Gestern und heute war auf meinem Blog die Hölle los. Positiv gemeint. Bisher hat WordPress über 4.600 Aufrufe von knapp 3.400 unterschiedlichen Personen reportet. Auslöser war mein Beitrag zum Einstieg von Facebook und Whatsapp ins Mobile Recruiting. Dabei zeigten sich die Leser vom dargestellten Big Data Szenario gespalten. Die eine Hälfte fand den Ansatz des Scans von Social Media Profilen zur Nutzung im Mobile Recruiting großartig und wünscht sich solche Funktionen. Die andere Hälfte zeigte sich skeptisch bis schockiert über die „schöne neue Welt“.
Nach einiger Zeit kamen Vermutungen auf, es könne sich dabei lediglich um einen kreativen Aprilscherz handeln. Die Wahrheit ist …
Die Wahrheit
Alle dargestellten Tools, Mechanismen und Vorgehensweisen gibt es tatsächlich bereits! Einzig die Idee, dass Facebook diese Möglichkeit über Whatsapp nutzen will, stammt von mir.
Wobei die alles andere als abwegig ist. Denn alle Zutaten liegen bereits auf dem Tisch der Geschäftsmodell-Küche. Heute ist sogar schon wesentlich mehr unter dem Stichwort Big Data machbar – und es wird auch gemacht. Nur eben (noch) nicht in Deutschland.
Der Recruitingmarkt in Deutschland boomt
Als ich vor einigen Jahren ins HR-Business eingestiegen bin, hätte ich nie für möglich gehalten, welchen immensen Umfang der Markt an Personaldienstleistern, Online-Plattformen, Zeitschriften, Recruitingevents, Hochschulmessen, Career-Speeddatings, Stellenbörsen sowie sozialen Karrierenetzwerken in Deutschland bereits hat.
Dabei stehe ich selbst zwischenzeitlich mit über 250 Ansprechpartnern unterschiedlicher Anbieter im persönlichen Kontakt und stelle wöchentlich fest, dass ich noch immer nur einen Bruchteil der relevanten HR-Szene kenne.
Es geht um Geld. Viel Geld.
Blogger-Kollege Marcus Reif berichtete vor einem knappen Jahr vom Allzeit-Umsatzhoch in der Personalberatungsbranche, die im Vorjahr 1,55 Mrd. Euro umsetzte. Und Personalberater besetzen zwischenzeitlich nur mehr einen kleinen Teil des Marktes. Auch ein aktueller Blick auf die Umsätze des größten deutschen Businessnetzwerks XING von Ende Februar 2014 zeigt einen gewaltigen Anstieg von 46% der Umsätze im E-Recruiting, was den XING-Gesamtumsatz um 16% auf fast 85 Mio. Euro klettern lässt.
Bei diesen beiden Beispielen will ich es jedoch bewenden lassen, weil ich hier keine Bilanz-Pressekonferenz gebe. Aber es ist somit doch nicht wirklich verwunderlich, dass clevere Geschäftsmodelle boomen, die aus den zur Verfügung stehenden Informationen persönliche Profile generieren.
Informationen zu Profilen verdichten – Big Data
Ein Ausdruck, den wir vor einigen Jahren erstmals über amerikanische TV-Krimis als Berufsbezeichnung wahrgenommen haben, rückt zunehmend in den Blickpunkt erfolgreicher Unternehmen: Das Profiling. Dabei geht es im Kern darum, aus verfügbaren Informationen ein Persönlichkeitsprofil einer möglichen Zielperson (im einen Fall eines Täters, im anderen Fall eines passenden Bewerbers) zu erstellen.
In Krimis kombiniert der Profiler zusammen mit dem Ermittler messerscharf jedes Indiz, bis die Umrisse (das Profil) des Täters immer klarer erkennbar und er schließlich identifizierbar wird.
Und um nichts anderes geht es bei den von mir aufgezeigten Bestrebungen, aus online verfügbaren Daten für den Bewerbermarkt nutzbare Profile zu erstellen.
Amazon ist Vorreiter beim Profiling
Wer den Onlineversandhändler Amazon für seine Shoppingtouren nutzt, der kennt die Empfehlen-Funktionen. Auf Basis gekaufter Artikel werden weitere Vorschläge in verschiedenen Kategorien unterbreitet – mit hoher Wahrscheinlichkeit eines Zusatzkaufs.
Diese Funktion nutze ich persönlich sogar aktiv und gebe Amazon häufig Rückmeldung, damit mein Käuferprofil optimiert und mir passende Produkte eingeblendet werden. – Blöd nur, wenn man gerade wieder mal für eine Bad-Taste- oder Hawaii-Motto-Party ein potthässliches Hemd bestellt hat und nun weitere furchtbare Shirts eingeblendet werden.
Kleiner Tipp am Rande: Schnell über den Dialog „Warum empfohlen?“ den Haken setzen bei „nicht für Empfehlungen berücksichtigen“.
Weil Amazon hier besonders ausgereifte Algorithmen hat, kam Alexander Fedossov vom Wollmilchsau-Blog gestern sogar auf die Idee, dass Amazon eine Jobbörse starten könnte. Denn wer ein Buch zu einer speziellen Programmiersprache bestelle, könnte doch ein geeigneter Bewerber in diesem Umfeld sein und damit für ein IT-Unternehmen als potenzieller Arbeitnehmer relevant. Geiler Ansatz!
Datenschutz spielt für die Großen keine Rolle
Zurecht wurden auf meinen gestrigen Beitrag zahlreiche Bedenken geäußert, was den Schutz persönlicher Daten im Internet angeht. Da sieht es derzeit jedoch alles andere als gut aus.
Erst kürzlich wurde bekannt, dass große Mailanbieter wie Gmail oder Yahoo bereits die E-Mail-Kommunikation ihrer Kunden scannen, um diesen anschließend passende Werbung einblenden zu können. Ja, Google geht sogar so weit, dass es vor Gericht mit der Aussage auftritt, dass derjenige, der eine E-Mail an einen Gmail-Account sende, auf seine Privatsphäre verzichte!
Und dass Facebook während der eingeloggten Zeit fleißig Daten am PC darüber sammelt, welche Seiten sonst noch angesurft werden, ist hinlänglich bekannt. Über den unglaublichen Datenhunger der Suchmaschine Google regt sich sowie kaum noch jemand auf. Passendere individualisierte Suchergebnisse sind uns dann doch irgendwie wieder ganz recht, oder?
Das Smartphone als digitaler Spion
Warum sollten neben Facebook-Chats nicht auch Whatsapp-Gespräche gescannt und ausgewertet werden? Immerhin gewährt sich die Facebook-App auf Android-Handys ja auch Einblick in alle SMS sowie auf zahlreiche weitere persönliche Daten des Android-Nutzers. Ebenso hat sie Zugriff auf den Kalender des Smartphones und kann sogar Änderungen vornehmen. – Aber kennen Sie einen Facebook-Nutzer, der die App deswegen von seinem Android-Smartphone gelöscht und zum iPhone gewechselt wäre? Ich kenne keinen.
Online Abstinenz gegen Datenhunger?
Auf den ersten Blick scheint es tatsächlich so, dass sich die Menschen nach den Veröffentlichungen im Zusammenhang mit den NSA-Skandalen mehr Gedanken über Datenschutz und Datensicherheit machen.
Auf den zweiten Blick gilt trotzdem für die meisten „Business as usual“. Das Hinterlegen von Wohnort und familiärem Status im Social Media Profil mag für den einen bereits ein mutiger Schritt sein. Zahlreiche der mir bekannten Vertreter der Generation Y jedoch posten darüber hinaus noch wesentlich intimere Details aus dem Privatleben mit öffentlicher Sichtbarkeit auf ihrem Profil. Da ist das Partybild von Samstagnacht noch die vollkommen harmlose Variante.
Und wie viele Technikfans messen schon heute mit Smartdevices ihre Körperfunktionen und speichern ihre Ergebnisse auf den Servern von App-Anbietern ab, die sie nicht im Geringsten einschätzen können.
Via GPS und Foursquare-CheckIn ist zudem jeder Schritt nachvollziehbar, jede Mahlzeit im Foto erfasst.
Auch ich lebe bis zu einem gewissen Grad in der Öffentlichkeit, quasi als eine Art „HR Celebrity“ (oder doch eher D-Promi?). Im Ernst: Wer meine Blogbeiträge systematisch auswertet, hat damit vertiefte Einblicke in mein Leben und meine Denke. Ein 1a-Profil!
Oder aber man kommt gar zu dem Ergebnis, dass derjenige, der diese persönlichen Daten unbedingt haben will, sie letztlich eh bekommen kann. Mit den Möglichkeiten moderner Trojaner oder sonstiger Ausspähmechanismen bzw. Hackings ist das immer einfacher.
Online Reputation Management
Da darf man umgekehrt die Frage stellen, ob nicht das breitere Streuen der eigenen Bewerbungsunterlagen sogar sinnvoll sein kann oder gewollt ist. Die Diskussion nur negativ über Datenmissbrauch, Ausspähung und Spionage zu führen, wäre sehr einseitig.
In Zukunft wird es vielmehr darauf ankommen, seine eigenen Informationen im Netz systematisch zu tracken. Das beginnt mit dem eigenen Googlen und führt irgendwann zum Einsatz von Apps, wie z.B. Mention.
Die App schlägt in Echtzeit Alarm, wenn wieder über mich als Persoblogger im Netz berichtet, gefacebookt oder getweetet wird.
Nicht dass damit alles auch „kontrollierbar“ wäre. Aber das ist gar nicht der Ansatz. Vielmehr glaube ich, dass wir heute und in der Zukunft mit der stetig fortschreitenden Digitalisierung leben lernen. Und je nachdem, ob ich meinen Blick vor allem auf die Vorteile richte oder die negativen Seiten des digitalen Lebens fokussiere, wird sich die eigene Zufriedenheit entwickeln.
Mobile Recruiting wird auch in Deutschland erfolgreich sein
Was das Mobile Recruiting angeht, so bin ich überzeugt davon, dass in Apps wie ZIMM tatsächlich die Zukunft liegt. Nicht weil sie das Beste sind, was der Markt zu bieten hat. Sondern weil sie die Prozesse, auf die es ankommt (Bewerber und Unternehmen zusammen zu bringen) erheblich vereinfachen. Mehr dazu in Kürze.
Die potenziellen Begleitumstände einer Nutzung werden die Menschen in Kauf nehmen. Beziehungsweise werden diejenigen, die es tun, den anderen sogar manchmal den berühmten „Schritt voraus sein“. Weil sie sich aus der Unsichtbarkeit des Marktes clever herausheben.
Insofern: Aprilscherz hin oder her. Wir sind schon mittendrin…