Es erinnert an den bekannten Hollywood-Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“: Im jährlichen Turnus veröffentlicht Gallup seinen Mitarbeiterengagement Index. Die Presse kopiert die stets skandalös formulierte Headline und alle empören sich neu über die faulen deutschen Mitarbeitenden. Warum sich aber ein genauerer Blick lohnt, erfahren Sie in meinem aktuellen Meinungsartikel, der nicht mein erster zu diesem Thema ist.
Nahezu jährlich die gleichen Ergebnisse
Es ist wieder soweit: Presse und Social Media Deutschland empören sich über die aktuellen Ergebnisse der Gallup Befragung. Bereits 2017 habe ich mit recht großer Vehemenz – und sehr respektablen Aufrufzahlen – den Gallup Engagement Index kritisch ins Visier genommen. Haupt-Kritikpunkt damals: die Verteilung 15% „hohe emotionale Bindung“ zum Arbeitgeber versus 70% „geringe“ und 15% „keine Bindung“, klingt wie eine statistische Normalverteilung. Also keinerlei Grund zur Beunruhigung.
Ok, im aktuellen 2024er Index, veröffentlicht im März 2025, gibt es tatsächlich eine deutliche Veränderung an den beiden Rändern. Sowohl im Bereich der hohen Bindung als auch bei „keine Bindung“ gingen die Werte signifikant zurück. Hohe Bindung geht zurück von 14% auf 9% und keine Bindung verbessert sich von 19% auf nur noch 13%.
Diesmal ein Grund für einen Aufschrei? Nein, definitiv nicht.
Der mediale Hype um den Gallup Index
Zuerst stellt sich die Frage, warum es jedes Jahr wieder zu einem solchen Hype kommt. Die Antwort: Medien suchen Schlagzeilen. Je drastischer diese ausfallen, um so höhere Leserzahlen sind erzielbar. Nichts anderes gilt für Social Media Content: Wer sich lautstark (mit)empört, erzeugt ebenfalls Resonanz.
Die Studie zu analysieren hilft zwar beim Verständnis, das machen aber die Wenigsten.
Vor allem bei den Breitenmedien rauscht das Thema oberflächlich durch – konditioniert durch die Vorjahre stößt man also wieder ins immer gleiche Horn. Einzig einige (HR)-Fachmedien durchleuchten und interpretieren tiefergehend. Erzielen sie damit mehr Aufrufe, um dem Hype entgegenzuwirken? Leider nein.
Eine Frage der Interpretation bzw. das Framing von Gallup
Bewusst negative Tendenz im System
Zahlen sind das eine. Die Interpretation der Zahlen ist das andere. Warum also erleben wir jedes Jahr wieder die gleichen Diskussionen? Ein Ansatzpunkt zur Kritik des Gallup Engagement Indix ist die Interpretation der Ergebnisse durch das Institut.
- Warum zum Beispiel ist die Einteilung ungleich verteilt und die negativen Kriterien überwiegen?
- Warum heißt der gigantische Block von nunmehr 78% „geringe Bindung“, (negativ konnotiert) und summiert sich mit den 13% „keine Bindung“ (besonders negativ konnotiert) auf 91%, wogegen nur die absoluten Spitzenwerte als „hohe Bindung“ (positiv konnotiert) bezeichnet werden?
- Wo ist denn die „mittlere Bindung“ geblieben?
Wir haben also bereits im System eine bewusst negative Tendenz!
„Dienst nach Vorschrift“ ist vor allem sprachliches Alarmsignal
Die tendenziell grundlegend negative Ausrichtung lässt sich vielleicht sogar noch statistisch erklären. Aber spätestens die Titulierung der „geringen Bindung“ als „Dienst nach Vorschrift“ erscheint dann doch fragwürdig.
Googelt man „Dienst nach Vorschrift“, dann erhält man u.a. folgende Definition als Top-Treffer:
„Ist Dienst nach Vorschrift erlaubt?
Pflichtwidrig und damit rechtswidrig sind insbesondere kollektive Maßnahmen von Beamten, die sich in der verabredeten Herabsetzung der Arbeitsleistung durch langsameres Arbeiten (sog. „Dienst nach Vorschrift“) äußern.“
Spätestens jetzt gehen natürlich alle Alarmsirenen an. „Dienst nach Vorschrift“ ist eine Verzögerungstaktik und damit letztlich eine subtilere Form der Arbeitsverweigerung.
Aber ist das tatsächlich die Schlussfolgerung aus einer vermeintlich „mittleren“, äh, „geringen“ emotionalen Bindung?
Konjunkturschwankungen zeigen sich bei Gallup nicht
Seit Jahren fördert die Gallup Befragung immer gleichförmige Ergebnisse zutage. Würde eine „geringe“ Bindung tatsächlich ein Zeichen dafür sein, dass Mitarbeitende bewusst unter ihrem Potenzial bleiben oder gar das Unternehmen unterschwellig durch „Dienst nach Vorschrift sabotieren“, müssten die Werte in Zeiten von Hochkonjunktur in Deutschland deutlich abweichend sein. Sind sie aber nicht.
Insofern können sie auch kein wichtiges Indiz dafür sein, dass die sog. „geringe Bindung“ automatisch zu weniger Wertschöpfung in Unternehmen führt oder gar einen signifikanten negativen Impact auf die Konjunktur hat.
„Dienst nach Vorschrift“ vielleicht sogar Idealfall?
Jetzt könnte man durchaus mal eine etwas wildere These wagen: War wäre denn, wenn die Entwicklung hin zur „mittleren“ Bindung sogar eine gesunde Entwicklung wäre?
Mit Blick auf die massiv zunehmenden psychischen Belastungen, von Stress und Leistungsdruck – die übrigens keiner Interpretation eines kommerziellen Instituts entspringen, sondern objektiv gemessen werden, z.B. über Krankenkassen wie die AOK, wäre der „Fuß vom Gaspedal“ durchaus sinnvoll.
Themen, wie die 4-Tage-Woche, der Boom von Lösungen im Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) sowie der generelle Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance im Rahmen der New Work Bewegung (oder auch Future of Work) zeigen in die Richtung, dass Mitarbeitende eben nicht mehr bereit sind, sich für das Unternehmen bis an die Erschöpfung „aufzuopfern“. Brennen ja, Ausbrennen nein.
Bindung generell gesellschaftlich auf dem Rückzug
Hinzu kommt, dass wir eine gesellschaftliche Entwicklung erleben, die Veränderung alltäglich werden lässt. Diese legt mittlerweile sogar eine ungeahnte Veränderungsdynamik an den Tag. Die Zeiten des Arbeitgebers auf Lebenszeit sind vorbei. Und selbst Unternehmen wünschen sich heute Mitarbeitende, die veränderungsbereit und veränderungswillig sind – Jobwechsel ist also nicht mehr die Ausnahme, sondern der durchaus gewünschte Regelfall.
Natürlich sprechen wir in der HR-Welt immer gerne über Mitarbeiterbindung. Deswegen messen und bewerten Unternehmen auch ihre Kündigungsquoten oder Retentionquoten als KPI. Aber auch hier zeigt sich: Massive Veränderungen der Kündigungsbereitschaft gab es in den letzten Jahren ebenfalls nicht.
Vor allem ist die ebenfalls medial unglaublich gehypte „Great Resignation“ in Deutschland nicht erfolgt. Daniel Mühlbauer und ich hatten dazu bereits frühzeitig eine entsprechende Podcast-Folge Klartext HR aufgenommen:
Ist also eine Tendenz zur Mitte bei der Mitarbeiterbindung tatsächlich so schädlich?
Wir müssen produktiver werden!
Eine Forderung, die ich sofort unterschreibe, ist, dass wir in Deutschland wieder produktiver werden müssen. Hier sind wir deutlich zurückgefallen. Aber nicht in dem Sinne, dass wir einfach mehr arbeiten, Feiertage streichen oder Menschen, die krank sind, trotzdem in die Büros zitieren oder mit Gesundheitsprämien locken. Wir müssen Arbeit neu denken und vor allem smarter!
Selbstverständlich sind auf diesem Weg Mitarbeitende mit einem hohen Engagement deutlich wertvoller und hilfreicher als solche, die sich gegen Veränderungen stemmen. Insofern muss man der Gallup Studie zumindest insoweit entgegenkommen, dass sie darauf aufmerksam macht, dass wir eine Menge Potenzial zur Optimierung haben, wenn … ja WENN das der einzige Ansatzpunkt für Verbesserungen im Bereich Produktivität wäre.
Allerdings kann ein solcher z.B. auch über den zunehmenden Einsatz von digitalen Tools und künstlicher Intelligenz erfolgen. Und auch Mitarbeitende, die nur über eine „geringe emotionale Bindung“ zum Arbeitgeber verfügen, können hier hochgradig gute Dienste leisten.
Fazit zum meinem kritischen Statement zum Gallup Engagement Index 2024
Zuletzt könnte man natürlich noch formale Kritik an der Erhebung von Gallup üben. Es geht um eine rein telefonische (!) Befragung von 1.700 zufällig ausgewählten Arbeitnehmenden. Aber sei es drum – de facto ist die jährliche Studie die relevanteste, auf die sich hunderte Keynote Vorträge und Impulse auf Fachkongressen beziehen werden. Das tendenziöse Element ist dabei Teil des Kalküls.
Es bleibt festzustellen, dass es Gallup auch im Jahr 2025 gelungen ist, seinen medialen Coup zu wiederholen – alle berichten darüber, was mich als Betreiber eines relevanten HR Praxisportals natürlich ebenfalls dazu bringt diesen Meinungsartikel zu verfassen.
Lassen Sie uns gerne auf LinkedIn weiter darüber diskutieren!