Die Headline „Recruitermangel in Deutschland erwartet“ mag Ihnen bekannt vorkommen. Und tatsächlich werden Expert:innen im Bereich Personalgewinnung in der Rolle Recruiter oder Recruiterin derzeit stark gesucht. Ein Blick auf den Arbeitsmarkt, die Gehaltsstruktur im Recruiting-Business sowie den Grad der Zufriedenheit von HR-Menschen.
Arbeitsmarkt erholt sich rasant
Nach den eher wachstumsschwachen Jahren der Corona-Pandemie erholt sich der Arbeitsmarkt rasant. Ohne Einbezug der aktuellen Entwicklungen aufgrund des Ukraine-Konflikts geht das Institut für Arbeitsmarkt und Beschäftigung (IAB) von einem spürbaren Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von +3,8%. Dies geht einher mit einer Prognose für den Anstieg der Anzahl an Erwerbstätigen auf ein Niveau deutlich oberhalb der Spitzenwerte des 1. Quartals 2020.
Podcast-Folge Klartext HR zum Fachkräftemangel
Unternehmen stellen ein – der Bedarf an HR-Expertise steigt
Dieses volkswirtschaftliche Wachstum wird von den Unternehmen erwirtschaftet, die vermehrt Mitarbeitende suchen und einstellen. Und in der Praxis zeigt sich, dass Personalabteilungen tendenziell eher unterbesetzt sind und kapazitär am Limit arbeiten. So ist es wenig verwunderlich, dass infolge des Wachstumskurses auch die Kapazitäten im HR hochgefahren werden.
Die aktuellen Daten des Hays Fachkräfte Index zeigen für Q1/2022, dass der Bedarf an HR-Expertinnen und Experten zwischenzeitlich sogar den nach IT-Fachkräften übersteigt. Wir sprechen hier über einen Anstieg von 128-Prozentpunkten im Vergleich zum Vorquartal.
Was auf den ersten Blick erstaunlich anmutet, hängt auf den zweiten Blick dann doch bis zu einem gewissen Grad zusammen. Denn der genauere Blick auf die konkret gesuchte HR-Expertise zeigt, dass bei den Neueinstellungen nach der Rolle Businesspartner vor allem Recruiterinnen und Recruiter im Fokus.
Bei Letzteren beträgt die Steigerung zum Vorquartal gar über 210%!
Schlagkraft im Recruiting soll erhöht werden
Das leuchtet ein. Immerhin sehen die meisten Unternehmen die Recruiting-Abteilungen als zuständig an, wenn es um die Gewinnung von neuen Fachkräften (auch im IT-Bereich) geht. Zwar besteht der Trend zur Auslagerung oder Co-Work mit den Fachbereichen im Recruiting fort. Aber die Komplexität der Arbeitsmärkte, die immer noch zunehmende Bedeutung von Active Sourcing sowie Social Media, macht die Personalgewinnung wieder mehr zu einem Thema, bei dem Spezial-Knowhow gefragt ist.
Zu wenig Invest in HR und insbesondere Recruiting
Auch zeigt sich in der Trendanalyse, dass Unternehmen in den letzten Jahren zu wenig strategisch in HR-Kapazitäten, insbesondere im Recruiting investiert haben. Der explosionsartige Anstieg spricht stark für eine Kompensation dieses Zustands.
Brechen also „goldene Zeiten“ für Recruiterinnen und Recruiter aufgrund eines Recruitermangels an?
Nunja. Gehaltmäßig spielen Fachkräfte im Recruiting noch in einer anderen Liga als die ebenfalls hier mehrfach genannten IT-Fachkräfte. Insbesondere dann, wenn hinter den ausgeschriebenen Stellen vor allem Junior-Recruiter:innen zu finden sind, bei IT-Fachkräften aber oft Menschen mit entsprechend langer Berufserfahrung gesucht werden.
Das liegt vermutlich daran, dass die Gewinnung von Fachkräften zwar als erfolgskritisch im Unternehmen angesehen wird. Trotzdem will man natürlich Kosten sparen.
Immerhin liegt das durchschnittliche Jahresgehalt im Recruiting aktuell laut StepStone bundesweit bei rund 53.000 Euro.
Gibt es einen Recruitermangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt?
Nun stellt sich in der Diskussion rund um Ursache und Wirkung dieser Entwicklungen auch die Frage, ob die Daten deshalb auf eine Art „Recruitermangel“ (als eine Facette des Fachkräftemangels) hindeuten.
Die Antwort lässt sich nicht wirklich eindeutig geben. Denn insbesondere in kleineren Unternehmen gibt es keine hochspezialisierten Recruitingbereiche. Hier übernehmen die klassischen Personalreferenten oder Business-Partner diese Aufgaben als Generalisten. Die Daten interpretiere ich daher weniger orientiert an einer festen Jobrolle Recruiter:in, vielmehr an der gesuchten Kompetenz im Bereich Personalgewinnung.
Fachknowhow im Recruiting wurde lange unterschätzt
Und im Bereich der Weiterbildung und Professionalisierung von Recruiting wurde in Unternehmen in den letzten Jahren immer wieder zu Unrecht gespart. Weiterbildungen zur Optimierung der Employer Branding- und Personalmarketing-Aktivitäten oder auch bei Recruitingprozessen, insbesondere der Anforderungsanalyse und Personalauswahl wurden oftmals auf die lange Bank geschoben. Zwei der Hauptursachen: Kostendruck und operative Hochlast.
Dies gilt noch deutlicher für die Tätigkeit Active Sourcing. Noch immer setzen Unternehmen viel zu stark auf klassische Rekrutierung via Stellenanzeigen und passive bzw. reaktive Prozesse. Aktive Suche, Ansprache und Vernetzung via Social Media und ähnliche Trends waren lange fast Nischen-Tätigkeiten. In Zeiten scheinbar leergefegter Arbeitsmärkte ist der Druck in Richtung professionellem Sourcing jetzt deutlich spürbar geworden.
Dieses „Aufwachen“ spiegelt sich aus meiner Sicht auch in dem derart deutlichen Anstieg der Nachfrage wider.
Gibt es nun eine Wechselwelle im Recruiting?
Eine Folgefrage taucht im Zusammenhang mit dem Begriff Recruitermangel sofort auf: Wenn es auf dem Arbeitsmarkt vermeintlich keine Recuiter:innen ohne Job gibt, müssen die ausgeschriebenen Stellen am Ende besetzt werden von Menschen, die heute in Unternehmen wie dem Ihren Arbeiten.
Führt dies also auch zu einer großen Kündigungswelle im Recruiting?
Da habe ich eher meine Zweifel. Dabei muss ich nicht unbedingt das Klischee der eher innovationsscheuen Personaler:innen bemühen. Vielmehr spricht zum Beispiel eine aktuelle Auswertung der Arbeitgeberbewertungsplattform kununu zur Gehaltszufriedenheit gegen die These einer Recruiter-Wechselwelle.
Denn die höchste Zufriedenheit mit ihrem Entgelt scheinen ausgerechnet die HR-Manager:innen zu haben.
Fazit zum Thema Recruitermangel
Der Wort „Mangel“ scheint in den letzten Monaten (zuletzt befeuert durch Corona und die Ukraine-Krise) einer der zentralen Begriffe in der medialen Berichterstattung zur wirtschaftlichen Lage geworden zu sein. Insofern springt natürlich auch die HR-Szene gerne auf diese Welle auf und macht daraus einen „Recruitermangel“.
Mein Fazit zum Thema Recruitermangel fällt trotzdem differenzierter aus. Was wir aktuellen auf dem Arbeitsmarkt diesbezüglich sehen, ist eine Art gegenseitige Verstärkung von Wachstumsplänen und (Über)Kompensation vergangener Versäumnisse. Auch zeigt die enorme Nachfrage nach Seminaren, Workshops und Keynote-Impulsen zum Thema Personalgewinnung, die ich selbst in meiner Rolle als Dienstleister der HR-Branche wahrnehme, dass eine gefühlt hohe „Hilflosigkeit“ in Unternehmen vorhanden ist, wie die vielen Vakanzen bestmöglich und vor allem zeitnah besetzt werden können.
Dabei mangelt es nicht an Möglichkeiten zu entsprechendem Aufbau von Recruiting-Expertise. Denn das wäre schon einer der möglichen Auswege aus dem Mangelgefühl. Systematische Professionalisierung vorhandener Ressourcen ist dabei eines der Schlagworte. Denn die Möglichkeiten einer Effizienzsteigerung in der Personalgewinnung sind wohl in den wenigsten Unternehmen bereits ausgereizt. Der Ruf nach „mehr des Gleichen“ (passives Recruiting durch mehr Recruiter:innen) greift deutlich zu kurz.
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