Cholerische Ausbrüche am Arbeitsplatz zählen zu den größten Belastungsfaktoren in Unternehmen. Die jährliche Gallup-Studie zeigt immer wieder: Mitarbeitende verlassen nicht das Unternehmen, sondern ihren direkten Vorgesetzten. Was können Führungskräfte tun, die ihre emotionalen Reaktionen besser kontrollieren möchten? Dieser Gastbeitrag von Christoph Zill zeigt wirksame Wege auf und erklärt, warum ein tieferes Verständnis der eigenen inneren Abläufe der Schlüssel zum Erfolg ist.
Das Paradoxon der Emotionsregulation bei Führungskräften
Die Überschrift dieses Beitrags ist gleichermaßen vielversprechend wie trügerisch. Sie unterstellt, dass Führungskräfte ihre cholerischen Gefühle in den Griff kriegen sollen und auch können. Diese Annahme stellt möglicherweise eine Überforderung für impulsive Führungskräfte dar, die vermutlich ohnehin schon unter Druck stehen. „Druck“ ist jedoch kein guter „Gefühlsmanager“ – im Gegenteil: Gefühlsausbrüche dienen oft als Ventil, um zu viel Spannung abzubauen.
Andererseits besteht kein Zweifel daran, dass Führungskräfte ihre destruktiven Gefühlsausbrüche kontrollieren sollten. Die finanziellen und menschlichen Kosten schlechter Führung sind gut dokumentiert. Ein vielversprechender Weg, dieses Paradoxon aufzulösen, führt über ein vertieftes Verständnis der eigenen inneren Abläufe.
Der Blick nach innen: Die Macht der Selbsterkenntnis
Um impulsives Verhalten zu verändern, ist es zielführender, die inneren Abläufe zu verstehen, als die äußeren Umstände zu analysieren. Durch die Neurobiologie wissen wir schon seit Jahrzehnten: Wir sind es, die sich unsere Gefühle machen – in der Mitte der Gesellschaft ist diese Erkenntnis jedoch bis heute nicht vollständig angekommen.
Besonders hilfreich für die Selbsterkenntnis sind Diagnosetools aus dem Coaching, insbesondere jene, die der so genannten Teilearbeit zugerechnet werden. Im Kern geht es um die Annahme, dass unsere Persönlichkeit aus verschiedenen Anteilen besteht, die unterschiedliche Funktionen innerhalb unserer Persönlichkeit erfüllen.
Wenn wir einen Aspekt unserer Persönlichkeit verändern wollen (z.B. den wütenden Teil in uns), dann ist es hilfreich zu verstehen, welche Funktion dieser Teil innerhalb der Gesamtpersönlichkeit erfüllt.
Oder einfacher ausgedrückt:
- Warum verhalte ich mich in bestimmten Situationen cholerisch?
- Welche Funktion erfüllt das?
- Was bekomme oder vermeide ich dadurch?
Die Selbstklärungskette: Ein praktisches Tool für Führungskräfte
Die Selbstklärungskette bietet einen strukturierten Ansatz, um die eigenen emotionalen Reaktionsmuster zu entschlüsseln:
Schritt 1: Situationsauswahl
Wählen Sie eine reale Situation, in der Sie mit Wut reagiert haben – beispielsweise ein Konflikt mit einem Teammitglied, der Sie besonders belastet hat.
Schritt 2: Gedanken und Gefühle erfassen
Schließen Sie die Augen und durchleben Sie die Situation in Gedanken wie in einem inneren Film. Notieren Sie alle auftauchenden Gedanken und die damit verbundenen Gefühle auf einzelnen Karten. Etwa: „Warum dauert das schon wieder so lange?“ (Ungeduld).
Wichtig ist, die Botschaften so aufzuschreiben, wie sie in Ihrem Kopf formuliert sind. Machen Sie es sich leicht und notieren Sie sechs bis acht solcher Gedanken-Gefühls-Kombinationen.
Schritt 3: Prozesskette ordnen
Ordnen Sie Ihre Notizen nach der Ablauflogik inneres Erleben und Reaktion auf inneres Erleben. Unser Verstand operiert in vielen Situationen, vor allem in belastenden, nach diesem Grundmuster. Ein Beispiel: Die Empfindung Hunger gehört zum inneren Erleben, während ungeduldige Aggressivität eine Reaktion auf inneres Erleben darstellt.
Schritt 4: Fehlende Kettenglieder identifizieren
Falls die Zuordnung schwerfällt, fehlen vermutlich noch wichtige Elemente in Ihrer Analyse. Meist liegen diese „blinden Flecken“ im Bereich des inneren Erlebens. Wir sind uns oft unserer Wut bewusst (Reaktion), aber nicht der Ohnmacht (inneres Erleben), die der Wut vorausging.
Stellen Sie sich dann folgende Fragen:
- Auf welches vorangegangene innere Erleben reagiere ich mit Wut?
- Was will ich in mir nicht spüren und reagiere deshalb mit Wut?
- Was muss ich unmittelbar davor gedacht und gefühlt haben?
Schritt 5: Ablaufkette nachvollziehen
In einer typischen Ablaufkette bei Wutanfällen könnte sich folgendes Muster zeigen:
- Innere Überzeugung: „Wenn ich nicht genug leiste, bin ich ein Versager“
- Reaktion: Druck und Anspannung
- Inneres Erleben: Ohnmacht und Hilflosigkeit
- Reaktion: Wutausbruch, um Kontrolle zu gewinnen
- Inneres Erleben: Scham und Selbstvorwürfe wegen des Kontrollverlusts
- Reaktion: Verstärkter innerer Druck, sich besser zu kontrollieren
Diese Ablaufkette verdeutlicht, dass die tiefste Ursache für cholerische Ausbrüche oft in unbewussten Annahmen liegt – etwa der Überzeugung, ein Versager zu sein, wenn man nicht genug leistet. Diese Annahme ist der Nährboden für künftige Wutanfälle.
Schritt 6: Neue Prozesskette entwickeln
Um den Teufelskreis zu durchbrechen, setzen Sie beim ersten Kettenglied an. Durch gezielte Glaubenssatz- und Gefühlsarbeit können Sie Ihre grundlegenden Annahmen einem Realitätscheck unterziehen. Wenn Sie erkennen, dass eine Überzeugung früher vielleicht stimmte, heute aber nicht mehr relevant ist, verliert diese an Identifikationskraft.
Abb.1: Beispielhafte Ablaufkette Wutanfall
Praktische Strategien zur Emotionsregulation
Zur Unterstützung der tiefergehenden Arbeit mit der Selbstklärungskette können folgende Techniken im Alltag helfen:
Sofortmaßnahmen
- Atem- und Entspannungstechniken: Bewusste Atemübungen (z.B. langsames, tiefes Ausatmen) helfen, in akuten Stresssituationen den Körper zu beruhigen.
- Bewusstes Innehalten: Die „Stopp-Technik“ (innerlich „Stopp“ sagen) ermöglicht es, den Moment zu nutzen, bevor man impulsiv reagiert. Sie können auch Ihren Mitarbeitenden anbieten, „Stopp“ zu sagen, damit diese rechtzeitig intervenieren können.
- Körperliche Aktivierung: In akuten Momenten kann es hilfreich sein, kurz den Raum zu verlassen, einen kurzen Spaziergang zu machen oder die Muskeln anzuspannen (z.B. 30 Kniebeugen), um den Adrenalinspiegel zu senken.
Mittelfristige Strategien
- Anger-Management-Training: Programme basierend auf kognitiver Verhaltenstherapie helfen, eigene Auslöser zu erkennen und alternative Reaktionsmuster zu entwickeln.
- Coaching und Supervision: Regelmäßige Gespräche unterstützen dabei, eigene Verhaltensmuster zu reflektieren und nachhaltige Strategien zur Emotionsregulation zu entwickeln.
- Achtsamkeit und Meditation: Regelmäßige Übungen können die Selbstwahrnehmung verbessern und helfen, Emotionen frühzeitig zu erkennen, bevor sie eskalieren.
- Feedbackkultur etablieren: Eine offene Feedbackkultur, in der auch Teammitglieder konstruktiv auf Verhaltensmuster hinweisen dürfen, unterstützt die persönliche Entwicklung.
- Ganzheitliches Stressmanagement: Der Aufbau eines umfassenden Stressmanagements – inklusive ausreichend Pausen, Sport und gesunder Ernährung – kann das Grundstressniveau senken.
Fazit: Der Weg zur emotionalen Führungskompetenz
Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist in zahlreichen Studien belegt. Anger-Management-Programme und Achtsamkeitstraining haben nachweislich positive Effekte auf die Emotionsregulation und den Umgang mit Stress. Auch Coaching und regelmäßige Reflexion tragen dazu bei, Verhaltensmuster zu verändern und langfristig als Führungskraft erfolgreicher und authentischer zu agieren.
Mit der richtigen Kombination aus Selbsterkenntnis, praktischen Techniken und kontinuierlicher Reflexion können cholerische Führungskräfte ihre Emotionen regulieren – zum Wohle ihres Teams, des Unternehmens und nicht zuletzt ihrer eigenen Gesundheit und Zufriedenheit.