neuer XING-Stellenmarkt ein Praxistest

XINGs Stellenanzeigen der Zukunft – der große Wurf? Ein kritischer Test.

Die Karriereplattform XING hat sich viel vorgenommen. Sehr viel. Sie will in die Top3 der großen Stellenbörsen aufrücken und insbesondere Branchenprimus Stepstone ins Visier nehmen. Seit Monaten liefen die Vorbereitungen für den Relaunch unter dem Motto Die Stellenanzeigen der Zukunft. Jetzt zur HR-Messe Zukunft Personal in Köln geht XING mit den Neuerungen massiv in die Öffentlichkeit.

Was bringen die neuen Möglichkeiten den Nutzern (Jobsuchenden bzw. Unternehmen)? Wird XING den Erwartungen des HR-Markts gerecht? Lesen Sie hier mein kritisches Statement.

Von langer Hand vorbereitet

Bereits seit Jahren versucht sich XING in Richtung Karriereplattform bzw. Jobportal zu entwickeln. So zum Beispiel mit dem Spielraum Themen-Portal, den neuen Stellenanzeigen nach der Überarbeitung im Herbst 2014, dem Zusatz-Produktangebot XING ProJobs (von dem ich immer noch annehme, dass es nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat) sowie einer neuen Jobapp für die mobile Suche.

Im Januar 2015 kaufte XING den Anbieter Jobbörse.com und erzeugte damit die Hoffnung, dass die Jobvorschläge auf der Plattform zukünftig durch eine Integration des ausgereifteren Suchalgorithmus von Jobbörse.com verbessert und Managern z.B. keine Praktikantenjobs mehr angeboten werden. Dies hatte in der Vergangenheit oft zu Häme im Netz geführt.

Das Ende der Jobsuche? 1 Mio. Jobs auf XING

Von den bei Jobbörse.com verfügbaren rund 2,5 Mio. Jobs hat sich XING auf diejenigen konzentriert, die vermeintlich am besten zu den XING-Nutzern bzw. deren Profilen passen und sie in den neuen XING-Stellenmarkt übernommen. Dabei handelt es sich natürlich nicht um eine Mio. von Unternehmen explizit auf XING gebuchte Stellenanzeigen (das wäre wohl der Traum der Produktmanager), sondern um eine Anreicherung mit Jobausschreibungen, die aus über 1,5 Millionen Unternehmens-Karriereseiten abgegriffen und aufbereitet wurden.

Das klingt erst einmal toll, weckt aber gleichzeitig böse Erinnerungen an den verpatzten Marktstart von Glassdoor sowie die miserabel zusammengeschusterten Stellenanzeigen, die der Crawler im Netz gesammelt hatte. Aber XING ist ja nicht Glassdoor. Und trotzdem bestätigt sich, was zu erwarten war. Bei der Aggregation von Stellen werden zwar die Inhalte von den Karriereseiten genommen, Corporatedesign Elemente verschwinden aber bzw. werden nicht 1:1 wie im Original angezeigt. Also gilt auch hier, dass die Markenverantwortlichen zunehmend die Macht zur Steuerung ihrer (optischen) Marke verlieren. Am Ende bleibt eine Bleiwüste. Dafür kostenlos.

Jobsucher sollen nur noch EINE Plattform nutzen müssen

XING möchte sich nach eigener Aussage als klassische B2C-Plattform positionieren, die v.a. die Jobsuchenden in den Mittelpunkt stellt. Diese sollen von der „Angst, den richtigen Job im Netz zu verpassen“ befreit werden durch das Wissen, dass sie auf dem XING-Stellenmarkt alles finden, was zu ihnen passt. Naja, ich weiß nicht. Klingt mir ein wenig zu sehr nach Wohltätertum. Dabei ist es letztlich nichts anderes als ein Machtanspruch bis hin zum Monopol. Und sowas ist nie gut. Aber ok, Marketingrasseln muss ja sein.

Welche Vorteile bringt der neue XING-Stellenmarkt für die Jobsuchenden?

Durch die erweiterte Integration von kununu, werden den Stellensuchenden zukünftig weitaus mehr Informationen zu den ausschreibenden Unternehmen geboten als bisher. Sie erfahren zum Beispiel, wie das Unternehmen auf kununu bewertet ist und finden Infos zu Benefits oder zur Arbeitskultur im Unternehmen.

Das ist für den Stellensuchenden eine interessante Erweiterung, erzeugt aber auf Unternehmensseite einen zusätzlichen enormen Druck, was eine stimmige Bewertung auf kununu angeht. Denn wenn dort keine Aussagen zu vorhandenen Benefits von den Bewertenden getroffen wurde (siehe Expressbewertungen), dann werden natürlich auch in XING diese Benefits nicht genannt. Bewerber, die gezielt nach solchen Benefits suchen, werden also im Zweifel entsprechende Unternehmen deswegen aus ihrer Suche ausschließen, ja über die Suche erst gar nicht finden. Und das, obwohl diese Benefits in der Realität möglicherweise tatsächlich vorhanden sind.

Der Druck zur Nutzung bzw. aktiven Steuerung der kununu-Inhalte steigt damit auf der nach oben offenen Zwang-Skala. Mit allen potentiellen Folgen, was die Glaubwürdigkeit von gesteuerten Aussagen betrifft.

Welche Vorteile bringt der neue XING-Stellenmarkt für die ausschreibenden Unternehmen?

Zum einen können Recruiter nun davon ausgehen, dass der Crawler die auf der Karrierewebsite vorhandenen Stellen in die XING-Datenbank übernommen hat (vorausgesetzt es stehen keine technischen Hürden im Weg!). Sie sind also auf der Plattform zu finden ohne explizit kostenpflichtig zu buchen.

ABER: Für die tatsächliche Sichtbarkeit in den nach Relevanz angezeigten Ergebnissen ist natürlich trotzdem eine kostenpflichtige Hervorhebung durch eine Buchung direkt bei XING notwendig. Eine einfache Rechnung: Je mehr Jobs, desto weniger ist jeder einzelne sichtbar bzw. desto notwendiger sind sichtbarkeitserhöhende Maßnahmen.

Will heißen: Den alleskönnenden Java-Programmierer gibt es auch jetzt nicht umsonst.

Unternehmen erhalten Do-it-Yourself-Controlling-Cockpit XING Jobmanager

Sehr ansprechend daher kommt allerdings eine weitere Neuerung (Beta-Version) namens XING Jobmanager. Damit können Unternehmen nicht nur einfacher als bisher Stellenanzeigen selbst einstellen und verwalten, sondern auch aussagekräftige Statistiken über den Erfolg ihrer Anzeigen (natürlich nur der darüber kostenpflichtig gebuchten) betrachten.

Ebenfalls interessantes Feature: Bei eingeloggten XING-Mitgliedern, die auf eine Stellenanzeige klicken, werden anonymisiert statistische Daten (z.B. Qualifikationslevel, Sprachen, Regionen usw.) abgegriffen und für das ausschreibende Unternehmen bereitgestellt. Zukünftig können Unternehmen daher mittels des XING Jobmanagers Optimierungsbedarfe, z.B. in den Formulierungen der Anzeige erkennen und prüfen, ob damit die relevante Zielgruppe überhaupt passgenau erreicht werden kann.

Eine solche Funktion gibt es übrigens bereits seit längerem schon in der Plattform gradeview, die ich in einem früheren Beitrag mal als „heimlicher kununu-Konkurrent“ bezeichnet hatte.

Ob sich die XING-Nutzer, die übrigens auch ohne Mitgliedschaft den neuen Stellenmarkt nutzen können, (anonymisiert) durchleuchten lassen wollen, sei mal dahingestellt. Schon heute loggen sich für einen Profilbesuch viele Nutzer aus und nutzen stattdessen Google, um keine Spuren auf Premiumprofilen anderer Mitglieder zu hinterlassen.

Preise für den neuen XING-Stellenmarkt und Stellenanzeige Professional+

Die Preise sollen nach Aussage von XING jedoch nicht angehoben werden. Jedoch gibt es ein neues Produkt, das Zusatzumsätze verspricht: die XING Stellenanzeige Professional+. Auch wenn mich der Name ein wenig an eine Zahnbürsten-Werbung erinnert, greift XING damit lediglich das auf, was z.B. bei Stepstone unter dem Begriff Videointegration zugebucht werden kann. Aus meiner Sicht ist das v.a. für die Unternehmen interessant, die bisher kein bezahltes Employer Branding Profil auf XING und kununu besitzen, auf dem ja heute schon Unternehmensvideos integriert werden können.

Möglicherweise wirkt sich aber auch die Videoeinbindung auf die Sichtbarkeit via Algorithmus aus, was die Geldruckmaschine nochmal anwerfen und eine Investition für alle rechtfertigen könnte. Wobei ich einen Aufpreis für eine Video-Integration (eigentlich heute Standard und technisch nichts Besonderes) schon etwas dreist finde! Insbesondere weil XING ansonsten mit dem Einbau von Medien, z.B. in Gruppen oder Statusupdates absolut geizt und Lichtjahre hinter Facebook herstolpert, was das Thema Medienintegration angeht.

Einbindung junger Zielgruppen mangelhaft

Erfolgreich in seinem Ansinnen „die eine Plattform für alles“ zu werden, kann XING aber nur, wenn es an einem weiteren Mangel arbeitet: Relevante neue Mitglieder zu gewinnen, insbesondere jüngere, sprich Schüler, Studenten und Absolventen. Hier hat XING in den letzten Jahren aus meiner Sicht zu lange geschlafen und diese Zielgruppen vernachlässigt.

Dabei liegt die Lösung eigentlich auf der Hand: Heutzutage bietet jedes Kreditinstitut und jeder Telekommunikationsanbieter studentische Sonderkonditionen an, um Kunden frühzeitig zu gewinnen und zu binden. – Allerdings macht diese Lösung für XING nur dann Sinn, wenn die Plattform gleichzeitig einen Mehrwert für diese Zielgruppen bietet. Und genau hier wird es leider sehr eng, wenn man die o.g. Rückstände gegenüber Facebook betrachtet und sich in medienlosen, schlecht strukturierten XING-Gruppen abmühen muss (was mir übrigens keinen Spaß mehr macht und ich daher stark zurückgefahren habe).

Noch keine saubere Einbindung Jobbörse.com in Employer Branding Profil

Was ich sehr enttäuschend finde, ist die noch nicht optimale Zusammenführung von neu eingebundenen Jobbörse.com-Stellen und kostenpflichtigen Employer Branding Profilen. Dort wo der Besucher eines XING-Unternehmensprofils erwarten würde, dass ihm tatsächlich alle auf der Plattform vorhandenen Jobs des Unternehmens angeboten werden, wird dieser enttäuscht und eigentlich sogar in die Irre geführt.

Denn auch nach dem Relaunch werden im Employer Branding Profil auf XING nur die kostenpflichtig gebuchten Anzeigen gezählt. Das bedeutet, dass trotz einer Vielzahl von real findbaren kostenlosen XING-Anzeigen des Unternehmens im Unternehmensprofil weiterhin nur eine große türkise Null prangt:

Nicht konsequent genug an die Nutzer gedacht

Auch wenn ich durchaus Verständnis dafür habe, dass die bisherigen Zusammenführungsarbeiten von Jobbörse.com und XING schon sehr zeitintensiv waren, so bin ich über die vertröstenden Aussagen der XING-Produktmanager, dass diese Anpassung erst später erfolgt, als zahlender Kunde eines Unternehmensprofils sehr enttäuscht. Großes DISLIKE!

Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Dieser Mangel führt die vollmundige Ankündigung von XING CEO Thomas Vollmoeller „Während andere Stellenmärkte sich nach den Interessen der Firmenkunden richten, orientieren wir uns konsequent an den Bedürfnissen der Nutzer (…)“ geradezu ad absurdum. Denn wenn der Nutzer der Aussage auf dem Unternehmensprofil hinsichtlich der Anzahl der zu diesem Unternehmen vorhandenen Jobs auf XING Glauben schenkt, verpasst er genau diese Stellen, wenn er nicht gleichzeitig über die Suche geht…

Fazit zu XINGs Stellenanzeigen der Zukunft

XING geht konsequente weitere Schritte in Richtung professionelles Jobportal und beschleunigt damit sein Wachstum in diesem Bereich. Es spielt ab sofort noch stärker als bisher den Druck zu einem Engagement auf kununu gegenüber den Unternehmen aus und positioniert sich als anwenderfreundlicheres Job-Portal als viele seiner Mitbewerber Stand heute.

Jedoch ohne eine breite(re) Basis auch im Bereich Praktikanten, Werkstudenten, Abschlussarbeiten, Absolventen-Einstieg, Trainee-Programme usw. wird XING seinem eigenen hohen Anspruch nicht gerecht werden und auf derzeitige Professionals fokussiert bleiben. Aus Unternehmenssicht fallen damit aber mindestens 50% der relevanten Zielgruppen für Stellenanzeigen weg!

Der „große Wurf“ ist XING mit dem neuen Stellenmarkt aufgrund aus meiner Sicht –wie oben dargestellt- zwar nicht gelungen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden …

Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer (Personalmagazin 05/22) betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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