Erwerbstätigkeit neu denken - "Talente in Rente"

Erwerbsfähiges Alter neu denken

Wie lange sind Menschen erwerbsfähig? Unabhängig von einer notwendigen Definition gibt es eine Vielzahl von Gründen für HR, sich mit der immer größer werdenden Anzahl an Menschen über 60 Jahre zu beschäftigen – nicht nur aus Sicht Personalentwicklung und Recruiting. Autor Frank Leyhausen skizziert einen wertvollen Blickwinkel auf die „Talente in Rente“.

Anzahl der Menschen über 60 Jahre steigt

Im Jahr 2024 feierten rund 1.400.000 Menschen ihren 60. Geburtstag. So viele wie noch nie.

Die Zahl der Geburten lag im vergangenen Jahr hingegen nur bei rund 680.000. Weniger als halb so viele Kinder wie in 1964 geboren wurden und zeitgleich der niedrigste Wert an Geburten seit 2014. Der demografische Wandel ist kein Zukunftsszenario mehr sondern Realität.

Für den Jahrgang 1964 war der 60. Geburtstag nicht nur ein Grund zum Feiern, denn sie kommen nun auch an die Grenze des „Alt-Seins“.´ Ab 61 Jahren zählt man in Deutschland zu den Alten. Diese Alten werden als Blockierer wahrgenommen.

Hinzu kommt, dass Menschen ab 50 als eine große homogene Gruppe betrachtet werden, als DIE Generation 50plus. Dies führt dazu, dass Menschen ab 50 häufig mit Vorurteilen, Ausgrenzung und Stereotypen konfrontiert werden, sei es als Kunden oder als Mitarbeitende.

Die Entindividualisierung der „Älteren“

Die Mechanismen, mit denen diese Altersgruppe entindividualisiert und abgewertet wird, erinnern an Muster, die zum Bespiel im Rassismus zu beobachten sind.

Durch Entindividualisierung werden Menschen im Rassismus aufgrund äußerer Merkmale oder ihrer Herkunft nicht mehr als Individuen wahrgenommen, sondern als Teil einer homogenen Gruppe, die „der Ausländer“ oder „der Migranten“.

Ähnliches geschieht über das chronologische Alter bei DEN Mitarbeitenden „50plus“. Männer und Frauen werden als „alte Leute“ abgestempelt. Sie erscheinen als langsam, rückständig, unflexibel und nicht mehr leistungsfähig. Dies führt im Arbeitsalltag u.a. dazu, dass ihnen kaum noch Weiterbildungsmaßnahmen angeboten werden, weil sie als nicht mehr lernfähig gelten. Gleichzeitig wird ihnen unterstellt sie würden den Fortschritt blockieren.

Wobei: Regelmäßig finden sich Geschäftsführer und Vorstände jenseits des erwerbsfähigen Alters in Aufsichts- und Beiräten wieder oder sind erfolgreich als Berater tätig. In der Realität sind nicht alle älteren Erwerbstätigen gleich. Realistisch und wertschätzend ist es sinnvoll, Menschen nicht pauschal nach ihrem Alter zu beurteilen, sondern ihre Erfahrungen und Potenziale zu erkennen und ihr Wollen und Können zu würdigen. Dann wird man erkennen, dass ältere Beschäftigte mindestens genauso bunt und vielfältig sind, wie ihre jüngeren Kollegen.

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Erwerbsfähiges Alter neu definieren

Die etablierte Definition des erwerbsfähigen Alters umfasst Personen im Alter von 15 bis 65 Jahren. Teilweise erfolgt eine Anpassung auf 67 Jahre. Diese Grenzen ignorieren allerdings, dass die FÄHIGKEIT und BEREITSCHAFT zu arbeiten kein festes Verfallsdatum hat.

Die wachsende Zahl älterer Menschen, die im Rentenalter arbeiten, belegt dies eindrucksvoll. Die Erwerbsbeteiligung der 65- bis 69-Jährigen stieg von 13 Prozent im Jahr 2013 auf 20 Prozent im Jahr 2023. Noch sind „finanzielle Gründe“ nicht die Hauptmotivation für eine Erwerbstätigkeit im Ruhestand. Gerade für (hoch)qualifizierte Menschen sind die Motive für soziale Kontakte, das Bedürfnis nach einer sinnvollen Aufgabe sowie Spaß an der Arbeit.

Angesichts dieser Tatsachen ist es an der Zeit, die bisherige Definition des erwerbsfähigen Alters kritisch zu hinterfragen. Die pauschale Festlegung, dass die Erwerbsfähigkeit mit einem bestimmten Alter endet, erschwert es Älteren, ihre Fähigkeiten weiterhin einzubringen.

Ein Vollzeitbeschäftigtet wird nicht automatisch zum Vollzeitrentner

Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass die Erwerbstätigkeit im Ruhestand kontinuierlich zunimmt. Viele Ältere wollen ihre Erfahrungen und ihr Wissen weiterhin einbringen. Meist tun sie dies mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von rund 15 Stunden. Damit tragen sie zur wirtschaftlichen Stabilität und zur Deckung des Fachkräftebedarfs bei. Eine Anpassung der Definition des erwerbsfähigen Alters könnte dazu beitragen, dieses ungenutzte Potenzial besser zu erschließen und dem Fachkräftemangel effektiver zu begegnen.

Nicht nur die Unternehmen profitieren von den erwerbstätigen Rentnern. Es mag überraschen, aber in Deutschland sind Menschen zwischen 66 und 70 Jahren am zufriedensten, wenn sie arbeiten. Damit liegen sie in ihrer Lebenszufriedenheit sowohl über den Gleichaltrigen, die nicht erwerbstätig sind, als auch über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.

Bereits seit 2010 geht die Spitzenposition in Sachen Lebenszufriedenheit an die Gruppe der Erwerbstätigen im Alter von 66- bis 70 Jahren. Dies geht aus den Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) hervor. Das 1984 gestartete SOEP ist die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland. Derzeit werden jährlich rund 30.000 Personen in etwa 15.000 Haushalten befragt.

Unternehmen sollten nicht warten, bis der gesellschaftliche Diskurs über die Erwerbsfähigkeit abgeschlossen ist, sondern frühzeitig entscheiden, ob und wie sie das Potenzial der „Talente in Rente“ gegen den Fachkräftemangel nutzen wollen.

Weitermacher und Wiederkommer

Wenn wir über „Talente in Rente“ sprechen, ist es wichtig zu wissen, wer im Rentenalter arbeitet und was bzw. wo die Rentner:innen auf dem Arbeitsmarkt tätig sind. Eine aktuelle Analyse des IAB zeigt, dass Rentner, die direkt weiterarbeiten, dies im gleichen Berufsfeld und häufig sogar beim gleichen Arbeitgeber tun. Liegt jedoch ein zeitlicher Abstand zwischen dem Ende des Erwerbslebens und der Erwerbstätigkeit im Ruhestand, sind sie häufig in einem anderen Beruf tätig.

Was bedeutet das für die Arbeitgeber?

Rechtzeitig mit den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen, um sie für eine Weiterbeschäftigung zu gewinnen. Dies kann Lücken in der Personalplanung schließen. Dass dies nur wenige Unternehmen tun, zeigt die lidA-Studie der Bergischen Universität Wuppertal. Mehr dazu und welches Instrument sich zur Bindung von Erfahrungswissen eignet, lesen Sie hier.

Sofern sich die Mitarbeitenden nicht direkt für die Fortführung einer Zusammenarbeit entscheiden, sollte der Arbeitgeber trotzdem in Kontakt bleiben. Denn viele Neurentner merken erst nach einiger Zeit, in der Phase der Ernüchterung, was ihnen ohne Beruf(ung) im Ruhestand fehlt.

Die Phasen des Ruhestands

Der Übergang in den Ruhestand ist ein Prozess, der sich nach dem Soziologen Robert Atchley in fünf Phasen unterteilen lässt. Nach einem euphorischen Start, in dem die Rentner:innen ihre neue zeitliche und räumliche Freiheit genießen, folgt eine Phase der Ernüchterung. Die Neurentner:innen werden mit der veränderten Realität des Ruhestands konfrontiert.

Viele stellen mit der Zeit fest, dass Aufgaben, Wertschätzung und Struktur fehlen und die Tage nicht ausgefüllt sind.

Die Phase der Ernüchterung beginnt meist sechs bis zehn Monate nach dem Eintritt in den Ruhestand und führt zu einer Neuorientierung. Es wird nach neuen Aufgaben und Handlungsräume gesucht. Diese Phase bietet dem ehemaligen Arbeitgeber einen guten Gesprächseinstieg für eine Wiederkehr in den Betrieb.

Dazu sind zwei Dinge notwendig:

  • Führungskräfte müssen die Optionen für eine Erwerbstätigkeit im Ruhestand klar kommunizieren, auch wenn Mitarbeitende beim Ausscheiden noch kein Interesse an einer Zusammenarbeit zeigen. Dies kann bereits frühzeitig in Mitarbeitergesprächen erfolgen, in denen gezielt das „Tabuthema“ Ruhestand adressiert wird.
  • Unternehmen müssen systematisch die Kontaktdaten ihrer Ruheständler erfassen, um mit ihnen in einen regelmäßigen Dialog zu treten.

Unabhängig von der wirtschaftlichen Lage sind ehemalige Arbeitnehmer eine oftmals ungenutzte Option gegen den Fachkräftemangel. Es lohnt sich hier eine systematische Herangehensweise zu etablieren, um die „Talente in Rente“ schon heute für sich zu gewinnen.

Frank Leyhausen

Frank Leyhausen

 

Frank Leyhausen beschäftigt sich seit 2000 beruflich mit dem Thema Alter(n).

Als Partner von Medcom international berät er seit über 20 Jahren international Unternehmen über Strategien und Innovationen für den demographischen Wandel. Im Jahr 2021 gründete er mit Anja Klute AgeForce1 und biete Lösungen für die Ruhestandsplanung an. Im Mittelpunkt steht das erste digitale Coaching-Angebot für den Übergang in den Ruhestand.

>> LinkedIn-Profil von Frank Leyhausen

>> Website von AgeForce1

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