichten.
An Letzterem krankt es jedoch – stattdessen regiert die Bürokratie. So wird von Müttern kurz nach der Geburt ihrer Kinder verlangt, konkrete Termine für die Dauer ihrer Elternzeit zu melden. Obwohl sie noch kein klares Bild über ihre Rückkehr haben und noch nicht einschätzen können, wie sie die komplett neue Lebenssituation für sich meistern können.
Was dagegen nicht oder deutlich zu wenig passiert, ist, dass sich HR und Führungskräfte offen und ehrlich mit Müttern über ihre weitere Karriereplanung austauschen und individuelle Modelle skizzieren.
Spricht zum Beispiel etwas dagegen, Mütter in Elternzeit in befristete Projekte einzubinden? Oder Führungsaufgaben zwischen zwei Beteiligten zu teilen, sprich: Tandem-Führungsmodelle? Das hat sich in der Praxis längst bewährt.
Zweifellos gilt es Produktivität oder Performance-Management zusammen mit der Menschlichkeit und den Blick auf den einzelnen Menschen in einem “Management-Spagat” zu meistern.
Mein Fazit
Es gibt weiterhin viel zu tun in puncto Frauenerwerbsquote. Und es gehört zur Wahrheit dazu, dass es keinen keinen leichten Ausweg gibt. Politik und Wirtschaft müssen gemeinsam Sorge tragen, dass wir alle wertvollen Potentiale und Kompetenzen für den deutschen Arbeitsmarkt aktivieren und sichern.
14 Antworten
Ein weiterer Aspekt ist sicherlich auch der Gender Pay Gap, der in vielen Partnerschaften dazu führt, dass aus finanziellen Gründen die Frau zuhause bleibt bzw. in Teilzeit arbeitet. Auch hier muss sowohl von der Politik, als auch den Unternehmen deutlich mehr getan werden. Mehr Transparenz auch in kleiner Unternehmen ohne Betriebsräte usw.
Auch wichtig: bessere Bezahlung in „Care Berufen“, die mehrheitlich von Frauen gewählt werden
Und: gezielte Förderung von Mädchen in MINT Fächern
Und das ist noch nicht alles 🙂
Das stimmt, Anina. Es gibt so viel zu tun, so viele Stellschrauben. Und so viele von uns, die Lust und Mut haben, das anzupacken. Das finde ich absolut inspirierend. Aber ich frage mich oft, wie HR sich hier Gehör verschaffen kann.
Vielen Dank Mara. HR muss die Rolle des Moderation verlassen und endlich Umsetzungsmodelle mit einzelnen Fachbereichen in Unternehmen voranbringen. Es braucht mutige HRler…wo sind sie?
Die mutigen HRler:innen sind schon da, werden aber oft ausgebremst durch die fehlende Bereitschaft in den Unternehmen/Fachbereichen, den gesellschaftlichen Tatsachen ins Auge zu sehen und darauf zu reagieren. Auch hier gilt wohl: Steter Tropfen …
Absolut Julia, Du hast Recht. Dann sage ich es so: „lasst die Stimmen lauter werden…“ 😉
Ich denke da sehr ähnlich wie meine beiden Vorrednerinnen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf darf kein Schlagwort sein, sondern muss mit Leben und somit mit konkreten Ideen und Maßnahmen gefüllt werden. Starre Arbeitszeitsysteme sind wenig zielführend.
Liebe Kathrin, vielen Dank. Genau darum ging es mir auch in dem Blogpost. Lg Carlos
Ein wahres Thema! Wie hier schon richtig aufgegriffen geht es nicht alleine darum, dass Frauen mehr in die Erwerbstätigkeit kommen sollen, sondern dass der Mensch mit Kindern (egal ob m/w/d, Paar oder Alleinerziehend) bessere Unterstützung erhält. In Form von mehr bezahlbaren Betreuungsmöglichkeiten, flexiblerer Arbeitszeit, dass auch noch mehr anerkannt wird, dass auch der Mann Elternzeit nehmen kann und will oder früher weg muss um für die Kinder da zu sein.
Voll Zustimmung liebe Katharina!
Lg Carlos Frischmuth
Die Grundforderung,Frauen besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist selbstverständlich richtig. Der Grund für bessere Arbeitsbedingungen für Frauen sollte aber nicht nur der Fachkräftemangel sein. Provokant gefragt:Wenn wir dann die Frauen „abgegrast“ haben verlagert sich der Fokus auf Immigranten und Behinderte? Es ist einfach sinnvoll, die Gesellschaft mit all ihren Beteiligten auch in der Unternehmenswelt abzubilden.
Die Vision sollte aus meiner Sicht sein: Arbeit muss so konzipiert sein, dass jede(r) seinen Job seinem Leben anpassen kann -nicht umgekehrt, wie es heute immer noch zum größten Teil ist.
Liebe Cordula Schneider, das ist absolut richtig. Mein Beitrag kommt in der Tat etwas aus der Diskussion um die Herausforderungen des Arbeitsmarktes. Da kommt dieser Aspekt den Du ansprichst vielleicht etwas zu kurz – auch wenn ich ihn schon drin habe 😉 LG Carlos Frischmuth
Was bei allen wohlgemeinten politischen Diskussionen oft vergessen wird: Eltern ermöglichen, Zeit für die Familie zun haben! Auch wenn das jetzt sehr konservativ klingt: Mehr Zeit für die Familie zu haben, stärkt Eltern und gibt ihnen die nötigen Ressourcen, ihre Arbeit gut zu machen. Und davon profitieren dann auch die Unternehmen. Es geht immer nur darum, die Vollzeitquote zu erhöhen, als ob eine möglichst lange Arbeitszeit auch bessere Ergebnisse garantieren würde. Das ist ein gestriges Modell, das dringend überprüft gehört. Der Grund für die hohe Erwerbsquote von Müttern in Skandinavien liegt auch in den innovativen Arbeitszeitmodellen. Eines davon, wie im Artikel erwähnt, das Jobsharing. Nine to five hat ausgedient, Präsenzkultur ebenso. Die Fixierung der Diskussion auf VZ vs. TZ bringt meiner Meinung nach keinerlei Verbesserung.
Das stimmt Julia, aber wir sind hier auf eine Reise in Deutschland. Jedes Land muss da sein Tempo fahren. Wir sind langsamer als die Skandinavier. Wirtschaft, Politik und Gesellschaft muss das gemeinsam machen. Einzelne Unternehmen sollten vorangehen und zum Vorbild werden, so mein Appell. Lg Carlos Frischmuth
Ich stimme sehr zu, HR muss endlich auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen eingehen und sich nicht hinter Ausreden oder gesetzlichen Regelungen verstecken.