Auch Customer- und Candidate Journeys laufen quer
„Quer“ wird in Zukunft zu einem maßgeblichen Stichwort in der organisationalen Struktur. Innovationen entstehen interdisziplinär. Kundenprojekte werden in fachübergreifenden Teams entwickelt. Prozesse werden crossfunktional optimiert. Bürokratie muss bereichsüberlappend abgebaut werden. Die Digitalisierung läuft sowieso quer durch das gesamte Unternehmen, sie betrifft alles und jeden.Mit der Agilisierung ist es das Gleiche. Sie muss jeden Winkel im Unternehmen erfassen. Auch eine Kundenreise, die Customer Journey, verläuft immer quer durch die Unternehmenslandschaft über alle Abteilungsgrenzen hinweg – und über das eigene Unternehmen hinaus. Inzwischen vernetzen sich ganze Industrien miteinander. Selbst ehemalige Konkurrenten tun sich zusammen, um attraktive Ökosysteme zu bilden. Hierfür werden Koordinatoren gebraucht, die Verbindungen schaffen und Separiertes zusammenführen. Das Zusammenspiel zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz muss organisiert und junge Digitalexpertise mit gutem altem Erfahrungswissen verwoben werden. Zudem müssen neuartige Partnerschaften zwischen Alt- und Jungunternehmen sinnvoll zusammengekoppelt werden.Sind Silo-Organisationen für die Zukunft gerüstet?
Klassische Unternehmen agieren noch immer im Rahmen von Silo-Strukturen. Die Hauptaktionsrichtung verläuft dabei vertikal, also topdown und wieder zurück. Die einzelnen Bereiche stehen zueinander in Konkurrenz und verfolgen bonifizierte Eigenziele. Jedes Silo will für sich wichtig sein. Ausufernde Verfahrensweisen und Vorschriftenberge dienen der Bedeutungserhöhung. Statt bereichsübergreifende Innovationen anzugehen, werden dort eigene Projekte künstlich aufgebauscht, um Ansehen und Einfluss zu stärken. In die Jahre gekommene Produkte werden nicht eliminiert, sondern glorifiziert, weil die Karriere eines Managers daran hängt. Und ständig gibt es Abstimmungsprobleme im Gerangel zwischen Zuständigkeiten, Bereichsegoismen und Effizienz. Solches Vorgehen passt nicht zur neuen Wirklichkeit. Wenn sich in der Außenwelt alles miteinander vernetzt, dann muss das auch drinnen in den Unternehmen passieren. Funktionssilos sind organisationale Anomalien. Sie stehen für Abschottung und Isolation, Netzwerke hingegen für interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die Generalisten und Horizontal-durch-das-Unternehmen-Agierer spielen dabei eine entscheidende Rolle.Vernetzte Welten brauchen T-Shaped-Personen, die quer agieren
„Wir nähern uns einer postdisziplinären Ära, in der die einzelnen Fachgebiete immer weniger relevant werden und ihre Vernetzung untereinander an Bedeutung gewinnt“, erklärte Ulrich Weinberg, Direktor der School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut kürzlich in der Wirtschaftswoche. Dies verlangt nach Menschen, die zwischen unterschiedlichen Meinungen und divergierenden Interessenlagen navigieren. Das betrifft sowohl die fachliche Tiefe als auch die Breite des Wissens. T-shaped werden solche Personen genannt. Symbolisiert durch das T vereinen sie in sich die Fähigkeiten von Spezialisten und Generalisten. Neben ihrer eigentlichen Expertise haben sie weitreichende fachübergreifende Interessen, so dass sie ganzheitlicher handeln und vielseitiger einsetzbar sind. Sie haben Kompetenzen in mehreren Arbeitsfeldern und denken in großen Zusammenhängen. Dort, wo ein Experte nur Ausschnitte sieht, bringen sie das Beste aus vielen Bereichen zusammen. Sie agieren wie Brückenbauer, die das Wissen und Können von heute mit der Zukunft verbinden. Experten denken sich tief rein in ein Thema. Generalisten hingegen denken breit. Ihnen kann es gelingen, die besten Ideen von innerhalb und außerhalb des Unternehmens miteinander zu verknüpfen und neu zu kombinieren.Game Changer und Lotsen in die kommende Zeit
Unvorhersehbare Ereignisse und permanente Vorläufigkeit sind die neue Normalität. Die Fähigkeit zum steten Wandel ist hierbei das größte Plus. Sie ermöglicht, zügig neue Betätigungsfelder zu erschließen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dies gelingt nicht durch Gleichförmigkeit und Konformismus, sondern nur über eine Vielzahl unterschiedlicher Erfahrungen und außergewöhnlicher Perspektiven. Am erfolgreichsten ist am Ende der, der die meisten und besten unkonventionellen Ideen hat. Dazu braucht es Aus-der-Reihe-Tänzer, Um-die-Ecke-Denker und Über-den-Tellerrand-Schauer, damit das notwendige Neue „werden kann“. Solche Menschen werden Quer- und Weiterdenker oder bisweilen auch Game Changer und Corporate Rebels genannt. Sie sind Helfershelfer auf dem Weg in die Zukunft, Lotsen in die kommende Zeit. Und viele von ihnen sind Generalisten. Solche besonderen Perlen, die, die den Unterschied machen und „das nächste große Ding“ liefern könnten, die Andersmacher, die Zukunftsgestalter, die muss das Recruiting suchen und finden. Heterogene Praxiserfahrungen verschaffen den Unternehmen eine breite Palette möglicher Vorgehensweisen. Sie beugen der Betriebsblindheit vor. Sie sorgen für Blutauffrischung und Überkreuzbefruchtung.Mit Klonen kommt man in Zukunft nicht weit
Bislang haben Personaler im Einstellungsgespräch vor allem nach Bewerbern gesucht, „die gut zu uns passen“. Selbstverständlich muss der Cultural Fit der Neulinge stimmen. Doch mit dieser Prämisse sucht man in Wirklichkeit vor allem Mitarbeiter, die vorhersehbar „funktionieren“ und keine Probleme machen. Insofern stellt sich die Frage: Wieviel Querdenken kann und will Ihre Organisation denn wirklich verkraften?
Zwar gibt der Text einer Stellenanzeige gern vor, man wolle explizit Kandidaten mit frischem Denken und neuem Handeln. Aber dann: Die Biografie braucht Geradlinigkeit. Aus Arbeitszeugnissen liest man heraus, wie sich jemand einfügen kann. Einschlägige Branchenerfahrung ist meistens ein Muss.
Und überhaupt: So quer, so schräg, so unkonventionell, das dann bitte doch lieber nicht. Es könnte die betriebliche Ordnung stören. Da bleiben die Türen für nonkonforme Menschen zur Vorsicht verbarrikadiert.
Unternehmerische Monokulturen haben im digitalen Sturm, so wie die Monokulturen in unseren Wäldern, nicht den Hauch einer Chance. Beim erstbesten Orkan sind sie Kleinholz. Ein gesunder Mischwald steht das besser durch. Machen wir es wie Mutter Natur. Sie produziert nicht das immer wieder Gleiche durch Klonung, sondern genetische Vielfalt. Genau dies ermöglicht es, sich an wandelnde Umstände anzupassen.