Der Betriebsrat gilt in vielen Unternehmen noch immer als Gegenpol zur Unternehmensleitung. Die vom Gesetzgeber einst angedachte „vertrauensvolle Betriebspartnerschaft“ bedeutet in der Praxis häufig eher ein ständiges Diskutieren und Streiten. Wie aber kann in diesem Umfeld ein agiler Betriebsrat 2.0 gelebt werden? Und welche Rolle können sogenannte iterative Betriebsvereinbarungen dabei spielen?
Ein Blick in die Praxis.
Die traditionelle Rolle Betriebsrat
Von Gesetzes wegen ist ein Betriebsrat ein Zusammenschluss von Arbeitnehmern (m/w/d), der die Interessen der Belegschaft gegenüber dem Arbeitgeber vertritt. Die Rechte und Pflichten des Betriebsrats für diese Interessensvertretung ergeben sich aus dem Betriebsverfassungsgesetzt (BetrVG). Dort werden dem Gremium Betriebsrat weitreichende Mitbestimmungsrechte, aber auch Mitwirkungsrechte, Beteiligungsrecht und Unterrichtungsrechte zugestanden. Durch die regelmäßigen Wahlen sind Mitglieder eines Betriebsrats rechtlich legitimiert, auch die Rolle eines Kontrolleurs in der Sozialverantwortung des Arbeitgebers zu übernehmen.
Aufgrund der in den letzten Jahrzehnten aus meiner Sicht viel zu starken Politisierung der Betriebsratsarbeit durch die Gewerkschaften, hängen viele innerbetriebliche Gremien noch immer dieser „alten Welt“ an.
Das Gebot einer vertrauensvollen Zusammenarbeit
Selbst wenn die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten eines Betriebsrats vielen Arbeitgebern ein Dorn im Auge sind, der Gesetzgeber ging von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit aus.
So lautet auch § 2 Abs. 1 BetrVG:
Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen.
Wo also ist das Problem an der Sache? Und warum ist das Thema agiler Betriebsrat 2.0 überhaupt diesen Artikel wert?
Nun, das liegt daran, dass sowohl die Geschäftsleitung als Vertretung des Arbeitgebers, als auch der Betriebsrat häufig lediglich ihr eigenes Anliegen im Fokus haben. Streitpunkte beim Aufeinandertreffen sind damit vorprogrammiert. In der Praxis liegt dieser „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ eher ein grundlegendes Misstrauen zugrunde. Und selbstverständlich finden sich in der historischen Betrachtung immer eine Vielzahl von Beispielen für beide Extreme, in welcher der Betriebsrat seiner Rolle als „Bremser“ und „Querulant“ und die Geschäftsleitung der ihren als „Ausbeuter“ nachkommt.
Das muss aber kein naturgegebener Zustand sein oder bleiben. Wenn beide einen geeigneten professionellen Weg finden.
Betriebsrat und New Work – passt das zusammen?
Wenn ich Sie fragen würde, welche Assoziationen Sie zum Begriff „New Work“ haben, was wäre Ihre Antwort? OK, als treuer Leser meiner Beiträge könnten Sie natürlich sofort mit dem Verweis auf die New Work Charta kommen. Vielleicht aber fallen Ihnen aber auch Begriffe wie Feelgood-Manager, Homeoffice oder gar Selbstorganisation ein. Sehr wahrscheinlich käme jedoch das Wort „Betriebsrat“ nur sehr weit hinten auf Ihrer Liste. Wenn überhaupt.
Wie also passt dieses Konstrukt aus Zeiten der Industrialisierung einer Old Economy ins Bild des modern anmutenden Zukunftstrends New Work?
Betriebsrat 2.0 – agiles Mindset inklusive
Auch wenn die oben dargestellte Rolle des Betriebsrats auf Basis der klassischen Ausrichtung eher wenig Raum für ein agiles Mindset zu bieten scheint. Im Grunde stehen die gesetzlichen Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes einem agilen Arbeiten keineswegs entgegen.
Im Gegenteil lässt sich beispielsweise § 75 Abs. 2 BetrVG auch als Auftrag interpretierten, New Work sowie agile Arbeit und Selbstbestimmung voranzubringen.
Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben die Selbständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern.
Anpassungsbedarfe rechtlicher und tatsächlicher Art
Trotz einer generell offenen Haltung gegenüber agiler und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber, erschweren einige veraltete Rechtsnormen schnelle und umfassende Erfolge. So galt für die Beschlussfassung des Betriebsrats bis zum Mai 2020 noch immer eine notwendige physische Anwesenheit. Dies widersprach schon vor Corona-Zeiten den Realitäten in modernen Unternehmen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Regelung über die befristete Wirkung zum 31.12.2020 hinaus bestehen bleibt beziehungsweise unbefristet in den Gesetzestext übernommen wird.
Schnelle Veränderungen erfordern ebenso schnelle Entscheidungen
Ein die Märkte disruptiv veränderndes Ereignis wie die Corona-Krise, bahnbrechende Innovationen von Mitbewerbern oder vergleichbare schnelle Veränderungen, erfordern ebenso kurzfristige Reaktionen von Unternehmen. Die Resilienz einer Organisation im Sinne einer adaptiven Veränderungsfähigkeit, hängt in hohem Maße davon ab, wie gut es den Betriebspartnern gelingt, mitbestimmungspflichtige Themen schnell zu klären. Ohne jahrelange Streitigkeiten unter Anrufung von Einigungsstellen oder anderer arbeitsgerichtlicher Prozesse.
Wie aber kann dies gelingen? Was braucht es nun für einen agilen Betriebsrat 2.0?
Ein einheitliches Zielbild, Transparenz, gemeinsame Kommunikation
Zuerst einmal braucht es einen radikalen Cut, was alte Freund-Feind-Muster angeht. Am besten funktioniert dies, wenn die Geschäftsleitung ihrerseits bereits weit im Vorfeld geplanter Maßnahmen auf den Betriebsrat zugeht. Raus aus den Zeiten, in denen das Gegenüber mit bereits fertiggestellten und ausformulierten Veränderungen konfrontiert wurde.
Auch hilft es, den Betriebsrat einzuladen, an der proaktiven Veränderung mitzuwirken. Das bedeutet sowohl eine Zusammenarbeit im operativen Gremium als in den betreffenden Entscheidungsgremien. Eine paritätische Besetzung solcher Boards ist ein deutlich sichtbares Signal. Nicht nur eines der Geschäftsleitung an den Betriebsrat. Vielmehr wirkt eine solche Zusammenarbeit auch tief auf die Unternehmenskultur ein. Denn wenn gemeinsam erarbeitet und entschieden wird, tragen alle Beteiligten gleichermaßen zu einem konsensfähigen Ziel bei.
Gerade in Unternehmen mit Veränderungen massiv bremsenden, weil starken Betriebsräten, verändert sich das Mindset dadurch in Richtung Betriebsrat 2.0. Denn wer selbst eine Veränderung aktiv mitgestaltet, sie ausarbeitet und dafür paritätisch die gleiche Verantwortung trägt, richtet sich auch im Inneren neu aus.
Iterative Betriebsvereinbarung agiles Arbeiten
Einen Teil der für die Belegschaft im Unternehmen geltenden Rechtsnormen können die Betriebspartner selbst definieren. Über Betriebsvereinbarungen regeln sie eine Vielzahl an Themen unternehmensintern.
Mit der agilen Transition einer Organisation gehen typischerweise eine Reihe von Veränderungen einher, über die sich Arbeitgeber und Betriebsrat einigen müssen.
Das betrifft zum Beispiel Fragen wie
- Ist die Einführung agiler Methoden im Unternehmen eine Betriebsänderung?
- Bedarf es vielleicht sogar eines Interessenausgleichs, obwohl der Zielzustand noch gar nicht klar ist?
- Wie lassen sich flexible Teamstrukturen in einer Organisation abbilden mit Blick auf das mitbestimmungspflichtige Konstrukt einer „Versetzung“
- Will ein Unternehmen einem Betriebsrat neben einer gesetzlich definierten Mitbestimmung vielleicht sogar weitreichendere Gestaltungsrechte einräumen?
Klar ist, dass trotz aller Übereinkünfte zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, zukünftige Entwicklungen nicht im Detail absehbar oder gar planbar sind. Die Herausforderung liegt vielmehr darin, gemeinsam in eine Richtung zu starten, ohne die Stationen dieses Weges vorab genau zu kennen.
Agiler Betriebsrat 2.0: unlearn, inspect, adapt, repeat
Genau hier kann eine iterative Betriebsvereinbarung mit Blick auf agile Arbeit helfen. Iterativ meint in diesem Sinne eine schrittweise Ergänzung und Anpassung der Regelungen im laufenden Betrieb. Dieser Weg ist somit gleichermaßen eine gemeinsame Lernreise von Arbeitgeber und Betriebsrat.
Agile Transition ist auch eine gemeinsame Lernreise von #Arbeitgeber und #Betriebsrat. #iterativeBetriebsvereinbarung #Agilität Share on XGeregelt werden jeweils diejenigen Punkte, die im Sinne eines geordneten Ablaufs mit Blick auf die Wertschöpfung des Unternehmens, den Interessen des Arbeitgebers sowie denen der Belegschaft zum Zeitpunkt X einer entsprechenden Klarstellung bedürfen.
Das Motto dabei lautet: (un)learn, inspect, adapt, repeat.
Eine kontinuierliche Schleife von Aktionen, Sichtungen der Auswirkungen und darauf aufbauenden Optimierungen. Gehen Arbeitgeber und Betriebsrat diesen Weg gemeinsam, entwickelt sich nach und nach ein agiler Betriebsrat 2.0. So freue ich mich sehr, dass auch mein Arbeitgeber, die DATEV eG, diese Lernreise angetreten hat.
Hier ein passender Podcast mit COO und CHRO Julia Bangerth über die Erfahrungen bei DATEV mit dem Thema Betriebsrat 2.0 und agile bzw. Betriebsvereinbarung.
Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Hinsicht bereits gemacht?