LinkedIn ist das große Social Media Netzwerk im beruflichen Kontext. Mit der bereits vorhandenen Monopol-Stellung wächst der Einfluss der Plattform auf Business-Entscheidungen täglich. Immer häufiger wird damit „Einfluss auf LinkedIn“ gleichgesetzt mit „Einfluss in der Business-Welt“.
(M)ein kritischer Blick auf die mediale Wirklichkeit und deren Auswirkungen.
LinkedIn übernimmt die Führung
Interessanterweise erfolgte der Impuls zum Verfassen dieses Artikels ebenfalls auf LinkedIn durch einen Post aus meinem Netzwerk in meinem Feed. Mit über 22 Millionen Menschen im DACH-Raum setzt sich die Plattform immer weiter vom ursprünglichen Marktführer XING ab. Nicht unbedingt, was die veröffentlichten Nutzerzahlen angeht. Aber zumindest was den Einfluss und die Bedeutung außerhalb des digitalen Raums betrifft.
Ich bin täglich mehrfach auf der Plattform aktiv und poste in der Regel neue Inhalte auf meinem HR-Portal dort, um sie einem breiteren Publikum zur Verfügung zu stellen. Mit knapp über 22.000 Followern bin ich dort ganz gut aufgestellt. Daher kann ich es mir erlauben, aktuelle Entwicklungen kritisch zu sehen, ohne dass man mir unterstellen müsste, ich würde hier einen rein neidvollen Artikel verfassen.
Wenn Plattformen Realität erschaffen
Früher waren die Zusammenhänge umgekehrt: Wer im echten Leben erfolgreich war, Karriere machte und Sichtbarkeit erlangte, hatte auch mit seiner Nutzung von Social Media Plattformen in der Regel eine sehr gute Startposition. Wir sehen das vor allem an den großen Influencern, die auf B2C-Plattformen wie Instagram vorne liegen: Stars und Celebrities, Sport-Profis und Co.
Seit einiger Zeit scheint sich das zu verändern. YouTube hat es gezeigt: Erfolgreiche YouTuber waren eher selten bereits vorher schon bekannt oder berühmt. Sie haben stattdessen diese Bekanntheit auf und mit der Plattform erarbeitet. Als YouTube-Stars.
Auch die polarisierende Plattform TikTok ermöglicht den schnellen Ruhm und ist daher vor allem bei denjenigen beliebt, denen sozialer Status aufgrund von Reichweite wichtig ist und die noch nicht mit beruflichen Glanzleistungen in der Öffentlichkeit glänzen können – zum Beispiel, weil sie noch gar nicht im berufstätigen Alter sind.
LinkedIn sah ich bislang irgendwo dazwischen. Zum einen profitieren Untenehmenslenker:innen sowie Stars und Sternchen im echten Leben von sehr guten Startvoraussetzungen – zunehmend um so mehr, wenn sie keine strukturelle Privilegiertheit aufweisen und weiße mittelalte Männer sind. Zum anderen bietet die Plattform jedoch die Möglichkeit durch geschicktes Trainieren des Algorithmus via LinkedIn selbst Reichweite aufzubauen.
Mehr als nur ein Marktplatz der Eitelkeiten
Zugutehalten muss man der Plattform definitiv, dass es nicht (nur) um einen Marktplatz der Eitelkeiten geht. Tatsächlich steht in der Regel fürs Business sinnvolles und nützliches Kontaktknüpfen im Vordergrund. Daraus entsteht im Laufe der Zeit oft auch ein wichtiger Business-Kontakt, mit realem Einfluss auf die unternehmerische (Umsatz)Entwicklung.
LinkedIn ist auch Lernplattform, inspiriert, lädt zum Austausch ein und eignet sich bis zu einem gewissen Grad als Fortbildungsmedium. Es macht auch hier der Mix.
Allerdings driftet ein Teil der Entwicklung der Plattform stark in Richtung Vertrieb und Verkauf, Profilierung und „Moneymaking“. Das liegt nur bedingt an der Plattform selbst, wenngleich Produkte wie der Sales Navigator die massenhafte plumpe vertriebliche Ansprache deutlich begünstigen. Es liegt vielmehr an der Art und Weise wie Menschen die Plattform nutzen und darauf agieren.
Der Markt der LinkedIn-Influencer
Zusätzlich entwickelt sich ein riesiger Markt, der sich dem Thema „Business-Influencer“ widmet. LinkedIn zieht hier anderen Plattformen nach und toppt diese teilweise, ohne dass dies weiter beobachtet oder lautstark hinterfragt würde, weil zu Viele davon profitieren. Agenturen und Tools sprießen aus dem Boden, die die Reichweiten der erfolgreichen LinkedIn-Nutzer (nein, ich muss präzisieren: der erfolgreich die Plattform LinkedIn Nutzenden) zur Basis für das eigene Geschäftsmodell machen.
Dabei werden systematisch alle Aktivitäten getrackt, analysiert und in Dashboards aufbereitet. Influencer-Marketing verspricht kaufbare Reichweite. Und das ist attraktiv für Marktteilnehmende. Oftmals sogar lukrativ – zumindest für diejenigen, die über entsprechende Reichweiten und gemessenes Engagement verfügen.
LinkedIn Top Voice, Auszeichnungen und Awards
Die LinkedIn Top Voice Badgets
Auch LinkedIn hat das erkannt und lockt mit immer neuen Varianten der sogenannten LinkedIn Top Voice Badges. Neben redaktionell vergebenen Auszeichnungen in zunehmend vielen Kategorien, gibt es seit einiger Zeit auch Do-it-yourself-Top-Voice Möglichkeiten.
Dabei werden die Plattform nutzende Menschen eingeladen, sich an KI-generierten Inhalte mit Microbeiträgen zu beteiligen. Die häufig inhaltlich extrem (!) dünnen KI-generierten Vorlagen können dabei mit maximal 750 Zeichen langen eigenen Statements garniert und erweitert werden. Bei mindestens dreimaliger Beteiligung winkt dann ein Top Voice-Status in der entsprechenden Kategorie und ein blaues LinkedIn-Zeichen im Profil.
In den letzten Wochen habe ich dabei selbst etwas experimentiert, um zu recherchieren, wie man an das Badge kommt. Der LinkedIn Algorithmus reagiert prompt und sendet immer mehr Einladungen für entsprechende Beteiligungen.
Eine Prozentangabe zeigt an, wie erfolgreich man hier schon ist – unter die erfolgreichsten 5% gilt es zu kommen. Dies scheint einfacher, wenn 2-3 Kontakte die fragmentarischen Statements (deren inhaltliche Qualität niemand ernsthaft zu interessieren scheint) gut finden. Oder die man bittet sie „gut zu finden“.
Rankings und Auszeichnungen außerhalb LinkedIn
LinkedIn hat es als einzige verbliebene Business-Plattform geschafft, das Quasi-Monopol für die Erschaffung einer eigenen Realität zu nutzen. Denn nicht nur auf dem Netzwerk selbst spielt die erfolgreiche Nutzung von LinkedIn eine Rolle. Zwischenzeitlich ist LinkedIn der Goldstandard für jegliche Art von Auszeichnung geworden. Der Referenzrahmen. Oder wie man auch sagen könnte: Das Maß aller Dinge.
„Erfolg auf LinkedIn“ wird zunehmend gleichgesetzt mit „Erfolg im Business“.
„Einfluss auf LinkedIn“ bedeutet immer mehr auch „Einfluss im Business“.
Diese Entwicklung ist bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar. Denn wenn es nur eine als solche wahrgenommene Businessplattform gibt, dann kann ja auch nur diese der Referenzpunkt für das Thema Einfluss und Erfolg im Business sein, wenn man eine Datenbasis sucht.
Insofern lässt sich damit eine scheinbar saubere Argumentation aufsetzen: Wenn Business auf LinkedIn passiert, dort das Monopol für virtuellen Business-Einfluss zu liegen scheint, dann muss man diesen nur anhand von KPI wie Follerzahl, Followerentwicklung, Engagement usw. messen und kann dann „objektiv“ den Einfluss von Menschen auf eben jenes Business anhand dieser Kennzahlen ablesen.
LinkedIn schafft zunehmend Realitäten
Was an dieser scheinbar komplett logischen Argumentation nicht passt, wird an zwei Beispielen klar:
- Im Business erfolgreiche Menschen mit entsprechendem Einfluss müssen noch lange keine hohe Sichtbarkeit auf Social Media aufweisen. Schön zu sehen ist das an den vielen Unternehmenslenker:innen und Managementvertreter:innen, die LinkedIn nur für persönliche Zwecke, zum Lernen oder Informieren nutzen und nicht für ihr Business. Hier besteht häufig überhaupt keine Notwendigkeit, LinkedIn Einfluss aufzubauen, weil das wahre Businessleben gut ohne auskommt. Gerade hier fehlen oftmals Zeit und Muße, eine digitale Plattform wie LinkedIn zusätzlich intensiv zu bespielen.
- Zum anderen lässt sich heute durch das geschickte Nutzen des LinkedIn-Algorithmus die eigene Sichtbarkeit und das Followerwachstum deutlich pushen. Im positiven Fall, wird dabei das Wissen der unzähligen LinkedIn-Sichtbarkeits-Coaches und -agenturen kostenfrei oder kostenpflichtig genutzt. Im negativen Fall, wie ihn kürzlich das Magazin t3n und Sascha Pallenberg aufgedeckt haben, werden aber auch fragwürdige Möglichkeiten der Sichtbarkeitssteigerung genutzt. Immerhin lohnt es sich. Denn LinkedIn ist zwischenzeitlich das Zentrum des Social Media Business Einflusses geworden.
LinkedIn Sichtbarkeit – das neue Gold
Zwar entwertet LinkedIn mit der inflationären Vergabe von Top-Irgendwas-Badgets seine eigenen Auszeichnungen systematisch selbst. Mir sind 17-fache LinkedIn-Top-Voices begegnet, die bei allen möglichen Artikeln 250 oder mehr Zeichen eigenen (oder KI generierten) Text hinzukopiert haben.
Dennoch stärken alle externen Rankings und Auszeichnungen den Status von LinkedIn weiter, wenn die dortige Sichtbarkeit und Reichweite zum alles überstrahlenden Kriterium wird.
Der Markt befeuert sich wieder selbst, weil die Attraktivität von LinkedIn-Reichweite damit zum Non-plus-ultra des eigenen Sichtbarkeitserfolgs erhoben wird – und damit lässt sich richtig Kasse machen.
LinkedIn ist quasi „die Sonne im Ich-bin-wichtig-Universum“.
Mein Fazit
LinkedIn als Monopolist schafft Realitäten – weit über die Nutzung der eigenen Reichweiten hinaus. Das bekannte Spiel „wer hat, dem wird noch mehr gegeben“ gewinnt weiter an Fahrt. Qualitätsprüfung? Häufig Fehlanzeige. Es gibt ja vermeintlich Kennzahlen.
Ich bin selbst Teil dieses Marktspiels, hadere aber seit jeher mit allen Arten von Rankings und Auszeichnungen. In der Tat hat genau diese kritische Haltung die Bekanntheit meines HR-Blog damals (jetzt HR-Portals) massiv unterstützt. Insofern gilt für mich zwar weiterhin: Leben und Leben lassen.
Trotzdem halte ich eine gesunde Reflexion dessen, was passiert für notwendig und wichtig. So wie hier und heute.