Nach einer längeren Pause startet heute die dritte Runde des Blind HR Battle auf Persoblogger.de. Diesmal dreht sich alles um die Frage, in wie weit die vollkommene Freiheit über die Gestaltung der eigenen Arbeit ein Erfolgsmodell ist. Dass dieses Thema aktuell die HR-Welt bewegt, zeigt die Tatsache, dass die Kontrahentin Dr. Elke Frank, ihres Zeichens Senior Director Human Resources und Geschäftsleitungsmitglied von Microsoft Deutschland, für dieses Konzept kürzlich den von FOCUS und XING verliehenen New Work Award 2015 erhielt. Diskussionswürdig ist das Thema insofern, als dass der Microsoft Mitbewerber Yahoo vor einigen Monaten genau die gegenteilige Maßnahme als Erfolgsfaktor umgesetzt und genannt hat: Die Abschaffung des Homeoffices. Insofern vertritt der medial bekannte Prof. Dr. Gerhard Bosch, Professsor für Arbeits- und Wirtschaftssoziologie an der Universität Duisburg-Essen die kritische Gegenhaltung. Wie ist das nun mit der vollkommenen Gestaltungsfreiheit bei der eigenen Arbeit?
Hier das PRO-Statement von Frau Dr. Elke Frank:
Flexibles Arbeiten als Innovationsmotor
Mehr als drei Viertel der deutschen Unternehmen sind laut Studie des Bürodienstleisters Regus davon überzeugt, dass flexible Arbeitsmodelle die Kreativität und die Produktivität ihrer Mitarbeiter steigern. Auch das Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel bestätigt: Unternehmen mit flexiblen Arbeitsbedingungen bringen mit höherer Wahrscheinlichkeit innovative Produkte auf den Markt als Unternehmen, die ihre Mitarbeiter an der kurzen Leine halten.
Innovationen entstehen durch direkte Interaktion und Kommunikation – doch wie diese Erkenntnisse zeigen, müssen sich dafür nicht alle Mitarbeiter ständig zur selben Zeit am selben Ort befinden. Denn moderne digitale Technologien ermöglichen den Austausch und die Kommunikation unabhängig von Zeit und Ort. Es ist sogar so, dass Bürowände oftmals eine viel schwieriger zu überwindende Hürde für den direkten Austausch sind als die physische Distanz außerhalb des Büros. Aus diesem Grund muss sich auch die Gestaltung des Büros an die moderne Arbeitswelt anpassen. Das Büro ist und bleibt ein wichtiger Ankerpunkt jedes Mitarbeiters – ein Platz der Begegnung und der Vernetzung. Was es aber immer seltener sein wird: ein reiner Platz zum individuellen Arbeiten.
Flexibles Arbeiten – die Mischung macht’s
Flexibles Arbeiten ausschließlich mit dem Home Office gleichzusetzen greift viel zu kurz. Jeder Mitarbeiter muss völlig frei entscheiden können, wann und wo er seine Aufgaben erledigen möchte. Das bedeutet zum Beispiel: beim Kunden vor Ort, unterwegs im Zug, zu Hause – und wann immer er möchte auch im Büro. Natürlich lässt sich nicht jeder Tätigkeit außerhalb des ursprünglichen Arbeitsorts nachgehen – die Fabrikhalle ist dafür ein gutes Beispiel. Aber auch hier ist eine individuellere Arbeitsgestaltung durch flexible Schichtsysteme möglich und wird von einigen Unternehmen bereits in der Praxis angewandt.
Damit unter den Mitarbeitern keine Gefühle der Benachteiligung entstehen, sind Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen gefordert. Führungskräfte dürfen flexible Arbeitsmodelle nicht als Belohnung für besondere Leistungen aussprechen, sondern müssen diese für jeden möglich machen. Auch die Mitarbeiter selbst sollten die persönliche Eignung für flexible Arbeitsmodelle kritisch überprüfen. Denn nicht jeder ist aufgrund individueller Bedürfnisse oder Rahmenbedingungen dafür geeignet. Es ist kein Makel einzugestehen, dass einem diese Form der Arbeit nicht zusagt.
Mitarbeiter wollen selbst entscheiden
Gerade im Bereich der Wissensarbeit – der Anteil der Beschäftigten in diesem Bereich nimmt laut Fraunhofer IAO mehr als 40 Prozent in Deutschland ein – gibt es keine plausiblen Gründe, die Mitarbeiter in der Wahl des Arbeitsortes und der Arbeitszeit einzuschränken. Im Gegenteil: Das Angebot an flexiblen Arbeitsmodellen entscheidet über die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen, vor allem mit Blick auf das Recruiting neuer Talente. Dem Centre of Human Resources Information Systems zufolge arbeiten schon heute fast 86 Prozent aller Arbeitnehmer am liebsten in einem Unternehmen, das flexible Arbeitsmodelle anbietet. Die Gründe: Flexible Arbeitsmodelle ermöglichen eine individuelle Strukturierung des Alltags, angepasst an persönliche Bedürfnisse. Sie schaffen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Und sie führen zu deutlichen Zeit- und Kostenersparnissen, indem sich Anfahrtswege reduzieren.
Vertrauen schlägt Anwesenheit
Das Argument, dass die im Büro anwesenden Mitarbeiter die „Dummen“ sind, da sie unvorhergesehen Arbeiten erledigen müssen, lässt tief in die (fragwürdige) Unternehmenskultur blicken. Nur in Unternehmen, in denen Misstrauen und Missgunst herrschen, kann so argumentiert werden. Wenn durch die Einführung flexibler Arbeitsmodelle tatsächlich der Austausch zwischen den Mitarbeitern leidet, sollte sich die Unternehmensführung eher die Frage stellen, ob die Ursache hierfür nicht viel tiefer verwurzelt liegt, anstatt flexibles Arbeiten zu verteufeln.
Im Zentrum muss daher immer das Vertrauen stehen. Solange Führungskräfte ihren Mitarbeitern vertrauen, ist es irrelevant, wann und wo diese arbeiten. Wichtig sind hierbei klare Zielvereinbarungen sowie eine ausgeprägte Feedbackkultur. Darauf basierend zählen rein die Ergebnisse – nur hiernach sollten die Mitarbeiter beurteilt werden, und nicht danach, an welchem Ort sie wie lange anwesend sind. Darin sehe ich auch keinerlei Widerspruch zu den betrieblichen Interessen. Denn das Ziel jedes Wirtschaftsunternehmens muss es doch sein, die Produktivität und Kreativität der Mitarbeiter zu stärken, um dadurch die eigene Wirtschaftlichkeit zu sichern. Die Freiheit in der Arbeitsgestaltung ist dafür der zentrale Erfolgsgarant – und eine Win-Win-Situation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
CONTRA-Statement von Prof. Dr. Gerhard Bosch:
Werden die Unternehmen ihren Beschäftigten in Zukunft tatsächlich die Freiheit geben, überall und zu beliebiger Zeit zu arbeiten, solange sie nur ein gutes Ergebnis abliefern? Ich denke nein und zwar aus mehreren Gründen!
Nicht jeder Job ist virtuell zu erledigen
Erstens lassen sich die meisten Jobs in der Fertigung und auch in den stark wachsenden persönlichen Dienstleistungen nicht in der virtuellen Welt erledigen. Haare kann man nicht virtuell schneiden. Kindererziehung erfordert den persönlichen Kontakt und zuverlässige Zeitstrukturen. Auch der Fließbandarbeiter kann nicht eben mal die Montage von zu Hause aus erledigen. Durch neue Arbeitszeitmodelle kann man zwar auch diesen Beschäftigten in Absprache mit anderen Kollegen mehr Freiheiten geben. Von den Anwesenheitspflichten kann man sie jedoch nicht entlasten.
Teamgeist, Unternehmenskultur und Innovationskultur leiden
Zweitens lassen sich durch die Vernetzung heute viele Tätigkeiten, zu denen man früher ins Büro kommen musste, auch von zu Hause erledigen. Da stellt sich für Unternehmen die Frage, ob und in welchen Dimensionen sie das zulassen wollen. Aus guten Gründen sind die meisten Unternehmen hier vorsichtig. Wenn jeder nur noch zu Hause arbeitet, verlieren die Unternehmen ihren Teamgeist. Weiterhin leidet ihre Innovationsfähigkeit. Die meisten Innovationen werden nicht mehr von einzelnen Genies zu Hause ausgebrütet. Sie entstehen heute in gemeinsamen Experimenten oder Entwicklungsarbeiten, also im engen persönlichen Austausch mit Kollegen. Eine gemeinsame Unternehmenskultur lässt sich mit digitalen Nomaden, die nie im Team arbeiten, schon gar nicht entwickeln.
Yahoo hat bei seiner Innovationskrise die Notbremse gezogen und die Teleheimarbeit eingeschränkt, da man viele Beschäftigte schon lange nicht mehr gesehen hatte Die großzügigen Arbeitszeitregelungen hatten nicht wenige Beschäftigte sogar veranlasst, weit weg zu ziehen mit einer entsprechenden Lockerung ihrer Betriebsbindung. Yahoo hat natürlich auch angenehme Privilegien eingeschränkt, was die Empörung in der Computerszene erklärt.
Ungleichbehandlung der Mitarbeiter
Drittens sind in der betrieblichen Praxis nicht alle Aufgaben planbar. Technische Störungen, Reklamationen oder überraschende Kundenanfragen stellen hohe Anforderungen an die Flexibilität der Unternehmen. Die anwesenden Beschäftigten sind dann die Dummen. Sie müssen alles ausbügeln, während die Heimarbeiter von ungeplanten Aufgaben verschont bleiben. Entsprechend angespannt ist die Stimmung im Unternehmen, wenn die Zusatzarbeiten nicht gleichmäßig verteilt werden oder – schlimmer noch – am Ende die Heimarbeiter sogar noch belohnt werden, weil sie ihre Zielvereinbarung ungestört erfüllen können.
Eine weitere Quelle der Unzufriedenheit ergibt sich aus der Ungleichbehandlung der Beschäftigten. Beschäftigte auf Arbeitsplätzen mit hohen Anwesenheitszwängen werden sich benachteiligt fühlen, wenn man anderen Beschäftigten großzügig Teleheimarbeit ermöglicht. Diese für ein gutes betriebliches Klima so schädliche Gerechtigkeitslücke kann man schließen, wenn man Teleheimarbeit nur in Ausnahmefällen gewährt oder sie Teil eines für alle attraktiven Arbeitszeitpakets wird.
Vollkommene Gestaltungsfreiheit bleibt für die meisten Illusion
Die meisten Beschäftigten werden in Zukunft also nicht nach eigenem Belieben arbeiten können, wo und wann sie es wollen. Viele Tätigkeiten erfordern weiterhin geplante Anwesenheitszeiten und die Unternehmen werden aus eigenem Interesse nicht jede Flexibilität zulassen, die technisch möglich ist. Natürlich wächst die Zahl der Tätigkeiten ohne die traditionelle enge Zeit- und Raumbindung. Allerdings darf man nicht den Fehler machen, diese Gruppe für das Ganze zu nehmen und zu übersehen, wie die Mehrheit der Bevölkerung arbeiten muss. Dies tun leider die Einzelarbeiter im Medienbereich in ihren Zukunftsprognosen zur virtuellen Arbeitswelt viel zu oft.
Teleheimarbeit ist nur ein Baustein
Damit ist natürlich nicht gesagt, dass wir nicht erheblich flexibler arbeiten werden. Die neuen Technologien helfen den Unternehmen nicht nur die Arbeitsaufgaben genauer zu planen, sondern auch komplexe Arbeitszeitsysteme mit unterschiedlichen Wahlarbeitszeiten und Arbeitszeitkonten zu managen. Teleheimarbeit wird dabei ein Baustein im Menu betrieblicher Arbeitszeitoptionen für einen Teil der Beschäftigten sein. Allerdings wird es in den meisten Fällen nicht um ausschließliche, sondern um alternierende Teleheimarbeit gehen. Denn die Unternehmen müssen im harten Wettbewerb mehr denn je auf Innovationen, Teamarbeit und eine fördernde Unternehmenskultur setzen. Im Idealfall können die Unternehmen den Beschäftigten die Entscheidung über die richtige Balance zwischen Arbeit im Betrieb, beim Kunden und zu Hause überlassen. Vermutlich werden sie immer wieder nachsteuern müssen, da sich Eigeninteressen schnell verselbständigen.
Wegen dieser Umsetzungsprobleme und der Angst vor den Folgen der beschriebenen Gerechtigkeitslücke sind Unternehmen gut beraten, vorsichtig mit Teleheimarbeit zu experimentieren.
10 Antworten
Hallo,
Auf welche Quelle bezieht sich die Aussage vom Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel? „Unternehmen mit flexiblen Arbeitsbedingungen bringen mit höherer Wahrscheinlichkeit innovative Produkte auf den Markt“. Im Internet konnte ich dazu leider nichts finden.
Vielen Dank!
Hallo Lisa,
herzlichen Dank für Deine Frage. Nachdem diese Aussage von Frau Dr. Elke Frank in ihrer Argumentation getroffen wurde, wäre es am besten, sich direkt an sie zu wenden. Zwischenzeitlich arbeitet sie übrigens bei der Deutschen Telekom. Möglicherweise kann XING hier bei der Kontaktaufnahme helfen.
Viele Grüße und noch einen angenehmen Sonntag,
Stefan
Hallo Stefan, gerne:
Den Strategiewechsel von Marissa Mayer bei Yahoo darf man nicht isoliert von den Umständen sehen: sie wurde 2012 CEO einer Firma, der die Vision abhanden gekommen war und die in einem vergangenen Reich des Internets herum dümpelte, wie es vielleicht Ende des 20. Jahrhunderts ausgesehen hatte. Sie musste sich einen Überblick verschaffen darüber, was die ungefähr 15.000 MitarbeiterInnen überhaupt taten, und musste eine völlig neue Strategie und Vision finden, um die Firma im 21. Jhd. neu auszurichten. In so einem Zeitraum macht es Sinn, vorübergehend mehr Arbeit gemeinsam, z.B. in Kreativitäts-Workshops zu leisten. Ich weiß aber nicht, ob das wirklich sinnvoll eingesetzt wurde.
Die Vision hat sie, heute arbeiten sehr viele Leute bei Yahoo an mobilen Applikationen, das hat sie teilweise durch Zukauf von Flurry, Tumbler und Brightroll erreicht, und zu einem Teil auch durch Einstellung von neuen Leuten, und sie hat auch die Firma stark auf die mobile Welt ausgerichtet.
http://www.bizjournals.com/sanjose/news/2015/02/20/yahoo-ceo-mayer-pushes-deeper-into-mobile-mosh-pit.html?page=all
http://www.paradisepost.com/business/20150220/yahoos-marissa-mayer-makes-pitch-to-app-developers
http://www.forbes.com/sites/ericjackson/2015/02/19/yahoo-the-fastest-growing-start-up-if-a-start-up-began-with-a-billion-users/
Jedoch war die Art, wie sie mit den bestehenden Mitarbeitern umgegangen ist, kein Lehrstück in moderner HR. Z.B. hat sie 2013 ein Bewertungssystem für die Angestellten eingeführt, bei dem Teamleiter gezwungen wurden, ihre Leute nach einer Glockenkurve über 5 Kategorien zu verteilen, und die unteren werden regelmäßig entlassen. Das war natürlich demotivierend, vor allem für gute Teams.
Zu der Zeit war schon klar, dass dieses System im Jahrzehnt davor zu großer Demotivation bei Microsoft geführt hatte.
http://www.businessinsider.com.au/marissa-mayer-yahoo-nicholas-carlson-book-excerpt-2014-12
http://allthingsd.com/20131108/because-marissa-said-so-yahoos-bristle-at-mayers-new-qpr-ranking-system-and-silent-layoffs/
http://www.abendblatt.de/wirtschaft/karriere/article121827512/Yahoo-Chefin-Mayer-jagt-die-Minderleister.html
Sie wollte nicht gerne viele Tausend Mitarbeiter auf einmal entlassen, wie viele Manager und Analysten ihr geraten hatten. Stattdessen entließ sie immer wieder ein paar hier und dort.
Sie hat die Gehälter der bestehenden Mitarbeiter stark eingefroren und dafür zu horrenden Gehältern Leute von Google und ganze Startups eingekauft. Das sorgte für zusätzlichen Unmut in der Belegschaft. Was ich in der gesamten Berichterstattung vermisst habe, ist die interne Weiterbildung von den vorhandenen Ingenieuren in Richtung Mobile. Sind Internetspezialisten der 90er Jahre wohl nicht mehr weiter entwickelbar? So etwas kommt mir bizarr vor.
Um nun auf die von Mayer eingeführten starreren Regeln zurück zu kommen – wieder ins Office und dort arbeiten von Montag frueh bis Freitagabend – das wird sie auf Dauer nicht halten können, denn damit würde sie genau die hochmotivierten, sich selbst aussteuernden Menschen aus den eingekauften Startups und Mobile-App-Firmen ganz schnell wieder vergraulen. Es besteht auch keine Notwendigkeit dazu, da das gemeinsame Ziel ja jetzt klar ist.
http://www.zeit.de/karriere/beruf/2013-07/chefsache-homeoffice-anwesenheitspflicht
http://www.utexas.edu/news/2012/12/03/telecommuting-increases-work-hours-blurs-boundary-between-work-home-new-study-shows/
Es freut mich jetzt um so mehr, dass ich diese Frage noch lanciert habe, denn die ausführliche Antwort war es wert. Ich wurde im Hintergrund mehrfach in besagter Richtung gefragt und hatte gehofft, dass jemand seine Fragen auch als Kommentar auf den Blog bringt, damit andere Leser sie beantworten können. Aber das ist nicht Jedermanns Sache, was ich verstehe. Dennoch lebt (gerade) dieser Blog sehr von der Interaktion der Nutzer. Haben Sie somit herzlichen Dank für das Statement!
Gerne beobachte ich beide Unternehmen hinsichtlich ihrer Entwicklung weiter. Und sicherlich findet sich auch der eine oder andere Yahoo oder Microsoft-Mitarbeiter, der einmal für ein entsprechendes Interview zur Verfügung stünde …
Die Argumentation von Frau Dr. Frank steht viel stärker im Einklang mit meinen Erfahrungen im Laufe meines über 20-jährigen Arbeitslebens als Wissensarbeiterin mit flexiblen Arbeitsorten innerhalb von unkonventionellen und auch in ganz traditionellen Unternehmen. Und ebenso mit den Forschungsergebnissen der letzten Jahrzehnte zum Thema Wissensarbeiter und ihre Motivation: der größte Teil der Motivation entsteht intrinsisch, aus einem höheren Ziel, das gemeinsam verfolgt wird, der Möglichkeit, selbst zu wachsen – als Person und in seiner Fachkompetenz – und der Möglichkeit, autonom zu bestimmen, wie und eben auch wo man arbeitet.
Die Angst davor, dass sich alle Mitarbeiterinnen ständig nur im Homeoffice befinden und damit unerreichbar für Kollegen und Chefs, erscheint mir sehr unrealistisch.
Wenn das Team ein gemeinsames Ziel hat, wird es sich auch auf Termine und Orte einigen können, wo es gemeinsam kreativ und innovativ ist. Zwischendurch kann dann wieder jede und jeder die Ausarbeitung seines Beitrages da leisten, wo es am praktischsten ist. Wichtig ist auf jeden Fall, dass eine Firma eine positive Unternehmenskultur aufbaut, innerhalb derer den Mitarbeitern Vertrauen entgegen gebracht wird, und gemeinsam an Zielen und Werten gearbeitet wird.
Interessanterweise gibt es ja im In- und Ausland genügend Firmen, die seit Jahren zeigen, dass demokratische Unternehmen mit hoher Flexibilität und Freiheit wesentlich höhere Gewinnmargen erreichen als konventionelle mit viel Hierarchie und Zwang. Und was heute noch viel wichtiger ist: sie sind in der Lage, viel schnelle auf Veränderungen zu reagieren, als Firmen, wo die Mitarbeiter nur nach Kommando der Chefs arbeiten und kaum über den Tellerrand schauen.
Das ist seit den 80er Jahren beispielsweise Semco, ein sehr vielfältiger Konzern mit mehreren Tausend Mitarbeitern in Brasilien. Dort bestimmt jeder, wann und wo sie oder er arbeitet, und auch die Teams in der Produktion organisieren ihre Arbeitszeiten und ihre Arbeitsinhalte komplett selbst.
Mehrere interessante Beispiele finden Sie im Buch von Frederic Laloux“Reinventing Organizations” und recht frisch auch in einem deutschen Management – Buch Management Y: Agile, Scrum, Design Thinking & Co.: So gelingt der Wandel zur attraktiven und zukunftsfähigen Organisation von Ulf Brandes, Pascal Gemmer, Holger Koschek, Lydia Schültken – einige der Beispiel-Firmen erscheinen auch wieder im Film „Augenhöhe“.
Die interessante Frage ist meines Erachtens nicht, ob man eine Vertrauenskultur anstreben sollte, sondern wie man sie in einer traditionellen Firma erreichen kann.
Liebe Andrea, herzlichen Dank für Ihren sehr ausführlichen Kommentar. Es scheint so, als seien Sie sehr tief im Thema. Mich würde interessieren, was Sie persönlich glauben, wie sich das „Wir haben vollkommenes Vertrauen“-Thema weiter entwickeln wird. Immerhin gibt es ja den Mitbewerber Yahoo, der den gleichen Weg bereits gegangen ist und die Uhren jetzt wieder zurückdreht. Kann es nicht sein, dass Microsoft den gleichen Weg in einigen Jahren ebenfalls wieder beschreitet?
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang den entsprechenden Strategiewechsel von Yahoo?
Erstmal natürlich wieder Kompliment an dich Stefan, tolles Thema!
Ich muss ehrlicherweise sagen, mich hat in diesem Fall die Argumentation von Hr. Prof. Dr. Gerhard Bosch mehr überzeugt. Das liegt vor allen Dingen daran, dass ich – vll etwas naiv – der Meinung bin, dass um überhaupt solche Möglichkeiten zum Home Office schaffen zu können, eine bestimmte Unternehmensgröße nötig ist. Ist diese Größe jedoch erreicht, halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass jedem dieselben Möglichkeiten offen stehen diesbezüglich. Plakativ gesagt, das Reinigungspersonal KANN seinen Job nicht im Home Office machen….da stellt sich mir ganz schnell die Frage, ab wo/welcher Position sollte es möglich sein und warum. Mitunter kann es sogar (wieder) zu einer faktischen Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten kommen, was ich weder gesellschaftlich noch unternehmenstechnisch für wünschenswert halte.
Auch gestaltet sich rein tatsächlich schwieriger ein einheitliche Unternehmenskultur zu verankern, sondern fördert natürlich das Individuelle sehr. Für einen selbst vielleicht gut, aber ob das Unternehmen wirklich einen Mehrwert hat auch unter Berücksichtigung, dass es für den Arbeitnehmer dann natürlich auch attraktiver wird zu einem neuen Arbeitgeber mit ähnlichen Modellen zu wechseln, wage ich zu bezweifeln.
An beide Kontrahenten vielen Dank für zwei spannende Ansichten 🙂
Danke, Alex, für Deinen persönlichen Blick auf das Thema.
Dass Unternehmen sich zunehmend auf Individuen einstellen (müssen) und Standards oder so etwas wie eine einheitliche Unternehmenskultur immer schwerer zu implementieren und zu leben sind, zeigt der Weg, den Enterprise 2.0 bzw. Industrie 4.0 vorgeben. Auch das, was die verschiedenen Generationen von Unternehmen einfordern, lässt sich immer weiter aufgliedern in höchstpersönliche Anliegen. Einzelfallhandling rules. Zumindest in der Theorie. Unternehmen wollen einerseits die Effizienz steigern und allgemeingültige Regelungen entwerfen (was oft ja schon wegen der Betriebsräte nötig scheint). Andererseits schreien Bewerber und Mitarbeiter immer mehr nach Individualität. Daher ist die Frage, ob es am Ende nicht tatsächlich auch beim Thema Homeoffice eine sehr individuelle Entscheidung ist, die gar nicht an objektiven Kriterien festgemacht werden kann. Und dass eine Reinigungskraft nicht nach Homeoffice ruft, davon gehe ich mal aus.
Schön, dass Du im Voting dabei bist!
Also an sich finde ich den Gedanken des freien Arbeitens nicht verkehrt. Ich finde schon, dass man diese Idee im Kopf behalten sollte. Allerdings sehe ich das ganze auch etwas kritisch. Wie Herr Prof. Dr. Bosch sagt, besteht das Risiko, dass die Teamfähigkeit und ähnliches darunter leidet. Klar kann man sein privates Leben evtl. einfacher gestalten und vielleicht auch besser planen. Aber ich finde, dass hier viele soziale Aspekte verloren gehen.
Alleine der persönliche Umgang mit Menschen wird, ums deutlich zu machen, verlernt. Und weiterhin frage ich mich auch, ob wir dieses Leben auch unseren Kindern vorleben möchten?!
Natürlich gibt es positive Seiten und manchmal ist es tatsächlich angebracht. Dann aber nur in einem bestimmten Zeitraum, wie ich finde.
Weiterhin sehe ich das Risiko der Überforderung. Immer wieder sehen wir, dass Jugendliche mit dem großen Angebot an Jobangeboten, Stellenbeschreibungen und und und nicht klar kommen. Oft sind sie also überfordert mit der Frage, `Was will ich später tun?`. Auch kommt immer mehr die Frage auf, will ich das mein ganzes Leben tun? und und und… Diese freie Gestaltung der Arbeitszeiten stellt doch eine weitere Überforderung dar. Und Zielist es doch, nicht zu überfordern und geschultes Fachpersonal zu haben!
Danke, Nika, für das Einbringen des zusätzlichen Aspekts des „überfordert-Seins“. Es ist in der Tat immer stärker zu beobachten, dass junge Hochschulabsolventen (m/w) hinsichtlich ihrer Jobwahl heillos überfordert sind. Die große Wahlfreiheit hat eben manchmal auch den gegenteiligen Effekt. Das zeigt das riesige Interesse an Vorträgen zum „erfolgrechen Bewerben“ und das persönliche Gespräch mit den Teilnehmern.