In den letzten Monaten spült es immer mehr Apps in den Markt, die mit technischen Lösungen antreten, um das Finden von Bewerbern bzw. neuen Jobs zu erleichtern. Zuletzt berichtete ich von meinem Test der App Selfiejobs. Der Großteil dieser Jobapps wird scheitern. Warum das so ist und welchen Denkfehlern die Anbieter in diesem Zusammenhang erliegen, zeige ich im Nachfolgenden Beitrag auf.
Darüber hinaus erläutere ich, warum die Verwendung solcher Apps durch Unternehmen einen negativen Einfluss auf die vieldiskutierte Candidate Experience haben kann – und nehme damit den Staffelstab der Blogger-Challenge zum „Jahr der Kandidaten“ auf, den mir Christoph Athanas übergeben hat.
Aufbau von zwei Zielgruppen parallel
Die größte Herausforderung, die jede neue App meistern muss, ist der Aufbau einer angemessen großen Nutzerschaft. Und das in zweierlei Hinsicht: Zum einen, was die Anzahl an Jobsuchern angeht, die eine solche App herunterladen und damit Stellen sichten. Zum anderen müssen ausreichend zahlende Unternehmenskunden gefunden werden. Zumindest wenn man davon ausgeht, dass viele dieser Apps von Startups entwickelt werden, die es sich nicht wie Twitter leisten können, jahrelang ohne Geschäftsmodell Millionen von Dollar oder Euro zu verbrennen.
Das Gemeine am Aufbau von gleich zwei Zielgruppen parallel ist die Tatsache, dass beide eng miteinander verknüpft sind:
Recruiting-Verantwortliche in Unternehmen sind nur dann bereit, Geld für Stellenanzeigen in einer App auszugeben, wenn sie damit die richtigen bzw. zumindest eine Vielzahl grundsätzlich passender potenzieller Kandidaten für ihre ausgeschriebenen Stellen erreichen können. Fehlen diese Nutzer, lohnt sich das Investment nicht.
Umgekehrt wird kein Jobsuchender eine solche Job-App nutzen, wenn keine Mehrzahl von wechselnden Stellenangeboten darin verfügbar ist. Dafür gibt es auf im Internet zu viele große Stellenbörsen oder zielgruppenspezifische Plattformen.
Startups in diesem Bereich müssen also zu Beginn massiv in den Aufbau beider Zielgruppen parallel investieren. Eine hohe Hürde, die schnell zum Teufelskreis werden kann.
Mehrwert für längerfristige Anwendung fehlt
Diesen Apps fehlt die Bindungswirkung für eine längerfristige Anwendung. Denn liefert die App keine brauchbaren Ergebnisse, wird der Jobsuchende die Nutzung schnell einstellen. Gibt es umgekehrt einen Volltreffer und die App vermittelt erfolgreich einen neuen Job, wird die App-Nutzung ebenfalls eingestellt, da sie dann keinen Mehrwert mehr bietet. Es sei denn, es handelt sich um einen Jobhopper, der in wenigen Monaten schon wieder auf der Suche nach einer neuen Herausforderung ist.
Insofern ist die schwer aufzubauende Nutzerschaft auf Seiten der Jobsuchenden gleichzeitig noch sehr flüchtig. Anders als beispielsweise Netzwerke wie XING oder LinkedIn, die einen weitaus größeren und vor allem dauerhaften Nutzwert bieten. Zudem haben diese Netzwerke den Vorteil, dass vor der Etablierung von kostenpflichtigen Geschäftsmodellen zur Jobsuche bereits beide Zielgruppen sauber aufgebaut wurden.
Mangelndes Verständnis der Recruiting-Prozesse
Was allerdings noch viel gravierender zu werten ist und zum Scheitern solcher Apps führen kann, ist die unklare Positionierung, welches Problem im Bewerbungsprozess eigentlich gelöst werden soll. Das geht meist einher mit der mangelnden Kenntnis der beim Rekrutierungsprozess ablaufenden Standardprozesse im Unternehmen.
Mobile Recruiting zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die ansonsten über klassische Onlinebewerberformulare durch den Bewerber an ein Unternehmen übermittelten Informationen auf ein Minimum reduziert werden, damit dieser Vorgang bequem von unterwegs bzw. via Smartphone und Tablet erledigt werden kann.
Entscheidungen auf Basis mangelnder Informationen
In der Praxis führt das allerdings (wie alle verkürzten Recruitingverfahren) bei einer Vielzahl von größeren Unternehmen zu erheblichen Schwierigkeiten. Dazu ist es notwendig, zu verstehen, welche Rolle Recruiter im Gesamtprozess spielen. In den meisten Fällen sind sie der Vorfilter für eingehende Bewerbungen und screenen die Unterlagen, nehmen ein Matching mit ausgeschriebenen Jobs vor und bewerten und sortieren alles, um eine Einladungsentscheidung für die Fachabteilung vorzubereiten.
Im Grunde ist der Job des Recruiters von extremer Unsicherheit geprägt: Er (oder oftmals sie) soll aus den durch die Bewerber zur Verfügung gestellten Informationen eine solide Entscheidung treffen, ob der Kandidat oder die Kandidatin zum Gespräch eingeladen wird. Dabei hat der Recruiter eine hohe Verantwortung, weil sich der Fachbereich auf sein Urteil verlässt. Alles, was dem Recruiter Sicherheit bei seiner ersten Auswahlentscheidung gibt, hilft diesem und beschleunigt den Prozess.
Recruiter wollen Sicherheit bei der Auswahlentscheidung
Und jetzt raten Sie mal, wie die Verknappung der zur Verfügung stehenden Informationen in diesem Zusammenhang wirken wird … Genau: die Unsicherheit bei der Entscheidung wird noch viel größer.
Zumal (um beim Beispiel Selfiejobs zu bleiben) die App kaum differenzierende Merkmale zum Bewerber mitliefert. Von Fachkenntnissen ganz zu schweigen. – Auch wenn ich persönlich ein großer Befürworter der Devise „Hire for attitude – train for skills“ bin, sieht die Praxis in der Mehrzahl deutscher Unternehmen komplett anders aus. Das kann man jetzt gut finden oder nicht. Aber es ist so.
Drei Arten von Passung werden geprüft
Auch wenn es wahrscheinlich wissenschaftlich ausgefeiltere Modelle gibt, basiert die Bewerberauswahlentscheidung in Unternehmen meiner Meinung nach häufig auf diesen Prozess-Schritten:
- Prüfung des Person-Job-Fit vor allem durch einen Abgleich der Stellenanforderungen mit dem Profil des Bewerbers – „Passt der Bewerber auf die Stelle?“
- Abgleich des Bewerberprofils mit der kulturellen Passung – „Passt der Bewerber zum Unternehmen?“
- Prüfung im Vorauswahlverfahren bzw. im Vorstellungsgespräch – „Passt der Bewerber ins konkrete Team bzw. in die Abteilung“.
Dabei entscheidet der Recruiter in der Regel vor allem über die beiden ersten Prozessschritte selbstständig. Der Person-Team-Fit wird klassischerweise von der Linienführungskraft im Fachbereich beurteilt.
Die Apps wollen den Gesamtprozess vereinfachen
Wenn man den Bewerbungsprozess (und dabei vor allem die Auswahlprozesse im Unternehmen) mal genau unter die Lupe nimmt, dann bieten die meisten Apps gar keine Unterstützung für den Gesamtprozess, sondern oftmals nur für eingeschränkte Teilprozesse.
So kann zwar mittels einer Videobewerbung im Vergleich zu einem statischen Bewerbungsbild ein Teil des Bewerbungsgesprächs digital vorweggenommen werden. Allerdings betrifft das vor allem Prozessschritt zwei und drei. Bei der Frage nach einer fachlichen Passung zu den Stellenanforderungen wird es mit der Aussagekraft da meist eher dünn. Hier liefert die App nicht nur keine Lösung, sondern schafft gar ein neues Problem.
Unterschiedliche Datentöpfe
Zusätzlich problematisch ist es für Personaler, wenn die Informationen über Bewerber in unterschiedlichen Systemen vorgehalten werden, z.B. ein Teil in Apps in der Cloud, ein Teil auf Bewerberplattformen im Internet und der Großteil im unternehmenseigenen Bewerbermanagementsystem (ATS). Wie wird Vergleichbarkeit hergestellt? Wie erfolgt eine übergreifende Suche bzw. ein übergreifendes Matching? Wie sicher sind die Daten in den einzelnen Systemen?
Fragen über Fragen, die den Entscheidern im Recruiting erneut Unsicherheit bereiten und deren Probleme oft eher vergrößern als lösen.
Bewerber wollen sich präsentieren
Zwar wollen Bewerber laut Umfragen nur ungern ungeliebte Onlineformulare ausfüllen. Bei genauerem persönlichen Nachfragen zeigt sich jedoch, dass sich die Bewerber sehr wohl individuell präsentieren wollen. Nur eben gerne mit weniger Aufwand bzw. freier als via Formular.
Und auch hier werden Bewerber durch die eingeschränkten Möglichkeiten in den Apps oft in ihrer Präsentationsfreiheit beschnitten – das gilt übrigens auch für die Vorgaben, die z.B. in sozialen Netzwerken wie XING bestehen.
Zwischenfazit
Nur wenige Apps haben die Kraft, die oben aufgezeigten Hürden zu überspringen. Die meisten werden in einem frühen Stadium scheitern. Auch deswegen, weil meiner Ansicht nach alle Apps, die keinen offline-Nutzwert haben, über kurz oder lang den rein webbasierten Anwendungen weichen werden.
Die Nutzung von Jobapps beeinflusst die Candidate Experience
Warum ist dieser Blog nun mein offizieller Beitrag zur Blogger-Challenge im Rahmen des von Jo Diercks ausgerufenen „Jahr der Kandidaten“, bei dem 12 der bekanntesten deutschen HR-Blogs über Candidate Experience schreiben?
Ganz einfach: Weil die Verwendung von Jobapps durch Unternehmen einen erheblichen Einfluss auf die Candidate Experience, also die Wahrnehmung des Unternehmens durch den Bewerber im Bewerbungsprozess hat. Allerdings in mehrere Richtungen.
Ja, natürlich wirkt das Anbieten von Jobs via cooler App modern und innovativ. Allerdings wird damit gleichzeitig ein Statement abgegeben das lautet: „Nicht nur Ihr Bewerber sucht Euren Job durch Swipen aus. Auch wir Swipen Euch zum Job. Wir machen Personalauswahl easy.“. Nur stimmt das eben für die meisten Unternehmen nicht!
Der Gau im Bereich Candidate Experience
Fatal wird es dann, wenn anschließend die Anforderung einer klassischen Bewerbungsmappe zum Upload ins Bewerbermanagementsystem via E-Mail an den Bewerber geht. Genau dann verkehrt sich die vermeintlich positive Candidate Experience des Bewerbers, die durch die App getriggert wurde, ins komplette Gegenteil.
Die Gefahr eines regelrechten Candidate Experience Gaus ist noch um einiges größer, in Organisationen, in denen Personalmarketing bzw. Employer Branding organisatorisch getrennt von den Recruiting-Einheiten operiert. Ein vollmundiges Markenversprechen zum innovativen Bewerben mittels Smartphone, App und Video zerschellt sehr schnell am operativen Recruiting-Alltag.
Machen Sie es besser und stimmen Sie sich eng zwischen den beiden Arbeitsbereichen ab! Und entscheiden Sie wohlüberlegt, an welchen Stellen der Einsatz solcher Apps prozessual hilfreich und gleichzeitig für die Candidate Experience förderlich ist. Immerhin reden wir hier über einen der wichtigsten Kontaktpunkte, der unmittelbar auf die Marke und damit auch auf die Bindung der Kandidaten ans Unternehmen einzahlt.
Das „Jahr der Kandidaten“ geht weiter
So, und nun gebe ich den Staffelstab weiter an die nächsten Blogger. Möge die Leser Experience mit Euch sein, Jan Kirchner und Alexander Fedossov vom Wollmilchsau-Blog!