Polywork ist eine neue Social Media Plattform, die sich aufmacht, um Business-Netzwerken wie XING oder LinkedIn Konkurrenz zu machen. Dabei werden Erfolgskriterien von Clubhouse genutzt und die Idee einer Vernetzung mit Menschen auf Basis von Fähigkeiten und Tätigkeiten beziehungsweise Erfahrungen weitergedacht. Mein erster Praxistest soll einen Impuls geben, sich eine eigene Meinung zu bilden, inwieweit vor allem HR mit Blick auf Recruiting sich mit Polywork beschäftigen sollte.
Nach Clubhouse jetzt also Polywork?
Social Media Plattformen sprießen mittlerweile wie Pilze aus dem Boden. Der jüngste Spross – natürlich wieder aus den USA – heißt Polywork. Viele von Ihnen erinnern sich vermutlich noch an den Hype rund um Clubhouse zu Jahresbeginn. Auf einmal eroberte die Audio Streaming App die Smartphones deutscher User quasi übers Wochenende. Mein damals sehr schnell verfasster erster Clubhouse Praxistest zeigte auf, dass es hier tatsächlich noch neue Potentiale zu heben gibt im Bereich Live-Audio-Content.
Zwischenzeitlich haben alle größeren Plattformen ebenfalls mit vergleichbaren Funktionen experimentiert, zum Beispiel Facebook Rooms, Twitter Spaces oder zuletzt auch Spotify Music + Talk. Über all diese Netzwerke in eigenen Artikeln zu berichten, wäre vermutlich eine tägliche Mammut-Aufgabe. Warum also jetzt ein Praxistest zu Polywork?
Polywork – weg von Berufsbezeichnungen und Titel hin zu Erfahrungen
Eines der Haupt-Probleme von LinkedIn und XING liegt sicher darin begründet, dass Profile häufig eine Ansammlung hohler Buzzword-Phrasen sind. Jeder kann sich als Gründer, Influencer (Steigerungsformen sind immer gerne genommen) oder auch C–ich-bin-wichtig–O bezeichnen. Phantasiebezeichnungen wie Coding Ninja oder Marketing Guru sorgen zusätzlich dafür, dass Begriffe mehr denn je Schall und Rauch sind. Die „Instagramisierung“ der Businessnetzwerke, bei denen es vor allem um Selbstdarstellung und möglichst viele Follower und Likes geht, schreitet unaufhörlich voran.
Was aber wäre, wenn statt der sogenannten Container-Begriffe echte Erfahrungen und Tätigkeiten im Vordergrund stehen würden, zusammen mit konkreten Belegen. Will heißen: Dort wo LinkedIn und XING lediglich CV-orientiert berufliche Stationen auflisten und zusätzlich hinterlegte Begriffe wie Speaker als Basis für ein Matching zwischen Suchenden und Anbietenden dienen, will Polywork konkrete Speaker-Tätigkeiten auflisten als sogenannte Highlights.
Ähnlich ist es bei beruflichen Tätigkeiten. Statt Lead Software Architect als Bezeichnung würden konkrete Projekte und Erfahrungen aufgezeigt und entsprechend mit Badges gekennzeichnet, um eine Suche danach zu ermöglichen. So weit, so gut.
Mit Polywork starten – Invite-basiert only
Der anfängliche Erfolg von Clubhouse stammte zu einem großen Teil aus der Verknappung des Zugangs zur Beta-Version der App. Ausschließlich über einen sogenannten Invite (eine Einladung) konnten sich neue User registrieren. So auch bei Polywork. Es lassen sich Einladungslinks generieren, die als sogenannte „VIP Einladung“ im Schneeball-Prinzip zur sofortigen Anmeldung ohne Warteschlange berechtigen.
Das Marketing-Instrument Verknappung wirkt auch hier Wunder. In meinem LinkedIn Feed vermehren sich die Postings zu Polywork gerade massiv. Um in der derzeitigen viralen Nomenklatur zu bleiben: exponentiell. Beginnt jetzt der Polywork Hype?
Das Polywork Profil – Badges als Profileigenschaften
Nach der Anmeldung geht es darum, ein möglichst aussagekräftiges Profil zu erstellen. Ja, liebe DatenschützerInnen: Da wären wir wieder! Zwar geht es diesmal nicht um persönliche Daten Dritter, wie dies beim Clubhouse Upload der Smartphone Telefonbücher der Fall war. Trotzdem verlockt die unglaubliche Anzahl möglicher Badges (hinterlegbare Profileigenschaften) dafür, deutlich mehr Informationen über sich preis zu geben, als man dies vielleicht auf LinkedIn tun würde.
Badges wie Girl Dad oder House Owner werden in einer schier unerschöpflich scrollbaren Liste neben beruflichen Tätigkeiten, Skills und sonstigen Eigenschaften aufgezählt. Klar ist aber auch: Je konkreter und ausgiebiger Profile gebaut werden, um so genauer können Matches erfolgen. Das altbekannte Dilemma.
Polywork – ohne Follower und Likes Zählung
Um sich bei der Erstellung des eigenen Profils inspirieren zu lassen, lässt sich die Suche nach anderen Usern über den Suchschlitz in der Polywork Navigation nutzen. Alternativ hilft der Klick auf den Menüpunkt „Multiverse“, um sogenannte Featured People anzeigen. Aus meiner Sicht sehr positiv: Bei fremden Profilen erfolgen keine Einblendungen zur Anzahl der Follower oder Likes. Effekte von „Viel hilft viel“ werden – zumindest im Frontend nicht sichtbar und wirksam.
Trotzdem ist davon auszugehen, dass der Algorithmus von Polywork zumindest im Hintergrund Relevanz an einer gewissen Viralität, Follows und Klicks festmacht.
Analog der trending Hashtags auf Twitter finden sich darunter die Trending Badges. Interessanterweise scheinen hier vor allem Softwareentwickler beziehungsweise Coder aktiv zu sein. – Spätestens jetzt dürften alle im Recruiting tätigen Personen wach sein!
Der Newsfeed von Polywork – Posten von Highlights
Auch die Social Media Plattform Polywork bringt ihre eigenen Bezeichnungen mit, die es erst einmal zu verstehen gilt. So heißen die Eintragungen im eigenen Profil Highlights. Das Posten derselben löst damit bei den dem Profil folgenden Menschen das Entstehen eines klassischen Newsfeeds aus. Neben dem Folgen von Profilen kann (analog dem Folgen von Hashtags auf LinkedIn) auch Badges gefolgt werden, was zusätzlich Schwung in den eigenen Newsfeed bringt. Gerade am Anfang, wenn noch wenige Mitglieder aus Deutschland zur Vernetzung vorhanden sind. – Für international tätige Selbstständige bietet sich hier natürlich sehr leicht eine neue Kontaktmöglichkeit an.
Das Posten eigener Highlights besteht dabei zum einen aus dem selbst erfassten Text. Dieser kann im Vergleich zu anderen Plattformen sehr gut formatiert und mit Links oder auch Bildern versehen werden. Ein Punkt für die XING-Wishlist! Zum anderen werden sogenannte Activity Badges hinterlegt, zu denen es automatisierte Vorschläge von Polywork gibt.
Finden von Matches auf Polywork
Passende Matches finden sich auf Polywork vor allem über jene hinterlegten Activities. Diese sind in der Regel aufgebaut im Stile von Writing a book oder Interviewed on a podcast. Sie merken bereits, dass die Aktivitäten derzeit lediglich in Englisch hinterlegt werden können. Sobald neue Aktivitäten auch in Deutsch möglich sind, werden vermutlich aber nur User mit ebenfalls den gleichen deutschen Aktivitäten-Begriffen gematcht.
Das zeigt die Herausforderung: Der Mix aus Beschreibung in deutscher Sprache und Badges in englischer Sprache ist vermutlich suboptimal. Diese Tatsache hat bei mir schon Überlegungen ausgelöst, ob ich auch meine Highlights nicht gänzlich in Englisch poste. Aber ob das bei der Suche nach deutschsprachigen Autoren der Weisheit letzter Schluss ist?
Egal, wir reden hier ja erst einmal nur über die Beta-Version einer Software. Also weiter im Praxistest.
Polywork und HR – eine Plattform für das Recruiting?
Noch bevor ich selbst auf Polywork ein Profil besaß, wurde ich bereits via LinkedIn getaggt mit Blick auf HR. Also versuche ich einmal einzuschätzen, welche Potentiale in Polywork in Punkto Recruiting schlummern.
Das Versprechen, dass auf der neuen Social Media Plattform keine Buzzword mehr verwendet, rein chronologisch angeordnete Erfahrungen im Profil aufgehoben werden und stattdessen konkrete Erfahrungen (Highlights mit Activities und Badges) durchsuchbar sind, wird aus meiner Sicht nur unvollständig umgesetzt. Genau betrachtet entsteht auch in Polywork wieder eine Zeitleiste mit beliebig buzzwordisierbaren Bezeichnungen und Aktivitäten.
Sie werden nur anders getaggt und sind cleverer durchsuchbar. So ist beispielsweise das Finden von Menschen, die zu einem speziellen Thema ein Buch verfasst haben oder schon einmal Gast in einem Podcast waren, leichter als anderswo. Das gilt auch für Eigenschaften, die im Rahmen von Anforderungsanalysen im Recruiting gesucht werden.
Mein Fazit zum Praxistest Polywork: Keine Killer-Applikation
Dass insbesondere LinkedIn durch Polywork in Bedrängnis geraten sollte, sehe ich Stand heute nicht. Denn am Ende lebt jedes Netzwerk von Usern, die eine Vielzahl von Informationen sinnvoll aufbereiten – und insbesondere fortlaufend aktiv sind.
Mit Blick auf die Vielzahl möglicher Netzwerke finde ich persönlich Polywork noch relativ wenig inspirierend. Es bleibt abzuwarten, ob sich genügend Menschen finden, die noch einmal auf einer Plattform intensiv Daten eingeben und sich präsentieren wollen mit dem Ziel gefunden zu werden. Großes Potential liegt aus meiner Sicht in Stufe 1 bei Selbstständigen, die sich marktplatzartig präsentieren wollen, beispielsweise als Speaker oder Freelancer für eine Coding-Tätigkeit. Oder auch für Startups, die einen amerikanischen Investor suchen.
Wie immer ist es aber zu früh, um valide Prognosen für die Entwicklung in Deutschland abzugeben. Ich behalte Polywork zumindest weiter im Auge, fühle mich aber nicht veranlasst meine Zeit über Gebühr mit dem Ausbau meiner Profildaten zu verbringen. Viel lieber würde ich spannende Talks auf Clubhouse nutzen – aber hier sind die Themen leider nahezu komplett „verramscht“.
Meine Polywork-Invites sind leider schon schnell aufgebraucht gewesen. In meinem Netzwerk fanden sich viele Test-Willige. Allerdings hat sich auch gezeigt, dass ein Tweet oder ein LinkedIn-Post sehr schnell einen Invite in Ihre Inbox „zaubern“ kann.
Haben Sie schon Erfahrungen gemacht? Lohnt sich der Austausch darüber?