Ich bezeichne mich als Kommunikator. Und bin es. Social Media Heavy User sozusagen. Eigentlich. Allerdings haben mich fünf Tage krank im Bett liegend zum Nachdenken gebracht. Und mir gezeigt, wie sich die Social Media Welt auf LinkedIn zunehmend toxisch gestaltet.
Wie eine Krankheit Deine Gedanken verändern kann
Nachdem ich bereits bei den letzten großen HR-Szene-Veranstaltungen (HR Edge, Schicht im Schacht und RC23) kürzergetreten war, wollte ich letzte Woche mal wieder unter die HR-People. Für die TALENTpro hatte ich mir kurzfristig noch Karten besorgt und freute mich auf zwei tolle Tage mit wunderbaren HR-Menschen. Allerdings hat mich nach knapp zwei Stunden Messe -vermutlich ein Virus- komplett von den Beinen gefegt und fünf Tage lang ans Bett „gefesselt“.
Die Party ging also mal wieder ohne mich ab.
„It was a blast“
So oder ähnlich lautete das Resümee des Events TALENTpro – und ich kann das durchaus glauben. Immerhin wäre ich auch gerne mittendrin statt nur ultrakurz dabei gewesen. Mein LinkedIn Social Media Feed zeigte in bunten Bildern die lachende und feiernde HR-Community.
Das auftretende Gefühl kannte ich bereits von den anderen o.g. Events: FOMO (fear of missing out). Also das Gefühl, etwas Bedeutsames verpasst zu haben. Verbunden mit der unruhestiftenden Sichtung vieler Social Media Postings dazu.
Dabei wurde mir aber auch bewusst, wie privilegiert wir doch sind, dass wir überhaupt auf Veranstaltungen wie die genannten gehen können. Viele HR´ler:innen erhalten seitens ihrer Arbeitgeber keinerlei Unterstützung für eine Weiterbildung und Vernetzung dieser Art. Und oftmals ist der Antrieb für eine private Organisation und das dafür dann erforderliche Urlaubnehmen nicht stark genug.
Das Ringen um die eigene Bedeutsamkeit
Beim fünfminütigen täglichen Scrollen in meinem Feed (während der kurzen Wachphasen) wurden allerdings meine Gedanken von einem weiteren Impuls getroffen: der Diskussion um die neusten Nominierungen zur LinkedIn Top Voice. Hier werden regelmäßig Profile ausgewählt, deren Reichweite zukünftig aufgrund der Auszeichnung privilegiert zugänglich gemacht werden. Der Ritterschlag auf LinkedIn sozusagen.
Ins Auge gestochen sind mir die vielen Diskussionen rund um „warum nicht ich“ und „leider hat es diesmal nicht geklappt“ bis hin zur Freude über den eigenen Erfolg.
Wenn man krank im Bett liegt und die Gedanken frei kreisen, wird man manchmal fast zum Philosophen:
So stellte ich mir selbst die Frage, welche Bedeutung (außer des Reichweiten-Boosts für die eigenen Postings) eine solche Auszeichnung tatsächlich mit sich bringt. Und ob das Social Media Netzwerk LinkedIn ins Trudeln geraten würde, wenn eine dieser Top Voices nicht mehr mitmachen würde…
Es würde nichts passieren. Gar nichts.
Selbst wenn alle Top Voices von jetzt auf gleich ihre Accounts löschen würden. Die Social Media Welt würde sich definitiv weiterdrehen wie zuvor. Alle wären von jetzt auf gleich ersetzbar – zudem gibt es ja schon die LinkedIn Top Voices Next Generation… ein wunderbares Spiel der Eitelkeiten.
Vom toxischen Drang auch HR-Influencer zu sein
Das erinnert mich an eine Diskussion, die ich kürzlich ebenfalls in meinem LinkedIn-Feed erstaunt wahrgenommen habe: Eine Art „Beschwerde“, dass „wir großen Influencer“ doch mal das Feld für die viele neuen Aspirant:innen der Szene räumen sollten. Und wenn wir zu Speakings angefragt werden, mögen wir diese Slots doch bitte einfach weitergeben.
Mich hat die daraufhin entbrennende Diskussion teilweise echt sprachlos gemacht. Der Drang die eigene Bedeutsamkeit zu erhöhen durch irgendeinen Influencer-Whatever-Titel, erschien mir doch zunehmend … toxisch.
Und damit sich alle wohlfühlen, haben einige Dienstleister dann auch gleich Listen mit den Top 100 HR-Influencern aufgestellt. Weil dabei keine ausreichende Zahl an österreichischen HR-Influencern enthalten war, wurde die Liste länderspezifisch gleich nochmal gedoppelt. Und dann gibt es noch die „HR-Influencer Watchlist“. Nicht zu vergessen, küren einige HR-Influencer noch die „HR-Influencer der Herzen“ in ihrem eigenen Feed – für alle, die auch mal einen solchen Titel für sich nutzen möchten. Oder vielleicht auch nur, um damit nochmal die eigene Reichweite zu steigern?! – Wer weiss …
Natürlich finden dann all diese „Auszeichnungen“ gleich Eingang ins eigene LinkedIn-Profil.
Derzeit findet schon die nächste Nominierung zu einem weiteren Top HR-Influencer Ranking durch einen großen Softwareanbieter statt und alle drehen auf LinkedIn hohl. Für Dienstleister gibt es derzeit keinen wertvolleren Tipp, als ein Top HR-Influencer Ranking zu veranstalten:
- alle Top Influencer, wannbe Influencer, Influencer der Herzen, Influencer der Influencerinfluencer gieren fleißig mit und erzeugen Reichweite für die Aktion
- Dienstleister füllen zu Abertausenden ihre E-Mail-Verteiler mit Abstimmwilligen
Na wenn sich das nicht lohnt. Also, worauf warten Sie? Es ist zwar alles schon gesagt, aber eben noch nicht von jedem/jeder.
Von gewollter Überkommunikation zu toxischem Social Media
Je mehr ich darüber nachdenke, um so mehr frage ich mich, ob denn niemand merkt, wie komplett überdreht das Thema LinkedIn gerade ist. Wollten wir nicht eigentlich über Themen sprechen – uns fachlich inspirieren und gegenseitig Mut machen, neue Wege für eine neue Arbeitswelt zu gehen?
Stattdessen wirbelt die mediale Spirale der Egozentrik die Gemüter immer stärker in ungeahnte Höhen. Und alle spielen mit, ja passen sich wunderbar den „algorithmischen Spielchen“ an. Manche mögen jetzt sagen: „Hey, that´s the game. Play it or leave it.“ Vermutlich ist das so. Aber ich möchte mein Leben und meine Laune nicht davon abhängig machen müssen.
Und wieso sind Selfie-Kalendersprüche Postings mit Nicht-Botschaften, verknüpft mit der eigenen (häufig privilegierten) Attraktivität das neue State of the Art für Social Media Erfolg?
Ja, ich weiß, LinkedIn schränkt angeblich solche Postings seit kurzem mit einem Algorithmus-Update ein und will wieder mehr Fachlichkeit und Expertise belohnen. Ich bin gespannt, habe aber Zweifel.
Und sofort sichte ich Ratgeber-Postings, wie man den neuen Algorithmus am besten nutzt, um sich weiter in Richtung Top Voice zu entwickeln.
Wissen Sie was? – Es ist mir egal!
Es tat mir gut, mal nicht in den LinkedIn-Feed zu schauen. Die vielen „Ich-will-Aufmerksamkeit“-Schreienden mit den allzu wichtigen (und unwichtigen) Statements nicht lesen zu müssen. Mal keine Meinung dazu abgeben zu müssen und einfach nur mein eigenes fachliches Ding zu machen – oder eben mal krank zu sein.
Das entstresst ungemein. Und ab und zu mal ein paar Likes in meiner Rolle als Corporate Influencer verteilen, wenn ich wirklich vom Thema überzeugt bin.
Vom Gedanken zur Tat
Ich ziehe einfach die Konsequenz, auf diesem für mich immer stärker toxisch wirkenden Netzwerk nur noch „das Nötigste“ zu tun, um die fachlichen Inhalte auf meinem HR-Portal zu verbreiten. Hier auf PERSOBLOGGER.DE geht es deutlich ruhiger zu. Und ehrlicher.
Und mit ChatGPT wird es auf LinkedIn vermutlich noch einmal deutlich schlimmer: Schon heute habe ich das Gefühl, dass dort viel zu viele „Kommunikations-Zombies“ unterwegs sind. Seelenlos. Dafür feingeschliffen und auf algorithmischen Erfolg getrimmt. Bei jedem Posting, in dem Kolleg:innen hochgelobt und deren Handeln gepriesen wird, in dem ehemalige Arbeitgeber mit Lob überschüttet oder sonst Menschen getaggt werden, sehe ich nur noch die formale Perfektion mit dem Ziel der Reichweitensteigerung. Es fühlt sich für mich nur noch blutleer an und unauthentisch.
Auch wenn diese Wahrnehmung vermutlich einigen Unrecht tut. Ich kenne jedoch viele, auf die es umgekehrt voll zutrifft. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich möchte das nicht generell negativ bewerten, denn so funktioniert LinkedIn (Social Media) nun mal.
Aber ich will mich nicht täglich in einen Reichweiten-Kampf begeben müssen, um jedes Mal auf´s Neue wieder zu beweisen, dass mehr als 25.000 HR-Menschen monatlich meinen Inhalten hier vertrauen und sie wertschätzen. Das ist, als wenn Sie täglich gezwungen würden, die Führerscheinprüfung neu zu machen – nur damit Sie fahren dürfen auf den überhitzten Straßen des Social Media Netzwerks LinkedIn.
Natürlich freue ich mich weiterhin über tolle Auszeichnungen – sie werden aber mein Leben nicht überbordend erhellen oder mit zusätzlicher Bedeutung erfüllen. Und ich kann nur an alle da draußen appellieren, sich keinen Titeln, Auszeichnungen oder Algorithmen unterzuordnen und Kommunikation nach Schema F zu betreiben, nur damit eine Social Media Plattform Reichweite gewährt.
Mir jedenfalls ist das gerade zuviel, sorry, ich bin da erstmal raus…