Was bedeutet Organisationales Lernen und wie können Unternehmen damit zu einer dynamikrobusten Organisation werden? Je stärker die sich die Märkte verändern, um so häufiger und intensiver müssen sich Unternehmen anpassen. Dabei werden im Rahmen der digitalen Transition immer häufiger sogar radikale Veränderungen nötig. Wie können offene Lern- und Dialogräume dabei unterstützen?
Inhaltliche Auszüge aus dem Interview mit Christian Kaiser, Leiter Change & Transition bei DATEV, als erste Folge meines neuen Podcasts Klartext HR.
Was bedeutet organisationales Lernen?
Es gibt laut Wikipedia zwei unterschiedliche Richtungen, wie organisationales Lernen definiert wird. Zum einen:
Organisationales Lernen ist einerseits der sozialwissenschaftliche Themenkomplex über die „Lernende Organisation“, der Handlungsmuster, Bedingungen und Untersuchungen auf theoretischer sowie auf praktischer Ebene behandelt. Er versucht dabei die Fragen zu klären, wie eine Organisation beschaffen sein muss, um lernen zu können. Und wie dieses Lernen abläuft und zu bewerten ist.
Aber auch folgende Definition:
Organisationales Lernen bezeichnet den reinen Lernprozess auf organisationaler Ebene, bei dem man davon ausgeht, dass nicht nur die einzelnen Mitglieder zum Zwecke der Effizienzsteigerung lernen, sondern dass die gesamte Organisation lernt. Die Manipulation der Wissensbasis und die Aneignung verschiedener Kompetenzen durch einzelne Mitglieder der Organisation ist hierbei der maßgebliche Teil des organisationalen Lernens.
Christian Kaiser konzipiert und gestaltet Plattformen organisationalen Lernens in der DATEV. Insofern versucht er gewissermaßen die Wissensbasis zu „manipulieren“, um damit sowohl einzelnen Kolleginnen und Kollegen zu ermöglichen, Kompetenzen zu erwerben, als auch dem System selbst Lernen zu helfen.
Wechselwirkung zwischen Lernen durch Einzelne und Lernen durch die Organisation
Wenn sowohl Einzelne als auch die Unternehmen als Organisation selbst lernen können, stellt sich die Frage, welche Wechselwirkungen zwischen den beiden Formen des Lernens bestehen und wie sie sich gegenseitig beeinflussen.
Die Systemtheorie besagt, dass die dort arbeitenden Menschen gar nicht Teil des Unternehmens sind. Oder anders ausgedrückt: Unternehmen als Organisation sind nicht die Summe der einzelnen Mitglieder, sondern eigenständige geschlossene Systeme. Sie führen ein Eigenleben und Vorgänge darin generieren sich selbst.
Die Analogie zu einem Spiel kann hier möglicherweise beim Verstehen helfen. So hat der Erfinder des Brettspiels Monopoly durch die Festlegung der Regeln deutlich mehr Einfluss auf die Gestaltung einer Runde Monopoly als der beste Monopoly-Spieler mit seinem eigenen Wissen und seiner Erfahrung je haben könnte.
Wechselwirkungen entstehen dadurch, dass nicht nur durch Expertise einzelne Monopoly-Spieler zu begnadeten Experten werden. Vielmehr bedeutet organisationales Lernen Einfluss darauf zu nehmen, dass sich die Spielregeln ebenfalls ändern.
Wie steht organisationales Lernen zur klassischen Personalentwicklung?
Klassische Personalentwicklung hat stets das Lernen des Einzelnen in den Vordergrund gestellt. Aber auch wenn Menschen in Seminaren und Workshops sehr gut mit neuen Methoden arbeiten und die Impulse aufnehmen und verarbeiten konnten, so hat sich ihr Verhalten im Alltag oft kaum relevant verändert. Und das hat nicht etwa mit einem generellen Transfer-Problem zu tun.
Dieser Effekt liegt insbesondere an den Regeln, die das System Organisation vorgibt. Denn Menschen verhalten sich systemisch intelligent. Insofern scheinen in den Unternehmen eben nicht die Regeln des besuchten Seminars zu gelten, sondern andere Regeln. Das Spielen nach diesen bekannten Regeln des Unternehmens dürfte folglich für das jeweilige Individuum erfolgsversprechender sein als die Umsetzung der neuen Regeln des Seminars.
Und Plattformen organisationalen Lernens können ein Ansatz sein, eben jene grundlegenden Regeln des Unternehmens zu verändern, die das System bisher veränderungsresistent gehalten hatten.
Welche Plattformen organisationalen Lernens gibt es in der Praxis?
Um das Lernen eines Systems voranzubringen, braucht es ganz eigene Methoden. Dazu müssen spezielle Lern-Plattformen im Unternehmen etabliert werden. Was zeichnet solche Plattformen aus? Und konkreter: Welche haben sich in der Praxis bewährt?
Ein Erweckungserlebnis hatte Christian Kaiser im Rahmen des ersten BarCamps der DATEV. Von dieser „Unkonferenz“, die davon lebt, dass sie die thematische und inhaltliche Gestaltung komplett den Teilnehmern überlässt, geht eine enorme Kraft aus. Der Lernraum gestaltet sich quasi durch das BarCamp selbst.
Und dieser Effekt lässt sich auch auf die Veränderung von ganzen Unternehmen übertragen. Dabei schaffen Menschen wie Christian Kaiser fortlaufend neue Anlässe, um Menschen einzuladen, sich in offenen Kommunikationsformaten mit Veränderungsimpulsen einzubringen. Und damit letztlich an den Regeln des Systems zu arbeiten, sie Schritt für Schritt zu verändern.
Wir reden hier beispielsweise über eine Vielzahl von Formaten. Angefangen bei Foren, mit wenigen Teilnehmern und hoher persönlicher Betreuung. Von BarCamps und CoCreationCamps mit hunderten Teilnehmern oder regelrechten Großveranstaltungen.
Die Rules-Changer müssen Teil der Plattformen sein
Wenn es zur grundlegenden Veränderung der Organisation jedoch starker Rule-Changer bedarf, die je nach Unternehmensform private Eigentümer, Vorstände oder Mitglieder einer Geschäftsleitung sind, kann eine Veränderung nicht ohne diese Personen gelingen.
Es ist vielmehr sogar essentiell, dass eben jene, die die Regeln in Unternehmen maßgeblich beeinflussen können, Teil der Plattformen sind. Sie müssen folglich unbedingt eingeladen werden. Damit sie zuhören, welche Veränderungsimpulse durch die Teilnehmer als notwendig erachtet werden und dabei ihrerseits lernen.
Mit Blick auf die Transition im Rahmen der agilen Softwareentwicklung, geht es darum, insbesondere die Kunden aktiv zu beteiligen. Denn sie sind diejenigen, die die Regeln im Markt festlegen. Letztlich geht es um das Eröffnen von Dialogräumen, um aufgeklärtere Entscheidungen zu treffen. Plattformen organisationalen Lernens ermöglichen diesen Dialog und helfen, solche aufgeklärteren Entscheidungen treffen zu können.
Mut als Basis für eine offenere Art von Kommunikation
BarCamps von Mitarbeitern zusammen mit Vorstand und Geschäftsleitung oder gar CoCreationCamps unter zusätzlicher Beteiligung von Kunden, Aufsichtsräten und externen Beratern erfordern eine ganz neue Art von Verständnis über Kommunikation. An die Stelle, wo bislang abgestimmte und feingeschliffene Sprachregelungen im Vordergrund standen, treten nunmehr offene Dialogräume. Unmittelbar und ungeschützt mit allen Stakeholdern ins Gespräch und gemeinsame Lernen einzutreten, verlangt allerdings mehr Mut seitens des Topmanagements.
Für Christian Kaiser ist das Wichtigste dabei, einfach anzufangen. Durch die schrittweise Öffnung solcher Dialogräume für weitere Stakeholder lässt sich eine Menge lernen. Plattformen organisationalen Lernens leben gerade von einer solchen Entwicklung sowie klassischem Üben.
Erfolgreiches Lernen braucht in jedem Fall persönliche Erfahrungen. Und die können Einzelne eben nicht dadurch erhalten, dass sie sich irgendwelche Lernmedien im Nachhinein zu Gemüte führen. Sie müssen es live und in Farbe selbst erleben, quasi Teil der Plattform werden. Dann gelingt sowohl das individuelle als auch organisationale Lernen. Letzteres kann übrigens eine Menge Spaß machen.
Der Podcast zu diesem Blogbeitrag
Hören Sie dazu auch das 15-minütige Interview mit Christian Kaiser in meinem HR-Podcast Klartext HR.
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