Als Autor und Blogger bin ich stets an innovativen oder vermeintlich neuen Trend-Themen dran. So auch beim sogenannten Kownledge Hiding. Der englische Begriff taucht in meinen Social Media Feeds gerade immer häufiger auf. Zeit zu hinterfragen, was es damit auf sich hat und was das Thema für die (HR-)Praxis bedeutet. Spoiler: Eine ganze Menge!
Was bedeutet Knowledge Hiding?
Übersetzt bedeutet „Knowledge Hiding“ soviel wie „Wissen verheimlichen“ oder „Nichtwissen vortäuschen“ und spielt vor allem eine Rolle im beruflichen Kontext.
Dabei gibt es verschiedene Ausprägungen von Knowledge Hiding:
Playing dumb – sich unwissend stellen
Wenn Kolleginnen und Kollegen fragen, was Sie von einem Thema halten oder ob Sie dazu hilfreiche Tipps haben und Sie sich unwissend stellen, ziehen Sie die „playing dumb“-Karte.
Evasive Hiding – ausweichend antworten
Etwas subtiler funktioniert die Ausprägung des „Evasive Hiding“. Dabei antworten Sie nicht direkt und geben Ihr Wissen preis, sondern weichen dabei aus. Das kann bedeuten, nur einen Teil des Wissens weiterzugeben, vom Thema abzulenken oder eine ausführliche Antwort auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben – in der Hoffnung, dass die Anfrage dann vergessen wird oder Sie eine besser (ausweichendere) Antwort parat haben.
Rationalised Hiding – bewusstes Verschweigen
Bei der dritten Variante, dem sogenannten „Rationalised Hiding“, übersetzt in etwa „bewusst entschiedenes Verstecken von Informationen“, beruht das Verhalten auf einer willentlichen Entscheidung, dass gewisse Informationen verschwiegen werden sollten oder gar müssen. Diese Verhaltensweise kommt beispielsweise bei Verschwiegenheitsverpflichtungen zum Einsatz, Stichwort Datenschutz.
Knowledge Hiding – nicht immer mit böser Absicht
Insbesondere das Rationalised Hiding zeigt, dass nicht immer eine böse oder schädliche Absicht hinter Knowledge Hiding stecken muss.
Eine besondere Variante des Rationalised Hiding ist die sogenannte „Deniable Plausibility“. Diese wird vor allem in der Politik angewendet, kann aber auch im Unternehmen eine Rolle spielen. Von „Bewusster Abstreitbarkeit“ spricht man, wenn zum Beispiel Top-Politiker oder Manager aus einem Thema als Verantwortliche bewusst herausgehalten werden, indem man ihnen nicht alle Fakten unterbreitet. Somit können sie sich hinterher auf Unwissenheit berufen, wenn etwas schiefläuft oder die moralisch verwerfliche Tat ans Tageslicht kommt. Allerdings ist dies in der Medienarbeit ein sehr großer Spagat zwischen der Mutmaßung, dass die Verantwortlichen „ihren Laden nicht im Griff haben“ bei tatsächlichem Nichtwissen sowie der Vermutung, dass aktiv gelogen wird.
Was sind die Gründe für Knowledge Hiding?
Die Gründe, warum Menschen im beruflichen Kontext mit Vorbehaltswissen arbeiten, sind sehr unterschiedlich. Ebenso wie die Absichten dahinter.
Verlust des Experten-Status befürchtet
Einer der Haupt-Gründe dürfe dabei sein, dass Menschen fürchten, bei Preisgabe ihres Wissens ihren Expert:innen-Status zu verlieren. Das klingt erst einmal nachvollziehbar. Denn wir alle kennen den Spruch „Wissen ist Macht“. Auch wenn Liebhaber sogenannter „Sponti-Sprüche“ auf Toiletten-Türen der 80er-Jahre hier ein „Nichtwissen macht auch nichts“ angehängt hätten, handelt es sich noch immer um einen weit verbreiteten Glaubenssatz.
Selbstverständlich sind aufgeklärte Entscheidungen auf Basis zahlreicher (gegebenenfalls auch wissenschaftlich bewiesener) Daten und Fakten auch heute noch besser als ein reines Bauchgefühl. – Wenngleich mir hier möglicherweise zahlreiche vermeintliche (!) Recruiting-Experten (m/w/d) widersprechen würden, die glauben, ihre Erfahrung und ihre Intuition würden in Bewerbungsgesprächen bessere Ergebnisse liefern als Eignungsdiagnostik und strukturierte Test-Verfahren.
Allerdings handelt es sich bei der Angst vor Verlust des Expert:innen-Status eher um diffuse Befürchtungen. Denn wäre dies der Fall, dann hätte mein munteres Verbreiten von HR-Wissen seit 2013 meiner Rolle als Experten eher schaden müssen. Aber war nicht gerade das fortwährende Teilen von Informationen Grundlage für die Entwicklung hin zum ausgezeichneten „HR-Influencer“?
Karriere-Chancen wahren
Natürlich scheint Knowledge Hiding durchaus vorteilhaft in bestimmten Konstellationen. So kann in Teams, bei denen eine Ellenbogenmentalität vorherrscht, absichtlich wertvolles Wissen nicht weitergegeben werden, um damit die eigenen Karriere-Aussichten nicht zu gefährden.
Denn in solchen Teams, deren Wettbewerbs-Kultur durchaus auch von Führungskräften gezielt eingesetzt werden kann, macht es eben doch einen Unterschied, wer welche Informationen oder Meinungen zu welchem Zeitpunkt an wen weitergibt und sich damit als Inhaber von exklusivem Wissen geriert.
Silo-bezogene Ziele und kompetitives Umfeld
Häufig vorkommen dürfte auch der Fall, dass unterschiedliche Abteilungen eines Unternehmens Silo-bezogene Ziele erhalten, die eine kooperative Zusammenarbeit verhindern. Bei diesem „Organisations-Klassiker“ wird ein eher kompetitives Umfeld geschaffen, das die Nicht-Weitergabe von Informationen begünstigt. Ein Beispiel wären lukrative individuelle Abschluss-Prämien im Vertrieb, die dazu führen, dass die Anzahl der unzufriedenen Kundinnen und Kunden steigt, weil Produkte „auf Biegen und Brechen“ verkauft werden. Dies läuft möglichen Qualitätszielen zuwider und bringt vermutlich die Service- und Retouren-Abteilungen gegen den Vertrieb auf.
Arbeitslast und Zeitdruck
Komplett anders gestaltet sich die Situation, wenn Teammitglieder Wissen zurückhalten, weil sie glauben, aufgrund von Eingebundenheit in ihre täglichen Aufgaben oder Projekte, keine Zeit für ausführliche Briefings ihrer Kolleginnen und Kollegen zu haben.
Fair wäre dann allerdings, darauf hinzuweisen, dass man tendenziell mehr oder gar besseres Wissen habe und gleichzeitig alternative Informationsbeschaffungswege vorschlägt.
Gruppendynamische Prozesse und „Rache“
Ein weiter Grund für Knowledge Hiding könnte sein, dass die sich entsprechend verschlossen verhaltende Person zuvor das gleiche Verhalten ihr gegenüber erfahren hat. Als Reaktion darauf könnte sie zu dem Schluss kommen, dass dies eine geduldete Verhaltensweise in der Organisation sei. Im schlimmsten Fall ist dies sogar ein Auslöser einer regelrechten Kettenreaktion an schädlichem Verhalten.
Knowledge Hiding verursacht hohe Kosten
Schon an den wenigen Beispielen dürfte klar werden, dass innerhalb einer Organisation zurückgehaltenes Wissen dem Unternehmen vor allem schadet. Neben sogenannten Opportunitätskosten, kann auch ein tatsächlicher finanzieller Schaden entstehen. So könnten beispielsweise Trends und Innovationen verpasst werden, wenn Teams nicht rechtzeitig und vollständig über Marktentwicklungen oder Kundenwünsche informiert werden – bis hin zur Gefährdung des Unternehmenserfolgs insgesamt.
Was kann HR gegen Knowledge Hiding tun?
Nachdem ich relativ ausführlich in die Problemdarstellung eingestiegen bin, stellt sich nun die spannende Frage, was ein Unternehmen gegen das Zurückhalten von Wissen tun kann. Und natürlich, welche Rolle HR dabei spielt.
Menschen verhalten sich in der Regel „systemclever“.
Einer der wesentlichen Erkenntnisse, die ich in den letzten Jahren gewonnen habe, ist die Tatsache, dass Menschen sich in der Regel „systemclever“ verhalten. Das bedeutet, dass Beschäftigte sehr gut einschätzen können, welches Verhalten in einem Unternehmen erwünscht ist oder aus den verschiedensten Gründen sinnvoll erscheint. Basis dieser Entscheidung ist auch die tatsächliche oder zumindest gefühlte Unternehmenskultur.
Podcast Unternehmenskultur zielgerichtet verändern
Passend dazu die Jubiläums-Ausgabe Nummer 60 meine Podcasts Klartext HR zur Frage: „Wie lässt sich Unternehmenskultur zielgerichtet beeinflussen und verändern?“.
Die Organisation auf Kollaboration einstellen
In der Regel wird es nur wenig bringen, „Zusammenarbeit“ als gewünschtes Verhalten einfach nur zu proklamieren sowie ohne weitere Maßnahmen in Ziele oder Verhaltenskodexe aufzunehmen. Selbst bei einem Commitment auf vom Unternehmen gewollte und verabschiedete Werte, ist damit noch lange keine Verhaltensänderung bei Einzelnen bewirkt.
Dabei kommt mir immer wieder das Bild vom Trampelpfad abseits des befestigten Weges in den Sinn. Der Weg wurde dafür gebaut, zwei Punkte miteinander zu verbinden und trotzdem gehen Menschen bewusst einen kleinen stacheligen Trampelpfad durch die Büsche hindurch, weil sie es für vorteilhafter halten mit Blick auf die benötigte Zeit. Stichwort: Systemcleverness!
Insofern liegt es nahe, dass stattdessen Eingriffe in die Organisation erfolgen müssen, damit sich als Reaktion neues (gewünschtes) systemcleveres Verhalten von selbst ergibt. Dabei geht es sowohl um die Aufbau- als auch die Ablauf-Organisation und sinnhaftes Vereinbaren von Zielen.
Im vorherigen Beispiel könnte die Zusammenfassung von Vertriebsteams mit entsprechenden Kunden- und Service-Einheiten mit einem kundenbezogenen Ziel, auf das alle hinarbeiten, Sinn machen. Darüber ein übergeordnetes unternehmensweites Ziel aller solcher „Teams“, das nicht auf Konkurrenz zueinander beruht, sondern dem möglichst sinnstiftenden Zusammenwirken beim Kunden im Sinne des Unternehmens.
Vorleben durch Führungskräfte
Eine ganz besondere Rolle kommt hierbei natürlich den Führungskräften zu. Werden diese weiterhin beim Thema Karrierelaufbahn daran gemessen, dass sie selbst „Superheld:innenkräfte“ besitzen, die sie dann im Rahmen von Assessment Centern oder ähnlicher Verfahren beweisen müssen, dürfte das kontraproduktiv sein.
Organisationen brauchen keine Macher-Typen – sie brauchen heutzutage „Enabler“.
Menschen, die andere befähigen wirksam zu sein, in diesem Fall Führungskräfte ihre Teams. Das gilt übrigens auch und besonders für das Top-Management. Insofern kommt auch Bereichen wie der Personalentwicklung (PE) dabei ein bedeutende Rolle zu.
Führungskräfte die Transparenz beim Wissen vorleben und entsprechende Mit-Gestaltungs-Angebote machen, setzen ein klares Zeichen gegen Knowledge Hiding.
Generell sollte das gesamte Führungsverhalten auf Kollaboration setzen und dazu anhalten. HR kann mit entsprechenden Veranstaltungsformaten dabei unterstützen, Rahmenbedingungen für Austausch und Transparenz zu schaffen.
Natürlich kommen mir dabei Plattformen organisationalen Lernens wie das DigiCamp oder CoCreationCamp meines Arbeitgebers DATEV in den Sinn. Denn genau dort üben wir dieses Verhalten seit einigen Jahren. Und setzen einen spürbaren Kontrapunkt beim Knowledge Hiding. Das funktioniert in Organisationen selten ad hoc, sondern muss tatsächlich fortlaufend trainiert werden, wie ein organisationaler Muskel.
Insofern kann sich HR hier auch über die unternehmenseigenen Weiterbildungs- und Schulungsabteilungen (sog. Learning Departments) richtungsweisend einbringen contra Knowledge Hiding.
Der Einfluss von Einzelnen
Zwar messe ich vor allem dem organisationalen Rahmen eine überragende Bedeutung bei. Trotzdem sind natürlich auch alle Beschäftigten als Individuen in der Lage, Knowledge Hiding weiter zurückzudrängen.
Dazu bedarf es manchmal vielleicht auch etwas mehr Mut im Einzelfall erlebtes Knowledge Hiding offen anzusprechen. Zuerst im kleineren Rahmen. Möglicherweise als eine Art Eskalation auch in größerer Runde. Das Konzept der Organisationsrebellen kommt mir hier wieder in den Sinn. Denn ohne Einzelne, die Themen mutig auch mal „wenig systemclever“ zum Thema machen und den berühmten „Reißnagel unter dem Sitzkissen“ spielen, bewegt sich viel zu wenig.
Mein Fazit zum Thema Knowledge Hiding
Es handelt sich weder um ein neues Phänomen noch um einen Trend. Vielmehr ist Knowledge Hiding eines der größten vorhandenen Probleme von Organisationen und ein Hindernis bei der Transformation und Stärkung der Zukunftsfähigkeit. Insofern sollte es nicht geschadet haben, unter diesem Begriff zukunftsrelevante Themen wie Transparenz, Kollaboration und organisationales Lernen hier noch einmal zu diskutieren.
Denn Hand auf´s Herz: Auch bei Ihnen im Unternehmen dürfte es an dieser Stelle noch jede Menge Optimierungspotenzial geben, oder?