Wer auch nur ein wenig aktuelle Techniktrends verfolgt oder sich mit Digitalisierung und Jugendkultur beschäftigt, hat schon von Snapchat gehört. Das ist die App mit dem weißen Geist auf gelben Grund, die mittlerweile weit über 100.000.000 Menschen weltweit nutzen. Vor allem die Zielgruppe der sogenannten Generation Z, nennen wir sie einfach mal „die Jungen“, zwischen 13 und 20 Jahren.
Und weil Unternehmen derzeit nach immer neuen Möglichkeiten suchen, ihre für´s Recruiting relevanten Zielgruppen anzusprechen, ist dieses Jahr Snapchat ebenfalls ins Visier der Personalmarketing- und Recruiting-Verantwortlichen geraten.
Was hat es mit Snapchat auf sich, wie funktioniert Snapchat überhaupt und warum sollten Sie für Ihr Personalmarketing die Finger von Snapchat lassen? Ein Praxistest nebst Analyse.
Wie funktioniert Snapchat eigentlich? Ein Mini-Crashkurs
Nach dem herunterladen der App geht es los mit dem Anlegen eine Profils. Über einen Klick auf das Geist-Logo kann mit der Kamera ein mehrteiliges Profilbild, zum Beispiel mit mehreren Gesichtsausdrücken, aufgenommen werden.
Das Anlegen eines Snapchat-Profils und Snapcodes
Hinzufügen von Freunden
Über den ausgewählten Usernamen, aus dem eigenen Adressbuch auf dem Smartphone oder den um das Geist-Logo herum mit schwarzen Punkten auf gelb dargestellten QR-Code, hier Snapcode genannt, können Freunde geaddet (hinzugefügt) werden. Die vierte Option, Snapchat-User in der Nähe adden, findet gar bisher unbekannte Chat-Partner.
Zwei Szenarien: Chat und Stories
Es gibt zwei Hauptszenarien für die Nutzung
- der Chat (private Kommunikation)
- die Snapchat Stories (öffentliche Kommunikation)
Chatten
Im Prinzip läuft die Kommunikation via Snapchat immer ähnlich ab. Der eingeblendete Hinweis sagt eigentlich alles:
Snaps sind nur kurze Zeit sichtbar
Via Snapchat geteilte Inhalte, kurz Snaps, sind nur für eine festgelegte Zeit für den Empfänger sichtbar. Maximum bei Bildern sind kurze 10 Sekunden! Werden Screenshots gemacht, merkt das die App und gibt einen deutlichen Hinweis:
Diese kurze Haltbarkeit, verbunden mit dem „brandmarken“ von Screenshots ist Teil der DNA von Snapchat. Dazu unten mehr.
Filter, Filter Filter
Ein zusätzlicher wichtiger Erfolgsfaktor von Snapchat sind die vielen verfügbaren Filter und Verfremdungseffekte. Im Grundsatz scheint zu gelten: „Je verrückter, peinlicher und ausgefallener, desto besser“. Vom Aufblasen des eigenen Kopfes bis zum Blütenkranz im Haar und wilden Schriftzügen ist alles möglich.
Telefonanruf, Videocall und Sprachnachrichten
Seit Ende März 2016 bietet Snapchat nun auch Telefonanrufe und Videoanrufe sowie den Versand von Sprachnachrichten, wie bei Whatsapp auch. Damit wurde Snapchat zur umfassenden Kommunikatonszentrale ausgebaut.
Die Snapchat Story
Neben der privaten Chat-Kommunikation gibt es noch die sogenannten Snapchat Stories. Darunter versteht man die Sammlung aller in diese Geschichte geposteten Snaps des Tages. Im Unterschied zum Chat ist die Snapchat Story damit für Follower (Sichtbarkeitsstufen einstellbar) sichtbar.
Neben eigenen Stories können hier die Updates der eigenen Snapchat-Kontakte 24 Stunden lang angesehen werden. Gleichzeitig kann ein Beitrag zu einer vorhandenen Live Story, zum Beispiel von einer laufenden Großveranstaltung, hinzugefügt werden.
Daneben bieten unter dem Punkt „Discover“ 16 Marken hochwertigen Content an.
Hier mit der eigenen Werbung aufgenommen zu werden, hat seinen Preis. Angeblich durchschnittlich rund 50.000 bis 100.000 Euro pro Tag!
E-Book zum Download
Wer es noch viel genauer wissen will, dem sei das lesenswerte E-Book von Blogger Philipp Steuer empfohlen.
Wieso Personaler auf Snapchat nicht erwünscht sind
Sie kennen alle den (viel) zu häufig zitierten Satz: „Sie müssen als Unternehmen dort vertreten sein, wo sich Ihre zu rekrutierende Zielgruppe aufhält!“. Zugegeben, auch ich verwende diesen ab und zu bei Beratungen, in Interviews oder in einem der Bücher, bei denen ich Co-Autor bin. Allerdings benötigt dieses Zitat mindestens eine wichtige Ergänzung: „Stellen Sie sicher, dass Ihre Zielgruppe überhaupt möchte, dass Sie auf dieser Plattform aktiv werden!“.
Ich wiederhole das gerne nochmal in aller Deutlichkeit:
Stellen Sie sicher, dass Ihre Zielgruppe überhaupt möchte, dass Sie auf dieser Plattform aktiv werden!
Um zu erkennen, wieso diese Aussage so essentiell ist, muss man verstehen, wie der Erfolg der App begann.
Wie Snapchat ursprünglich genutzt wurde
Im Jahre 2011 kam Snapchat auf den Markt. Ursprünglich nutzen Teenager die App, die genervt von Freundschaftsanfragen ihrer Eltern und Großeltern, Facebook den Rücken gekehrt hatten – zumindest was die vertrauliche Kommunikation angeht. Diese wickelten die Teens lieber via Snapchat ab. Dort konnten endlich neben intimen Erlebnissen im Chat zusätzlich noch intimere Fotos ausgetauscht werden.
Was ist das Besondere an Chats via Snapchat?
Durch die automatische Löschung der Chat-Inhalte nach wenigen Sekunden eignete sich die App perfekt für das sogenannte „Sexting“. Dabei handelt es sich um den Versand von intimen, nennen wir sie gerne mal deutlicher: „Nacktfotos“. Bilder also, die Sie technisch weder auf Facebook hochladen könnten (elektronische Zensur) noch dort posten wollten.
Ebenfalls eignete sich die App perfekt für Chats, die den Eltern keinesfalls in die Hände fallen durfte.
Snapchat als digitales Kurzzeittagebuch der besonderen Art.
Die Nutzer von Snapchat wollten einen vertraulichen Raum, in dem sie sich geschützt austauschen können, ohne die neugierigen Blicke und Augen ungewollter Dritter, insbesondere Erwachsener.
Na, dämmert es Ihnen schon, worauf ich hinaus will? – Ich gehe trotzdem nochmal einen Schritt weiter…
Zielgruppen via Retargeting verfolgen hat was von Stalking
Onlinemarketing lebt davon, die sich im Internet bewegenden Personen immer besser kennen zu lernen und einschätzen zu können. Je konkreter Nutzerprofile durch deren Surfverhalten offenbar werden, umso besser können Marketingkampagnen ihre Zielgruppen ins Visier nehmen.
Besonders intensiv erfolgt das im Rahmen des sogenannten Retargetings, wenn Nutzer auf Basis von Handlungen im Internet, wie beispielsweise der Ansicht von Webseiten oder Shoppingangeboten, in der Folgezeit durch ähnliche Angebote durch das Netz verfolgt werden.
Das kann vom Nutzer durchaus gewollt sein, es wird jedoch zumeist als unangenehm empfunden. Mich erinnert es zunehmend gar an das unter Strafe stehende Stalking.
Wenn Marken die Zielgruppe stalken
Und jetzt komme ich zurück zu Snapchat: Wenn Unternehmen ihren Zielgruppen zum Aufbau ihrer Arbeitgebermarke in immer kürzeren Abständen von einer Plattform auf die nächste folgen, also beispielsweise von XING auf Facebook, auf Pinterest, auf Instagram und nun auf Snapchat, stellt sich die Frage, ob sie damit noch im Interesse ihrer Zielgruppen handeln. Insbesondere bei Personalmarketing-Aktivitäten via Snapchat habe ich größte Fragezeichen in den Augen.
Wenn nur die Markenwahrnehmung zählt
Jetzt mögen Sie einwenden, dass es Ihnen eigentlich egal ist, ob die Zielgruppe sich von Ihrer Werbung belästigt fühlt, so lange sie Ihre Marke wahrnimmt. Schließlich interessiert es die Werbeverantwortlichen von Schönheitsprodukten ja auch nicht, dass man ihnen ihre übertriebenen Werbeversprechen von der Erlangung der ewigen Jugend mit nur einem Tröpfen ihrer wöchentlich neuen Produkte nicht wirklich abnimmt. Hauptsache die Zielgruppe wird in jeder Werbeunterbrechung damit zugeschossen.
Kann man natürlich so sehen…
Authentizität
Andererseits hoffe ich, dass die für die Arbeitgebermarke verantwortlichen Personaler aus dieser Phase bereits herausgewachsen sind und an so etwas wie authentische Kommunikation glauben.
Fans im HR werden jetzt jubeln und einwenden, dass diese Plattform doch geradezu der Inbegriff von Authentizität sei. Denn Inhalte werden live und ungeschönt gesendet und müssen höchsten Ansprüchen an Storytelling gerecht werden, um den anspruchsvollen Snapchat-Zielgruppen zu gefallen.
Ja, aber seien Sie ehrlich: Entspricht die Live-Kommunikation mit der Zielgruppe via Snapchat tatsächlich Ihrer Arbeitgebermarke? Ist das wirklich gelebte Unternehmenskultur bei Ihnen? Gehört der Instant Messenger in Ihrem Unternehmen zum Alltag wie der E-Mail-Client?
Ach kommen Sie! Das glaube ich nie im Leben!! – Es sei denn Sie heißen Ali Mahlodji und arbeiten bei Whatchado…
Personalmarketinginnovationen und HR-Awards
Wenn Sie mal tief in sich reinhören, dann werden Sie sich eingestehen, dass es in Ihrem Unternehmen eher sehr traditionell zugeht. Von Personalmarketinginnovationen lesen Sie vor allem im Zusammenhang mit Preisverleihungen, wie zum Beispiel den HR Excellence Awards.
Aber was wird dort ausgezeichnet? Doch nicht etwa langjährig erfolgreich erprobte Praxiskonzepte?
Nein. Ausgezeichnet werden vor allem mutige (Einmal)Aktionen und von Agenturen erdachte Highend-Konzepte. Haben Sie vermeintlich mal als erster was mit Whatsapp gemacht, schupps, winkt eine Auszeichnung. Laden Sie einmal YouTuber ein, für Ihr Unternehmen Werbebotschaften zu senden, sieh an, schon winkt ein Award. Ob das Konzept tatsächlich eine hohe Relevanz für das operative Recruiting hatte und in 3 Monaten immer noch im gleichen Maße tragfähig ist, interessiert eine Award-Jury eher weniger.
Echte Praxisrelevanz wird zu selten prämiert
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Solche Veranstaltungen haben ihre Berechtigung! Aus mutigen Einmal-Aktionen werden nämlich häufig neue Anwendungsszenarien für viele Unternehmen.
Allerdings hat eine Vielzahl der ausgezeichneten Konzepte und Formate zum Zeitpunkt der Award-Verleihung allenfalls visionären Charakter. Wir reden hier in 90% der Fälle über unausgereifte Konzepte, die einfach mal –oft mit sehr viel Agenturbudget- umgesetzt wurden.
Meiner Meinung nach müsste es viel mehr Awards dafür geben, dass Unternehmen mit einem Konzept seit vielen Jahren in der Praxis relevante Erfolge vorweisen können.
HR-Innovatoren werden mit Snapchat Preise gewinnen
Schon bald ist mit Preisen für den Einsatz von Snapchat im Personalmarketing zu rechnen, verlassen Sie sich drauf! Allerdings erscheint es mir in der Praxis und auf längere Sicht extrem aufwändig, neben all den vermeintlich ebenfalls innovativen Kanälen wie Instagram oder Whatsapp, zusätzlich einen unternehmenseigenen Snapchat-Kanal professionell zu bespielen.
Daher mein Ratschlag: Gönnen Sie den üblichen Verdächtigen der HR-Szene ihre heißgeliebten Innovatoren-Preise. Aber bitte, liebe Personaler, tun Sie sich und Ihrer Zielgruppe einen großen Gefallen, machen Sie erst Ihre Social Media Hausaufgaben und lassen Sie -vorerst- die Finger von Snapchat!
10 Antworten
Ich habe lange überlegt, ob ich Snapchat für meine Kunden, d.h. für Unternehmen, nutze oder für die Schüler/Innen nutze. Mittlerweile bin ich sehr froh, da Snapchat einfach eine so persönliche Eben hat, dass es sehr viel angenehmer ist, mit jungen Menschen zu sprechen.
Sehe es auch so, dass Snapchat ein unglaublich starkes Medium sein kann, dafür muss aber auch das Unternehmen / der Verantwortliche für den Account sehr innovativ und offen sein.
Snapchat lebt von Authentizität und Natürlichkeit und das spiegeln die wenigsten KMUs in ihrem Personalmarketing.
Herzliche Grüße
Christopher Schauf
azubikom
Lieber Christopher Schauf, vielen Dank für den Kommentar. Ja, Snapchat ist bereits im Alltag der Einzelnen angekommen. Zum Beispiel können Hörer Staus oder andere Nachrichten darüber an Radio Energy senden. Ob damit auch die Corporate Nutzung durch Unternehmen im HR anratenswert wird, wage ich weiterhin zu bezweifeln.
ich verstehe den Sinn von Snapchat nicht. Aber die Reichweite dürfte zumindest für Kunden in den USA passen. Hier in Deutschland glaub ich eher nicht. Auch sagte ja schon jmd dass die Betreuung des Accounts sehr zeitaufwendig für ein Unternehmen ist.
Hi Stefan, leider fühlt sich der Bewerbungsprozess heute oftmals sehr nach Send&Pray“an, anstatt nach Ping Pong, was ich damit meine ist: Viele Bewerber erwarten heute viel mehr Einblicke über Unternehmen, Team und die Aufgaben – das finde ich auch gut und wertvoll für beide Seiten. Snapchat ist nunmal ein Tool, welches sich für diese Art der Kommunikation anbietet und da muss ich dir recht geben Personaler sollten auf jeden Fall die Finger von Snapchat lassen und Mitarbeitern diese Aufgabe überlassen!
Professionell ist hier wirklich auch das Zauberwort. Wie oft sieht man verwaiste FB oder Twitter Accounts, wo bestenfalls einmal im Jahr ein Post kommt. Oder einmal im Jahr 50 Stellenangebote… Die Liste der Negativbeispiele ist schier endlos.
Und Snapchat ist hier NOCH zeitintesiver und muss enger betreut werden. Im Grunde müsste sich jemand mit nichts anderem als Snapchat beschäftigen um das relevant zu betreiben. So weit sind 99,9% der Unternehmen noch lange nicht. Da wartet noch die eine oder andere Baustelle vorher imo
Sind wir mal gespannt, welche Unternehmen dennoch zu den 0,1% gehören und einen solchen Kanal erfolgreich langfristig und professionell spielen. Ich schließe nicht aus, dass es diese tatsächlich gibt.
Ich bin ganz deiner Meinung: es muss zur Firma passen. Noch eine Ergänzung meinerseits: die Mitarbeiter sollten diejenigen sein, die snapchat verwenden und nicht nur das HR Marketing. Sollte das aber so sein und ist es selbstverständlich, dass snapchat einfach zum Alltag dazu gehört, dann darf ein Unternehmen aus meiner Sicht auch hierüber nach außen kommunizieren und ihre Stories pushen. Es zeigt sich ja dann schnell, ob es auch draußen gut ankommt und seinen Zweck erfüllt. Dann kann man auch facebook überspringen, wenn man den Zug verpasst hat 😉
Da hast Du Recht, Judith. Dort, wo es passt und eh schon im Unternehmen gesnapchattet wird, spricht ja nichts dagegen. Aber das wissen die Unternehmen selbst am besten.
Hallo Stefan,
Danke für diesen intelligenten Artikel. Bei jedem Absatz habe ich mir gedacht: „Na, sagt er’s? Sagt der das ganz Offensichtliche was alle immer wieder vergessen? Kommt’s noch?“ Ja, sagt er:
„Entspricht die Live-Kommunikation mit der Zielgruppe via Snapchat tatsächlich Ihrer Arbeitgebermarke? Ist das wirklich gelebte Unternehmenskultur bei Ihnen?“
Der starre, politische und erzkonservative Konzern auf Snapchat. Und auf Facebook mit Videos von Katzen, die sich vor Gurken erschrecken. Und dann wundern sich im Management-Meeting wieder alle, dass die Fluktuationsraten explodieren. Employer Branding geht halt nicht nur vom Erstkontakt bis zur trockenen Tinte unter dem Vertrag. Dann fängt der eigentlich schwierige Teil an. Aber da traut sich dann wieder keiner ran. Denn das ist langwierig, teuer und lässt sich schwierig bei den Share- und Stakeholdern verargumentieren.
Grüße, Felix
Hallo Felix,
vielen Dank für Deinen Kommentar! Klar sag ich´s. Dafür schreibe ich ja meinen Blog. 🙂
Nur weil im Personalmarketing clevere und innovative Menschen arbeiten, lassen sich damit nicht automatisch bestehende Unternehmenskulturen sofort auf Arbeit 4.0 drehen. Schon gar nicht, wenn dafür jedes Jahr neue Kanäle aufgemacht werden, ohne die bestehenden dauerhaft (so lange es Sinn macht) professionell zu bespielen.
Eine schöne Woche noch!
Stefan