Die im Jahr 2022 erstmals erschienene Recruiting Strukturen Benchmark Studie beschäftigte sich im Kern mit der Frage: Wie sind HR- und Recruiting-Bereiche im Unternehmen strukturiert und organisiert? Um diese Strukturen besser zu verstehen und gezielt zu beeinflussen, sind Kennzahlen bzw. Benchmarks wichtige Indikatoren. Infolgedessen haben sich die Partner Wollmilchsau GmbH, die HTWK Leipzig und die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGfP) im Jahr 2023 erneut entschlossen, ein qualitatives und quantitatives Benchmarking für Recruiting-Organisationen in Unternehmen durchzuführen. Welche Ergebnisse sich zum Vorjahr verändert haben und welche Trends sich aus dem Jahr 2023 ablesen lassen, erfahren Sie von Tobias Ganz.
Wie wurde Recruiting 2023 in Unternehmen organisiert?
Im Rahmen dieser Studie wurden 1.121 Personen in HR-Funktion von Juni bis August 2023 online befragt.
Der überwiegende Teil der Unternehmen (+1,71% zum Vorjahr) nutzt weiterhin eine eigenständige Organisationseinheit für Recruiting neuer Mitarbeitenden. Signifikant hingegen ist der rückläufige Anteil an Unternehmen (-9,5% zum Vorjahr), welche Recruiting-Aktivitäten durch HR-Generalisten bevorzugen.
In einem stark umkämpften Arbeitskräftemarkt ist die Vermutung naheliegend, dass Recruiting-Abteilungen und/oder Recruiting-Verantwortliche nahezu gezwungen werden, sich zu spezialisieren, um weiterhin die richtigen Mitarbeitenden für Ihr Unternehmen gewinnen zu können.
Eine kleine Steigerung zum Vorjahr (+1,26%) lässt sich ebenfalls beim Einsatz von Drittanbietern (Dienstleistern) für einzelne Berufsgruppen festhalten.
Welche Zielgruppen (Hiring Cluster) waren 2023 im Fokus?
Bei einem steigenden Spezialisierungsgrad im Recruiting ist ein Blick auf die Top- Zielgruppen im Arbeitsmarkt nahezu obligatorisch. Hat sich zum Vorjahr etwas verändert?
Die Spezialist:innen und Expert:innen im IT-Umfeld und der Softwareentwicklung stehen als Hiring Cluster weiterhin mit großem Abstand auf Platz 1. Ingenieur:innen und Techniker:innen sowie Corporate Functions sichern sich wie im Vorjahr Platz 2 und 3.
Im Bereich der Fachkräfte und Auszubildenden sind kaufmännisch administrative Berufe das Hiring Cluster mit dem höchsten Volumen. Es folgen die kaufmännisch-vertrieblichen Berufe und die Fachkräfte im Bereich Industrie und Technik.
Verteilung der Organisationsmodelle im Recruiting
Auch im zweiten Aufschlag der Studie werden erneut die drei HR-Organisationsmodelle (Personalreferentenmodell, HR-3-Säulen-Modell und eine Mischform) gegenübergestellt. An dem Ergebnis aus dem Jahr 2022 hat sich nichts geändert. Es gilt weiterhin: Je größer ein Unternehmen ist, umso stärker ausgeprägt ist eine Ausrichtung nach dem HR 3-Säulen-Modell. Umgekehrt geht die Nutzung des Personalreferenten-Modells mit der Unternehmensgröße zurück. Lediglich die Spanne der Mischformen hat sich spürbar erweitert von 34% – 46% auf 28% – 49%.
Wie hat sich die Recruiter-Auslastung entwickelt?
Wie schon im Jahr 2022 im Artikel Recruiter verzweifelt gesucht – Recruitermangel voraus? skizziert, ist der Bedarf an Recruitern weiterhin hoch. Spannend in diesem Zusammenhang ist daher die Entwicklung des Workloads, sprich: Wie viele Stellen betreuen Recruiter:innen im Durchschnitt gleichzeitig und/oder in Summe pro Jahr?
Ein Vergleich der beiden Studienergebnisse aus dem Jahr 2022/23 gibt Aufschluss. Waren es im Jahr 2022 noch 27 Stellen in gleichzeitiger Betreuung, sind es im Jahr 2023 lediglich noch 19 im Durchschnitt. Der Median liegt jedoch weiterhin in beiden Jahren bei 15. Ein Blick auf die Jahressumme, verzeichnet ebenfalls einen Rückgang im Durchschnitt von 62 auf 44 Stellen.
An dem grundsätzlichen Ergebnis hat sich jedoch nichts verändert: Je mehr Mitarbeitende in einem Unternehmen tätig sind, desto mehr Stellen werden jährlich und durchschnittlich von Recruiter:innen betreut.
Neu zum Vorjahr ist ein Vergleich zum Zeitaufwand bei ausgewählten Aktivitäten in den Phasen des Recruitingsprozesses. Gegenüber gestellt werden die folgenden Aktivitäten:
- Erstellung des Anforderungsprofils
- Aufbereitung der Stellenanzeige und Festlegen des Jobtitels
- Sichtung des Bewerbungseingangs
Betrachtet man die längeren Zeitspannen (eine Stunde oder mehr) in den einzelnen Phasen des Rekrutierungsprozesses, fällt auf, dass die Zeit, die für das Durchsehen von Bewerbungsunterlagen und die Teilnahme an Bewerbungsgesprächen aufgewendet wird, sehr hoch ist.
Welche Auswirkungen Tools, basierend auf künstlicher Intelligenz (KI) wie z.B. ChatGPT, auf den Vergleich in kommenden Jahren haben werden, bleibt spannend. Tendenziell wäre davon auszugehen, dass sich der Zeitaufwand für einzelne Aktivitäten verkürzen oder verlagern wird. Unter diesem Aspekt scheint dieser Vergleich eine sinnvolle Ergänzung in der Studie.
Der Methoden-Koffer im Vergleich (2022/23)
Die Jobbörsen liegen im Vergleich sowohl bei der Nutzung als auch beim Erfolg wieder weit vorne. Einen signifikanten Anstieg im Methoden-Koffer verzeichnen die Mitarbeiter-Empfehlungsprogramme mit einer Zunahme von 8,27% zum Vorjahr. Einen deutlichen Rückgang von insgesamt 15,98% erfuhr die direkte Vermittlung durch Personalberater und/oder -dienstleister.
Welche Recruiting-Kennzahlen werden genutzt und welche sind gewünscht?
In Bezug auf die Verwendung von Leistungskennzahlen zeigt sich durchweg eine Zunahme von 2022 bis 2023. Time-to-Hire, Cost-per-Hire und Channel Effectiveness (Anzahl der Bewerbungen) bleiben weiterhin die am häufigsten verwendeten KPIs im Recruiting. Die Zeit bis zur Einstellung ist das einzige Maß, bei dem die tatsächliche Nutzung höher ist als der Wunsch nach Nutzung.
Bei den anderen KPIs bestehen weiterhin erhebliche Unterschiede zwischen der tatsächlichen Nutzung und dem Wunsch nach Nutzung, insbesondere bei Cost of Vacancy (wie im Vorjahr) sowie mit geringfügigen Abweichungen auch bei Offer Rate und Channel Effectiveness (Anzahl der Einstellungen).
Welche Fach- und Softskills sind im Recruiting gefragt?
Nach Einschätzung der Befragten im Rahmen der Studie sind Diskretion, Zuverlässigkeit und eine eigenständige Arbeitsweise die drei wichtigsten Fähigkeiten für Recruiter:innen. Zukünftig werden jedoch Erfahrungen und Kenntnisse in Analytics-Systemen, in sozialen Medien sowie im Personalmarketing oder Employer Branding als besonders bedeutsam angesehen.
Welche Bewerbermanagementsysteme setzen Unternehmen ein?
Zu guter Letzt bietet die Studie ergänzend zum Vorjahr eine Übersicht der eingesetzten Bewerbermanagementsysteme in Unternehmen. Gut ein Drittel der Befragten gaben an, ein „sonstiges“ System zu verwenden, was dem Resümee der Studie nach einem fragmentierten Markt entspricht. Ob die Kategorie auch Eigenprogrammierungen oder die Nicht-Benutzung eines Bewerbermanagementsystems impliziert, ist aus der Studie nicht ersichtlich.
Auf Platz 2 und 3 befinden sich SAP Success Factors und Personio, die sich mit einem Marktanteil von mehr als 10% sichtbar vom Wettbewerb abheben.
Studie von Wollmilchsau, DGFP und HTWK
Für die Studie arbeiteten drei Größen der HR-Welt kollaborativ zusammen. Die Wollmilchsau GmbH ist einer der bekanntesten Anbieter von datengetriebenen Recruiting-Lösung (HR-Tech). Die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V., DGFP, gehört zu den größten Vereinigungen im HR und unterstützt mit zahlreichen praxisrelevanten Studien und Untersuchungen. Prof. Peter M. Wald mit einer Professur für Personalmanagement an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig prägt mit seinem Engagement seit vielen Jahren die Entwicklung der HR-Szene und veranstaltet den jährlich stattfindenden HR Innovation Day. Im Praxishandbuch Social Media Recruiting 5. Auflage wurde die Studie übrigens erstmalig vorgestellt.
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