Digitale Transformation von HR - Gastbeitrag von Dr. Philipp Ramin

HR in der digitalen Transformation – Sein oder Nichtsein?

Trotz der immensen Strahlkraft, die das Thema digitale Transformation in der Öffentlichkeit besitzt, wird man den Eindruck nicht los, dass viele Aspekte rund um die Digitalisierung nicht dort ankommen, wo sie den größten Einfluss haben werden: bei den Menschen. Oder aus Unternehmenssicht bei Mitarbeitenden und Führungskräften. Das ist einerseits verwunderlich, da auf Kongressen und Konferenzen die Bedeutung des Menschen bei der Umsetzung der Digitalisierung mittlerweile Mantra artig hervorgehoben wird. Und Begriffe, die eine rosige neue Arbeits- und Lernwelt der Zukunft beschreiben, sich fast schon inflationär entwickeln: New Work, Arbeit 4.0, Upskilling. Andererseits entspricht die Innenansicht in den Betrieben häufig noch nicht dieser schönen neuen Arbeitswelt, was anhand mehrerer Indikatoren verdeutlicht werden kann, sagt Gastautor Philipp Ramin, CEO Innovationszentrum für Industrie 4.0.

Überforderte Organisationen wohin man blickt

Zweifelsohne sind hochinnovative Abteilungen und Projektgruppen vorhanden, die neue Technologien und Methoden entwickeln, anwenden und vorantreiben. Gleichwohl bleibt hinter den digitalen Sperrspitzen häufig eine überforderte Organisation zurück, die hinsichtlich ihrer Prozesse, der Führungskultur und dem Innovationsverständnis den digitalen Projektgruppen noch weit hinterherhinkt. Das ist wenig verwunderlich, denn im Kern agieren weite Teile der etablierten Organisationseinheiten, abgesehen von einigen Artefakten à la farbiger, offener Büros, etwas mehr Homeoffice und einer Menge „Startup-Sprech“ im Wesentlichen wie auch schon vor zwei Jahrzehnten.

Digitale Zwei-Klassen-Gesellschaften

Vor allem an den Denkweisen und Einstellungen kann die digitale Zwei-Klassen-Gesellschaft verdeutlicht werden. In vielen Bereichen dominiert die tief verankerte „das haben wir schon immer so gemacht“-Mentalität. Und anstatt von Transparenz werden Informationen bewusst zurückgehalten und Entscheidungen verschleiert. Ein Problem vor allem auch auf Führungsebene. Ehrlicherweise muss ebenso festgehalten werden, dass „Agilität“ in vielen Projekten nicht mehr als ein schillernder Kunstbegriff ist. Abgesehen von einigen wenigen Leuchtturmprojekten, ächzen die Beteiligten unter bürokratischen Prozessen, Verantwortlichkeitsdomino und chronischem Silodenken. Dabei sollte Agilität vernetzen und Entscheidungen erleichtern. Um diese Herausforderungen zu bewerkstelligen, braucht es ein noch stärkeres Umdenken bei HR. Es muss die Frage erlaubt sein, in welchen Unternehmensbereichen HR den größten Mehrwert generieren kann? Wenn sich die Antwort vor allem um die Verwaltung von Personalakten, um die Organisation von Sport-Events oder um die Abrechnung von Löhnen und Gehältern dreht, dann läge die unangenehme, aber ehrliche Antwort darin, dass HR in seiner jetzigen Form einen Bedeutungsverlust erleiden wird, da viele HR-Kernprozesse zukünftig automatisiert abgewickelt werden könnten.

Die eigene Transformation von HR vorantreiben

Ein notwendiger erster Schritt liegt damit in der Beantwortung der Frage, welche Mehrwert stiftenden Aufgaben HR durchführen sollte und an welchen Stellen, HR-Prozesse und Aktivitäten gestrichen werden können. Nachdem die Digitalisierung bereits zahlreiche Prozesse im Fertigungsumfeld und der Verwaltung überflüssig gemacht hat, wird auch zahlreichen klassischen HR-Prozessen dasselbe Schicksal drohen. cloudbasierte Softwarelösungen und kluge Algorithmen werden die HR-Rolle massiv unter Druck setzen, da Standardprozesse, beispielsweise im Personalmanagement, in der bestehenden Form nicht mehr notwendig sein werden. Dementsprechend muss HR zunächst einmal beweisen, dass man in der Lage ist, eine moderne service-orientierte HR-Organisation aufzubauen, in der Routine-Prozesse standardisiert und automatisiert abgewickelt werden und ein hochqualifiziertes HR-Team die Fachbereiche durch persönliche Beratung flexibel und individuell unterstützt. Hierin liegt eine enorme Chance für HR der Zukunft. Raus aus dem „Klein in Klein“, rein in die Rolle der Gestalter, der Visionäre und Innovatoren. Die zukünftige „HR-Wertschöpfung“ wird vordergründig nicht mehr darin liegen, Verwaltungsaufgaben zu übernehmen, sondern den kontinuierlichen Wandel zu gestalten und für den Menschen sinnvoll einzusetzen.

Ein Video zur digitalen Transformation des i40

Die neue Rolle von HR definieren und implementieren

Damit wird deutlich, dass HR zunächst für sich beantworten muss, welche digitale Kompetenzen man selbst benötigt. Wie sieht das Berufsbild eines zukünftigen HR-Mitarbeiters und Managers aus? Datengetriebene Entscheidungen, ganzheitliches Prozessverständnis entlang vertikal und horizontal integrierter Wertschöpfungsnetze oder auch Blockchain-Transaktionen werden auf die zukünftigen Aufgaben von HR-Einfluss nehmen. Nicht nur beim Recruiting, sondern auch bei der Personalentwicklung werden zukünftig Unmengen an Daten verarbeitet und interpretiert werden. Doch die Anforderungen gehen weit über Analytics und Prozessoptimierung hinaus. HR sollte in der Lage sein, die Zukunft zu bewerten und neue Trends frühzeitig zu erkennen. Das ist ein zentraler Aspekt, da heutige Technologien mehr denn je, einem exponentiellen Verlauf folgen und deren Auswirkungen entsprechend massiv auf Unternehmen und deren Mitarbeitende treffen. Beispielsweise gilt es kontinuierlich zu hinterfragen, wie unsere zukünftige Arbeit aussehen wird und welchen Einfluss dabei autonome Systeme und das Konzept der Mensch-Maschine Kollaboration nehmen werden. HR muss Konzepte wie diese nicht nur als einmaliges Projekt adressieren, sondern dauerhaft verstehen, anstoßen, weiterentwickeln und für die Menschen greifbar machen – auch im Mittelstand. Dies umfasst auch die Gestaltung von Organisationsstrukturen, die den Realitäten der Digitalisierung entsprechen und vor allem auf die heutigen Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet sind. Wenn HR diese Themen umfassend und proaktiv besetzt, könnte sich die HR-Funktion zur zentralen Schnittstelle des Wandels im gesamten Unternehmen entwickeln.

Der Aufbau digitaler Kompetenz als Kernaufgabe von HR

Möchten Unternehmen nicht dauerhaft von Beratern und externen Dienstleistern abhängig sein, dann muss all das Knowhow, was für die Digitalisierung benötigt wird, intern aufgebaut werden. Schon heute wird deutlich, dass Neueinstellungen nicht annähernd ausreichend sein werden, um digitale Kompetenz in das gesamte Unternehmen zu integrieren. Deshalb wird sich die Aufgabe des systematischen Kompetenzaufbaus emanzipieren müssen: weg von der weichen Zusatzaufgabe, hin zur essenziellen Kernaufgabe, die darüber entscheidet, wie selbstbestimmt und ernsthaft ein Unternehmen die digitalen Entwicklungen adressieren kann. HR trägt hierbei Verantwortung, um in der gesamten Organisation sicherzustellen, dass digitales Knowhow kein exklusives Gut darstellt, das nur wenigen Experten vorbehalten ist. Fernab der Digitaleinheiten und Innovation Labs ist in manchen Unternehmensbereichen bereits eine Art „analoge“ Parallelgesellschaft erkennbar, in der eben nicht all das angewendet und akzeptiert wird, was für den „Digital Native“ trivial und naheliegend erscheint. Dieser Aspekt trifft in besonderem Maße auch auf das mittlere Management zu, das von „oben“ mit visionären Digital-Floskeln gespeist wird und von „unten“ mit operativen Umsetzungsproblemen konfrontiert wird, ohne aber genau zu verstehen, wie dieser gordische Knoten zu lösen ist.

Fehlende digitale Kompetenzen – ein Versäumnis der Unternehmen

Die fehlende Kompetenz ist in den meisten Fällen ein Versäumnis der Unternehmen und weniger der betreffenden Personen selbst. Woher sollen Mitarbeitende, die vor vielen Jahren Berufsausbildung oder Studium abgeschlossen haben, ihre digitalen Fähigkeiten erlangt haben? Bisher fehlt es an systematischen Mechanismen, die das Lernen und Weiterentwickeln aller Beschäftigten im Unternehmensumfeld nicht nur erlauben, sondern dezidiert fördern. Sowohl innerhalb der Tätigkeit als auch außerhalb. Erschwerend kommt hinzu, dass laut Bitkom Studie Ende 2018, deutsche Unternehmen durchschnittlich gerade einmal 1,8 Qualifizierungstage ihren Mitarbeitern ermöglichen. Jeder kann für sich selbst beantworten, wieviel digitale Kompetenz in 1,8 Tagen aufgebaut werden kann. Das Weltwirtschaftsforum rechnet in seiner Studie „The Future of Jobs Report“ damit, dass 50% aller Mitarbeitenden weltweit von einem Up- oder Reskilling Bedarf betroffen sind.

Bestehende Rollen hinterfragen, neue definieren

Für alle Mitarbeitenden und Führungskräfte gilt es bestehende und zukünftige Rollen zu hinterfragen und zu definieren:
  • Welche Profile werden in den einzelnen Fachbereichen zukünftig benötigt?
  • Wo gibt es besonders dringenden Nachholbedarf?
  • Worin unterscheiden und ergänzen sich die jeweiligen Fähigkeiten?
  • Wie können diese Fähigkeiten angeeignet werden?
Der Kompetenzaufbau für die Digitalisierung wird dabei durch den Umstand erschwert, dass noch viel Unklarheit darüber besteht, was unter Digital-Kompetenzen eigentlich zu verstehen ist. Auch in dieser Diskussion ist Verantwortung von HR gefragt. Zunächst muss HR eine sinnvolle Struktur in diese teilweise willkürlich geführte Diskussion bringen, in der verschiedenste Begriffe vermischt werden. Darauf aufbauend wird zur Entwicklung der benötigten Kompetenzen eine Vielzahl unterschiedlicher Kompetenzpfade für das jeweilige Unternehmen benötigt. Themenauswahl, Anspruchsniveau und didaktisches Konzept können sich zwischen den Rollenbildern sehr stark unterscheiden, da es nicht zuletzt höchst unterschiedliche Lerntypen unter den Mitarbeitern gibt. Die Entwicklung und Auswahl geeigneter Lernstrategien für bestimmten Personengruppen und Themen wird sich daher zu einer kontinuierlichen Aufgabe entwickeln, die ein hohes Maß an Verständnis für neuartigen Lernformate, etwa durch Hands-On Workshops, E-Learning oder AR/VR voraussetzt.

Hören Sie die aktuelle Podcast-Folge Klartext HR mit Dr. Philipp Ramin passend zum Thema:

HR wird im digitalen Transformationsprozess dringend gebraucht

Aber nicht als Verwalter, sondern als Gestalter. Bevor sich HR dieser Rolle annehmen kann, braucht es einen deutlichen Wandel dieser Funktion, denn die neue Rolle wird HR nicht zufliegen. Es kann von einer Hol- und Bringschuld gesprochen werden.

Das Senior HR-Management wird die Rolle des Transformators innerhalb der Unternehmensstruktur einfordern müssen, um gemeinsam mit den anderen Unternehmensfunktion an einer neuen Logik des Wandels zu arbeiten. Technische Bereiche sollen nicht im Widerspruch dieses Ansatzes stehen, sondern gemeinsam mit HR eine konsistente Einheit bilden, die stärker als bisher auf die Realitäten des Menschen ausgerichtet ist.

Da HR eine mehr als signifikante strategische Rolle im Wandlungsprozess einnehmen muss, wird es zunehmend wichtig sein, dass HR über Netzwerke und Sparringpartner dafür sorgt, nicht nur inkrementelle Änderungen zu integrieren, sondern auch die großen Neuerungen aufspürt und strategisch vorbereitet.

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Dr. Philipp Ramin

Dr. Philipp Ramin, CEO des Innovationszentrums für Industrie 4.0 (i40)

 

Dr. Philipp Ramin ist CEO und Gründer des Innovationszentrum für Industrie 4.0. Mit über 150.000 Lernenden, mehr als 50 Themengebieten und Lerninhalten in 9 Sprachen und in 14 Ländern weltweit, ist das i40 der führende internationale Future Skills Learning Anbieter für die digitale Transformation und Industrie 4.0.

Darüber hinaus ist Philipp Ramin stellvertretender Geschäftsführer des Münchner Kreis e.V., Aufsichtsrat von BarthHaas und Academic Counselor für den Fachwirt in Digitalisierung an der Frankfurt School of Finance and Management.

>> zur Website des Innovationszentrum für Industrie 4.0

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