Mentoring ist in. Das hat Gastautorin Dr. Tina Ruseva in den letzten 10 Jahren sowohl als Mentorin als auch Mentee beobachten und erleben dürfen. Theoretisch findet es in zahlreichen Unternehmen statt, tatsächlich wird es jedoch maximal oberflächlich umgesetzt, um sich unter dem Deckmantel zu profilieren – sei es auf LinkedIn oder in der Mitarbeitendengewinnung.
Mentoring ist selten inklusiv konzipiert
In der Praxis ist Mentoring in den meisten Unternehmen exklusiv. Es findet zudem keine Chancengleichheit statt. Besonders in Großkonzernen ist Mentoring ein befristetes und kurzweiliges Programm, an dem nur ausgewählte Personen – meistens Führungskräfte mit einem langen Anstellungsverhältnis im Unternehmen – teilnehmen dürfen.
Fragt man Unternehmen, die Mentoring gar nicht erst anbieten, nach den Gründen dafür, fällt schnell auf, dass häufig auch viel zu aufwendig gedacht wird. Unternehmen schreiben sich auf die Fahne, dass gegenseitiges Helfen und Teamarbeit ihre Treiber sind. Blickt man jedoch tiefer, scheint fast eine Art Angst zu bestehen, dass man durch Mentoring Macht verliert: Denn durch die Weitergabe des eigenen Wissens profitieren schließlich andere, um einem letztlich den Platz streitig zu machen.
All das klingt überspitzt, entspricht aber leider dem, was ich durch den Kontakt mit vielen Angestellten sowie selbst erfahren habe.
Warum wir beim Mentoring umdenken müssen
In all diesen Herangehens- und Denkweisen sehe ich ein großes Problem, denn Unternehmen verbauen sich dadurch das größte und für sie selbst wichtigste Potential des Mentorings: internes Empowerment und Inkubation von Kreativität und Innovation.
Stärken, die meines Erachtens wichtig für das Überleben und Vorankommen jedes Business ist, sei es ein Startup, das noch ganz am Anfang steht, oder ein langjährig erfolgreicher Konzern. Um dieses Potential für sich zu nutzen, damit sich die wahre Power Mentorings entfalten kann, müssen wir umdenken. Wir müssen die reale Umsetzung Mentorings neu strukturieren – und das vom Ansatz an.
Mentoring als Luft zum Atmen
Per Definition ist Mentoring der Austausch von Expertise zwischen jemandem, der diese besitzt, und jemandem, der diese benötigt. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig Austausch ist. Laut Umfragen hat die dezentrale Art des Arbeitens nicht zu einer Verringerung von Effizienz gesorgt. Impulse und Kreativität haben aufgrund des fehlenden Direktaustauschs jedoch abgenommen.
Zudem müssen Unternehmen jetzt mehr denn je durch sinnvolle Benefits herausstechen. Damit kann Mentoring dienen: Denn 60 % der am schnellsten wachsenden Berufe erfordern nach dem Universitätsabschluss ein weiterführendes Berufstraining, um im Job performen und dem Unternehmen dienen zu können.
Dreiviertel der Deutschen haben laut Untersuchungen hingegen bereits gedanklich gekündigt. Weitere Studien beweisen, dass Mitarbeitende mit einem Mentor oder einer Mentorin einen höheren Sinn für Erfüllung im Job empfinden und seltener Kündigungsabsichten hegen.
Vor allem Soft Skills wie der Umgang mit Kunden oder eine empathische Mitarbeiterführung lassen sich im persönlichen Austausch angenehmer und verständlicher vermitteln. Aber auch nicht-fachliches Wissen rund um die interne Unternehmenskultur sorgt dafür, dass man sich in seinem Job aufgenommen, als Teil des Ganzen fühlt.
Mentoring kann das Wir-Gefühl sowie die Wertschätzung und Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens stärken. Dies wird erstrecht relevant, wenn unterschiedliche Generationen und Kulturen aufeinandertreffen und man deshalb zahlreiche Ansichten, Kenntnisse, Erfahrungen und Wahrnehmungen auf einen Nenner bringen muss.
Höher, schneller, weiter … und glücklicher
Wenn ich an Mentoring denke, geht es also im Grunde genommen um die älteste Art und Weise, wie wir lernen: Von der Kindheit an lernen wir ganz nativ, indem wir beobachten, von anderen adaptieren und uns austauschen. Wir können nicht Fahrradfahren, weil uns dieses Wissen angeboren ist oder etwa gelesen haben, wie es geht.
Denn wir hatten einen Mentor, bei den meisten von uns vermutlich unsere Eltern oder Großeltern. Wir sind zu Beginn vielleicht mehrfach hingefallen, aber durch Unterstützung, Zuschauen, Zuhören und Ausprobieren sind wir von Mal zu Mal immer besser geworden, bis wir irgendwann ganz eigenständig losfahren konnten.
Genau nach diesem Prinzip funktioniert im besten Fall auch Mentoring. Denn das ist im übertragenen Sinne wie ein Schweizer Taschenmesser, das jedes Unternehmen benötigt, um Austausch, Wissensvermehrung und Inklusion auf einen Schlag zu ermöglichen. Nur innerhalb einer Arbeitskultur, in der all dies vorherrscht, kann in der neuen Arbeitswelt, in der aktuell fünf Generationen gleichzeitig an einem Strang ziehen, innoviert werden.
Zusammengefasst können wir durch Mentoring also für Upskilling auf mehreren Ebenen – humaner, kollaborativer, kreativer und innovativer Art – sorgen und somit die interne Arbeitskultur und Arbeitsergebnisse verändern.
Wenn ich es herunterbrechen müsste, würde ich sagen: Mentoring sorgt dafür, dass wir Freude bei unserer Arbeit verspüren und bessere Arbeit leisten.
Mithilfe von Technologie zu Mentoring-at-its-best
Um all diese Vorteile Mentorings zu nutzen, benötigt es kein Programm. Es benötigt einen Community-Pool aus fachlich qualifizierten Personen und faire Matchingprozesse, bei denen – pragmatisch betrachtet – passende Personen zusammenkommen.
Vor Kurzem habe ich so etwas erleben dürfen. Nur nicht im Rahmen eines Mentorings, sondern im Park auf dem Weg nach Hause. Mein Fahrrad hatte einen Platten und ein älterer Herr bemerkte das. Er bot mir sein Reparaturset sowie sein Wissen an und half mir auf diese Weise, mein Fahrrad selbst zu reparieren. Es brauchte dafür keinen Bewerbungsprozess und keine Organisation durch ein HR-Team. Ich brauchte Hilfe, er konnte mir dabei helfen, mir selbst zu helfen. Genauso kann auch Mentoring funktionieren. Das könnte es, ohne Probleme und monatelange Planung – mithilfe von smart eingesetzter Technologie.
Mentoring lässt sich mit digitalen Plattformen einfach verwalten und umsetzen. Der Vorteil dieser: Man spickt sie mit seinen persönlichen Daten und kann mithilfe eines Algorithmus selbstständig bedarfsgerechte Unterstützung finden, wenn man sie benötigt. Ein bisschen wie Tinder, nur eben im Unternehmens-Kontext. Das ist nicht nur inklusiver und unkomplizierter. Die Möglichkeit, Hilfe auf Bereitschaft zu erhalten, motiviert andere auch eher, sich als Mentor zur Verfügung zu stellen. So erfährt jeder Hilfe, wenn sie benötigt wird, unabhängig von Berufserfahrung, Geschlecht und Funktion.
Warum wir von Greta lernen können
Ein gutes Beispiel, dass die derartige Organisation einer Arbeitsweise wunderbar funktioniert, zeigt Greta Thunbergs Bewegung Fridays for future. Hier wird dezentral gearbeitet, man unterstützt sich untereinander und hilft sich aus, um ein gemeinsames, übergeordnetes Ziel zu erreichen.
Wenn Teenager das also schaffen (und das ist nicht despektierlich gemeint), dann sollten es Unternehmen eigentlich auch hinbekommen, die Zukunft der Arbeit analog zu optimieren. Nämlich dezentral, agil, inklusiv und schlussendlich effizient und innovativ.