Um zukunftsfähig zu sein, muss ein Unternehmen die volle Leistungskraft seiner Mitarbeitenden mobilisieren. Dazu braucht es sowohl deren ganzes Knowhow als auch deren emotionale Verbundenheit. Mit simpler Mitarbeiterbindung hat das wenig zu tun. Emotionale Verbundenheit ist, so wie immer, wenn es um Gefühle und zwischenmenschliche Beziehungen geht, vielschichtig und sehr komplex. Wer seine Arbeitgeber-Attraktivität steigern und den Sprung nach vorn schaffen will, tut sich leicht, wenn er die ganze Palette der Wirkmechanismen versteht, sagt Gastautorin Anne Schüller.
Emotionale Verbundenheit zeigt sich sehr unterschiedlich
Emotionale Verbundenheit lässt sich nicht bei allen und jedem erreichen – und schon gar nicht auf die gleiche Weise. Denn Verbundenheitsprioritäten sind je nach Branche, Hierarchieebene und Funktion ziemlich verschieden. Auch der Persönlichkeitstyp, die Generationenzugehörigkeit, das Geschlecht und die jeweilige Lebenssituation sind zu beachten. Nie darf man dabei den Fehler machen, von sich selbst auszugehen.
Doch Mitarbeiterbindung geht vom Blickwinkel des Unternehmens aus.
Dabei werden – meist unter dem Begriff Retention Management subsummiert – vielerlei Maßnahmen in Gang gebracht mit dem Zweck, die Mitarbeitenden, die man halten will, an sich zu binden. Was wir aber in Wirklichkeit wollen, ist emotionale Verbundenheit.
Verbundenheit ist aus dem Blickwinkel der Mitarbeitenden zu betrachten.
Ausschlaggebend aus deren Sicht, um im Unternehmen zu bleiben, dem Arbeitgeber also freiwillig treu zu sein, sind vielfältige emotionale Aspekte: das Betriebsklima, die Arbeitszufriedenheit, die Anerkennungskultur und das Verhalten des direkten Vorgesetzten. Freiwillige Treue ist nicht an einen Arbeitsvertrag gebunden. Man kann sie nicht erkaufen, nicht einfordern und schon gar nicht erzwingen. Das Unternehmen bekommt sie geschenkt. Sie löst nicht Bindung, sondern emotionale Verbundenheit aus.
Mitarbeiterbindung ist vor allem faktisch und monetär
Schon allein das Wort Bindung birgt in sich etwas Erzwungenes, fast möchte man an Fesseln denken. Loyalität hingegen ist ein ungeschriebener Vertrag, der auf ethischen Werten basiert. Wird dieser Vertrag gebrochen, spricht man von innerer Kündigung, die lange unsichtbar bleibt, während sie schon ihre unheilsamen Bahnen zieht.
Mitarbeiterbindung entsteht auf verschiedene Weise. Dabei gibt es zwei Oberformen:
- faktisch
- monetär
Die faktische Mitarbeiterbindung wird über den juristischen Arbeitsvertrag geregelt. Dabei kommen die Rechte, aber auch eine ganze Reihe von Zwängen ins Spiel.
Bei der monetären Mitarbeiterbindung stehen finanzielle Interessen im Vordergrund. Klar kann man sich fast alles erkaufen, also auch die Treue der Beschäftigten. Doch selbst die berühmten „goldenen Handschellen“ in Form von Boni, Optionen und Gratifikationen können am Ende keine Loyalität erzwingen. Diese funktioniert ja wie eine Freundschaft: Man bekommt sie von Herzen geschenkt.
Emotionale Verbundenheit lässt sich nicht erkaufen
Bei der emotionalen Verbundenheit zählt der Mitarbeitende zu den faktischen Gegebenheiten die emotionalen Werte hinzu, die eine Arbeitsbeziehung für ihn besitzt:
- eine sinnstiftende Arbeit, und
- ein positives Beziehungskonto.
Beides zusammen bestimmt dann das Engagement, das man aufzubringen bereit ist. Fehlen emotionale Alleinstellungsmerkmale, dann muss das Arbeitsentgelt alleine begeistern. Dann macht das Monetäre den einzigen Unterschied. Es ist dann unser emotionales Ersatzprogramm. „Schmerzensgeld“ sagen wir auch. Und das wird teuer.
Emotionale Bindung kann, der Vollständigkeit halber, auf zweierlei Weise entstehen:
- behavioral
- normativ
Bei der behavioralen Bindung geht es um äußere emotionale Aspekte wie etwa der kurze Weg zum Arbeitsplatz oder die flexiblen Arbeitszeiten. Bei einer Unterform davon, der kalkulativen Bindung, erhofft sich der Mitarbeitende zum Beispiel umfassende Weiterbildungsmöglichkeiten und/oder gute Aufstiegschancen.
Nur die normative Bindung entspricht der aus einer inneren Verpflichtung heraus entstehenden emotionalen Verbundenheit. Diese wollen wir nun weiter beleuchten.
Was ein Arbeitgeber durch freiwillige Treue gewinnt
Loyale Mitarbeitende sind ihrem Arbeitgeber nicht nur physisch, sondern vor allem im Herzen treu. Sie sind leistungsbereiter, engagierter und ambitionierter. Sie machen sich Gedanken um das Wohl und Wehe der Firma. Sie identifizieren sich mit ihr und machen deren unternehmerische Interessen zu ihren eigenen. Sie sprechen oft, gut und gerne über das Unternehmen – drinnen und draußen. Sie empfehlen es vehement weiter und werden idealerweise als Corporate Influencer aktiv.
Die wichtigsten Vorteile einer hohen emotionalen Verbundenheit sind somit diese:
- Arbeitswille, Engagement, Effizienz und Produktivität steigen,
- kontinuierliche Lern- und Weiterbildungsbereitschaft wachsen,
- Vertrauens- und Verantwortungsbereitschaft erstarken,
- mehr Ideen und Verbesserungsvorschläge werden eingebracht,
- positive Mundpropaganda und aktives Weiterempfehlen nehmen zu.
Solche Loyalität entsteht durch andauernde Anziehungskraft und nicht durch Druck oder Zwang. Emotionale Verbundenheit bekommt ein Arbeitgeber freilich nicht wie von selbst. Man muss sie sich immer wieder neu verdienen, damit sie bleibt.
Falsch verstandene Loyalität hingegen beruht auf blindem Gehorsam – bis hin zur Selbstaufgabe. Sie deckt unlautere Machenschaften und vertuscht unkorrektes Verhalten. Sie erduldet jede Mühsal und sitzt alles aus. Solche unreflektierte Loyalität ist für ein Unternehmen höchst gefährlich. Sie ist hier nicht gemeint.
Der in unserem Sinne loyale Mitarbeitende tritt sogar dann für die Interessen seines Arbeitgebers ein, wenn er dabei persönlich anecken kann. Und er verzichtet auf das Verfolgen eigener, egoistischer Ziele, wenn diese dem Unternehmenszweck schaden.
Es gibt fünf verschiedene Formen der Mitarbeiterloyalität
Betrachten wir das Konstrukt der emotionalen Verbundenheit weiter, lassen sich insgesamt fünf Loyalitäten erkennen:
- die Loyalität zum Unternehmen als solchem,
- die Loyalität zur direkten Führungskraft,
- die Loyalität zu Kollegen und Peers,
- die Loyalität zur eigenen Arbeit,
- die Loyalität zu sich selbst.
Menschen arbeiten, um etwas zu bewirken. Sinn und das damit verbundene Glückserleben entstehen, wenn befähigte Mitarbeiter möglichst eigenständig Aufgaben erledigen können, bei denen sie sich als wesentlich erleben. Wir sind beseelt von dem Wunsch, einen Beitrag zu leisten, und fürchten die Vorstellung, ein bedeutungsloses Leben gelebt zu haben. Es gibt Menschen Genugtuung, sich auf eine im Rahmen ihrer Fähigkeiten liegende Art und Weise weiterentwickeln und entfalten zu können.
Zudem sind wir lieber eingebettet in die Gemeinschaft eines gut geführten, renommierten Unternehmens, als ständig „auf der Flucht“. Klar, in uns allen steckt der Wunsch nach Abwechslung, vielfach auch der unbändige Drang, zu neuen Ufern aufzubrechen. Und die heutige Arbeitswelt macht das „nomadische Jobben“ erstens sehr einfach und zweitens oft unumgänglich. Gleichzeitig teilen wir aber auch das tiefe Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe Gleichgesinnter, den Peers.
Wer seine individuellen Werte, seine Bedürfnisse und seine persönlichen Ziele am Arbeitsplatz aufgeben und fremdbestimmt eine Arbeit tun muss, die er ethisch nicht schätzt oder persönlich nicht mag, kann keine Loyalität entwickeln, weil die innere Anteilnahme fehlt. Emotionale Verbundenheit zeigt sich am ehesten dann, wenn die Werte eines Unternehmens und die persönlichen Werte der Mitarbeitenden ein hohes Maß an Übereinstimmung zeigen.
Sich voll und ganz mit einem Unternehmen identifizieren zu können heißt vor allem auch, sich selbst treu zu sein.
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