Der Begriff Überstunden klingt für manche fast schon wie ein Relikt vergangener Tage. Zählt doch stattdessen das Arbeitsergebnis, nicht die geleistete Arbeitszeit. So oder ähnlich äußern sich New Work Begeisterte immer wieder. Doch ein Blick auf die Realität offenbart: Überstunden und volle Arbeitszeitkonten gehören für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch immer zum Alltag.
Überstunden – mehr Leistung als festgelegt
Eine Überstunde wird definiert als das Überschreiten der Arbeitszeit, die durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag festgelegt ist.
Mehrarbeit – Anteil der Arbeitszeit über der (alten) Normalarbeitszeit
Zusätzlich existiert der Begriff der sogenannten Mehrarbeit. Er stammt ursprünglich aus der alten Arbeitszeitordnung, die jedoch durch das Arbeitszeitgesetz abgelöst wurde. Dabei handelte es sich um geleistete Arbeitszeit oberhalb der damals gesetzlichen Normalarbeitszeit von 48 Wochenstunden. Teilweise wird damit auch die über die tägliche gesetzliche Höchstarbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit bezeichnet.
Zwischenzeitlich werden beide Begriffe in der Praxis oft ähnlich verwendet.
Anzahl der geleisteten Überstunden seit 2009 rückläufig
Auf Basis einer Analyse von über 215.000 Angaben von Beschäftigten aus Deutschland hat Compensation Partner den Arbeitszeitmonitor 2019 erstellt. Daraus geht hervor, dass nach der Finanzkrise 2008 im Folgejahr die geleisteten Überstunden einen relativen Höchststand erreichten mit 6,5 Stunden pro Woche je Arbeitnehmer.
Zwischenzeitlich ging die Anzahl der durchschnittlich pro Beschäftigtem geleisteten Überstunden um mehr als die Hälfte zurück auf aktuell rund 3 Stunden in der Woche.
Weniger Überstunden bedeutet nicht unbedingt weniger Arbeit
Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass die Arbeitnehmer tatsächlich weniger gearbeitet haben. Denn zahlreiche Unternehmen haben in der gleichen Zeit ihre zu leistende Arbeitszeit nach oben angepasst, um die Produktivität zu steigern. Einige Unternehmen nutzten die Gunst der Stunde, um ihre Arbeitsverträge beispielsweise von 37,5 Stunden auf 40 Wochenstunden anzuheben.
Fast die Hälfte kommt ohne Überstunden aus
Immerhin 46% der Beschäftigten kommen ganz ohne nennenswerte Überstunden aus, allerdings trifft das nur auf 17% der Führungskräfte zu.
Männer leisten mehr Überstunden als Frauen
Die Studienautoren haben auch herausgefunden, dass Männer mit 3,7 Überstunden deutlich mehr Überstunden leisten als Frauen mit durchschnittlich 2,2 Überstunden. Dabei erhalten allerdings auch nur 41% der Frauen einen Überstunden-Zeitausgleich gegenüber rund 46% bei den männlichen Kollegen. Eine Frage der Gleichbehandlung?
Vermutlich hängt die geringer Anzahl an Überstunden bei Frauen auch mit den familiären Verpflichtungen bei klassischer Rollenverteilung zusammen. Stichwort: Kinder aus Kita, Kindergarten, Schule abholen.
Überstunden als Zeichen für Alter und Karrierestufe
Je älter und erfolgreicher Beschäftigte werden, um so mehr Überstunden leisten Sie durchschnittlich. Führungskräfte führen hier die Statistik deutlich an. Vor einiger Zeit attestierte die Wirtschaftswoche auch: „Wer länger arbeitet, macht schneller Karriere“. Das deutet darauf hin, dass sich die klassischen Kriterien, an denen sich beruflicher Erfolg festmacht, nicht wesentlich geändert haben in den letzten Jahren.
Eine stattliche Gesamtsumme aufs Arbeitsleben gerechnet
Auch wenn die Werte auf die Arbeitswoche bezogen eher niedrig klingen, so sammelt sich über das Arbeitsleben eine stattliche Gesamtsumme an Überstunden an. So gehen die Autoren des Arbeitszeitmonitors 2019 bei 65-Jährigen von nahezu 10.000 Überstunden aus. Das entspricht bei acht Stunden Netto-Arbeitszeit pro Tag bei 180 Arbeitstagen pro Jahr knapp 7 Jahre. Bei Führungskräften kommen noch einmal mehr als 50% Überstunden hinzu.
Die Range reicht von Unternehmensberatungen zu Steuerkanzleien
Wenig überraschend werden insbesondere in der Branche Unternehmensberatung mit 5,18 die meisten Überstunden geschoben. Dies liegt insbesondere an der hohen Reisetätigkeit, die viele Überstunden mit sich bringen. Angeblich sind es bei Beschäftigten in der Steuerberatungsbranche mit 1,85 am wenigsten.
Möglichkeit zum Ausgleich von Überstunden nach Branche unterschiedlich
Je nach Branche fallen die Möglichkeiten zum Überstundenausgleich unterschiedlich aus. Während bei Messebetreibern aufgrund des Geschäfts mit temporären Spitzen sowie bei der öffentlichen Verwaltung eine Kompensation gut möglich ist, sieht es bei den Werbern und PR-Leuten sowie den Unternehmensberatern vergleichsweise schlecht aus.
Kaum Unterschiede zwischen den Bundesländern
Interessanterweise unterscheiden sich die durchschnittlich geleisteten Überstunden im Vergleich der Bundesländer kaum.
Je mehr Gehalt, desto mehr Überstunden
Einen unmittelbaren Zusammenhang gibt es jedoch zwischen der Höhe des Gehalts und den dafür gearbeiteten Stunden.
Viele Führungskräfte in höheren Managementebenen arbeiten im Zeitmodell der Vertrauensarbeitszeit. Dabei verzichtet der Arbeitgeber auf eine Kontrolle der geleisteten Stunden.
Vertrauensarbeitszeit befreit nicht vom Arbeitszeitgesetz
Spätestens im Zusammenhang mit dem aktuellen EuGH-Urteil zur verpflichtenden Vollzeitaufschreibung der geleisteten Arbeitszeit, steht erneut die Frage im Raum, wie sich diese auf die Vertrauensarbeitszeit auswirkt. In meinem Beitrag unter dem Motto „Vollständige Zeitaufschreibung – die Wiedergeburt der Stechuhr oder gar das Ende von New Work“ erfahren Sie Hintergründe.
New Work – Arbeiten fern von Raum und Arbeitszeit?
Der Begriff New Work hat sich zwischenzeitlich zu einem Massenphänomen entwickelt. Dort wo Unternehmen mit ihren New-Work-Konzepten anpacken, wird auch stets über Arbeitszeit geredet. Der Kontext sowie die Intention, in der dies geschieht, entscheidet am Ende darüber, welche Definition von New Work zugrunde gelegt wird. In meinem vor kurzem verfassten Beitrag „Warum die Definition des New Work Konzepts ein Update braucht“, habe ich das Wesentliche ausführlich beleuchtet.
Vertrauensurlaub – Urlaub unlimited oder am Ende doch nur PR-Gag?
In diesem Zusammenhang taucht in Beiträgen im Netz immer wieder der Begriff Vertrauensurlaub auf. Dieser meint, dass Beschäftigte selbst über die Dauer ihres Urlaubs entscheiden. Selbstverantwortung und Selbstorganisation pur. So die Theorie. Was wie das Paradies auf Erden und nach endlosen Wochen am Sonnenstrand klingt, hat in der Praxis so einige Tücken. Auch hierzu habe ich vor einiger Zeit kritisch gebloggt.
Komplette Studie Arbeitszeitmonitor 2019 zum Download
Die gesamte Auswertung Arbeitszeitmonitor 2019 von Compensation Partner finden Sie in meinem HR-Studien Download Portal in der Kategorie Arbeitsmarkt und Beschäftigung.