Das HR-Startup Ravio will Unterstützung bei Vergütungsentscheidungen via Echtzeit-Benchmark direkt aus der Entgeltsoftware heraus anbieten. Aktuell können Unternehmen den Service noch kostenfrei nutzen, verrät Merten Wulfert, Co-Founder Ravio, im Interview mit mir.
Wer ist Merten Wulfert?
Hallo Merten, magst Du Dich bitte kurz vorstellen?
Anders als man vielleicht vermuten würde, bin ich ein ziemlicher Neueinsteiger im Personalbereich. Bevor ich Anfang des Jahres Ravio gegründet habe, war ich lange Zeit bei Deliveroo tätig und habe dort zuerst die internationale Expansion verantwortet, um im Anschluss das Geschäft im Asien-Pazifik-Raum und dem Mittleren Osten zu leiten.
Vergütung war eines der Themen, das mich im Laufe meiner Tätigkeit ständig begleitet hat. Deliveroo ist innerhalb kürzester Zeit von rund 30 Mitarbeitern in England auf über 3.000 Mitarbeiter in 12 Ländern gewachsen. Aufgrund des rasanten Wachstums war es für uns daher umso wichtiger, die besten Talente am Markt einzustellen und zu halten, was wiederum eine ausgereifte Vergütungsstrategie erforderte. Allerdings war unsere Vergütungsstrategie anfangs alles andere als ausgereift. Der Wille war zwar da, aber es mangelte an guten Datenquellen und einfach zu bedienenden Tools.
Was bietet das HR-Startup Ravio?
Und genau da setzt unser Unternehmen an: Ravio existiert, um schnell wachsenden Technologieunternehmen durch Echtzeit-Daten zu besseren Vergütungsentscheidungen zu verhelfen.
Bis dato ist es gerade für europäische Technologieunternehmen sehr schwierig, gute Marktdaten zu bekommen. Die meisten Vergütungsdaten werden von Großkonzernen erhoben (sind also für die meisten Tech-Startups irrelevant) und decken nur einen Teil des gesamten Vergütungsspektrums ab. Außerdem sind die Daten in der Regel veraltet, da sie nur alle sechs bis 12 Monate erhoben werden.
Ravio bindet sich direkt an die HR-Systeme der Kunden an und erhebt die Daten somit in Echtzeit. Der herkömmliche Aufwand des Job-Mappings entfällt komplett, da dies größtenteils von Algorithmen übernommen wird. Wir arbeiten ausschließlich mit Technologieunternehmen zusammen und haben somit einen hochgradig relevanten Datensatz für unsere Kunden.
Und zu guter Letzt decken wir das gesamte Spektrum ab: Von Grundgehalt und variabler Vergütung über Mitarbeiterbeteiligung bis hin zu Benefits/Zusatzleistungen. Die Daten werden dem Kunden in einer intuitiven Plattform dargestellt, die selbst für Neueinsteiger unglaublich leicht zu verstehen ist.
Vergütungsentscheidungen am Markt orientieren
Vergütungsentscheidung müssen sich heute mehr denn je am Markt orientieren. Welche Optionen haben HR-Abteilungen generell dabei?
Oft wird Vergütung rein auf das Monetäre reduziert, aber durch den hohen Konkurrenzdruck, anhaltenden Fachkräftemangel und die geradezu zügellose Inflation müssen Unternehmen ihre Vergütungsstrategie ganzheitlich neu überdenken. Besonders, da viele Budgets aufgrund der schwächelnden gesamtwirtschaftlichen Lage auf ein Minimum reduziert wurden.
Es ist also Kreativität gefragt. Wir sehen 2023 als das Jahr der “Total Rewards” an: Natürlich spielen klassische Bestandteile wie Grundgehalt und Boni weiterhin eine wichtige Rolle. Aber weitaus mehr Flexibilität besteht im Bereich der Mitarbeiterbeteiligung (Equity) und den Zusatzleistungen. Diese Vergütungsformen sind im Vergleich recht kostengünstig (bzw. haben im Falle von Equity kaum Auswirkungen auf den Cashflow) und werden von Mitarbeitern wertgeschätzt.
Besonders flexibles Arbeiten (z.B. Home Office, Remote Working, kürzere Arbeitszeiten), gesundheitsfördernde Maßnahmen wie z.B. Gym-Mitgliedschaften, Wellness Days, Employee-Assistance-Programme und familienfreundliche Arbeitsplätze mit verlängerter Elternzeit sind derzeit sehr gefragt.
Um ein paar Zahlen aus unserem Benefits-Benchmarking deutscher Startups zu nennen:
- 40% bieten Gesundheits- und Therapie-Benefits
- 26% bieten kostenfreie Mahlzeiten
- 21% bieten Gym-Mitgliedschaften
Vergütungsentscheidungen sind vielschichtig und deutlich komplexer, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Für Arbeitgeber ist der erste Schritt, den Markt und ihre Positionierung hierin zu verstehen. Und genau dabei hilft Ravios Benchmarking-Tool.
Gehaltsbenchmarks in Europa
Derzeit kommt viel Bewegung in den Markt der Gehaltsbenchmarks. Was macht Ihr anders als die anderen?
Wir konkurrieren zwar mit einigen wenigen Startups wie uns, einen weitaus größeren Marktanteil haben allerdings die großen multinationalen Personalberatungen mit ihren jahrzehntealten Vergütungsstudien. Ravio ist in vielerlei Hinsicht anders:
Anders als unsere Konkurrenten erheben wir unsere Daten in Echtzeit, da wir direkt an die HR-Systeme unserer Kunden angebunden sind. Das herkömmliche (und extrem zeitintensive) Job-Mapping entfällt für unsere Kunden, da unsere Algorithmen diese Tätigkeit zu großen Teilen übernehmen.
Wir decken alle Bereiche der Vergütung ab (Grundgehalt, variable Vergütung, Equity, Zusatzleistungen). Und unser Tool kann weitaus mehr als nur Benchmarking: Mit Ravio können Kunden ihr Unternehmen auf ein etwaiges Gehaltsgefälle (Stichwort Gender Pay Gap) überprüfen und schnell feststellen, in welchen Bereichen und Teams ungerechtfertigte Lohnlücken bestehen.
Und zu guter Letzt ist Ravio derzeit für alle teilnehmenden Unternehmen kostenlos.
Vergütung und Inflation
Vergütungsdaten hatten lange eine gewisse „Haltbarkeit“. Wie steht es darum in Zeiten von zweistelliger Inflation? Sind Vorjahresdaten nicht schon komplett veraltet?
Richtig – und genau da liegt das Problem herkömmlicher Gehaltsstudien. Besonders schnell wachsende Technologieunternehmen, die sich wesentlich agiler an Marktentwicklungen anpassen müssen als traditionelle Unternehmen, leiden unter dem Mangel an Echtzeitdaten. Aus diesem Grund findet unser Produkt auch so viel Anklang. Tag für Tag wird unsere Wachstumskurve steiler, was letztlich zu mehr Daten und einem besseren Produkt für unsere Kunden führt.
Anbindung an HR-Systeme
Beim Einkauf externer Gehaltsdaten stellt sich stets die Frage, wie diese in die regulären Entgelt-Prozesse eingebaut werden können. Wie sieht Euer Ansatz dafür aus?
Die Daten sind schon mal die halbe Miete und bilden die Grundlage jeglicher Entscheidungen. Aber ohne gute Prozesse ist es schwer, konsistent die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wir werden in nicht allzu ferner Zukunft neue Produkte auf den Markt bringen, die unsere Echtzeit-Daten mit intuitiven und leistungsfähigen Workflow-Tools verbinden.
Kostenlose Vergütungsanalyse
Daten sind das neue Gold. Worauf basiert Euer Geschäftsmodell? Oder anders gefragt: Womit verdient Ihr Geld, wenn Ihr kostenfreie Vergütungsanalysen anbietet?
Ravio beruht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit: Unser Produkt ist für teilnehmende Firmen kostenlos, solange sie ihre anonymisierten Gehaltsdaten beisteuern. Im Laufe der Zeit wird das Produkt somit für alle Teilnehmer umso besser. In Zukunft wird es zusätzlich zu diesem kostenlosen Produkt verschiedene Premium-Module geben, die als klassisches SaaS-Abo erhältlich sein werden (z.B. Tools für Gehaltsreviews, erweiterte Datenmodule, etc).
Wie sich Ravio weiterentwickelt
Welche Weiterentwicklungen habt Ihr für Ravio geplant?
Für uns sind verlässliche und detaillierte Echtzeit-Daten das A und O. Wir werden uns auch weiterhin auf diesen Bereich fokussieren, um unseren Kunden das beste Produkt am Markt zu bieten. Ebenfalls oberste Priorität ist die Erschließung neuer Märkte in Europa. Zusätzlich arbeiten wir an Workflow-Tools, mit denen Unternehmen schneller und einfacher Vergütungsentscheidungen auf Grundlage unserer Daten treffen können. Es steht also viel auf dem Programm für die nächsten paar Monate.
Vielen Dank für Deine spannenden Antworten, Merten. Für Euer Startup Ravio drücke ich Euch alle Daumen!
Über den Interviewten
Merten Wulfert ist co-CEO und Mitgründer von Ravio. Merten stammt aus Deutschland, ist aber größtenteils im Ausland aufgewachsen und lebt mit seiner Familie in London. Nach seinem Studium an der WHU war Merten bei verschiedenen Technologieunternehmen wie HotelTonight und Deliveroo tätig, bevor er sich Anfang 2022 mit Ravio selbständig gemacht hat.