Die Abkürzung ESG steht für Environmental, Social and Governance und erlangt für Unternehmen in den kommenden Jahren schrittweise immer stärker Bedeutung. Welche Herausforderungen damit einhergehen und welche Verantwortung HR dabei trägt, zeigt Universitätsdozent Jörg Rabe von Pappenheim, ehemals Vorstand Personal und Nachhaltigkeit bei der DATEV eG, in seinem Gastartikel auf.
Wie geht Ihr Unternehmen mit ESG um?
Environmental, Social and Governance – kurz ESG. Wie geht Ihr Unternehmen damit um? „Richtig, Nachhaltigkeit. Machen wir schon! Ja, wir denken und planen langfristig – schwer genug in dieser VUCA-World, oder?“ – So könnte die Antwort eines Managers lauten.
Der Begriff Nachhaltigkeit sorgte für Interpretationsvielfalt. Dann wurde der Begriff Corporate Social Responsibility (CSR) eingeführt. Die Definition der Europäischen Kommission lautete 2001:
Die CSR ist ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren.
Was bisher CSR hieß, soll künftig ESG heißen?
Ein Rückblick
Als ich 2009 mein Buch unter dem Titel „Das Prinzip Verantwortung – Die 9 Bausteine nachhaltiger Unternehmensführung“ veröffentlichte, war Nachhaltigkeit noch ein ambivalenter Begriff, der häufig im Sinne von Langfristigkeit und Beständigkeit interpretiert wurde. Eine Unternehmensstrategie der Gleichrangigkeit von ökonomischen, ökologischen und sozialen – sprich gesellschaftlichen – Zielen war vor allem etwas für idealistische Visionäre.
Obwohl sich die Chancen einer Unternehmenswertsteigerung (Shareholder Value) durch eine nachhaltige Ausrichtung des Geschäftsmodells und der Organisation deutlich abzeichneten, fand diese Form der Betriebswirtschaft in Lehre und Praxis eine viel zu geringe Resonanz. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie blieben oft halbherzig, die Anhörungen von Interessengruppen und NGO zaghaft und Nachhaltigkeitsberichte schlichtes „green washing“.
Viele Unternehmen hängten sich gerne einen grünen Mantel um – ohne Anpassung fürs Geschäft.
Die Politik reagierte. Sie versuchte mit Anreizen die Wirtschaft in einen nachhaltigen Kapitalismus zu transformieren, der den Eigennutz auf soziale und ökologische Ziele – statt allein auf das Gewinnziel – lenkt. Mit Teilerfolgen. Das Dogma der freien Marktwirtschaft war resistent genug, um auf globaler Ebene die Hegemonie zu bewahren.
Angesichts der immer präsenteren Klimakrise re-programmiert das Nachhaltigkeitsparadigma nun schrittweise die Codes der globalen Gesellschaft, der Kultur und der Politik – und richtet unternehmerisches Handeln sowie das gesamte Wirtschaftssystem neu aus.
Der European Green Deal und seine Ziele
Das Maßnahmenpaket des EU Green Deal bildet hier einen Meilenstein. Es handelt sich um eine neue Wachstumsstrategie, mit der die Länder der EU zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft werden sollen, in der im Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung entkoppelt ist.
Zudem wird das Naturkapital bewahrt sowie Gesundheit und Wohlergehen der Menschen vor umweltbedingten Risiken geschützt werden. Dieser Übergang muss gerecht und inklusiv sein…
Dabei müssen die Menschen an erster Stelle stehen. Da der Übergang wesentliche Veränderungen mit sich bringen wird, ist eine aktive Beteiligung der Öffentlichkeit und das Vertrauen in den Übergang von entscheidender Bedeutung, damit die politischen Maßnahmen funktionieren und angenommen werden. So die Zielsetzungen der EU-Kommission.
Aktionsplan Sustainable Finance
Der Green Deal der EU und der damit verbundene Aktionsplan Sustainable Finance verpflichten Europas Wirtschafts- und Finanzsysteme also dazu, nachhaltiger und inklusiver zu werden. Zunächst wurde von der Europäischen Kommission die Überarbeitung der Nonfinancial Reporting Directive NFRD initiiert. (Anm.: Das Europäische Parlament kann Richtlinien/Directives und Verordnungen/Regulations als Rechtsakte erlassen. Verordnungen gelten unmittelbar in allen Mitgliedsstaaten, während Richtlinien eines nationalen Umsetzungsgesetzes bedürfen.)
Die Lücken in den geltenden Vorschriften zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen sollten geschlossen und ein einheitlicher Qualitätsstandard der Nachhaltigkeitsberichterstattung in allen EU-Mitgliedsstaaten sichergestellt werden. In Deutschland trat 2017 das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz CSR-RUG in Kraft. Danach unterliegen börsennotierte Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitenden sowie Genossenschaften, Versicherungen, Banken und Fondsgesellschaften einer Offenlegungspflicht zu Umwelt- und Arbeitnehmerbelangen sowie zu Menschenrechten und Korruption.
Allerdings gibt es keine vergleichbaren, einheitlichen Standards der Berichterstattung, die unabhängige Prüfer anlegen können. Im Vergleich zum finanziellen Reporting lässt das Gesetz für die nicht-finanziellen Daten große Freiräume.
CSRD löst NFRD ab – deutsches CSR-Gesetz muss angepasst werden
Mit dem Ablösen der Non-Financial Reporting Directive NFRD und dem Einführen der Corporate Sustainability Reporting Directive CSRD müssen zukünftig alle Unternehmen – unabhängig von Börsennotierung und Schwellenwert von 500 Beschäftigten – ihre ökologischen und sozialen Kennzahlen transparent machen.
Mit den Neuregelungen durch die CSRD wird die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung auf bisher nicht betroffene Unternehmen schrittweise erweitert. Nichtfinanzielle Informationen erhalten den gleichen Stellenwert wie Finanzinformationen hinsichtlich Überprüfbarkeit und Verlässlichkeit.
Die Erweiterung erfolgt in drei Schritten: ab 1.1.2025 gilt der Schwellenwert von 250 Beschäftigten, ab 1.1.2026 von 10 Beschäftigen und ab 1.1.2028 entfällt dieser Schwellenwert ganz. Die Veröffentlichung der Nachhaltigkeitsberichte erfolgt dann jeweils mit Abgabe des jährlichen Lageberichts, der jedem betrieblichen Jahresabschluss zugrunde liegt. Das deutsche CSR-Umsetzungsgesetz muss nach in Krafttreten der CSRD innerhalb von 18 Monaten angepasst werden.
ESG-Kriterien für Wertschöpfungsketten und Finanzmärkte
Als Bestandteil des Green Deal ist die EU-Taxonomie-Verordnung in Kraft getreten. Sie schafft einen einheitlichen Klassifizierungsrahmen für die Bewertung nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten. Konkret geht es um präzise Kriterien, anhand derer bewertet werden soll, ob ein Unternehmen mit seinen Produkten zum Klima- und Umweltschutz beiträgt oder eben nicht.
Damit soll insbesondere Finanzmarktakteuren eine Richtschnur für die Nachhaltigkeitsbewertung an die Hand gegeben werden. Die Offenlegungspflicht laut Taxonomie-Verordnung betrifft alle Unternehmen, die laut EU-Recht über ihre Nachhaltigkeit Bericht erstatten müssen.
Ab 2022 sind davon – neben der Finanzwirtschaft – zunächst größere Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden betroffen. Die Taxonomie wird jedoch auch für kleine und mittlere Unternehmen weitreichende Folgen haben, weil sie über die Einbindung in eine Wertschöpfungskette oder aufgrund der Anforderungen der Kapitalgeber Daten zur eigenen Nachhaltigkeit vorlegen werden müssen.
Daher ist es für alle Unternehmen wichtig, sich möglichst frühzeitig mit der eigenen Klima- und Umweltbilanz zu beschäftigen.
Auch der Zugang zu Finanzierungen und die Konditionen von Banken und Investoren werden letztlich davon abhängen.
Eine große Herausforderung, insbesondere für den Mittelstand
Für Unternehmen entsteht daraus ein erheblicher Zusatzaufwand:
- Analyse der kritischen Kennzahlen im eigenen Unternehmen
- Aufbau eines Taxonomie-konformen ESG-Reportings
- Abbildung im Dateninformationssystem
- Neugestaltung des Nachhaltigkeitsberichts (European Sustainability Reporting Standards ESRS sind in Arbeit)
- Digitale Zugang zum Nachhaltigkeitsbericht
- Externe Prüfungen.
CSR wird quasi zum Vorläufer von ESG. Auf Vieles kann aufgebaut werden. Doch spätestens jetzt muss in jedem Unternehmen entschieden werden, ob man eine reaktive ESG oder eine strategische ESG verfolgt.
Reaktive ESG oder strategische ESG?
Während von Entscheidern die reaktive ESG als aufoktroyierte gesetzliche Verpflichtung empfunden wird und hier an einem traditionellen Wirtschaftsverständnis (Shareholder-Value-Orientierung) festgehalten wird, verlangt die strategische ESG eine Shared-Value-Orientierung, eine Integration von unternehmerischem und gesellschaftlichem Mehrwert. Das Personal wird bei der strategischen ESG als Treiber für mehr Nachhaltigkeit gesehen, während es bei der reaktiven ESG vor allem unter den Aspekten der Produktivität und Kosten bewertet wird.
Während sich reaktive ESG vor allem in PR- und Marketingmaßnahmen sowie in Einzelprojekten manifestiert, ist strategische ESG ein Gesamtkonzept, das das Geschäftsmodell des Unternehmens ganzheitlich prägt.
Welche Verantwortung übernimmt HR in diesem Kontext?
In Unternehmen mit reaktiver ESG fehlt die Grundlage für eine nachhaltige, strategisch ausgerichtete Personalarbeit. Bei bei einer strategischen ESG-Ausrichtung wird die Personalstrategie zum integralen Bestandteil der Unternehmens- und Nachhaltigkeitsstrategie gemacht.
Leider wurde CSR vom Personalmanagement bisher nur zurückhaltend als Leitprinzip genutzt. Häufig mangelt es an den erforderlichen Prozessen. Dabei ist eine ganzheitliche, nachhaltige Unternehmensführung für die Positionierung auf dem Arbeitsmarkt – das Employer Branding, bei der Ausgestaltung personalpolitischer Instrumente und Richtlinien – z.B. Arbeitsplatz- und -zeitsouveränität, sowie beim Gestalten von kritischen Personalstrukturdaten von hoher Bedeutung.
ESG verlangt neben Angaben zu klimapolitischen Aspekten wie Energie- und Ressourcenverbrauch auch Angaben zu sozialpolitischen Anliegen. Darunter fällt beispielsweise die Chancengleichheit, die Gleichstellung der Geschlechter und die Entgeltgleichheit, Ausbildung und Qualifizierung, aber auch die Diversität und Inklusion.
Auch hier leistet HR einen wichtigen Beitrag.
Mein Fazit zum ESG
Jedes Unternehmen sollte sich eine ESG-Strategie als Teil der Unternehmensstrategie geben und sich auf die gesetzlichen Pflichten zur Berichterstattung vorbereiten. Dabei ist nachhaltiges Personalmanagement als eine Investition in den Kern von ESG anzusehen. HR sollte sich als ein Schlüsselpartner im Unternehmen verstehen, der dafür sorgt, dass ESG zu einem Erfolgsfaktor beim Erreichen der Unternehmensziele wird.