Die Vielzahl an Streiks in diesem Jahr deuten an, dass die Zeit der Bescheidenheit vorbei ist und sich die Machtverhältnisse auf den Arbeitsmärkten verschieben. Egal ob Erzieher:innen, Eisenbahner:innen oder Fachkräfte in der Pflege: Meist wurden vor dem Hintergrund von Inflation und Fachkräftemangel kräftige Lohnzuwächse gefordert. Mehr als drei Viertel der Fachkräfte rechnen damit, dass der zunehmende Fachkräftemangel künftig zu noch mehr Streiks führen wird. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie des Jobportals meinestadt.de, für die das Marktforschungsinstitut Bilendi Ende Juli 2023 insgesamt 3.000 Fachkräfte mit Berufsausbildung befragt hat.
„Es müsste mehr gestreikt werden“
76,9% der Fachkräfte rechnen damit, dass der zunehmende Fachkräftemangel zu mehr Streiks führen wird. Fast ebenso viele (76,8%) finden die Entwicklung „richtig“, „dass immer mehr Arbeitnehmer für bessere Bedingungen streiken“. Weitere zwei Drittel (66,1%) meinen, dass auch in ihrer Branche gestreikt werden müsse.
Folgen der Streiks: Bessere Bezahlung oder Imageschaden?
Mit welchen Folgen der Streiks rechnen Fachkräfte? 70,8% glauben, dass Fachkräfte aufgrund der Aufmerksamkeit, die die Streiks hervorgerufen haben, insgesamt langfristig besser bezahlt werden. Gleichzeitig ist fast die Hälfte (49,2%) davon überzeugt, dass die Streiks dem Image der betroffenen Berufsgruppen geschadet haben.
Streiks stärken eigene Haltung gegenüber (potenziellen) Arbeitgebern
38,2% der Fachkräfte sehen sich durch die zunehmenden Streiks auch persönlich darin bestärkt, gegenüber dem eigenen Arbeitgeber oder im Bewerbungsprozess mehr Forderungen zu stellen. Fachkräfte aus Unternehmen über 500 Mitarbeitenden fühlen sich mit 44,5% deutlich bestärkter, genauso wie Fachkräfte in der Pflege: Hier sieht sich eine Mehrheit von 55,2% durch die Streiks darin bestärkt, mehr Forderungen zu stellen.
Nur ein Drittel nutzt die günstige Marktsituation
Für viele Fachkräfte ist das Angebot an Jobs schon länger größer als die Nachfrage. Die Konsequenzen sind gute Möglichkeiten bei der Jobsuche und gute Voraussetzungen, um sich beruflich zu verbessern. 33,6% der Fachkräfte nutzen diese guten Voraussetzungen aktuell, 66,4% dagegen bisher nicht.
Wenn mehr Fachkräfte merken, dass für sie aufgrund der Situation auf dem Arbeitsmarkt „mehr drin ist“, dürften sich die Verhältnisse für Unternehmen deutlich verschlechtern. Von akademischen Fachkräften ist längst bekannt: Sie treten am Arbeitsmarkt offensiver auf und fordern in Jobinterviews zum Beispiel ein höheres Gehalt oder Arbeitsbedingungen, die eher ihren Wünschen entsprechen – wie zum Beispiel großzügigere Home-Office-Regelungen. Bekommen sie das bei ihren Arbeitgebern nicht mehr, wechseln sie den Job. Aktuell trifft das der Studie zufolge erst auf einen kleineren Teil der Blue Collar Fachkräfte zu.
Wie nutzen Fachkräfte die günstige Arbeitsmarktsituation schon jetzt aktiv für sich? Hier einige Stimmen aus den Kommentarfeldern:
- Werde Gehalt verhandeln und neuen Job suchen
- Ich schaue mich aktiv nach neuen Jobs um.
- Indem ich meine Forderungen durchsetze.
- Mit Verdi einen Streik organisieren.
- Immer auf aktuellem Stand, was Jobangebote betrifft.
- Indem ich mich umschaue und alle Qualifizierungen mitnehme, die ich angeboten bekomme.
- Ich suche und fordere Weiterbildung.
- Ich habe bereits dieses Jahr den Job gewechselt und mein Gehalt um 50 % gesteigert.
- Ich verhandle für bessere Bedingungen am Arbeitsplatz.
- Dadurch ergibt sich ein besseres Jobangebot und man kann besser verhandeln, um mehr Lohn rauszuschlagen.
- Weniger Bereitschaft in Schichten für wenig Geld zu arbeiten
- Ich fordere von meinem Vorgesetzten aktiv bessere Arbeitsbedingungen und eine höhere Bezahlung ein.
Eine Notfallsanitäterin fasst die für sie günstige Lage so zusammen: „Ich kann egal in welchem Rettungsdienst anfangen, und brauche bei meinem Betrieb nicht „Bitte Bitte sagen“, weil mein Chef weiß, dass ich ungebunden bin und auch nicht darauf angewiesen bin, in diesem Betrieb zu bleiben. Dadurch habe ich Freiheiten, die ältere Kollegen mit einer Rettungsassistentenausbildung nicht haben.“
Bin zufrieden, möchte keinen neuen Job
Und warum nutzen zwei Drittel die günstige Arbeitsmarktsituation noch nicht für sich? 65,9% sagen, sie sind zufrieden mit ihrem aktuellen Job und möchten keinen neuen. 22,8% haben keine Lust, sich einen neuen Job zu suchen.
Fazit: Fachkräftemangel dürfte sich weiter verschärfen
Der eigentliche Fachkräftemangel steht den Unternehmen noch bevor – das eher defensive Bewerbungsverhalten der Fachkräfte hinkt den aktuellen Verhältnissen auf den Arbeitsmärkten hinterher. Fachkräfte haben ihren Wert auf dem Arbeitsmarkt erkannt und werden für gute Arbeitsbedingungen kämpfen.
Die Forderungen der Arbeitnehmer dürften sich dann nicht nur auf das Gehalt beziehen. Die Diskussion um New Work-Konzepte ist in den Büros angekommen, geht bislang aber an den Fachkräften in Werkshallen, Pflegeeinrichtungen oder Handwerksbetrieben weitestgehend vorbei: Rund zwei Drittel der Fachkräfte mit Berufsausbildung können beispielsweise gar kein Homeoffice machen. Wie kann auch ihnen bzw. Mitarbeitenden im Schichtdienst mehr Flexibilität gewährt werden? Hier müssen Arbeitgeber kreativ werden, um zukünftig gute Fachkräfte zu gewinnen und zu halten.
Quelle: meinestadt.de
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